Archiv für April 2012

„Hier wird Müll getauscht“ – Theresienwiesenflohmarkt 2012

Samstag, 21. April 2012

Gestern Abend regnete es, die Tagesschau hatte für heute Regen angesagt – und bei Regen mag ich nicht auf den Flohmarkt gehen, auch nicht auf den alljährlichen und legendären Theresienwiesenflohmarkt. (Letztes Jahr hatte ich wegen Urlaubsabwesenheit ausgesetzt.) Doch als ich noch vor sieben Uhr aufwachte, hörte ich kein Regenrauschen, sondern Vogelgeflöte (darunter auch ein mir bislang unbekanntes). Also verließ ich nach einer Tasse Milchkaffee mit dem Mitbewohner das Haus Richtung Westen, zur Theresienwiese.

Dieses Jahr suchte ich nach etwas Bestimmtem: Das alte funktionale Ikeatischerl zwischen den beiden Lesesesseln im Wohnzimmer, beim Zusammenzug vor inzwischen 15 Jahren aus Not erworben, sollte durch etwas Schöneres ersetzt werden. Und damit man an diesem angenehmen Platz auch bei Nacht lesen kann, suchte ich eine Tischlampe für darauf.

Die Sonne strahlte, wie ich es vom Theresienwiesenflohmarkt gewohnt bin, ohne unangenehm heiß zu werden. Wir fingen am hinteren, der Bavaria näheren Teil des Markts mit dem Bummeln an. Nach fünf Minuten brach ich zum ersten Mal in Freudenzucken aus:

Großartig! Sensationell! Ich bin ganz, ganz sicher: Wenn man diese Schüssel in der Raunacht ins Mondlicht stellt, baden Elfen und Meeresgötter darin. Während ich noch Fotos von der Tritonenwanne schoss, stupste mich der Mitbewohner an und deutete zur Seite: „So ein Tischerl?“ Er hatte genau das erspäht, wonach ich gesucht hatte. Ich öffnete die Schublade (mit Schublade!), fand darin einen kleinen Aufkleber „25 €“. Die junge Frau am Stand bestätigte den Preis. Wir besahen das Tischerl von allen Seiten und waren hoch erfreut, als die Frau mir auch noch das Handeln abnahm: „Bis 20 Euro würde ich runtergehen.“ Eingeschlagen!

Da wir nur ein Viertelstündchen entfernt wohnen, brachten wir den Fang gleich heim. Der Ritterschlag jeder Flohmarktjägerin: Beim Verlassen des Geländes sprach ein Ankommender uns auf das Tischerl an: „Oh klasse! Wie viel?“ Und nach der Nennung des Preises nickte er anerkennend.

Bis kurz nach zehn durchbummelten wir den Flohmarkt noch. Dabei hörte ich im Vorbeigehen, wie ein junger Mann die Veranstaltung zusammenfasste: „Hier wird Müll getauscht.“ Wenn ich überhaupt einen diesjährigen Trend erkennen konnte, war es die auffallend große Zahl an Stühlen aus verschiedenen Epochen im Angebot. Abschließend nahm ich von der Bavaria aus das Pflichfoto auf.

Mittlerweile dazu gehört auch die Frühstücksbratwurst auf dem Frühlingsfest – fast wäre ich allerdings beim Durchqueren des Bierzelts bei einer Schweinshaxen hängen geblieben, so lachten mich die an.

Daheim große Freude über das Tischerl – vorläufig auch ohne Lampe.

Her mit meinen Daten / Lichtjahre für Anfänger

Donnerstag, 19. April 2012

Zwei Dinge, die mich derzeit beschäftigen (wenn ich gerade mal nicht Haare raufe, was nur aus mir werden soll):

„Tim Berners-Lee: demand your data from Google and Facebook”

Tim Berners-Lee, der Erfinder des Web (genau der richtige Moment, liebe Kinder, nochmal den Unterschied zwischen Internet und World Wide Web nachzuschlagen) sieht das Datensammeln von Web-Plattformen kritisch, aber nicht, weil er Geheimnisverrat fürchtet, sondern weil der Datengeber (wir Userlein) technisch daran gehindert wird, seine eigenen Daten zu nutzen.

