Archiv für November 2012

Immer noch Auszeit, 7./8. November 2012 – mit ein bisschen Arbeit

Freitag, 9. November 2012

Vielstündiges Arbeitstreffen in Augsburg, auf dem Hin- und Rückweg unter Hochnebel schrecklich gefroren. Fühlte sich wie drohendes Krankwerden an, ich schlotterte richtig und war beunruhigt. Daheim zum ersten Mal, seit ich denken kann, ein Vollbad nicht zur Reinigung mit Entspannung, sondern nur zum Aufwärmen genommen. Danach plus heißem Tee plus heißer Suppe nicht mehr gefroren.

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Bei einem Abendbrot den Blaufränkisch von St. Antony probiert. Zum einen moussieren anscheinend tatsächlich alle Weine aus diesem Gut (empfinde ich als unangenehm). Zum anderen duftete der Blaufränkisch zwar betörend, war hintenraus aber derart sauer, dass wir die halbe Flasche stehen ließen. In der Hoffnung, dass er sich an der Luft zu etwas Überzeugendem entwickelt.

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Am sonnigen Donnerstag mit viel Vergnügen duch München geradelt, die Lungenflügel mit klarer Herbstluft durchgepustet.

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Vorzeitig den ersten Stollen gebacken, um ihn der Tante und der Kusine nach Italien zu schicken. Wir hatten uns im Sommer darüber unterhalten, die Tante hatte beklagt, dass sie in Priverno keinen Weihnachtsstollen bekomme, und da ich ja nun ein ausgezeichnetes und bewährtes Rezept habe, außerdem das Versenden von Weihnachtsgebäck an emigrierte Verwandtschaft eine schöne deutsche Tradition ist, versprach ich ihr ein Paket. Mal sehen, ob der Stollen vor Weihnachten ankommt.

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Mich an dieser Digitaluhr aus Holz gefreut. (via @kathrinpassig)

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Den Mitbewohner um Grillfleisch (wenn auch aus der Pfanne) gebeten, weil ich von einer Balkanfreundin hausgemachtes Ajvar bekommen hatte. Samt Anweisung, es entweder als Brotaufstrich und zu weißem Käse zu essen oder eben zu gegrilltem Fleisch. Es schmeckt so sensationell, dass ich nun für das hiesige Supermarktajvar verloren bin; das kommt mir höchsten noch ins Szegediner Gulasch.

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Aus gegebenem Anlass an dieses wundervolle Opus 9 der großartigen Gaga Nielsen erinnert worden: “Kinostar”.

Und wenn wir schon dabei sind: Lesen Sie Gaga. Dabei sollten Sie wissen, dass die Dame ihre tiefsten und lebenshilfreichsten Erkenntnisse meist in den Kommentaren ausbreitet. Zum Beispiel in diesem über ihre Gepflogenheiten beim Essen:

TV-Dinner ist genau mein Ding, wenn ich alleine bin. Wohlgemerkt, wenn ich alleine bin! Ich bin ja wie fast alle Frauen multitasking, deswegen ist für mich Essen allein nicht abendfüllend. Ich bin ja nun keine Buddhistin, die sich irgendsoeinen “Achtsamkeits”-Fimmel auf die Fahne geschrieben hat, ich muss nicht meinem Atem und den Kaugeräuschen nachsinnieren, um mich lebendig und im Hier und Jetzt zu fühlen. Essen tue ich schon seit meiner Kindheit, deswegen geht das praktisch bei mir wie automatisch!

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Spätestens seit ich von einem Evolutionsleugner ein betont freundliches: “Es darf ja jeder seine Meinung haben.” hörte, misstraue ich manchen Varianten von Toleranzappellen. In seiner Spiegel online-Kolumne nimmt sich Sascha Lobo deren Hintergründe vor, die sich im US-amerikanischen Wahlkampf zeigten, und die Rolle der Social Media dabei: “Post-truth politics“.

