Archiv für Oktober 2011

Lebendige Folklore

Donnerstag, 6. Oktober 2011

Was man zum Anmachen eines Salats braucht:
– Einen Weisen fürs Salz,
– einen Bettelmann für den Essig,
– einen Verschwender fürs Öl
– und einen Deppen fürs Mischen.

(Den kennen Sie doch, oder? Der Mitbewohner unterstellt mir Eigenerfindung.
Bin unbeschadet zurückgekehrt, brauche jetzt dringend anständigen Wein. Die Wahl fiel auf einen 2010er Zweigelt von Claus Preisinger.)

In der Reihe: Laufstrecken aus aller Welt – Costa Calma, Fuerteventura

Mittwoch, 5. Oktober 2011

Den Tipp mit der Strecke hatte mir eine junge Frau gegeben, die mich ohnehin schon sehr glücklich gemacht hatte. Am Sonntag hatte ich mich am späten Nachmittag zum Animationsprogrammpunkt „Gymnastik“ in den entsprechenden Raum begeben. Dort stand neben der Animateurin eine Dame, die wie eine echten Aerobictrainerin aussah und gekleidet war. Sie stellte sich als Jeanette heraus1, ein Hotelgast, mehrfach qualifizierte Vorturnerin für alle möglichen Hüpf- und Hebearten, doch seit Jahren in einem Sportstudio ohne Turnstunden angestellt, deswegen sehr heiß darauf, endlich mal wieder vorzuturnen. Sie hatte sich eigennützig erboten, diese Gymnastikstunde zu übernehmen. Hurra! Echtes Gehüpfe! In einem 60er-Jahr-All-inclusive-Hotel im hinterletzten Fuerteventura! Ich war die einzige Interessentin, und das hieß: Einzelstunde mit Jeanette. 60 Minuten Stangen heben, Step steigen, wieder Stangen heben, und dann noch eine Runde böse Gymnastik für Rücken, Hintern und Bauch – Jeanette wollte schließlich auch auf ihre Kosten kommen.

Währenddessen und beim abschließenden Dehnen plauderten wir, und bei dieser Gelegenheit erzählte sie mir von einer schönen Laufstrecke gleich am Hotel beginnend.

Start auf einem Weg, der von Begrünung umgeben ist, einer Art sehr schmalem, langen Park.

Am dessen Ende geht‘s in die kahlen Berge.

Der eine sieht hier die ideale Landschaft für das Drehen eines Italowesterns, andere freuen sich über einen schönen Laufweg, bergauf und bergab, mal durch Schotter, mal durch Sand.

Bis ganz nach oben, dann das Ganze wieder zurück.

Ergab eine gute Stunde, genau das Richtige für einen Urlaubsmorgen.

Und dann hatte es da Tiere!

Meine ersten selbst gesehenen Wiedehopfe (jawoll, Plural).

Viele, viele Kaninchen. Dazu alle möglichen sonstigen Vögel, darunter dominierend Türkentauben. Wenige Krähen, und die sprechen eine ganz andere Sprache als bei uns in München.

  1. Jetzt mal ohne Bosheit und ehrlich neugierig: Kommt es mir nur so vor, oder heißen Vorturnerinnen auffallend oft wie Animierdamen in deutschen Filmen der 50er? []

Die Kaltmamsell lernt All inclusive

Dienstag, 4. Oktober 2011

Jetzt schaun’S doch nicht gleich so bös’: Das war ja nicht Ziel des Urlaubs, sondern lediglich ein Kollateraleraldetail. Ich hatte ein paar Tage fort gewollt (unter anderem weil sonst die Gefahr bestand, dass ich den Urlaubsbeginn noch weiter als bislang schon vor mir her schieben würde) – weit genug weg, um sicher schönes und warmes Wetter zu haben, fünf Tage Abschalten im Irgendwo, allzu viel sollte es nicht kosten, auf tiefe Recherche hatte ich keine Lust. Diesen Entschluss fasste ich erst knapp zwei Wochen vor Urlaubsstart, die Auswahl war entsprechend beschränkt.

Was Griechisches vielleicht? Von Korfu hatte ich Gutes gelesen für diese Jahreszeit. Doch das Angebot war unübersichtlich, und die Reisedauer von fünf Tagen zumindest im angestrebten Zeitraum unüblich. Vielleicht doch eine Gegend, in der ich die Sprache verstand? Kanarische Inseln ist doch auch wettersicher. Wieder fand ich (auf die Schnelle, nicht dass Sie glauben, ich hätte stundenlang recherchiert) fast ausschließlich sieben oder drei Tage Aufenthalt. Doch dann die Ausnahme: Fuerteventura, fünf Tage an der Costa Calma, für übersichtliches Geld. Und all incl. Ich beschloss, all incl. als Forschungsgebiet einzuordnen und buchte.