In an interview with the Guardian, Berners-Lee said: “My computer has a great understanding of my state of fitness, of the things I’m eating, of the places I’m at. My phone understands from being in my pocket how much exercise I’ve been getting and how many stairs I’ve been walking up and so on.”
Exploiting such data could provide hugely useful services to individuals, he said, but only if their computers had access to personal data held about them by web companies.

via @mspro

§

Im Lexikon des Unwissens (hier übrigens die hochinteressanten Errata) und im Neuen Lexikon des Unwissens waren es die Artikel über Astrophysik, die mich am wenigsten fesselten. Ich bedauerte das sehr, da das mein ersehntes Zielselbst der naturwissenschaftlich intensiv Interessierten verhindert (echtes Fachwissen ist mir ja auch in anderen Naturwissenschaften zu anstrengend; meine Energie wird nie weiter reichen als zum Nerd-Groupie). Außerdem mag ich doch die Schreibe des einzigen lebenden Astrophysikers, den ich auswendig mit Namen kenne, Aleks Scholz.

Jetzt bekomme ich eine weitere Chance, mich dem Leben der Sternen zu nähern, zumindest auf das eine oder andere Lichtjahr. Denn Aleks Scholz schreibt seit Januar für das Culturmag eine Kolumne „Lichtjahre später“ – endlich auch für mich sehr, sehr spannend. (Aber abfragen dürfte mich auch nach der Lektüre niemand zu Bogenminuten und Kernfusion – ich habe ja sogar schon wieder vergessen, was der definitorische Unterschied zwischen Stern und Planet ist, obwohl ich ihn im Neuen Lexikon des Unwissens las mit dem festen Vorsatz, mir zumindest das zu merken.)

Es gibt bereits:

1. “Objects in astronomy may appear bigger than they actually are” – Die Größe von Sternen, kranke Zahlen und das mit dem geozentrischen und dem heliozentrischen Weltbild.

2. „Projekt Marvin“ – Alles über Scholz’ Lieblingsstern IRAS04325+2502 („ein System aus mehreren Sternen, die in einer kleinen Dunkelwolke eingebettet sind“). Eines seiner Forschungsergebnisse: „Sternentstehung ist offenbar kein besonders ordentlicher Vorgang.“

3. „’Der Weltraum, unendliche Weiten.’” – „Nicht zufällig ist die Unendlichkeit bei öffentlichen Veranstaltungen eine der drei Eigenschaften des Universums, die die meisten Fragen auslösen (die anderen beiden sind Schwarze Löcher und Außerirdische).” Darunter: Welche Auswirkungen hat das auf die Mülltrennung?

4. „Von Braunen und anderen Zwergen“ – Genau da ist er wieder, der Unterschied zwischen Sternen und Planeten – oder eben doch keines von beiden: „…die Einführung einer neuen Klasse mit einem schillernden Namen [ist] seit jeher ein probates Mittel, um darüber hinwegzukommen, dass man eigentlich nicht weiß, WAS man da gefunden hat“.

Was man aus Aleks Scholz’ Kolumnen implizit schön ersehen kann, ist der Unterschied zwischen wissenschaftlicher (seiner) und esoterischer Gedankenführung: Das wissenschaftliche Vorgehen basiert eben nicht auf der Behauptung, alles zu wissen, sondern beobachtet, untersucht, zeigt auf, was wir noch nicht wissen, überprüft mögliche Erklärungen – um bei Widerlegung daran weiterzuforschen. Esoterik stößt ebenfalls auf Unwissen – und erfindet einfach Erklärungen für diese Lücken. Die man praktischerweise nicht überprüfen kann, damit auch nicht widerlegen.
(Nichts gegen gut erfundene Erklärungen. Ohne sie würden ganze literarische Genres fehlen. Verhängnisvoll wird es erst, wenn man die empirisch fassbare Welt darauf basieren lässt.)

Gemischte bunte Schnipsel (also Konfetti?)

Mittwoch, 18. April 2012

Am Sonntag absolvierte ich meine erste Erstkommionfeier seit 1982 (damals war es die meines kleinen Bruders): Neffe 2 war dran. Die Einladung zur Feier von Neffe 1 hatte mich seinerzeit so kurzfristig erreicht, dass ich für den Termin bereits Urlaub gebucht hatte. Das Kommionkind hatte sich selbst gekochtes Essen und eine große Festgesellschaft gewünscht, also versorgten mein Bruder und seine Frau unterstützt von Familie im großen Wohnzimmer des Oma-Hauses eine fast 30-köpfige Gesellschaft mit Leberspätzlesuppe, Schweinsbraten mit Knödel und Spätzle und Blaukraut und Salaten sowie Schokoladen-Mousse – eine beachtliche logistische Leistung. Später zu Kaffe und Kuchenbuffet kamen noch mehr Gäste. Das Kommionkind freute sich über Geschenke (von Fotoapparat bis BMX-Fahrradausstattung) und war sehr beseelt, erzählte mir, dass er jetzt jeden Sonntag in die Kirche gehen wolle. Mein Bruder berichtete allerdings, dass ihm die Sache mit der Beichte so nahe gegangen sein, dass er einige Nächte sehr schlecht geschlafen habe. Oh ja, ich werde dieses Kommionkind sehr wohl in acht bis zehn Jahren an das Geschäft Mousse au chocolat gegen Gespräch über Religion erinnern.

