Fortsetzung zu #Aufschrei –
Nur im Web geht’s voran
Donnerstag, 31. Januar 2013
Es bleibt weiter ein Thema: Dass fast alle Frauen in unserer Gesellschaft mit der konstanten Bedrohung durch sexuelle Belästigung verschiedenen Ausmaßes leben müssen. Sich damit auseinandersetzen müssen, Prävention planen, sich schützen müssen, sich wehren müssen. Und in einem konstanten double bind leben: Aussehen, Kleidung und Auftreten, die nicht dem gesellschaftlichen Weiblichkeitsideal entsprechen, können dazu führen, dass ihnen unterstellt wird, “ihre Weiblichkeit zu verleugnen” oder ihnen das Frausein gleich ganz abgesprochen wird. Aussehen, Kleidung und Auftreten, die diesem Ideal entsprechen, können als Einladung zu sexuellen Übergriffen interpretiert werden. Wenn sie einschreiten, werden sie als humorlos und erotikfeindlich beschimpft, wenn sie nicht einschreiten, sind sie selbst schuld.
Die traditionellen Medien konzentrieren sich weiter auf den Fall Brüderle (um den es in der #Aufschrei-Welle im Internet nie ging) und auf den Umgang von Journalistinnen mit Männern. Fernsehrunden versuchen weiter, möglichst zugespitzte Meinungen aufeinanderprallen zu lassen und eine möglichst aufregende Show zu erzeugen. Die konstruktivsten Gedanken zum Thema finden sich in Texten im Internet. Hier einige Leseempfehlungen, diese Artikel sind mir besonders lange nachgegangen:
A. Stefanowitsch: Sagt ihnen nicht, dass sie sich hätten wehren sollen
Wer sagt, dass Frauen lernen müssen, sich zu wehren, erwartet von Frauen nicht nur, dass sie in einer Situation, in der die meisten Menschen (Männer und Frauen) mit lähmender Angst zu kämpfen hätten, ruhig genug bleiben, um wegzulaufen und/oder körperliche Gegenwehr zu leisten, sondern auch, dass sie geistesgegenwärtig genug bleiben, um korrekt einzuschätzen, ob Gegenwehr oder Kooperation die bessere Strategie sind.
Wer sagt, dass sie Situationen meiden sollen, die zu sexuellen Übergriffen einladen, erwartet, dass sie sich aus dem öffentlichen Leben zurückziehen, denn Situationen, in denen es nicht zu sexualisierten körperlichen Übergriffen kommen kann, sind äußerst selten.
Und bei allem Verständnis für vereinfachtes und weltfremdes Denken, diese Erwartungen an Frauen sind tief gestört. Sie sind ein Symptom für eine Einstellung zu sexualisierter Gewalt, die alle Verantwortung weg von den Tätern, weg von möglichen Zeugen, weg von der Gesellschaft schiebt und sie allein den Betroffenen auferlegt.
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Und wehren können Frauen sich auch hier oft selbst dann nicht, wenn sie geistesgegenwärtig und ruhig genug bleiben, um nicht nur rechtzeitig zu erkennen, dass, sondern auch wie zu reagieren wäre. Denn in „schweren“ Fällen (grobe sexistische Beleidigungen oder verbale Nötigungen) besteht auch hier die sehr reale Gefahr, dass die Situation von einem verbalen zu einem körperlichen Übergriff eskaliert (auch das haben Frauen beim #Aufschrei zur Genüge beschrieben). Und in „leichten“ Fällen („dummen Sprüchen“, „Herrenwitzchen“) führt die Gegenwehr dazu, dass die Frau als diejenige dasteht, die sich sozial falsch verhalten hat, indem sie aus einer „Nichtigkeit“ oder einem „harmlosen Scherz“ eine „große Sache“ macht, indem sie einen doch völlig harmlosen Mann als üblen Sexisten hinstellt, indem sie für alle die doch bis eben so lockere Stimmung verdirbt.
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Malte Welding: Männer, gebt die Herrschaft auf!
Wenn in einer Beziehung der eine Partner sagt, etwas verletze ihn, und der andere erwidert, es sei doch gar nichts passiert, dann ist es für eine Paartherapie meistens schon zu spät.
