Die Kaltmamsell lernt All inclusive

Dienstag, 4. Oktober 2011 um 19:54

Jetzt schaun’S doch nicht gleich so bös’: Das war ja nicht Ziel des Urlaubs, sondern lediglich ein Kollateraleraldetail. Ich hatte ein paar Tage fort gewollt (unter anderem weil sonst die Gefahr bestand, dass ich den Urlaubsbeginn noch weiter als bislang schon vor mir her schieben würde) – weit genug weg, um sicher schönes und warmes Wetter zu haben, fünf Tage Abschalten im Irgendwo, allzu viel sollte es nicht kosten, auf tiefe Recherche hatte ich keine Lust. Diesen Entschluss fasste ich erst knapp zwei Wochen vor Urlaubsstart, die Auswahl war entsprechend beschränkt.

Was Griechisches vielleicht? Von Korfu hatte ich Gutes gelesen für diese Jahreszeit. Doch das Angebot war unübersichtlich, und die Reisedauer von fünf Tagen zumindest im angestrebten Zeitraum unüblich. Vielleicht doch eine Gegend, in der ich die Sprache verstand? Kanarische Inseln ist doch auch wettersicher. Wieder fand ich (auf die Schnelle, nicht dass Sie glauben, ich hätte stundenlang recherchiert) fast ausschließlich sieben oder drei Tage Aufenthalt. Doch dann die Ausnahme: Fuerteventura, fünf Tage an der Costa Calma, für übersichtliches Geld. Und all incl. Ich beschloss, all incl. als Forschungsgebiet einzuordnen und buchte.

Für meine mangelnde Recherche bestrafte mich bereits der Hinflug: Die Kanaren sind unerwarteterweise dann doch mehr als vier Flugstunden von München entfernt. Das war anstrengend. (Ich muss im Oktober noch geschäftlich nach Brasilien – ich fürchte mich sehr.)

Die Hotelanlage ist mittelheruntergekommen (stilgebend waren womöglich Doris-Day-Filme – auf die weniger gute Art), aber sauber, selbstverständlich mit kostenlosem Fernsehen auf allen Zimmern, leider ebenso selbstverständlich ohne Wlan oder sonstigen kostenlosen Internetzugang. Sagen Sie: Wer macht eigentlich diese Sterne-Bewertungssysteme? Besteht irgendeine Hoffnung, dass die Bereitstellung von Wlan in absehbarer Zeit Bedingung für mindestens drei Sterne wird?

Aber nun zum All inklusive. Lisa Neun hat ja bereits mit Tooncam ihre Erlebnisse damit festgehalten (erst beim Nachblättern habe ich gesehen, dass auch sie auf Fuerteventura geforscht hat):
“Live” aus der All Inclusive Hölle
Der All Inclusive Tagesablauf
All Inclusive Zeitvertreib

Hier die meinen: Ja, man bekommt beim Einchecken ein nur durch Schere entfernbares Bändel ums Handgelenk. Ja, die Gäste trinken tatsächlich schon um halb elf vormittags am Pool Longdrinks aus Pappbechern. Die Getränke zu den Mahlzeiten zapft man sich selbst, und das gilt auch für die Weine in Weiß, Rosé und Rot: Sie kommen gut gekühlt aus einem Zapfhahn und heißen „vino blanco“, „vino rosado“ und „vino tinto“. Da ich zumindest einen spanischen Wirt diese Technik anwenden weiß, liegt der Verdacht nahe, dass die Sorte Rosa aus einer Mischung von Weiß und Rot besteht – ich bezweifle, dass es irgendwer bemerken würde (mich eingeschlossen). Nun gut, ich mische mir halt einen tinto de verano aus 7up, Sodawasser, Eiswürfel und Rotwein (nur Limo wäre zu süß). Was gut ging, weil ich tinto de verano bei Hitze wirklich gerne trinke, bis der Rotwein gestern Abend wie Hölle korkte (wir wissen ja, dass das Korken nicht unbedingt von einem Korken bedingt wird). Da schwenkte ich auf Radler um.

Vom Frühstück kann ich nichts berichten, ich gehe in dieser Zeit Laufen (dazu später selbstverständlich und mit Bildern mehr). Meinen anschließenden café con leche hole ich mir am Pool-Kiosk (wo sich Deutsche, Polen und Russen stereotyperweise bereits Drinks einschenken lassen – Italiener, Spanier und Franzosen nicht). Dort ist auch der einzige Ort, an dem der Espresso, also der café von Hand und einzeln gemacht wird, sonst kommt er aus Vollautomaten und schmeckt – nicht so gut.