Das bedeutet, bewusst Argumente zu konstruieren, die unabhängig von den Fakten die gewünschte Wirkung in der Öffentlichkeit erzielen sollen. Wahrheit ist nur noch eine Option unter vielen.

Auf grundsätzliche Wissenschaftsfeindlichkeit und mangelndes Wissen um Mechanismen der Argumentation geht Sascha allerdings nicht ein (Rahmen, sprengen, etc.). Da es zahlreiche Hinweise gibt, dass beides zu den Inhalten seines und Kathrin Passigs Buch Internet – Segen oder Fluch gehört, werde ich es mir endlich vornehmen.

Ein paar Fundstücke

Mittwoch, 7. November 2012

Aus der Jubiläumssendung 30 Jahre Prairie Home Companion. Ich hatte es mir begeistert als Lied auf den Rechner gezogen und immer bedauert, dass ich es legal nicht weitergeben konnte (ich weiß von keiner Aufnahme). Dabei hat sie es selbst auf YouTube gestellt! Bitteschön: Inga Swearingen.

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Ich habe zwar immer noch nicht verschmerzt, dass der Münchner Tierpark Hellabrunn sein seit Jahrzehnten gewohntes Corporate Design samt der markanten Typo gewechselt hat. Aber die aktuelle Werbkampagne in der U-Bahn ist klasse.

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Wie Gebärdensprache den Konjunktiv oder Modalpartikel transportiert, war mir neu – und es ist hochinteressant: “Why do Sign Language Interpreters Look so Animated” (mit Beispielen!).

via Not Quite Like Beethoven

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Zum Glück ist mir auch mal wieder ein Brot geglückt: Schwäbisches Kartoffelbrot, sehr schmackhaft.

Gemischte kulinarische Ergebnisse, 2./3. November 2012

Sonntag, 4. November 2012

Brotbacken ist immer noch Glücksache bei mir, ich bin weit von jeder Routine entfernt. So wurde mein Eibauers Bierbrot nur unterdurchschittlich und schmeckte selbstgebacken (was für mich ein Fehler ist, denn das war der Geschmack der Brote, die ich bei meinen ersten ahnungslosen Versuchen als junges Mädchen erzeugte).

Zum einen lag das wohl daran, dass ich zu meiner Überraschung nicht genug Roggenvollkornmehl im Haus hatte und für den Sauerteig statt dessen Roggenschrot verwendete. Und ganz sicher lag es daran, dass unsere mächtige Kenwood-Küchenmaschine mit der Teigmenge unterfordert war. Der Knethaken schaufelte eine hübsche Kuhle und drehte dann leer. Auch wenn ich den Teig etwa zehn Mal in die Mitte zurückschubste, war er wahrscheinlich nicht ausreichend geknetet. Bei dieser Teigmenge werde ich wohl künftig wieder auf meinen Handkneter zurückgreifen müssen.

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Ein Erfolg hingegen war mein erster richtig selbst erfundener Kuchen: Apfel-Nusskuchen vom Blech. Die Kiste mit elterngeernteten Äpfel war immer noch nicht leer, und ich wollte Haselnüsse mit Äpfeln kombinieren. Also wandelte ich ein Rezept für einen Nuss-Rührkuchen fürs Blech und unter Äpfeln ab. Er schmeckte ganz hervorragend, hier steht das Rezept.

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Gestern Abend gab es die Krautfleckern (die ich als österreichischen Klassiker in Torbergs Tante Jolesch kennengelernt hatte) nach Österreich vegetarisch. (Letzte Woche hatte ich bereit das Rezept für Kaiserschmarrn umgesetzt: Ganz hervorragend, ein fluffiges Dessert, fast schon Souffle. Als Hauptgericht werde ich allerdings bei der handfesten, brotigen Variante meiner Kindheit bleiben.)

