Das Kraut ist bereits ausgeschüttet, in Deutschland sind Studiengebühren nahezu komplett abgeschafft. Den Weg zu dieser Abschaffung habe ich mit großer Verwunderung beobachtet.
Das Hauptargument der Studiengebührengegner lautet: Studiengebühren stellen eine gesellschaftliche Ungerechtigkeit dar, da die Kinder von Wohlhabenden sie leichter aufbringen können als die Kinder von Menschen mit wenig Geld.
Ich halte dagegen: Mit Studiengebühren kommen diejenigen (zumindest zum Teil) für die Kosten der Universität auf, die später vom Studium am meisten profitieren. Ohne Studiengebühren hingegen zahlen alle gleich viel dafür, auch die Mehrheit der Bevölkerung, die nie davon profitieren wird.
Dagegen könnte man argumentieren, dass von einem höheren Bildungsdurchschnitt auch wieder die gesamte Bevölkerung profitiert. Aber dann müsste unter anderem auch die Ausbildung zum Handwerksmeister von der Gesamtbevölkerung getragen werden. Und komme mir bitte keiner mit den höheren Steuern, die Akademiker später aufgrund ihres höheren Einkommens in die Gemeinschaftskasse zurückzahlen: Das verdrängt unter anderem all die Akademikerinnen, gerne auch promoviert, die sich später aus der biologischen Kurve tragen lassen und ihren Platz bei ihren Kindern sehen, die höchstens noch ein wenig nebenher arbeiten. (Eine Gesamtkostenrechnung, die eine belastbare Prognose zulässt, ob diese Kinder wiederum jemals irgendetwas zur Rentensicherheit beitragen werden, ist wegen Komplexität der Einflussfaktoren unmöglich.)
Grundsätzlich führt die Diskussion auf die Frage zurück, für welche Annehmlichkeiten unsere Gesellschaft den Staat in der Pflicht sieht (also welche die Gesamtgemeinschaft zahlen soll). Und für welche Annehmlichkeiten allein die Nutznießerinnen aufkommen sollen. Eine erste Stoffsammlung lässt keine Systematik erkennen.
Autobahnen zum Beispiel zahlt die Gesamtgemeinschaft, auch ich als autolose Steuerzahlerin. Paradoxerweise kostet lediglich der Teil des Autobahnverkehrs Maut, von dem wieder die Gesamtgemeinschaft profitiert: Der Güterverkehr (nein, die Banane und der Biohonig sind nicht zu Fuß in Ihr Supermarktregal gewandert, auch nicht das im Internet bestellte Doppelbett zu Ihnen nach Hause).
Andere Annehmlichkeiten wie das Hallenbad und Opern oder Theater zahlt die Gesamtgemeinschaft zwar zum größten Teil, doch sie kosten zusätzlich eine Nutzungsgebühr, “Eintritt” genannt. Und genau solch eine Nutzungsgebühr halte ich auch bei Universitäten für angemessen (den allerallergrößten Teil der Hochschulkosten zahlt ja immer noch die Gesamtgemeinschaft).
Eher gefühlt und wenig belegbar ist eine weitere Funktion der Studiengebühren: Die Förderung der Wertschätzung für die Leistungen der Universität. Was nichts kostet, wird nicht wertgeschätzt. Schon vor fast 20 Jahren, als ich mich einige Zeit auf der Dozentinnenseite einer Universität befand, blieb mir immer wieder die Luft weg, wie nebensächlich manche Studentinnen dieses Uni-Dings behandelten: Da war zum Beispiel die Studentin, die um Aufschub für die Abgabe ihrer Hausarbeit bat, weil sie nach Ende des anstrengenden Semesters erst mal in den Urlaub fahren wollte.
Ebenso lediglich anekdotisch sind die Aussagen von aktuellem Universitätspersonal, die Studierenden träten inzwischen durchaus mit der Anspruchshaltung auf: Schließlich haben wir dafür bezahlt. (Ausnahmsweise ein Link zu einem Kommentar beim LSR-Schmarotzer SZ: “Sparen am falschen Ende des Bildungssystems“.)
In der jüngsten Diskussion um Studiengebühren in Deutschland fehlte mir eine Aufstellung, was denn in den vergangenen Jahren von den Studiengebühren bezahlt wurde. Allgemein hieß es immer wieder:
– längere Bibliotheksöffnungszeiten
– Tutoren und Tutorinnen
– Studiengangsberaterinnen
Letzteres weist bereits auf das Problem hin, die Auswirkungen der Studiengebühren zu belegen: Sie wurden nahezu zeitgleich mit der Bologna-Umstrukturierung eingeführt – die zum Beispiel Studiengangsberaterinnen erst nötig machte. (Ich konnte ja damals einfach ins Prüfungsamt gehen um herauszufinden, welche Scheine ich für meinen Magister brauchte.) Ebenso fehlt mir eine Analyse, ob sich die Zusammensetzung der Studierenden nach familiärem Hintergrund durch die Einführung von Studiengebühren verändert hat. Auch das machen die massiven und zeitgleichen Veränderungen durch den Bologna-Prozess vermutlich unmöglich.
Ein Mangel allerdings empörte mich seit der Einführung von Studiengebühren: Es fehlten und fehlen Finanzierungsmodelle. Ich hatte Studiengebühren Anfang der 90er in Großbritannien kennengelernt, gleichzeitig aber die Methoden sicherzustellen, dass jede sie sich leisten konnte: Spezielle Kreditangebote der Banken, zudem Stipendien aller Art – von Stipendien für Kinder von Einkommensschwachen der counties (die alle daran interessiert waren, dass möglichst viele ihrer Einwohner an einen Hochschulabschluss kamen) über Stipendien der einzelnen Unis für besonders leistungsstarke Bewerberinnen bis zu Stipendien von Fördergesellschaften aller Art. Das Fehlen solcher Strukturen in Deutschland machte es den Studiengebührgegnern einfach, die Gebühren als individuell ungerecht darzustellen.
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Wie anscheinend alle Befürworter und Befürworterinnen der Studiengebühren drängt es mich, meinen eigenen Werdegang zur Akademikerin offenzulegen – vermutlich versuchen wir alle, einer unzulässigen Argumentation ad hominem vorzubeugen: Nein, wir verteidigen hier nicht insgeheim irgendwelche Privilegien, von denen nur Leute wie wir profitieren.
Ich bin das Kind einer Zwangsarbeitertochter und eines Gastarbeiters, beide in ihren Familien die erste Generation, die Lesen und Schreiben gelernt hatte. Beide aber auch mit hohen Bildungsidealen und Ehrgeiz. Ich strahlte wohl von klein auf die richtige Mischung aus aufgeweckt und systemkonform aus, so dass im Bildungssystem niemand meine Eignung für Gymnasium und Studium anzweifelte und ich nicht gegen Vorurteile ankämpfen musste. Studiert habe ich nach einer Berufsausbildung komplett eigenfinanziert: Meine Eltern zahlten meine Wohnungsmiete, und meinen Lebensunterhalt erarbeitete ich unter anderem in meinem erlernten Beruf als Zeitungs- und Rundfunksredakteurin. Ich kam nie auf die Idee Stipendien zu beantragen, da ich glaubte, sie seien etwas für Bedürftige. (Und Bafög-Anträge waren mir zu mühsam: In der Zeit ging ich lieber Geldverdienen.)