Gemischtes Gehacktes

Dienstag, 15. Februar 2011 um 14:00

Die Lektüre von Jonathan Franzens Roman Freedom bereitet mir Genuss. Er ist ein dickes Buch, an dem ich schätzungsweise noch über eine Woche lesen werde. Und in dieser Kombination stören mich zwei Aspekte sehr:
1. Die Scheußlichkeit des Umschlags. Etwa zwei Wochen wird das Bild links mein Blog verschandeln und den Eindruck erwecken, ich könne mir nur Raubkopien leisten. Ist Herr Franzen farbenblind? Ein irrationaler Verehrer von Bob Ross? Mit einem ganz anderen Humor ausgestattet, als seine Romane vermuten lassen?
2. Keine Leerzeilen. Freedom ist unterteilt in Großkapitel von vielen Dutzend Seiten Länge. Der Satz dieser Abschnitte ist lediglich durch normale Absätze strukturiert, es fehlt eine weiterer übergeordnete Unterteilung durch Leerzeilen. Die Folge: Die Szene wechselt komplett, und ich bemerke das erst anhand meiner Verwirrung drei Absätze weiter.
Nein, der Roman ist nicht die Sorte Kunst, die mit Satz und Umbruch arbeitet.

§

Am Sonntag den Film Das Lied in mir gesehen, und zwar im Eldorado an der Sonnenstraße. Das ist ein schönes, großes Kino im Untergeschoß, zeitgemäße Technik, Beinfreiheit, steil genug für gute Sicht. Wenn man denn mal drin ist. Denn erst muss man an der Kinokasse eine Eintrittskarte erwerben.

Schon als ich die 15 Meter lange Schlange am Eingang sah (wohlgemerkt: für die 16-Uhr-Vorstellung eines Nicht-Blockbusters), wusste ich, wer da die Karten verkaufte. Madame ist die mit Abstand stylischste Greisin, die mir je begegnet ist. Ihre Eleganz hat nichts von Mottenkugeln oder Uroma-Gemütlichkeit, sie ist unzweifelhaft heutig ausgestattet. In den letzten fünf Metern bis zum Kartenkauf hatte ich genug Zeit, die Details zu bewundern: Lange, schwarz lackierte Fingernägel, großer Silberschmuck an den Händen, schwarze glänzende Wuscheljacke, dunkelblonde Fransenperücke tief in der Stirn, dezent geschminktes Gesicht in den Farben der Saison, der freundlich lächelnde Mund korallenrot, auf der Nase eine eckige schwarze Lesebrille. Nur dass Madame halt… eher… länger… braucht. Ich war die dritte Kundin hintereinander, die ihre Einzelkarte (8,50 Euro) mit einem 20-Euro-Schein bezahlte. Doch wie schon bei den Frauen vor mir besah sie sich den Geldschein gründlich, begann dann mit Blick auf die Theke vor ihr die Wechselsumme zu berechnen, um dann wiederum gründlich die dafür erforderlichen Münzen und Scheine in ihrer Geldschublade zu suchen, mal über den Rand ihrer Brille lugend, mal durch die Brille selbst.

Ein Glück, dass auch in dieser Nachmittagsvorstellung der gesamte Werbeblock gezeigt wurde. So machte es nichts, dass ich mich 15 Minuten zu spät vor die Leinwand setzte.

Der Film gefiel mir übrigens sehr gut. Berufsschwimmerin bleibt auf der Reise von Deutschland nach Chile in Buenos Aires hängen, weil sie der Klang eines Kinderlieds zu Tränen aus der Fassung bringt und sie feststellt, dass sie es mitsingen kann, obwohl sie doch gar kein Spanisch spricht. Sie findet heraus, dass sie in Buenos Aires auf die Welt gekommen ist, ihre leiblichen Eltern in der Militärdiktatur verschwanden. Trotz des großen Themas hält der Film die Geschichte klein und persönlich, vermittelt dadurch viel Nähe und Echtheit. Ich genoss es, alle drei verwendeten Sprachen (Deutsch, Spanisch, Englisch) zu verstehen.

Eine gute Gelegenheit, Meike Winnemuths bezauberndes Weltreiseblog Vor mir die Welt zu empfehlen: Den Februar verbringt sie nämlich in Buenos Aires.

Bei ihr habe ich auch diesen wundervollen Filmschnipsel gefunden (achten Sie unbedingt auf den Hintergrundchor der gröhlenden Automechaniker):

die Kaltmamsell

7 Kommentare zu „Gemischtes Gehacktes“

  1. ATh meint:

    Herrlicher Fund, die Frau Winnemuth, gleich gelistet.

    Fiel Ihnen der Rettungsring mit dem Schiffsnamen “Gneisenau” auf? LOL

  2. iv meint:

    Es gibt zum Franzen auch ein Alternativcover für die Modernisten unter uns: http://www.abebooks.com/blog/wp-content/uploads/2010/11/jonathan-franzen-freedom.jpg
    Dussmann hatte beide nebeneinander stehen.

  3. Buchfink meint:

    Grundsätzlich finde ich, dass die Schutzumschläge von deutschsprachigen Verlagen meistens schöner sind als die von angelsächsischen, Ausnahmen bestätigen die Regel. Und dass Herr Franzen Einfluss auf die Gestaltung seiner cover nimmt, glaube ich nicht, denn irgendein Marketing-Fuzzi wird ihm schon verklickern, dass gerade dieses häßliche Cover den Absatz steigern könnte.

  4. queenofsoup meint:

    bei amazon ist die ausgabe mit dem schwarzweißen alternativcover sogar billiger gewesen. und man könnte das buch ja für die dauer des lesens in neutrales (zeitungs) papier einbinden… dazu haben mich meine eltern früher immer ermahnt, wenn ich als kind ein gebundenes buch an den badesee mitnehmen wollte und dreckgefahr bestand. geht ganz schnell. arabische zeitung oder börsenkurse find ich am schönsten.

  5. die Kaltmamsell meint:

    Das Buch war ein Geschenk Dritter für den Mitbewohner. Werde nachhaken, ob die noch eine Rechnung mit ihm offen hatten.

  6. Buchgestalter meint:

    In diesem Fall ist der Umschlag der deutschen Ausgabe wirklich gelungener:
    http://www.boersenblatt.net/409090/
    Offenbar haben da die Marketing-Fuzzis mal klein beigegeben ;-)

  7. Maz meint:

    Ohne Frage ein großer Roman- aber keinesfalls das Meisterwerk. Der Autor von Korrekturen konnte es in Korrekturen besser.
    Evoziert nix, aber gut zu lesen.,

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