Deferred gratification – denied
Freitag, 25. Februar 2011 um 9:00Vielleicht haben Sie schon mal vom Stanford marshmallow experiment gehört? Kindern wird ein Stück Süßigkeit vorgesetzt. Man verspricht ihnen ein weiteres Stück, wenn sie das erste nicht essen. In diesem Experiment wird gemessen, wie lange die Kinder der Versuchung widerstehen können.
Hier eine Wiederholung von 2009 (?) des Experiments aus den 1960ern:
Es geht in diesem Versuch um Selbstkontrolle und darum, ob die Kinder die Fertigkeit haben, das Gefühl von Belohnung und Befriedigung aufzuschieben: deferred gratification, also aufgeschobene Belohnung. Vieles weist darauf hin, dass diese Fähigkeit eine grundsätzliche Charaktereigenschaft ist, die sich über den Lebensweg der Probanden hinweg nicht ändert: Entweder ein Mensch springt auf diese deferred gratification an oder nicht, egal, wie alt er ist. (Ob es überhaupt unveränderliche Charaktereigenschaften gibt, ist natürlich wiederum Gegenstand tiefer Debatten in der Philosophie, Psychologie, Neurologie.)
Mich würde allerdings ein nächster Schritt in diesem Experiment interessieren: Was passiert, wenn ein Proband die Selbstdisziplin aufgebracht hat, seine Belohnung zu verschieben – sie ihm dann aber verweigert wird? Wenn er nicht etwa eine zweite Süßigkeit bekommt, sondern ihm sogar die erste weggenommen wird? Wird er dann in einer nächsten ähnlichen Situation die Süßigkeit sofort essen, weil er das Vertrauen in die Welt verloren hat – zumindest aber in jede Art von versprochener Belohnung?
Ohne je den Beweis dafür erbringen zu können, bilde ich mir ein, dass ich als Kind die zweite Süßigkeit bekommen hätte. Ich kann Belohnung ziemlich lange aufschieben und bis dahin Zähne zusammenbeißen, verdrängen, mich zusammennehmen, Reserven aktivieren – wenn ich mich auf eine konkrete Belohung zu einem konkreten Zeitpunkt freuen kann. Aber wenn ich sie dann nicht bekomme, werde ich BÖSE.
Worauf ich hinaus will (Sie wussten, dass ich auf etwas hinaus will): Es sieht so aus, als könnte ich mir den Montag nach der Oscarnacht, also nächsten Montag, nicht frei nehmen. Die letzten Wochen waren beruflich recht belastend, und mein Lichtlein am Ende des Tunnels, meine deferred gratification, waren Oscarnacht, Ausschlafen, Schwimmengehen, großes Café-Frühstück. Aus Gründen, die komplett außerhalb meiner Kontrolle liegen, kann ich entscheidende Entscheidungen nur auf der Basis von Fakten treffen, die erst an diesem Montag vorliegen. Und diese Entscheidungen ziehen mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit zahlreiche berufliche Tätigkeiten nach sich, die ich dann genau an diesem Montag tun muss.
Zefix.
die Kaltmamsell18 Kommentare zu „Deferred gratification – denied“
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25. Februar 2011 um 9:07
oh ….. keep all my fingers crossed …. und dann: unbedingt neue Karotte ans Ende des Tunnels hängen, wenn’s auch eine andere ist und auch keine Karotte …
25. Februar 2011 um 9:32
zefix – schon lange nicht mehr gelesen bzw. gehört obwohl ich mich jetzt beim lesen daran erinnere es oft in einer für mich nicht zu beeinflussenden situation genau so auch gebraucht zu haben. seit wann bin ich solchen situationen nicht mehr ausgesetzt? wurde mir erst jetzt bewußt!
25. Februar 2011 um 10:30
durchbeißen. dienstag frei nehmen.
25. Februar 2011 um 11:24
Frühestens Mittwoch, adelhaid. Gnarf.
25. Februar 2011 um 11:59
Ich drücke die Daumen & danke für dieses wunderbare Video, bei dem ich fast schon selbst mitgelitten habe… ^^
25. Februar 2011 um 12:04
Ja und deshalb esse ich lieber schon gleich das erste Marshmallow uns lasse mir ungern was erzählen. Mag es nun Charakterschwäche sein oder nicht.
