Neues zum regionalen Deutsch
Dienstag, 12. März 2013 um 8:45Sie waren ja schonmal so freundlich, sich an einer der Umfragen zum Atlas der deutschen Alltagssprache zu beteiligen, gell? Frisch veröffentlicht sind jetzt die Ergebnisse der neunten Umfragerunde. Hier können Sie unter anderem herausfinden, wo im deutschsprachigen Gebiet man Bräter sagt und wo Reine (bei mir daheim sagt man Reindl), aber auch wo man Artikel + Nachname verwendet. Alles, was mit Brot zu tun hat, scheint besonders regional zersplittert, so auch die lokale Bezeichnung für die Semmel. Anhand dieser Karte kann man zum Beispiel Herrn Thierse beruhigen, dass das schwäbische Weggli in Berlin noch keineswegs die Schrippe verdrängt, es taucht dort nicht mal auf.
Regionale Grammatik finde ich ja noch interessanter als Vokabular: Hier sehen Sie zum Beispiel, wie das possessive Attribut regional verteilt ist: Bei mir daheim wäre das “der Anna ihr Schlüssel” (auch “der Schlüssel von der Anna”). Oder das Hilfsverb beim Perfekt von stehen: Wo bin ich gestanden vs. wo habe ich gestanden? Oder Aussprachen: Wo sagt man Spaaaß, wo sagt man Spass? Ganz wundervoll der Überblick der Uhrzeiten (ein Phänomen, das Deutschlerner gerne mal zur Verzweiflung treibt): Bei uns heißt 7.20 Uhr “zehn vor halb acht”, 7.40 Uhr “zehn nach halb acht”, 7.05 Uhr “fünf nach sieben”. (Hier die ältere Erhebung zu Viertel vor / Dreiviertel.)
Auch schön: Das Kinderspiel Fangen und seine vielen Varianten (bei uns “Verfang” – taucht allerdings nicht auf) – wobei hier allein schon die Fragestellung zu regionalen Irritationen geführt hatte:
Bei dieser Frage sind wir zunächst einmal (dank teilweise entrüsteten Kommentaren von Informanten) auf ein weiteres Variationsphänomen gestoßen: Darunter, dass ein Kind ein anderes abschlägt, versteht man jedenfalls in der Schweiz nicht, dass das Kind dem anderen Kind einen leichten Schlag versetzt (eher eine Berührung), der nach der Spielregel eine Bedeutung hat, sondern dass es das andere Kind krankenhaus- bzw. spitalreif schlägt (andernorts: zusammenschlagen). Letzteres war natürlich nicht gemeint.
Noch variantenreicher ist die Bezeichnung für den sicheren Ort beim Fangenspielen (bei uns “Frei”).
Wenn Ihnen das Stöbern Spaß macht, mögen Sie sich vielleicht gleich an der zehnten Runde der Umfrage beteiligen? Und auch diesmal möglichst viele Menschen aller Altersstufen, vor allem auch Offliner zur Teilnahme bewegen?
die Kaltmamsell18 Kommentare zu „Neues zum regionalen Deutsch“
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12. März 2013 um 9:49
Ich habe versucht, an dieser Umfrage teilzunehmen, aber ich kann da echt nicht helfen:
Ich bin so oft umgezogen (und habe hier in Stuttgart auch so wenig Kontakt zu “Eingeborenen”), dass ich nur bei wenigen der gefragten Dinge sagen könnte, wie die übliche Bezeichnung in dieser Gegend ist. Würde ich die Bezeichnung eintragen, die ich verwende, dann würde ich das Ergebnis eher verfälschen.
12. März 2013 um 9:51
Aber vielleicht eine Nachbarin, Dentaku?
12. März 2013 um 10:44
Ein besonders hübsches Juwel in der regionalen Grammatik ist die rheinische Variante: “Die Chantal ist ihre Schwester die Haare am Föhnen!”
12. März 2013 um 11:10
Hachneinwieschön, das rettet den grauesten Tag. Leider muß ich auf den gleichen Umstand wie Dentaku rekurrieren, aber ich werde an die Nachberin denken! @Julia: wun-der-bar!!! Auch schön, Frau Kaltmamsell ist “viertel sieben” (i.e. 18:15h). Dankbare Grüße!
