via Mädchenmannschaft
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Neuanfang ermöglicht. Jetzt muss mir nur noch einfallen, worin der besteht. Doch eigentlich müsste ich mir doch lediglich ins Gedächtnis rufen, was ich in den letzten Jahren an „eigentlich will ich“ und „ich könnte doch mal“ so gedacht habe. Eine ältere Idee schiebt sich derzeit nach vorne – von der ich sehr wahrscheinlich nicht leben kann. Aber warum für die Zeit der Umsetzung nicht meine Ersparnisse nutzen? Und dann weitersehen?
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Am Donnerstag hatte Hermes ein Weinpaket für uns beim Nachbarn abgeliefert, das sich als an jemandenen adressiert herausstellte, der nicht mal in unserem Haus lebt. Mitbewohner erklärte sich bereit, das zu regeln. Der Weinversender bot ihm den Inhalt bei Anruf zu einem Sonderpreis an – Mitbewohner schlug sofort zu. Seine Erklärung: „Ich will auch mal meinen EIGENEN Wein haben!“ (Ja, in diesem Haushalt bin seit Jahren ich diejenige, die für Weinbestände sorgt. Möglicherweise war ich darin ein wenig zu dominant.)
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Menschen beim Sterben zuschauen. Weil die das so wollen.
Seit Langem lese ich allrighttit – nach durchstandener Brustkrebs-Therapie (die sie mit ihrem Blog begleitete, aus dem ein durchaus lesenswertes Buch wurde) wurde bei Lisa letztes Jahr erneut Krebs diagnostiziert, diesmal unheilbar.
Seit nicht ganz so Langem lese ich Arbeit & Struktur von Wolfgang Herrndorf. Ihm richteten Freunde vor fast zwei Jahren diese Website ein, nachdem sein Gehirntumor diagnostiziert worden war, unheilbar.
Ich kann das immer noch nicht einordnen. Ist es schlicht ebenfalls das, was mich von Anfang an zur gebannten Leserin persönlicher Blogs gemacht hat? Anderer Menschen Leben mitverfolgen, weil sie es mir zeigen wollen, wortgewandt und mit Hingabe? Dann gehört das Sterben ja dazu.
Oder schleicht sich doch irgendwann die Sensationslust ein? Für die ich mich nicht überdurchschnittlich anfällig halte.
Ich habe noch nie jemanden sterben gesehen, mir wurde auch noch nie ein geliebter Mensch entrissen. Selbst den sehr gemochten Freund, der letztes Jahr tödlich verunglückte, hatte ich davor über ein Jahr nicht gesehen. Auch deshalb lese ich mit einer fast sachlichen Neugier, die Sachlichkeit aber immer wieder verhindert von heftigem Mitgefühl.
Beide schreiben über ihr Leben, zu dem seit einiger Zeit das Sterben gehört, mit Reflexion und Humor – Herrndorf knochentrocken mit einigen Prisen Groteske, Lisa so chirpy und pink wie ihre Website, gemischt mit ausgesprochen unpinker Sprache; beide mit gehöriger Selbstironie.
Beispiel Lisa:
Which is ironic, since I appear to be gaining a kilo with each chemo, despite the unspeakable agony of shitting out a weekly brick of bulky concrete turd and puking with such prolific, projectile-spinach-from-my-nostrils panache that I’ve begun to score each upchuck as though it were a ballroom dance. (TMI? Darling, you are SO reading the wrong blog.)
Beispiel Herrndorf:
Nacheinander drei Teile vom Backenzahn unten rechts ausgespuckt. Ja, mach dich vom Acker, Körper, hau ab, nimm mit, was du tragen kannst.
Ich kann bei dieser Lektüre ein wenig nachvollziehen, warum einige Menschen, mit denen ich in der Kohlenstoffwelt viel zu tun haben, mein Blog nicht lesen wollen: Nicht nur eine hat mir erklärt, es fühle sich für sie indiskret an.
Doch beide, Lisa und Herr Herrndorf, schreiben ja gebend, schenkend. Wie auch die meisten Blogger und Bloggerinnen motiviert sind von einem grundsätzlichen Mitteilungsbedürfnis, dem Bedürfnis, das Ihre zu teilen. Also nehme ich dann doch dieses Geschenk einfach dankbar und interessiert an, dankbar für einen besonderen Einblick, den sie mir gewähren, auf eine völlig selbstbestimmte Art.