Für meine mangelnde Recherche bestrafte mich bereits der Hinflug: Die Kanaren sind unerwarteterweise dann doch mehr als vier Flugstunden von München entfernt. Das war anstrengend. (Ich muss im Oktober noch geschäftlich nach Brasilien – ich fürchte mich sehr.)

Die Hotelanlage ist mittelheruntergekommen (stilgebend waren womöglich Doris-Day-Filme – auf die weniger gute Art), aber sauber, selbstverständlich mit kostenlosem Fernsehen auf allen Zimmern, leider ebenso selbstverständlich ohne Wlan oder sonstigen kostenlosen Internetzugang. Sagen Sie: Wer macht eigentlich diese Sterne-Bewertungssysteme? Besteht irgendeine Hoffnung, dass die Bereitstellung von Wlan in absehbarer Zeit Bedingung für mindestens drei Sterne wird?

Aber nun zum All inklusive. Lisa Neun hat ja bereits mit Tooncam ihre Erlebnisse damit festgehalten (erst beim Nachblättern habe ich gesehen, dass auch sie auf Fuerteventura geforscht hat):
“Live” aus der All Inclusive Hölle
Der All Inclusive Tagesablauf
All Inclusive Zeitvertreib

Hier die meinen: Ja, man bekommt beim Einchecken ein nur durch Schere entfernbares Bändel ums Handgelenk. Ja, die Gäste trinken tatsächlich schon um halb elf vormittags am Pool Longdrinks aus Pappbechern. Die Getränke zu den Mahlzeiten zapft man sich selbst, und das gilt auch für die Weine in Weiß, Rosé und Rot: Sie kommen gut gekühlt aus einem Zapfhahn und heißen „vino blanco“, „vino rosado“ und „vino tinto“. Da ich zumindest einen spanischen Wirt diese Technik anwenden weiß, liegt der Verdacht nahe, dass die Sorte Rosa aus einer Mischung von Weiß und Rot besteht – ich bezweifle, dass es irgendwer bemerken würde (mich eingeschlossen). Nun gut, ich mische mir halt einen tinto de verano aus 7up, Sodawasser, Eiswürfel und Rotwein (nur Limo wäre zu süß). Was gut ging, weil ich tinto de verano bei Hitze wirklich gerne trinke, bis der Rotwein gestern Abend wie Hölle korkte (wir wissen ja, dass das Korken nicht unbedingt von einem Korken bedingt wird). Da schwenkte ich auf Radler um.

Vom Frühstück kann ich nichts berichten, ich gehe in dieser Zeit Laufen (dazu später selbstverständlich und mit Bildern mehr). Meinen anschließenden café con leche hole ich mir am Pool-Kiosk (wo sich Deutsche, Polen und Russen stereotyperweise bereits Drinks einschenken lassen – Italiener, Spanier und Franzosen nicht). Dort ist auch der einzige Ort, an dem der Espresso, also der café von Hand und einzeln gemacht wird, sonst kommt er aus Vollautomaten und schmeckt – nicht so gut.

Mittag- und Abendessen gleichen einander, nur dass abends zusätzlich Suppe bereitsteht. Bereitstehen tun auch sonst alle Speisen: Es gibt Buffet. Und Sie werden mir vermutlich zustimmen, dass Buffets für größere Menschengruppen einen deutlichen zivilisatorischen Rückschritt darstellen. Nein, ich meine keineswegs Unmäßigkeit und Gier – vielleicht ist es sogar dem allüberspannenden All inclusive zu verdanken, dass die Gäste beim Beladen der Teller nicht Schwerkraft und Statik zu trotzen versuchen, ist ja genug da, nimmt einem keiner weg, alles schon bezahlt. Doch die Menschen vergessen das Grundkonzept westlicher Esskultur, in Gerichten zu essen: Da kuschelt sich auf einem Teller das Schweinskottelett an die Paella, daneben ein paar schwarze Oliven und ein wenig Fisch in Tomatensoße. Zum Dessert gibt es einen Haufen rosa Creme auf Honigmelonenscheibe neben Blaubeertörtchen. Machen die Leute das daheim auch so? Oder ist der Gedankengang eher: „Wieso? Am Salatbuffet gebe ich doch auch alles auf einen Teller?“

Die Qualität der Speisen liegt etwa auf Höhe Großkantine vor zehn Jahren (heutzutage sind diese nämlich fast durch die Bank erheblich besser als ihr Ruf). Ich tue mich an den Salaten gütlich sowie an den lokal halbwegs typischen papas arrugas con mojo, probiere mit Genuss den Fisch und kann als eine der wenigen abschätzen, welche Köstlichkeit der Karton mit pastelitos ganz am Ende des Nachspeisenbuffets darstellt, offensichtlich frisch aus der pastelería.