Eigenartigerweise wollte mir der Nudelteig nicht gelingen, er wurde viel zu weich und klebte selbst nach deutlicher Mehlzugabe (Waage kaputt? Eier heimlich XXL?). Das Drehen durch die Nudelmaschine wurde ein vierhändiges Gemetzel, Mitbewohner und ich schauten halt, dass wir irgendwie Fleckerl produzierten. Geschmeckt hat das Gericht aber sehr.

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Die Kleidung der Tage:

Sehen Sie? Sie sehen nichts. (Glühbirne kaputt.)

Und jetzt mit LED-Licht.

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Gestern Abend sahen wir uns noch die 60-minütige Pilotfolge von Sherlock an. Im Making-of hatte die Produzentin erzählt, dass diese sehr gut bei den BBC-Entscheidern angekommen sei, sie aber für die Serie 90-Minüter bestellt hätten. Dass man nicht mal so eben 30 Minuten dazwischendrehen könne, sondern alles neu gedreht worden sei, bei dieser Gelegenheit viele Details nachjustiert. Ich fand deshalb die Pilotfolge von A Study in Pink besonders interessant: Wo wurden später längere Plots angelegt? Was wurde letztendlich anders erzählt? Im Vergleich mit der schlankeren, offensichtlich kostensparenden Pilotfolge fiel mir noch klarer auf, wie durchkomponiert die Bilder der späteren 90-Minüter sind.

Jetzt freue ich mich sehr auf das Wiedersehen der zweiten Staffel Sherlock. Mal sehen, ob meine Erinnerung stimmt, dass hier Benedict Cumberbatch deutlich attraktiver in Szene gesetzt wird, dass die Kamera jetzt Sherlock Holmes’ erotische Ausstrahlung betont.

My Parents were Awsome

Samstag, 3. November 2012

1968 im Madrider Parque del retiro (das Netzhemd meines Vaters habe ich in den 80ern selbst getragen).

Helden: James Bond und Sherlock Holmes

Freitag, 2. November 2012

Nein, ein echter Bezug zwischen den Herren fällt mir nicht ein; es war nur zufällig derselbe Tag, nämlich gestern, an dem ich Skyfall und die ersten beiden Folgen Sherlock im Original gesehen habe.

*praktisch spoilerfrei*

Die Bond-Filme mochte ich schon immer. Während meine Mutter sich vor dem Fernseher regelmäßig echauffierte, weil sie „so a Schmarrn“ seien, „des is doch völlig unrealistisch!“, war ich schon sehr jung begeistert von dieser Kunstwelt mit schönen Menschen, tollen Klamotten, fantastischen Bösewichten, noch fantastischerer Technik, und das alles an den schönsten Schauplätzen der Welt.

Sean Connery wird für mich als Bond (und zwar dem einzig wahren) immer die deutsche Stimme von Gert-Günther Hoffmann haben. Der erste Bond, den ich im Kino sah, war allerdings einer mit Roger Moore (der für mich schon deshalb nie als Bond durchging, weil er derart nach schwammigen Schweißfüßen aussieht): A View to a Kill. Von da an ließ ich keinen aus – bis zu A Quantum of Solace. Daniel Craig war für mich sowas von fehlbesetzt, die Handlungen mittlerweile bis zur Langeweile verquast, dass ich tatsächlich keine Lust darauf hatte.

Nun aber Skyfall, über den ich ausschließlich Postitives gelesen hatte. (Ich empfehle die Rezension von Tobias Kniebe in der Süddeutschen Zeitung vom Dienstag; inzwischen hat er auch gelernt, sich Spoiler zu verkneifen.) Also sah ich ihn mir gestern an und war sehr angetan. Der Plot hat einen schlichten Aufhänger (Liste aller NATO-Agenten geklaut), der Bösewicht ein halbwegs nachvollziehbares Motiv, die Standard-Verfolgungsjagden werden bereits vor der Vortitelsequenz abgefeiert. Danach geht es wie in einem guten Hollywoodfilm weiter: Ohne Hektik wird eine Geschichte erzählt, die interessant und zeitgenössisch ist, ohne verzweifelt originell sein zu wollen.

