Auszeitjournal Freitag, 5. Oktober 2012 – Unsa oide Kath
Samstag, 6. Oktober 2012 um 10:19Gestern war Weltlehrertag. Sie wissen ja vielleicht, dass ich mit einem Lehrer zusammenlebe. Für mich ist also jeder Tag Lehrertag. Doch eigenartigerweise hat das dazu geführt, dass ich den Berufsstand nicht nur differenziert sehe, sondern auch sehr respektiere.
Die alte Nummer “What Teachers Make” von Taylor Mali habe ich schon vor einigen Jahren verlinkt (hier eine aktuelle Version, via @HilliKnixibix). Gestern entdeckte ich sein “The The Impotence of Proofreading”.
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Vormittags Lieblingsstunde Stepaerobics, mittags Radeln zu einem Termin, nachmittags Backen von Chocolate Chip Cookies.
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Und dann ging ich Zwiefachen lernen, mit dem Mitbewohner.
Denn während der diesjährige Bayernfasching, vulgo Oktoberfest, München weiter im Würgegriff hat, kümmert sich das Münchner Kulturreferat unverdrossen um die heimische Volkskultur.
Vor einigen Wochen informierte mich eine E-Mail über einen Tanzkurs für Zwiefachen, an drei Abenden in der Tanzschule Richter am Stachus. Der Zwiefache ist der eine Tanz auf den Münchner Tanzböden, für den es keine Einführung der Tanzmeister gibt: Die einzelnen Lieder unterscheiden sich zu stark voneinander, hier kämpft jedes Paar für sich. Entsprechend scheiterte jeder meiner Versuche, die Abfolge von Dreivierteltakten (Walzerschritte) und Zweivierteltakten (Dreher) zu entschlüsseln. Gleichzeitig hatte ich immer meine Mutter im Ohr, die von meiner Taufpatin Irmi, gebürtig aus dem Bayrischen Wald, bewundernd erzählte, die könne so richtig Zwiefachen tanzen.
Wissen’S: Zwiefacher ist in Bayern sowas wie der Tango in Argentinien, bloß ganz anders. Vielleicht sogar das Gegenteil. (Jetza geh weida – irgendein Feuilletonist würde aus dem Vergleich locker 90 Zeilen herausholen). Zwiefache sind alles Lieder: Sie haben Texte, mit denen man sich die Abfolge der Dreiviertel- und Zweivierteltakte merken kann. Diese Texte sind gerne mal derb, oft einfach sinnleerer Blödsinn, Hauptsache sie passen auf den Rhythmus (gestern variierte die Kapelle auch mal mit “Toyota Mitsubishi”).
Als wir gestern Abend in die Tanzschule kamen, deren Raum exakt so aussieht, wie Tanzschulen seit Jahrzehnten aussehen, waren die Paare der vorhergehenden Veranstaltung noch mit Foxtrott, Chacha und Tango beschäftigt. Aus einer Sitzecke lugte allerdings schon der Kontrabass für unseren Unterricht: Der Zwiefachenkurs wurde mit Naturmusik beschallt, gespielt von den Schreinergeigern. Der Vollständigkeit halber: Die Verbayerung der Kleidung der knapp 30 Tanzpaare lag bei unter 20 Prozent, die der Musikanten bei Null. (Ich finde ja, dass mein Dialekt genug Beitrag zur bayrischen Atmosphäre ist. Wer kein Bayrisch spricht, muss das halt durch Verdirndlung wettmachen.)
Wir bekamen vom sehr kundigen Tanzmeister eine kleine theoretische Einführung, die Grundschritte wurden geklärt, dann mussten wir singen – eben den Text des ersten zu lernenden Zwiefachen (“Sechs Löffel”).1 Von da an wurde es immer lustiger und durchaus komplizierter. Doch es gibt auch beim Zwiefachen eine Tanzhaltung, die vieles erleichtert, und einige Tricks. Und eben die Texte von “Teifi, dürrer” bis “Schaufestiel” (hier kam der Einsatz für japanische Automarken). Hier können Sie in einige der bekanntesten Zwiefachen reinhören.
Gerade als ich mich einigermaßen sicher in den Grundlagen fühlte, kam, was beim Volkstanz immer kommt: Wilder Partnerwechsel mittels eigens dafür vorgesehenen Tanzspielchen. Tanzen mit fremden! Menschen! Zunächst verspannte ich natürlich völlig, merkte aber mit der Zeit, wie viel ich vom Tanzen mit verschiedenen Herren lernte. Zum Beispiel, dass es den Drall beim Dreher tatsächlich erleichterte, wenn ich meine Schulter in die Hand des Herrn presste, mich hineinfallen ließ. (Bietet schon jemand Managertrainings durch Volkstanz an? Bringt sicher mindestens so viel wie Erlebnisse mit Pferden. Andererseits bräuchte man dafür gleich viele Managerinnen wie Manager, hahaha.)