Mittag- und Abendessen gleichen einander, nur dass abends zusätzlich Suppe bereitsteht. Bereitstehen tun auch sonst alle Speisen: Es gibt Buffet. Und Sie werden mir vermutlich zustimmen, dass Buffets für größere Menschengruppen einen deutlichen zivilisatorischen Rückschritt darstellen. Nein, ich meine keineswegs Unmäßigkeit und Gier – vielleicht ist es sogar dem allüberspannenden All inclusive zu verdanken, dass die Gäste beim Beladen der Teller nicht Schwerkraft und Statik zu trotzen versuchen, ist ja genug da, nimmt einem keiner weg, alles schon bezahlt. Doch die Menschen vergessen das Grundkonzept westlicher Esskultur, in Gerichten zu essen: Da kuschelt sich auf einem Teller das Schweinskottelett an die Paella, daneben ein paar schwarze Oliven und ein wenig Fisch in Tomatensoße. Zum Dessert gibt es einen Haufen rosa Creme auf Honigmelonenscheibe neben Blaubeertörtchen. Machen die Leute das daheim auch so? Oder ist der Gedankengang eher: „Wieso? Am Salatbuffet gebe ich doch auch alles auf einen Teller?“

Die Qualität der Speisen liegt etwa auf Höhe Großkantine vor zehn Jahren (heutzutage sind diese nämlich fast durch die Bank erheblich besser als ihr Ruf). Ich tue mich an den Salaten gütlich sowie an den lokal halbwegs typischen papas arrugas con mojo, probiere mit Genuss den Fisch und kann als eine der wenigen abschätzen, welche Köstlichkeit der Karton mit pastelitos ganz am Ende des Nachspeisenbuffets darstellt, offensichtlich frisch aus der pastelería.

Vielleicht saufe ich mir zumindest morgen am letzten Nachmittag an der Poolbar einen an, mit Cubatas. Hab’ ich schließlich alles gezahlt.

die Kaltmamsell

9 Kommentare zu „Die Kaltmamsell lernt All inclusive“

  1. Helga meint:

    Oh je. Aber vielen Dank. Sie haben mich gerade rechtzeitig daran erinnert, einen kurzfristigen Urlaub im Zweifel in München oder in einem Berghotel zu verbringen.

  2. Alicja meint:

    Bevor ich “all inclusive” mache, dann lieber Berghotel, wenn es sein muss auch einsam. Die aufopferungsbereite Forschung in aller Ehre, aber Selbstversuche haben die Wissenschaft nur sehr selten weitergebracht und seit meiner Unizeit weiss ich: Forschung und Einsatz wird nie angemessen belohnt. Ich würde meinen Dr.-Titel gerne für die Jahre geben, die ich in der Unihölle verloren habe. 5 Tage mit “vino blanco“, „vino rosado“ und „vino tinto“ aus dem Zapfhahnwären 5 versäumte Genuss-Tage, die mir am Ende des Lebens schmerzhaft fehlen würden.

    Trotzdem erholsame Tage. Sie haben es sich verdient.

  3. Wendelbald Klüttenrath meint:

    Ein kleiner Trost: Es hätte noch wesentlich schlimmer kommen können, zum Beispiel im Butlins Holiday Camp in Bognor Regis oder in einem dieser zahlreichen seaside hotels in Torqay, Bornmouth oder Wrinklebeach, die inklusive ihrer Gäste oft eine fast perfekte Kopie des Fawlty Towers sind.
    Ich weiß, das tröstet Dich jetzt nicht wirklich, aber ich möchte es wenigstens versucht haben.

  4. Stefan meint:

    @Wendelbald: Das Hotel in der Serie ist ja der Sage nach durch »Gleneagles Hotel« inspiriert.

  5. Ilse meint:

    Oh dear…
    Ich glaube übrigens dass Butlins hier eine großartige Alternative gewesen wäre, und Fawlty Towers wenigstens noch unterhaltsam…
    Und “kein Wlan” ist für mich Grundbedingung für Urlaub. Aber ich bin halt kein digital native!

  6. barbara meint:

    Sie haben doch sicher Ihre Lektüre mitgenommen?
    Mir fällt grad nur der dumme Spruch “Bleibe im Lande und nähre dich redlich” ein.
    Fliegen Sie vorsichtig!

  7. Buchfink meint:

    Mon dieu, warum tun Sie sich das an?

  8. Frau Klugscheisser meint:

    Es gibt all inclusive auch in verschiedenen Preisklassen. Dieses hier hört sich stark nach Billiginclusive an. Ich hab’s nämlich auch schon anders erlebt – naja bis auf das Wlan.

  9. die Kaltmamsell meint:

    Sie haben ja recht, alle miteinander. Es rächt sich halt doch, dass ich mir keine Mühe bei Recherche und Auswahl geben wollte. Zumindest die ersehnte Wärme bekam ich, auch nachts.
    Und das nächste Mal bitte ich erst mal Sie um Tipps.

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