Erfreuliche Details:
– Erstmals nähert sich ein Mann Bond lüstern (inklusive netter Pointe im Dialog).
– Der Plot ist so geradeaus, dass ich nie den Faden verlor (muss nicht, ist aber entspannend).
– Schöne Settings, unter anderem der Retro-Spielclub in Shanghai inklusive seiner Variante des Haifischaquariums.
– Die wunderschöne Judi Dench, die nicht nur in aller Altersschönheit auftritt, sondern sogar älter aussieht, als sie ist.
– Wirklich beiläufiger Sex mit verschiedenen Frauen.
– Über den Darsteller von Q freute ich mich besonders: Ben Whishaw hatte ich eben erst in Brideshead Revisited kennengelernt.
– Das erste Zusammentreffen zwischen Q und Bond ist ein Highlight.
– Javier Bardem hatte ich vorher nur in Vicki Cristina Barcelona gesehen, wo er schauspielerisch nun wirklich nichts zu tun hatte. Der Mann spielt ja sensationell! (Was ich bereits in anderen Filmen hätte herausfinden können, spielte der Gute nicht bevorzugt ausgerechnet in der Sorte Filmen, die ich als Schisserin nicht sehen kann.)
– Daniel Craig habe ich als Schauspieler mittlerweile sehr zu schätzen gelernt, vor allem durch The Girl with the Dragon Tatoo. James Bond ist er für mich immer noch nicht, dieser weißrussische Automechaniker (die Segelohren! der Entenlippengesichtsausdruck!).

Ein wenig Gemaule:
Langsam sollten sich auch Drehbuchautoren gut genug mit Computern auskennen um zu wissen, dass man vor der Untersuchung der Daten einer Festplatte erst mal eine Kopie von ihnen macht. VOR ALLEM, wenn man wie Q weiß, dass sie mit einem selbstzerstörenden Dechiffrierschutz versehen sind. Und um zu wissen, dass man einen fremden Rechner NIE im eigenen Netz loslässt.
Zumal fachliche Korrektheit in diesem Fall sogar charmante Handlungsdetails ermöglicht hätten.

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Sherlock hatte ich mir aus der Stadtbücherei ausgeliehen, um ihn nochmal im Original zu sehen; ein Interview mit Hauptdarsteller Benedict Cumberbatch hatte mir gezeigt, dass er eine komplett andere Stimme und Sprechweise hat als sein Synchronsprecher Tommy Morgenstern.

IST das Zeug gut! Mein Genuss wurde sicher dadurch verstärkt, dass ich an meiner Seite einen Sherlockisten habe, der mir immer wieder Anspielungen auf die Doyle-Vorlage erklärte. Aber allein schon Drehbuch, Dialoge, Schauspieler, Kamera sind großartig.

Lesestoff für den Feiertag

Donnerstag, 1. November 2012

Wie es ist, vor Gericht Angeklagte schwerer und abstoßender Straftaten zu verteidigen:

Als Verteidiger solidarisiere ich mich weder mit dem Mandanten noch mit der Tat, die ihm vorgeworfen wird, sondern ich nehme engagiert seine Interessen in einem justizförmigen Verfahren wahr, indem ich darauf achte, dass die Verfahrensregeln eingehalten werden und eine Verurteilung nur dann erfolgt, wenn ihm (oder ihr) ein schuldhaftes Verfahren auf rechtsstaatlich einwandfreie Weise nachgewiesen werden kann.