Vielleicht saufe ich mir zumindest morgen am letzten Nachmittag an der Poolbar einen an, mit Cubatas. Hab’ ich schließlich alles gezahlt.

Ein zweiter Urlaubstag

Samstag, 1. Oktober 2011

An den ersten Urlaubstagen habe ich immer das Bedürfnis, so viele Dinge wie möglich zu tun, die ich an Arbeitstagen nicht tun kann. Also radelte ich heute (nach wiederum viel zu frühem und sehr müdem Aufwachen) zu meiner liebsten Stepstunde. Trotz mangelnder Konzentration (zu wenig Schlaf, nehme ich an) hatte ich viel Vergnügen daran. Allerdings musste ich anschließend dieses in der Umkleide entdecken.

Das ist das Krankste in diesem ganzen Abnehmirrsinn des Fitnesssystems: Um die Wette hungern. Werde anregen, die Unterdisziplin Erbrechen einzuführen.

Umso lustvoller ging ich den nächsten Punkt meines Tagesplans an (Ja, leider habe ich sowas. Praktisch immer.): Frühstücken gehen. Ich setzte mich ins Forum – die Frühstücke hier haben genau meine Art von Opulenz.

Lediglich den Brotkorb musste ich wegen Geht-nicht-mehr ungegessen zurückgeben.

§

Daheim räumte ich endlich meine restlichen Order mit Uni-Material aus dem Keller, um Platz für die Weinlieferungen aus Gols zu schaffen. Selbst das reine Verklappen des Papierinhalts erinnerte mich daran, wie interessant meine Forschungen waren und meine Seminare – auf Studentinnen- wie auf Dozentinnenseite. Wieder mal fragte ich mich, ob es nicht doch einen Weg gegeben hätte durchzuhalten.

§

An einem normalen, sonnigen Nachmittag könnte man sich doch mal das diesjährige Oktoberfest anschauen, äußerte ich eher versuchsweise. Der Mitbewohner nahm mich beim Wort, also taten wir das. Schlenderten durch die eine oder andere Gasse (es sind tatsächlich etwa 50 Prozent der Leute dort in Bayer-Kostüme verkleidet), fuhren eine Runde Riesenrad.

Und dann sah ich das Motodrom: Steilwand-Motorrad-Show. Am Vortag hatte mir Herr Mittagesser ganz begeistert erzählt, wie atemberaubend und unvorstellbar das sei – ich wusste nicht mal, dass es sowas noch gibt! Ich hatte beim Zuhören Männer in ihren fliegenden Kisten vor Augen und Jahrmärkte von Ray Bradbury. Also gingen wir rein, und der Mitbewohner ergänzte umgehend die Assoziation Elvis Presley. Ich war tatsächlich mauloffen begeistert: Steilwand heißt wirklich bretterne Steilwand, die Fahrer und die Fahrerin kletterten auf ihren waagrecht kreisenden Maschinen herum wie Voltigierer auf senkrechten Pferden. Gleichzeitig wirkte das Ganze komplett anachronistisch mit seinem knatternden Motorenlärm und Abgasgestank – ich sah Nachkriegsatmosphäre: Eigentlich hätten sich als Zuschauer feiste Schwarzhändler in Trenchcoats und mit Hüten über die Brüstung beugen müssen.

Als ich dem Tippgeber dankte, stellte sich heraus, dass er nicht das Motodrom, sondern „Pits Todeswand“ gemeint hatte – oh mein Gott: Es gibt zwei davon!

Wir machten uns auf den Heimweg, sahen ein wenig kreischendem Volk in Karussels zu, ich bekam eine Schokobanane, er Türkischen Honig. Wir begegneten nochmal jungen Männern in Karohemden und Lederhosen, die unvermittelt stehen blieben, den Mund aufrissen und unartikulierte Brüller ausstießen. Genug Oktoberfest.

§

Heute fliege ich für ein paar Tage nach Fuerteventura – spontane Buchung, um mich daran zu hindern, meinen Urlaub Tag für Tag zu verschieben. Ich hoffe, das Wetter ist dort so gut wie in München und dass es irgendwo Internetzugang gibt.