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So greislig und kalt, wie das Wetter am Wochenende war, blieb es auch am Montag: Ich konnte nicht mit dem Rad in die Arbeit fahren, sondern musste mich dem Ferienende-Chaos der Münchner U-Bahn aussetzen. Der Münchner Verkehrsgesellschaft MVG habe ich all die Jahre die Stange gehalten, auf die U-Bahnen konnte ich mich immer verlassen (Unwägbarkeiten wie Idioten auf den Gleisen ausgenommen), habe sie sogar ganz besonders gern. Doch die letzten Monate stellten meine Loyalität sehr auf die Probe: Die Münchner Verkehrsgesellschaft bekommt Schäden an den U-Bahnen nicht in den Griff. Ich bin sicher nicht die einzige Passagierin, die jedem Türenschließen hinterherlauscht, ob ein ganz bestimmtes Zischen ankündigt, dass wieder irgendwas nicht stimmt und der Fahrer gleich darum bitten wird, alle Türen nochmal zu öffnen.

Gestern und heute regnete es nicht, ich radelte hinaus an den Rand Schwabings ins Büro.

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„Aber bei mir (meinem Kater / meiner Tochter / meiner Nachbarin) hat’s gewirkt!“

Eben. Hören wir also endlich mal Homöopathen selbst zu. Der Guardian hat Zitate gesammelt.

via @lyssaslounge

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Ach, und weil wir gerade bei der ehemaligen Lyssa sind: Hier gibt es eine sehr schöne Geschichte über sie, „Katharina Borchert: Von der Bloggerin zum Spiegel-Online-Chef“ (wobei sie selbstverständlich Chefin ist, nicht Chef).

Der Artikel weckt auch Erinnerungen, leider unangenehme. Ich gestehe: Die Niedertracht und die Gehässigkeit, mit denen einige Bewohnerinnen und Bewohner meiner (!) Blogwelt damals über Lyssa herfielen, haben mich so nachhaltig erschreckt, dass ich bis heute nicht darüber hinweg gekommen bin.

Kluges zum Sonntagmorgen

Sonntag, 15. April 2012

Dies hier geht gerade durch meine Ecke des Internets, obwohl die Veranstaltung bereits einige Monate her ist: Wolfgang Blau, Chefredakteur von Zeit online1, spricht vor Parlamentariern der Enquete-Komission Internet und Digitale Gesellschaft des Deutschen Bundestages über Status und Zukunft des Internet (ich hoffe, ich habe Anlass und Publikum richtig erschlossen – der “YouTube Kanal der Virtuellen Akademie der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit” geizt mit Informationen).

Ich empfehle, diese halbe Stunde ins Zuhören zu investieren: Wolfgang Blau skizziert die derzeitigen Haltungen gegenüber dem Einfluss des Internets (mit Quellen), wägt sie ab, analysiert durch Vergleiche mit den historischen Reaktionen auf den Kulturwandel durch die neue Mobilität mit Motorwagen und Eisenbahn die gesellschaftlichen Mechanismen dahinter. Blau berichtet von den Möglichkeiten, die das Internet herkömmlichen Medien bietet – welche bereits genutzt werden, welche noch offen stehen. Vorsichtig weist er sein Publikum auch auf die Chancen für die Politik hin, macht deutlich, dass es sich mit dem skizzierten Kulturwandel auseinandersetzen muss.
Der Vortrag ist auch als Vortrag selbst empfehlenswert: Blau argumentiert sehr sachlich; er hat ein Anliegen, und man merkt seine Leidenschaft dahinter. Doch er verlässst sich ganz auf Argumente, polemisiert nicht, verkneift sich Überspitzungen. Das Referat enthält keinen einzigen Lacher, und dennoch habe ich ihm gefesselt zugehört.

Ein Traum wäre es, davon ein Transkript zu bekommen.