Ich habe großen Respekt vor Anwälten, die solche Straftäter verteidigen. Straftäter, die in besonders hohem Maß gegen die Regeln verstoßen haben, die unsere Gesellschaft einen. Denn sie sichern die Einhaltung der allerwichtigsten Regel, auf der alle anderen basieren: die Rechtsstaatlichkeit. (Man sagt mir, dass viele diese Rechtsstaatlichkeit leider erst in dem Moment zu schätzen lernten, in dem sie es persönlich schmerzlich mit Staaten ohne solcher zu tun bekamen.)

via Lawblog

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Nicht viele werden verstehen, dass beim Lesen von Frau Herzbruchs Beschreibung ihrer universitären Linguistikveranstaltung mein Herz vor Sehnsucht nach der verpassten Unikarriere bricht, bis zu Wasser in den Augen.

Hätte ich damals durchgehalten, so bilde ich mir ein, würde ich heute beschreiben, wie ich Einführungsseminarteilnehmer ihre Sitznachbarn analysieren lasse, nur anhand des Stylings: Woher kommt diese Person vermutlich, welche Musik hört sie, wie wohnt sie?
Als Einstieg in die Semiotik.
Aber ich hab’ halt nicht durchgehalten.

Und kann heute PR-Konzepte erstellen, mehrmonatige Publikationsprojekte leiten, Unternehmensprozesse optimieren, auf Englisch Vertragsverhandlungen führen, Bilanzen durchschauen, industrielle Serienfertigung erklären. Statt die Rezeptionsästhetik ins 21. Jahrhundert übersetzt zu haben (dorthin wollte ich mit meiner abgebrochenen Diss).
Ohne dass ich mir einbilde, heute als Universitätsangestellte glücklich zu sein.

Ich komme mir billig vor bei der Behauptung: Hätte ich 1995 schon bloggen können, wäre mir das Durchhalten gelungen.

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Bisschen was zum Lachen (BITTE lass das Satire sein!):
14 Outrageous Secrets that a Homosexual Will Never Tell You
via @stephenfry

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Beetlebums Bericht über die Präsentation von Windows 8 zeigt wunderbar, worauf sich Firmen einlassen, wenn sie Blogger zu Presseveranstaltungen einladen – im Positiven wie im Negativen.

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Bin immer noch sehr verliebt in diese Professorin für Altphilologie an der Universität Cambride. Und in ihr Blog.
“You can’t be nasty and say ‘Look sunshine, this is what I did my PhD on’.”

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Benjamin von Stuckrad-Barre schreibt ausführlich übers Saufen, allerdings ex negativo: “Nüchtern”. Der Text ist außerordentlich interessant, zum einen, weil Herr von Stuckrad-Barre fesselnd schreibt und seine Perspektive eine unübliche ist, zum anderen, weil er mir zu zahlreichen Erkenntnissen verholfen hat. Darunter: Die Art gezielter Alkoholisierung, die er in vielen Varianten beschreibt, kannte ich von den jugendlichen Schafkopfspielern meines Abiturjahrgangs und kenne ich von den Damen und Herren, die in der benachbarten Parkanlage und auf meiner Seite der Wittelsbacher Brücke herumstehen, Bierflasche oder Bierdose in der Hand. Dass manche Menschen dieses Besaufen als eleganten Lebenstil ansehen, war mir neu.

Selbst der trockene Alkoholiker von Stuckrad-Barre macht sich über Menschen lustig, die Alkohol aus anderen Zielen als das der Bewusstlosigkeit konsumieren:

Wenn ich am Alkoholtrinken etwas immer verachtet habe, so ist es das sogenannte maßvolle Trinken. Vernünftig trinken wohl gar noch, Rausch ohne Reue? Amateure! Was “leicht angeheitert” genannt wird, nenne ich Bausparerrausch, fast so absurd wie alkoholfreies Bier. Das alkoholfreie Bier verstehe ich wirklich nicht. Des Geschmacks wegen? Ach, komm! Da ist es nicht mehr weit bis zum andachtsvoll zerschlürften “guten Glas Wein”; analog dazu sprechen ja auch insbesondere Wenigleser gern vom “guten Buch”, das sie angeblich gern lesen, dabei ist doch klar, dass man auch ganz viele schlechte Bücher lesen muss, um die guten zu erkennen. Ein Glas Wein – wozu? Diese Aromen? Das ist Glasschwenkkennertum, Jahrgangsgeschwätz, Verkostungstristesse.