12. März 2013 um 11:15
“Rheinische Verlaufsform” ist sogar eine offiziell linguistisch klassifizierte Erscheinung, Julia: http://de.wikipedia.org/wiki/Rheinische_Verlaufsform
Ich habe einige Jahre im Großraumbüro mit einer Kollegin mit rheinischem Migrationshintergrund gearbeitet und sehr genossen, Zeugin ihrer sehr speziellen Grammatik zu sein. (Wenn ich dieser Tage an Konzertplakaten der Sängerin Beyoncé vorbeikomme, spreche ich das im Geist immer ruhrpottisch aus: Dat Bejonntse!)
12. März 2013 um 11:38
Es stimmt, alles, was mit Brot (und mit Wurst übrigens) zu tun hat, scheint besonders regional zersplittert. Das liegt teilweise auch daran, dass es bestimmte Produkte nicht überall gibt. Nach meinem Umzug vom Rheinland nach Heidelberg habe ich seinerzeit immer wieder versucht, dort ein Milchbrötchen zu kaufen, bis ich herausfand, dass man darunter hier ein normales Brötchen versteht, das mit Milch statt Wasser gebacken ist (anderswo “Kaisersemmel” genannt) und das gewünschte leicht süße weiche Brötchen (quasi ein Rosinenbrötchen ohne Rosinen) in länglicher Form gebacken wird und “Einback” heißt.
12. März 2013 um 11:46
… mir fällt grad noch was speziell Bayerisches ein: “der is gscheit bläd” oder: “Des is fei sauba dreggat” – i.e. die Verstärkung durch das Gegenteil. Ich wüßte nicht, ob es das irgendwo anders gibt ..?
12. März 2013 um 12:15
@lihabiboun: Ersteres kenne ich auch von Oberösterreich (“gscheit deppat”); und: “des is einfach kompliziert” … (“einfach” wird hierorts sehr oft verwendet, fällt mir auf)
12. März 2013 um 12:48
Bei uns in Grafing hieß das Fangenspiel übrigens Fangstl.
12. März 2013 um 15:02
Ich habe mir das gern durchgelesen und gleich an der Umfrage teilgenommen. Mein Deutsch ist leider “hochdeutsch”. “Leider”, weil ich es oft als sehr streng und zu klar wahrnehme. Nichts verniedlichendes daran.. :)
12. März 2013 um 15:07
Nee, nee, symphonee: “Hochdeutsch” ist nur ein weiterer Dialekt – der es halt aus historischen Gründen zum Standard geschafft hat. (Vielleicht sagen Sie sogar “Fead” für Pferd?)
12. März 2013 um 15:42
Tatsächlich sage ich zu “Pferd” “Fead”- witzig, das so geschrieben zu sehen. Aus dieser Perspektive habe ich das gar nicht betrachtet! Stimmt, ich spreche ja auch nicht alles so aus, wie es geschrieben wird. Dennoch klingen süddeutsche Dialekte oft weicher und niedlicher.. :)
13. März 2013 um 13:08
@kaltmamsell Mir geht es statt mit Beyonce immer so mit Madonna: “Nääää, dat Madonna is sisch immer so wat am Verbiiiiejen!”
13. März 2013 um 14:34
„rulle“! bei uns im pott hieß das „rulle“ beim verstecken oder kriegen spielen. scheint aber ausgestorben, ist nicht mal auf anhieb zu googeln.
13. März 2013 um 19:52
Wenn ich das so lese, das Rheinische, bedauere ich sehr, dass ich’s nicht hören kann. Selbst laut vorsprechen ist mit unterfränkischem Akzent halt nicht dasselbe.
14. März 2013 um 9:32
Fangamandl haben wir als Kinder in Oberbayern gespielt, bis um viertel vor sieme oder bis um zehn nach hoibi sieme.
Mittlerweile lebe ich in der Schweiz und meine Sprache ist eine Katastrophe.
Ich habe den Bullen von Tölz sehr geliebt, einzig wegen seiner Mutter, der Resi Berghammer, die so ein schönes Bairisch gesprochen hat wie meine Mutter.
17. März 2013 um 9:53
Hallo,
– ich vermisse bei den Brötchen die Hamburger “Rundstücke”.?
27. März 2013 um 19:41
Ich meine, wir haben immer “Klippo” gesagt beim Tickspielen(fangen)…hm….die Uhrzeiten werde ich in der Tat nie richtig verstehen im Süden…;-) Und Fead ist wirklich sehr schön, so ähnlich wie Meech :-) Ich glaube, ich werde mir gleich mal den Umfragebogen ansehen!!