25. Februar 2011 um 15:22
Oh, das tut mir aber leid. Ich steh nicht so auf Oscar-Nächte, aber meine Tochter. Ich würde Dir ja gerne einen Tausch anbieten, leider würde ich aber solches Unheil auf Deiner Arbeit anrichten, daß wir das lieber lassen :-(
Aber dieses Experiment hat mir eine der bösesten Erinnerungen meiner Kindheit ins Gedächtnis gerufen. Bevor ich an den Mandeln operiert wurde, da war ich fünf Jahre alt, mußte ich eine Spritze kriegen. Und zwar in den linken Arm. (Ich könnte den Vorraum des OPs jetzt noch aufmalen, wo das passierte). Ich wollte gern zugucken, wenn ich die Spritze kriege, ich hatte keine Angst, aber sehen wollte ich es. Und die Krankenschwester meinte: “guck auf die andere Seite, dann kriegst du hinterher von mir ein Klümpchen”.
Ich guckte brav auf die andere Seite und ich erinnere mich auch noch an den komischen Geruch, der aus der schwarzen Maske kam. (Ich hatte ein Portemonnaie, das ganz ähnlich roch). Und dann war ich weg.
Und das Klümpchen, das hab ich NIE gekriegt.
War das nicht gemein???? Ich könnte dieser Krankenschwester heute noch… Vorwürfe machen. Aber auch diese Befriedigung ist wohl auf ewig verschoben.
25. Februar 2011 um 16:07
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Gerne gelesen
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25. Februar 2011 um 18:00
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Genau!
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25. Februar 2011 um 18:08
Und was wuerde passieren, wenn Sie nun ausgerechnet am Montag krank werden?
25. Februar 2011 um 21:10
Wenn ich am Montag krank würde, winnie, nähme ich den Blackberry mit ins Bett und stellte mir den Wecker jede Stunde, um E-Mails zu bearbeiten und telefonisch Kolleginnen um Hilfe anzubetteln. Es wäre grauenhaft.
25. Februar 2011 um 23:13
Ja, genau, dann werde ich auch unglaublich sauer, ich passe jetzt schon höllisch auf, dass es bei mir nicht die Freitage um Pfingsten rum erwischt. Das gäbe richtig Zunder. Und ich kann sehr erfinderisch werden, warum wichtige Termine da NICHT liegen können.
27. Februar 2011 um 11:46
ach du grüne neune. hier weiß eine genau, was du meinst.
weltumrundung? natürlich. zu fuss? klar. aber nur, wenn am ende genau das an ort und stelle ist, woraus man die ganze zeit die kraft geschöpft hat.
ich wünsche bestes!
27. Februar 2011 um 11:50
PS: in meiner Kindheit wurde ich von meinen belustigten eltern oft total wild auf etwas gemacht, dessen auflösung mich noch unter 5 jahren schier verzweifeln ließ, weil es eben keine auflösung war.
zB haben sie mich einmal einen ganzen tag auf den federkernmatratzenball heiß gemacht. ich war so 4 und konnte mit dem wort nichts anfangen, und den ganzen tag habe ich mich gefreut, ein ball, mit eltern, abends etc. das ganze prinzessinnending.
als es dann dunkel wurde, wollte ich wissen was ich anziehen darf/soll?
da bekam ich mein nachthemd in die hand, und wurde ins bett geschickt. am federkern horchen.
sicher einer der gründe, warum ich mir spaß nur im notfall aufhebe.
27. Februar 2011 um 17:21
Oje. Ich bin ganz schlecht im Aufschieben von Belohnungen. Ich will immer alles und sofort und dann ganz viel. In Ihrer Lage wäre ich unerträglich für jeden, der in der Nähe ist und für mich am meisten. Beileid.
27. Februar 2011 um 19:22
Boah, Lu, superböse Eltern. Man darf Kindern ruhig Unfug erzählen, sollte man sogar reichlich, aber foppen und quälen zur eigenen Belustigung ist gemein.
11. März 2011 um 13:57
Ich finde, dieses Experiment ist Kinder-Quälerei. Besonders perfid daran finde ich, dass man die Kinder auf einen Stuhl setzt und das Ding vor sie hin legt, so dass sie die ganze Zeit darauf starren müssen. Ein vernünftiges, autonomes Kind, würde aufstehen und was anderes machen, aber die wenigsten tun das, weil ihnen die Autoritätsperson vorher gesagt hat, sie müssen sitzen bleiben.
Ich finde dieses Experiment echt hässlich…
11. März 2011 um 17:32
Oy, Fille, dann sehe ich also in 20 bis 30 Jahren eine Flut von Autobiografien auf uns zukommen, in denen die damaligen Versuchkinder darlegen, wie ihr Leben durch die Marshmallow-Lady auf immer zerstört wurde. Bitter für alle Seiten.