Der hinterhergetragene Arsch mancher Akademikerkinder
Freitag, 21. Oktober 2011Blogs sind bekanntlich zum Aufregen da. Und dafür bot mir heute ein Artikel im SZ-Magazin Gelegenheit: Eine Redakteurin enthüllt darin in launiger Schreibe, dass die meisten Facharbeiten an bayerischen Gymnasien sowieso von Schülermüttern geschrieben werden, so auch die ihres Sohnes. Folgerichtig nennt sie ihren Namen nicht.
Diese Akademieadlige kommt offensichtlich so selten aus ihrer Akademikerinnenburg, dass sie keine Gymnasiasten einkalkuliert, deren Eltern noch nie im Leben eine wissenschaftliche Fußnote gesehen haben, geschweigen denn die Konventionen der Fußnotensetzung erahnen. Gegen Ende ihrer zwei Seiten schafft es Anonyma gerade mal zu schreiben: „Was machen eigentlich Jugendliche, deren Eltern sich nicht auskennen, kein Geld, keine nützlichen Bekannten, keine Zeit haben?“ Womöglich kann sie zurecht davon ausgehen, dass diese nicht die 12. Klasse eines bayerischen Gymnasiums erreichen: Die OECD rügt immer wieder das deutsche Bildungssystem, weil fast nirgends in Europa der Bildungshintergrund der Eltern die Bildungschancen von Schülern so stark determiniert wie hierzulande.1
Die in Teilzeit als Reinigungskraft arbeitende Jale aus Tunesien wird ihren begabten, aber ein wenig schlawinerigen Sohn kaum unterstützen können. (Hier sehe übrigens ich das eigentliche Potenzial für eine schöne Magazingeschichte.) Doch ich befürchte, dass das Weltbild der SZ-Redakteurin keinen Platz für solche Konstellationen bietet.
Dieses Weltbild erinnert mich an die Kolumne einer SZ-Redakteurin, die durchaus identisch mit der anonymen Facharbeitsautorin sein könnte: Vor einigen Jahren, noch tief in G9-Zeiten, echauffierte sie sich über die hohen Anforderungen bayerischer Gymnasien. Ihr Beweis für die übermenschliche Schwierigkeit: Jedes ihrer drei Kinder benötige Nachhilfe, um am Gymnasium bleiben zu können. Für diese akademische Dame war offensichtlich undenkbar, dass ihre Kinder ihren Weg mit einen anderen Schulabschluss als Abitur machen könnten. Sie kam schlicht nicht auf die Idee, die Schwierigkeiten ihres Nachwuchses könnten aus mangelnder Eignung fürs Gymnasium rühren.
Die Überidentifikation vieler Akademikereltern mit ihrem Nachwuchs wird ja regelmäßig beklagt (eine befreundete Grundschullehrerin berichtet Mutterzitate wie: „Wir haben ja jetzt eine Drei in Mathe geschafft.“). Die Autorin des Facharbeitsartikels weist zahlreiche Symptome für diese mangelnde Distanz auf. Noch dazu zu einem eher unangenehmen Menschen. Ihr Sohn „Marc“ ist der Ansicht, nur Streber begönnen ihre Facharbeiten früher als eine Wochen vor Abgabetermin? Er spielt lieber Fußball, geht auf Partys? Das klingt doch sehr nach einem verdünkelten Vollidioten, dessen einzige Chance auf charakterliche Besserung in einem schmerzhaften Fall auf die Schnauze besteht.
Professoren an der Münchner Ludwig-Maximilian-Universität berichten, dass in ihren Sprechstunden immer häufiger neben dem Studenten oder der Studentin, um die es geht, deren Eltern sitzen. (Und dass sie nach rechtlichen Argumenten suchen, mit denen sie die Eltern aus dem Zimmer komplimentieren können.) Meine Prognose: Genau solch eine Studentenmutter wird Frau „XXXXX XXXXXXXX“.
Offenlegung: Ich bin ein Gastarbeiterkind, das 1986 in Bayern Abitur gemacht hat. Bei meiner Facharbeit für den Leistungskurs Altgriechisch unterstützte mich meine Mutter mit ihren eingerosteten Fertigkeiten im Schreibmaschinenschreiben.
Nachtrag 22.10.: Ich habe den Artikel jetzt auch verlinkt.
- Das wäre eine ideale Stelle für den Einsatz des klassischen Leserbriefwehlauts „Armes Deutschland!“ – richtig? [↩]