Zwei Podcast-Empfehlungen oder: Nebenwirkungen des Strickens
Sonntag, 10. März 2013 um 12:58Meine Genesung schreitet voran, reines Stricken ist mir mittlerweile zu langweilig. Stricken beim Fernsehen geht schon auch, doch wenn Fernsehen schon mal gut genug ist, dass ich es aushalte, möchte ich auch alles sehen (was ich beim Stricken nicht kann, ich muss regelmäßig auf mein Genadel schauen – und das wo ich weiß, dass manche Menschen sogar bügeln können ohne hinzuschauen). Also höre ich Podcasts, der Mitbewohner ist eine erstklassige Tippquelle. Zum Beispiel hatte er mir bereits vor Monaten eine Folge des Lexicon Valley Podcasts empfohlen, über sprachliche Anachronismen in Downton Abbey, Mad Men und bei Edith Wharton. Diese Empfehlung gebe ich hiermit dringend weiter.
Unter anderem interviewen die beiden Podcaster den Historiker Ben Schmidt, der die Dialoge aus den genannten Fernsehserien durch Analyseprogramme mit dem riesigen Vergleichskorpus schickt, der durch Googles eingescannte Bücher entstanden ist. So findet er heraus, welche Wörter und Formulierungen der Serien seit wann tatsächlich verwendet werden. Auch um die Hintergründe dieser Methode geht es, außerdem überlegt der Podcast, warum sich die Drehbuchschreiber der Gefahr linguistischer Anachronismen wohl weniger bewusst sind als der technischer oder gesellschaftspolitischer Anachronismen.
Und weil ich so begeistert war, hörte ich mir gleich noch einen weiteren Lexicon Valley Podcast an: “About the all-important role that language translation (and mistranslation) plays in our lives“.
Wieder profitiert die Folge von einer spannenden Interviewpartnerin: Natalie Kelly hat zusammen mit Jost Zetzsche das Buch Found in Translation: How Language Shapes Our Lives and Transforms the World veröffentlicht und erzählt sehr spannend vom Übersetzen und seiner Rolle in der internationalen Kommunikation. (Ich glaube, Natalie Kellys ungemein bezauberndes Lachen schneide ich mir mal einzeln raus, um es als Instant-Glücklichmacher jederzeit zur Verfügung zu haben.) Zudem begründet Kelly sachlich überzeugend, warum es auch bei noch so guter Computerlinguistik immer Menschen als Übersetzerinnen brauchen wird.
Sehr nett fand ich die Geschichten, in denen Übersetzer, vor allem Simultanübersetzer, auch Außersprachliches mitübersetzen müssen, um den Inhalt zu treffen. Dazu kann ich auch eine Anekdote beitragen.
Anfang der 90er promovierte eine englische Freundin in russischer Literatur über Tschingis Aitmatow und die Wurzeln seiner Werke in kirgisischer Mythologie.1 In Deutschland war Aitmatow sehr bekannt und beliebt, von allem wegen seines Romans Dshamilja. Ich lebte damals in Augsburg und entdeckte eines Tages Plakate, die eine Lesung von Tschingis Aitmatow in Augsburg ankündigten. Sofort gab ich meiner Freundin Bescheid, die diese Lesung dann für einen ohnehin seit langem ausstehenden Besuch bei mir nutzte. Sie sprach zwar kein Deutsch, aber fließend Russisch und wollte diese Gelegenheit für ein direktes Gespräch mit Aitmatow nutzen.
Wir saßen also nebeneinander in der Kongresshalle, auf der Bühne der mächtige, weißhaarige Kirgise und seine Übersetzerin. Nach der Lesung auf Russisch und Deutsch erzählte Aitmatow noch ein wenig und antwortete auf Fragen der literarischen Gastgeber und aus dem Publikum. Die Übersetzerin übersetzte seine langen Antworten stückweise ins Deutsche, das Publikum lachte über die Scherze. Doch meine Freundin wurde immer unruhiger. Sie verstand zwar kein Deutsch, doch sie hörte sehr wohl das Gelächter – und war darüber bestürzt: “He is not joking!” flüsterte sie mir irgendwann zu und dann kopfschüttelnd immer wieder. Nach der Lesung erklärte sie mir, dass Aitmatov in reinstem Sovjet-Kadersprech selbstherrlich über sich und seine Leistungen schwadroniert habe, dass sie nichts von dem Menschen erlebt habe, den sie sich auf der Basis seiner Werke vorgestellt hatte. Ihre Bestürzung ging noch viel weiter: Durch diesen direkten Kontakt mit Aitmatov war der Autor nun in ihrer Wahrnehmung schlicht ein ausgesprochen geschickter Opportunist, der sich mit jeder Macht in Kirgisien bestens gestellt hatte, der auch seine Werke schlicht auf Marktbedürfnisse ausrichtete. Sie brach ihre Ph.D. thesis ab und schulte auf Jura um (kein Scherz).
Warum also die deutlich andere Übersetzung in der Augsburger Kongresshalle? Vielleicht passte das selbstbeweihräuchernde Salbadere des Herrn so überhaupt nicht zu dem Bild, das man in Deutschland von Aitmatow hatte, dass die Übersetzerin automatisch davon ausging, dass es scherzhaft gemeint war.
- Von dieser Freundin habe ich die wunderbare Erklärung von socialist realism: “Boy meets girl meets tractor.” [↩]
9 Kommentare zu „Zwei Podcast-Empfehlungen oder: Nebenwirkungen des Strickens“
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10. März 2013 um 14:20
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10. März 2013 um 21:24
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11. März 2013 um 10:18
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11. März 2013 um 13:27
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11. März 2013 um 22:27
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12. März 2013 um 17:21
Boy meets girl meets tractor. Hach. Hach!
16. März 2013 um 17:35
Interessantes Thema, ich finde nur, dass du hier Übersetzen und Dolmetschen etwas durcheinander würfelst, denn das sind unterschiedliche Dinge.
Aber ich finde es auch immer sehr beruhigend, wenn die Leute feststellen, dass es ohne menschliche Übersetzer nicht geht ;)
16. März 2013 um 20:11
Oh Verzeihung, DasSan: Übersetzen Dolmetscher nicht?
17. März 2013 um 13:42
Mmh ja, irgendwie schon ;)
Aber wenn Übersetzer übersetzen, dann dolmetschen sie nicht. Soll heißen: übersetzen bezeichnet streng genommen die schriftliche Sprachübertragung, dolmetschen die mündliche.
Dolmetscher können natürlich auch (schriftlich) übersetzen, reine Übersetzer tun sich mit dem Dolmetschen aber oft schwer (ich z.B.). Zu meiner Zeit waren das auch ab dem Hauptstudium 2 getrennte Studiengänge.