Wenn eine Frau sagt, wenn hundert, wenn tausend, hunderttausend Frauen sagen, dass sie belästigt, bedrängt, geschlagen, bespuckt, vergewaltigt und weggeworfen wurden, dass sie sich nicht allein im Dunklen auf die Straße trauen und sich in Aufzügen, Parkhäusern, Innenhöfen fürchten, dann ist die richtige Reaktion nicht: Aber als Mann kann einem ja auch was passieren. Und nicht: Ich mache doch nichts. Und auch nicht: Dann muss man halt aufpassen. Sondern man muss Antworten auf die Frage finden: Wie bringt man Männern bei, Frauen keine Angst zu machen? Man kann kleinen Jungs sagen, dass man Mädchen nicht schlägt. Warum sagt ihnen keiner, dass man sie nicht bedrängen soll?
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Antje Schrupp: Wibke Bruhns und die Veränderung, die sie verpasst
Ich fand das eigentlich ganz interessant, weil Wibke Bruhns mit dieser Position gewissermaßen wie “aus der Zeit gefallen” schien, sie war sozusagen die leibhaftige Verkörperung eines “Common Sense”, wie er vor der Frauenbewegung üblich und normal war. Aber gerade dass sie so antiquiert wirkte, zeigt doch, wie sehr sich das Selbstbewusstsein von Frauen und ihr Wille, das nicht mehr hinzunehmen, bis heute weiterentwickelt hat.
Man muss nämlich sehen, dass eine Haltung wie die von Bruhns nicht einfach ein ausgedachter sexistischer Quatsch ist, sondern ideengeschichtlich sehr genau in einen Kontext einzuordnen ist: Nämlich in den der Kämpfe, die Frauen vor der Frauenbewegung, also in den 1950er und 1960er Jahren auszufechten hatten.
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engl: aufschrei(b)en (2)
ich wußte nur: ein mädchen darf im dunkeln nicht mehr draußen sein. ein mädchen muß angst haben, immerzu, daß ihm etwas getan wird. (aber was nur?) und ein mädchen muß aufpassen, daß alles das nicht passiert. (was auch immer!) wenn es das nicht tut, dann ist es bald selbst ein böses mädchen. denn da draußen gibt es etwas böses, das sich die mädchen holt. alle, unwiederbringlich.
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Sibylle Hamann: Zwitscherfeminismus, yeah!
… viele Frauen fürchten, als prüde, verklemmt und unsouverän dazustehen. Wer cool ist, lässt sowas abtropfen. Man will kein Opfer sein. Man will nicht als hysterisch gelten. Und will man sich wirklich über eine Berührung, eine blöde Bemerkung aufregen, solange anderswo Frauen vergewaltigt, gesteinigt, ermordet werden? Nein. Der antifeministische Diskurs der vergangenen Jahre hat eines geschafft: Dass Frauen sich zu Dank verpflichtet fühlen, nicht unter den Taliban zu leben. Denn, klar: Männer könnten auch noch ganz anders. Und daran erinnern sie einen gern.
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jawl: #aufschrei – Es sind die anderen. (Ja?)
Dann entwickelte so ca. zehn Minuten später der #aufschrei diese ungeheure Wucht und ich erschrak. Zwischen dem Wissen über nackte Zahlen inklusive ihrer Dunkelziffern und dem Erschrecken darüber, dass quasi jede Frau, die ich so in meiner Timeline kenne, etwas eigenes zu berichten hatte – da ist es ein großer Schritt. Ein Schritt mit viel Erschrecken, kein schöner Schritt (…). So Zahlen und Statistiken, das sind ja irgendwie immer die anderen und der #aufschrei brachte den Alltagssexismus viel näher an mich heran. »Lernerfolg eins: Deswegen heisst er ja auch Alltagssexismus, stupid«, dachte ich mir.
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Nachtrag: In diesen Tagen geht mir auch ein Hollywoodfilm von 2006 wieder sehr durch den Kopf, der das Thema bedrückend eindringlich verarbeitet: North Country