Wir Kulturreisende lieben Märkte in fremden Ländern: Guck mal, die Fische! Oh, das wunderbare Brot! Was mögen das nur für Früchte sein? Ah, traditionelle Handwerkskunst! Brighton ist dafür genau das richtige Pflaster, steckt es doch voller gut betuchter Hippies, die in Deutschland allesamt Manufactum-Stammkunden wären und selbstverständlich genau wissen, was ursprünglich und authentisch ist und was nicht.
Nur – es muss doch auch andere Brightoner geben? Die ohne Geld, vielleicht auch ohne poshe Bildung? Die eigentlichen Nachfahren der Menschen in Graham Greenes Brighton Rock? Die möglicherweise tatsächlich authentischen Bewohner Brightons?
Die haben wir gestern auf einem Markt angetroffen, der nicht weiter von dem entfernt sein könnte, was die Manufactumer zu authentisch und ursprünglich erklärt haben: Brighton Market, der viermal im Jahr auf dem Pferderennplatz hoch über der Stadt stattfindet (die Rennbahn, die ja in Brighton Rock eine große Rolle spielt).
Hier einige Impressionen:
Ja, das sind Grabsteine, meine Damen und Herren.
Wirklich beeindruckend fand ich den billigen Fleischjakob.
Zwei riesige Stände schlugen Fleisch der in Europa gängigsten Speisetiere (Huhn, Schwein, Rind) per Marktschreierei los, wie ich es auf süddeutschen Dulten an großem Pflanzenwagen kenne und im Norden vom Fischmarkt. Eine Schweinshaxe, fünf Koteletts dazu – a tenner! Kommen Sie, wer kann da schon Nein sagen? (Ich leiste hiermit den deutschen Lebensmittelkäufern Abbitte, von denen ich immer behauptet hatte, nur ihnen sei es völlig egal, woher Fleisch kommt und wie das Tier gelebt hat – Hauptsache billig. Solch eine Show kann ich mir in Deutschland nicht vorstellen.) UND! Wir waren ganz sicher die einzigen Touristen auf dem Markt – ein echter Geheimtipp.
Auch die angebotenen Speisen waren extrem fleischbetont: Hamburger, Bratwurst, Schweinsbratenscheiben im Brot, Kebab. Die vegetarische Option: Chips.
Doch dann gab es da zum Glück noch den Stand mit Riesengebäck: Ich holte mir einen Jumbo Choc.
Hefeteig, mit süßer Sahne gefüllt und mit kakaohaltiger Glasur überzogen. Gar nicht schlecht, verhältnismäßig.
Den Nachmittag verbrachten wir mit einem Spaziergang auf dem Undercliff Walk nach Rottingdean – in etwas, was man eigentlich nur Hitze nennen kann. Sie wären nie auf die Idee gekommen, ihren frühsommerlichen Badeurlaub in Südengland zu planen? Denken Sie nochmal nach.
Nach Erholung im schattigen Pub und einem Spaziergang durch Kipling’s Gardens und Umgebung kehrten wir im wundervollen Garten der Old Vicarage (heute The Grange) auf einen Cream Tea ein.
§
Da war dieser kleine russische Zirkus auf Tour durch Südengland, dem vor Brighton das Zelt abbrannte und der dadurch alles verlor. Welch ein Zufall, dass der turkmenische Wirt eines zentral gelegenen Restaurants gerade das Handtuch warf und dringend einen Nachpächter für sein Lokal suchte. Die Zirkusleute ergriffen die Gelegenheit. Dass niemand von ihnen gastronomische Erfahrung hatte, erschien ihnen nebensächlich – wie schwer konnte es schon sein, ein paar Gäste zu versorgen? Allein die Lage des Lokals machte es doch zu einer hunderprozentigen Goldgrube.
So oder ähnlich erkläre ich mir die Erlebnisse des gestrigen Abends. Wir wollten in einem Lokal zu Abend essen, in dem wir in den vergangenen Jahren anständige, leicht orientalisch angehauchte Küche bekommen hatten. Zwar hatten der Name (von Atlas Lounge zu Bank) und der Pächter gewechselt, aber etwas zu essen würden wir doch bekommen. Nun ja.
Die sehr junge, sehr freundliche Bedienung war nicht ganz sprachsicher, aber ein Deuten auf den Posten „Mojito“ auf dem schwarz-weiß kopierten Zettel, der als Cocktailkarte fungierte, brachte sie zu begeistertem Kopfnicken. Anschließend beobachteten wir mit Rührung, wie sie etwa 15 Minuten lang hinter der Theke die offensichtlich ersten Mojitos ihres Lebens bereitete: wie sie Minzblätter bis zu Brei stößelte, in einem Buch nachschlug, Dinge mit einer Scheibe Limette tat, ein wenig Zucker darüber streute, wieder im Buch nachsah, in einem Barfach wühlte, anscheinend Eis-ähnliches fand, das Glas füllte, wie sie diesen Vorgang bei einer zweiten Portion wiederholte. Das Ergebnis schmeckte nach gekühltem braunen Rum, sonst nichts.
Auch die Speisenbestellung war nicht einfach. Eine weitere, deutlich ältere Bedienung, war bei jedem Posten (die Karte versuchte italienisch zu sein) auf die Nummer am Rand angewiesen, kam nach Aufnehmen der Bestellung zweimal zum Nachfragen. Dann trat der grauhaarige Koch an den Tisch, um uns radebrechend zu informieren, dass des Begleiters Pizza nicht herzustellen sei: „Oven is broken.“ Der Begleiter wagte die Bestellung eines Risotto. Dieser sowie meine Spaghetti Carbonara (mit Schinken und Sahne, Sie wissen schon) brauchten nicht ganz so lange wie die Mojitos, mein gemischter Salat zur Beilage war allerdings komplett trocken. Spätestens an dieser Stelle waren wir sehr erheitert. Ich bat die junge, begeistert strahlende Bedienung um Dressing. Ich bekam: Senf, Ketchup, Tartar- sowie Meerrettichsauce. Mit drei kleinen Löffelchen. Auf meine Bitte um Öl und Essig stellte sie ein Fläschchen Malzessig dazu. Strahlend. Nun, Dressing ist ja bekanntlich die versteckte Kalorienbombe Nummer Eins, vor der Frauenzeitschriften ganz besonders warnen. Die Nudeln und der Reis waren essbar, unser Hunger gestillt. Auf dem Heimweg musste ich allerdings im Supermarkt dringend einen möglichst verworfenen Nachtisch holen, zum seelischen Ausgleich (Toffee-Cheesecake, sehr gut).