Also über Menschen wie mich. Allerdings gestehe ich, dass ich nie auch nur die Chance hatte, mich in Abgründe zu saufen: Seit ich mit etwa 15 Gefallen an der initialen Wirkung von Alkohol fand, mir das eine oder andere alkoholische Getränk auch noch schmeckte, hielt mich ein eigenartiger biochemischer Mechanismus davon ab, mich wirklich zu betrinken. An einem Punkt jedes Alkoholkonsums, an dem ich noch weit vom Vollrausch entfernt war, schmeckte mir Alkohol schlagartig nicht mehr, jedesmal wieder. Er widerte mich richtig an.
Stark betrunkene Menschen hingegen widerten mich schon immer an.

Auch den Schilderungen von von Stuckrad-Barre (auf dieses von-von-Aufeinandetreffen freute ich mich seit dem ersten Buchstaben dieses Postings) kann ich nicht entnehmen, was bitte an den Betrinkereien, die er heute mit einem Glas Wasser in der Hand erlebt, so großartig ist. Die alkoholisierten Dialogschleifen, die er beschreibt, kenne ich von besagten Damen und Herren im Park mit Bierdose in der Hand; Gerhard Polt hat ihnen in seinen Programmen immer wieder Denkmäler gesetzt. Wenn sie in Schuhmanns Bar stattfinden, sind sie also cool?

Mein begrenzter Zugang zu den Freuden des Vollrausches mag auch in anderer Hinsicht an Biochemie liegen. Mit 19 versuchte ich erstmals, Alkohol gezielt zur Betäubung einzusetzen. Ich hatte schlimmen Liebeskummer und wusste vor Schmerz nicht ein noch aus. Aus der Literatur und aus Filmen wusste ich, dass Menschen ihren Kummer in Alkohol ertränken, also griff ich zu diesem Heilmittel. Ergebnis: Meine Sinne und meine Motorik waren betäubt, der Schmerz aber blieb. (Es gibt vielleicht einen Zusammenhang mit dem Umstand, dass Koffein mich hibbelig macht, aber keineswegs wacher.) Dann ließ ich das halt bleiben.

Dabei setze ich Alkohol durchaus auch heute gezielt ein: Es gibt einen Grad der inneren Verspannung, den abends ein steifer Cocktail in Minutenschnelle lösen kann. Nur – nach der Erreichung dieses Ziels ist meine Lust auf Alkohol fast immer befriedigt, mehr will ich gar nicht.

Von Stuckrad-Barre bedauert, dass er sich jetzt gar nicht mehr mit entfernteren Bekannten treffen kann:

Es gibt Menschen, die meisten eigentlich, mit denen geht man lieber “was trinken” als “was essen”. Trinken ist unverfänglicher, beiläufiger, was trinken kann man immer gehen, außer mit mir mit fast jedem, es ist die zwangloseste aller Verabredungsformen.

Ich bin versucht, mich noch spießiger als ohnehin schon zu finden, weil mir sofort die Alternativen Kaffeetrinken, Mittagessen oder Spazierengehen als Begegnungsmöglichkeiten mit diesen Menschen einfallen.

Auszeitjournal Dienstag/Mittwoch, 30./31. Oktober 2012 – Oberbekleidung

Donnerstag, 1. November 2012

So sah es am Dienstag an der Wittelsbacher Brücke aus:

Der fachkundige Mitbewohner betont ja immer, die Farbkombination lila-grün sei in Comics Merkmal der Superschurken. Fürchten Sie sich also bitte vor RINGELGIRL!

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Gestern wurde es milder. Für Außenstrecken zu Fuß traute ich mich also wieder in einen Rock.

Es war sogar mild genug für meine Capa.