  1. Der einzige Online-Ableger einer Zeitung, in dem ich Kommentare lese []

Samstagslektüre

Samstag, 14. April 2012

Vielleicht geht es Ihnen ja wie mir und Ihre Tageszeitung blieb heute aus (die ohnehin die ganze vergangene Woche so spät geliefert wurde, dass Sie sie einmal nicht vor dem Abmarsch in die Arbeit erwischten). Hier ein wenig Lesestoff:

“Getting the News”: Interview mit Danah Boyd über heutige Nachrichtenkanäle und darüber, wie junge Leute Nachrichten erfahren. U.a. interessant weil:

Why do you go to Fox News first?
Because it’s most likely to be as different from my personal opinion as possible. Because I’m like: “What the fuck, America?” We’re not going to agree on anything, so I want to hear what that frame is.
(…)
General news is not relevant to young people because they don’t have context. It’s a lot of abstract storytelling and arguing among adults that makes no sense. So most young people end up consuming celebrity news.

via @lyssaslounge

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In Arizona wird jetzt der Beginn der Schwangerschaft zwei Wochen vor der Empfängnis angesetzt.

via @antjeschrupp

(Sie kennen den Schwangerschaftswitz mit der Pointe “Mir zittern jetzt noch die Knie”? Aus und vorbei.)

Und überhaupt:

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«Jetzt schauen wir mal, wie weit das trägt» – die Schweizer Tageswoche interviewt Christoph Lauer, Piraten-Abgeordneter in Berlin. Mit konstruktiven, neugierigen Fragen. (via @sixtus)

Ich habe ohnehin den Eindruck, dass die Berichterstattung im Ausland nützlicher über die deutsche Piratenpartei informiert als das Gehacke in Deutschland. Weiteres Beispiel im britischen Guardian: “The Pirate party rises as German politics is all at sea“.

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Womit Sie auch gleich mal miterlebt haben, wie meine eigene Nachrichtenaufnahme funktioniert: Morgens gehe ich als erstes meine Twitter-Timeline der Nacht durch und folge interessanten Links. Wochentags höre ich dabei Deutschlandradio Kultur mit weiteren Nachrichten. Danach lese ich auf dem Weg in die Arbeit den Mantel der Süddeutschen Zeitung. Am Wochenende wird es eher Samstagnachmittag, bis ich die Papierzeitung lese. (Mal sehen, ob ich sie heute überhaupt bis Nachmittag bekomme.) Sitze ich an einem Gerät mit Internetzugange, folge ich zusätzlich den ganzen Tag über Links auf Twitter oder über meinen Feedreader in Blogs zu Nachrichten.

Wenig erforschte Sprachräume

Donnerstag, 12. April 2012

Fachjargon wird gerne gesammelt, unter anderem damit Fachfremde sich darüber amüsieren können. Zum Beispiel heißt eine Gruppe Rehe auf der Wiese für Jäger nicht Herde, sondern Sprung: ein Sprung Rehe (hihi). Die wirklichen Schenkelklopfer aber liefert modischer Jargon, vor allem wenn seine Neologismen zum Angeben verwendet werden. Vielleicht mögen Sie in einer freien Minute mal bei Beratersprech vorbeischauen?

Allerdings habe ich festgestellt, dass es auch beratungsunabhängig Besprechungsjargon gibt. Ich bilde mir ein, dass er nur im beruflichen Büroumfeld zu hören ist (nehme also an, dass auf Baustellen und unter Freiberuflern anders gesprochen wird). Oder bilde ich mir das nur ein? Vielleicht können wir gemeinsam herausfinden, unter welchen Umständen diese Wortwahl vorkommt bzw. erwartet wird – und ob es sich überhaupt um einen abgrenzbaren Jargon handelt.

– den Hut aufhaben (= die Verantwortung tragen / leiten)
– (ein Projekt) aufgleisen
– (einen Projektschritt) eintüten
– zeitnah
– sich kurzschließen mit (= auf etwas ansprechen)
– (eine Absprache) festzurren
– auf der Uhr haben (= bedenken)
– zahlt auf das Thema ein (= unterstützt ein Anliegen)
– etwas in verschiedene Kanäle spielen (= Personen / Abteilungen darüber informieren)

Kommen Ihnen meine Beispiele bekannt vor? Kennen Sie weitere?