Nach zwei Stunden Zwiefachen war ich so durchgeschwitzt wie nach einer Stunde leichten Aerobics – und freute mich auf die nächsten beiden Einheiten. Ich sehe schon kommen, dass in dem Wohnzimmer, in dem ich gerade tippe, in absehbarer Zeit Gesang und Volkstanz ausbrechen. Für mindestens fünf Paare wäre Platz. (Die Musik müssten wir halt auf den Balkon setzen.)
Den wohl bekanntesten Zwiefachen, “Oide Kath”, sehen Sie hier:
Ich mag diese Aufnahme, weil sie den Zwiefachen auf einem edlen Schwarz-Weiß-Ball zeigt. Das erinnert mich an meine jugendlichen Erfahrungen in spanischen Dorfdiskos, wo im Morgengrauen als Rausschmeißer Jotas gespielt wurden – und alle hüpften mit.
Falls Sie auch über Volkstanzveranstaltungen des Münchner Kulturreferats informiert werden wollen, lassen Sie sich doch auf deren Mailingliste eintragen: volkskultur@muenchen.de
- Im Wikipedia-Eintrag gefällt mir besonders der Hinweis: “In alten Zeiten haben die Tänzer einen Zwiefachen bestellt, indem sie ihn der Musik vorsangen. Konnte die Musik dies nicht nachspielen, wurde sie verspottet. Auch dazu waren die Texte notwendig.” [↩]
10 Kommentare zu „Auszeitjournal Freitag, 5. Oktober 2012 – Unsa oide Kath“
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6. Oktober 2012 um 10:43
Wie schön! Habe spontan Lust bekommen, Zwiefachen zu lernen. Leider kümmert sich hier in der Pfalz kein Kulturreferat um Volkskultur. (Falls noch Reste davon irgendwo übrig sind.) Noch ein Grund, bald mal wieder nach München zu kommen.
6. Oktober 2012 um 10:48
Halten Sie die Augen offen, Angelika: Unser Tanzmeister Thomas Höhenleitner erzählte, dass er in der ganzen Republik Zwiefachenkurse gibt, demnächst in Wuppertal. Und googlen Sie Volkstanz plus Ihre Gegend – Sie werden staunen, an wie vielen Orten sich was tut.
6. Oktober 2012 um 18:01
Ah, Frau Kaltmamsell, ein Bekleidungsstil, der mir gefällt. Kurzes Oberteil – enge Hose, da wallewallt es nicht, schlanker und schlichter Style, super!
6. Oktober 2012 um 18:53
2x Dreiviertel- und 2x Zweivierteltakt. Das ist der Grundrhythmus und überhaupt nicht kompliziert. Pausen werden übrigens weitergezählt.
6. Oktober 2012 um 19:57
Bei der Oidn Kath schon, Frau Klugscheisser, nicht aber bei Sechs Löffel, Teifi, Schaufestiel, Hupfad Vogel – und das sind nur die, die wir gestern kennengelernt haben.
6. Oktober 2012 um 20:22
Ich habe früher auch mal Volkstanz getanzt, oder eher “Mitmachtanz” – ohne Tracht, internationale Tänze, jeder konnte einfach kommen und mittanzen. Da habe ich auch hin und wieder Zwiefachen getanzt. Das Grundmuster ist wirklich wie Frau Klugscheißer meint, aber hin und wieder gibt es eine Unterbrechung. In einer langen Nacht im Deutschlandfunk über alpenländische Kultur habe ich dann mal gehört, dass in jedem Tal andere Melodien üblich waren. Die eigenen Melodien kannte man natürlich und ließ sich nicht mehr überraschen, aber wenn jemand aus dem Nachbartal war, dann fiel er auf den Rhythmuswechsel prompt herein.
7. Oktober 2012 um 12:14
AHA! Dann sind die Rhythmusvarianten sozusagen Selektionsmuster für eine Genpoolaufmischung (pimp my Genpool). Schick.
7. Oktober 2012 um 14:12
Na, der Sechs Löffel ist ja auch kein Zwiefacher sondern ein Sechslöffler ;-) Meine Mama erzählte immer von einem Zwölffacher, der muss ja super schwierig sein… Ach, jetzt hab ich sowas von Heimweh! Ich liebe diese Tänze, ist so schade, dass man so wenig Gelegenheit hat, sie zu tanzen! Und Mitsingen hilft gewaltig! :-)
7. Oktober 2012 um 15:23
Für mich ist also jeder Tag Lehrertag. Doch eigenartigerweise hat das dazu geführt, dass ich den Berufsstand nicht nur differenziert sehe, sondern auch sehr respektiere.
Hihi, “eigenartigerweise” ist gut! Die Kaltmamsell respektiert eigenartigerweise den Lehrerstand. Made my day.
7. Oktober 2012 um 17:04
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Gerne gelesen
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