Matt Ruff, The Mirage

Mittwoch, 11. April 2012

Matt Ruff gehört zu den Autoren, deren Schaffen ich aufmerksam beobachte. Sein Fool on the Hill war seinerzeit ein Meilenstein meiner persönlichen Literaturgeschichte (und irgendwann erfülle ich hoffentlich Frau Klugscheissers Bitte, das zu erläutern). Die beiden Folgeromane Sewer, Gas & Electric und Set this House in Order gefielen mir sehr gut, doch Bad Monkeys war eine solch peinliche Katastrophe, dass ich mit Bangen aufs neue Buch wartete. Und zunächst las sich die Inhaltsangabe dieses neuen Buchs, The Mirage, nach einer weiteren Peinlichkeit:

11/9/2001: Christian fundamentalists hijack four jetliners. They fly two into the Tigris & Euphrates World Trade Towers in Baghdad, and a third into the Arab Defense Ministry in Riyadh. The fourth plane, believed to be bound for Mecca, is brought down by its passengers.
The United Arab States declares a War on Terror. Arabian and Persian troops invade the Eastern Seaboard and establish a Green Zone in Washington, D.C….

Zum Glück bangte ich unbegründet.

Ruff macht sich also an alternative history. The Mirage spielt hauptsächlich in Baghdad, im Mittelpunkt drei dortige Anti-Terror-Polizisten, die im Jahr 2009 aktuelle Anschläge christlichistischer Terroristen aufklären sollen. Doch nicht nur einer der Verdächtigen erzählt seltsame Geschichten einer Parallel-Historie, in der nicht die arabische Welt die entwickelte und technologisierte Ecke der Erde ist, sondern das heute barbarische und eben erst von Diktatoren befreite Nordamerika.

Der Plot ist ganz gut durchkonstruiert, die Figuren sind durchaus interessant, Ruff hat sich für seine Alternativwelt nette Details ausgedacht (z.B. erfundene Umgangssprache wie ninja für muslimische Vollverschleierung: In einer Szene heißt es von Kommissarin Amal “she had gone full ninja”). Doch das Ganze ist verwirrend komplex: Ruff will zu viel unterbringen, und das schafft er nur mit hölzernen Erzähltechniken (dabei hat er mit Fool on the Hill doch bewiesen, dass er dicht und komplex kann). Es werden über ein Dutzend historische Persönlichkeiten der Politik eingeflochten, nur halt mit anderen Vorzeichen – für jede muss ein wenig ausgeholt werden. Da bleibt kein Raum für Subtilitäten, und so bekommen wir die Hintergrundgeschichten der Hauptfiguren alle explizit und in eigenen Kapiteln serviert. Alternativgesellschaftlicher Hintergrund erscheint sogar in Zwischenkapiteln mit eigenem Layout, nämlich in Form von Wikipediaeinträgen, die in dieser Welt The Library of Alexandria heißt. Die zahlreichen Kampf- und Anschlagsszenen sind so unübersichtlich, dass ich immer schneller über sie hinweg las – für wirkliches Verständnis hätte ich Skizzen zeichnen müssen.

Zusätzlich schwingt mir der Roman seinen belehrenden Zeigefinger ein wenig zu nah vor meiner Leserinnennase: Zum Beispiel sind die Amerikaner der Arabischen Liga nicht etwa dankbar dafür, dass sie befreit wurden – mir wird erklärt, dass das wohl an den Panzern liegt, die vor ihren Eigenheimen stehen und darauf zielen. Auch die Vielschichtigkeit des Islams bekomme ich vermittelt, da hatte jemand wohl eine Mission. Was mich zu einer weiteren Irritation führt: Es tauchen nur religiöse Menschen und Gesellschaften auf, und zwar nur die halbwegs monotheistischen Christen, Muslime, Juden. Die Möglichkeit anderer Spiritualitäten oder gar des Unglaubens gibt es in dieser Utopie nicht. Ob das im Zusammenhang mit Matt Ruffs Danksagung steht? „Special thanks to the late (and sorely missed) Reverend Jack Ruff, whose insight into human nature continue to serve me well”.

Ich habe The Mirage durchaus interessiert und gespannt gelesen – selbst als der Roman im letzten Teil auf die Suche nach den Ursachen der Doppelwelten geht: Diese Suche verschwurbelt ziemlich ins unübersichtlich Esoterische: Sind es Träume, Drogen, neurologische Vorgänge, Gottes metaphysische Prüfungen oder dann doch der sehr physische Flaschengeist, den sich die Handlung zu verkraften zutraut?

Besser gemacht als die meiste zeitgenössische deutschsprachige Literatur ist The Mirage allemal, aber Sie sollten Action-Romane mögen, wenn ich’s Ihnen empfehlen soll.

Weitere Meinungen:
Begeisterung auf Boingboing.

– Eine ähnlich gemischte Reaktion wie meine in der New York Times, wo Joshua Hammer den Roman “an intriguing if uneven addition to the genre” nennt.