
Gemein: Das leichte Kopfweh, mit dem ich aufwachte, steigerte sich bis zu meinem Spaziergang hinüber auf die re:publica dermaßen, dass ich eine für mich völlig untypische Migräneattacke befürchtete. Doch Espresso und Aspirin dämmten den Schmerz, übrig blieb eine wattige Benommenheit, durch die ich die ersten Vorträge wahrnahm.
In “1 Million Petitionen – Protestieren wir richtig im Netz?” vermittelten mir Profis vom WWF, von Oxfam, von compact.de und aus der Politikwissenschaft in einem hochinteressanten Gespräch, was man derzeit über Online-Petitionen weiß. Hängengeblieben ist bei mir:
– Jede Online-Aktion braucht für Erfolg Offline-Sichbarkeit (Demos, Gespräche mit Politikern) und muss in eine Gesamtkampagne eingebettet sein.
– Petitionen müssen für Politiker Zusatzinformationen enthalten – wie halt im klassischen Lobbying.
– Online-Petitionen zeigen Politikern, was Menschen zu einem Thema denken, aber nicht, wie wichtig ihnen dieses Thema ist. (Auch deshalb Offline-Sichtbarkeit nötig.)
In der Fragerunde meldete sich ein CDU-MdB – und schon hörte ich zum ersten und einzigen Mal in diesen drei Tagen “Netz-Community” (die sich entscheiden müsse, an einem Strang ziehen, endlich mal sagen, was sie will etc.) – der Mann KANN ja nur enttäuscht werden.
“Im Schatten des Rechts – Wie informelle Normen das Urheberrecht unterlaufen oder auch auf den Kopf stellen” stand im Gesamtplan abgekürzt als “Informelles Urheberrecht” und klang deshalb interessant – war es auch. Beim Blick auf die Bühne war ich verwirrt: “Die kenne ich doch.” War ja auch Jeanette Hofmann, die Gründungsdirektorin des Alexander von Humboldt Instituts für Internet und Gesellschaft. Sie und Christian Katzenbach stellten wunderbare Beispiele vor, wo das Urheberrecht traditionell innerhalb der Community verhandelt wird: Zaubertricks, Comedy, Kochrezepte. Im Detail gingen sie auch auf TV-Formate ein, die ebensowenig rechtlich abgedeckt sind, wo das Lizenzwesen aber trotzdem funktioniert. Nicht auf Urheberrecht zu bestehen, zahlt sich nach ihren Erhebungen für manche Onlinespiele sogar aus. Doch sie gab zu, dass ihre Untersuchungen noch lange nicht abgeschlossen sind (“Mehr Empirie statt Moral!”).
Felix Schwenzel behauptete dieses Jahr, er werde “10 Vorschläge um die Welt zu verbessern” vorstellen. Das Ergebnis war wieder ein kurzweiliger und kluger Vortrag. Und wie jedes Jahr wünsche ich mir Herrn wirres als Folien-Coach in den meisten Großunternehmen: Er nützt die Technik meisterlich.

Die beiden Militärblogger Thomas Wiegold und Sascha Stoltenow präsentierten “Die Digital Natives ziehen in den Krieg”. Sie zeigten, wie Soldatinnen und Soldaten dieser Generation sich selbst im Web präsentieren, verglichen die Ästhetik von deren selbst gebastelten Videos mit der offiziellen Materials und der Darstellung im Journalismus, gaben Beispiele für die Visualisierung von Kriegsdaten, gingen auf heutige Kriegsberichterstattung ein, berichteten über Social-Media-PR von Armeen. Kurz: Ein Einblick in Welten, in die ich von selbst nie komme.
(Der Vortrag ist eigentlich auch online, aber im deutschen YouTube wegen befürchteter Verfolgung durch die Gema gesperrt. Wer weiß, wie man seine IP als nicht deutsche ausgibt, kann den sehr empfehlenswerten Vortrag dennoch sehen.)
Nachtrag 10.5.: Jetzt gibt es den Vortrag auf vimeo.

Die Inhalte des Vortrags “”Das meld ich dem Rundfunkrat!” – Neues aus der öffentlich-rechtlichen Kommentarambulanz” hatte ich zwar schon in diesem Interview gelesen, freute mich aber, Deef Pirmasens endlich mal live zu erleben (was ich in München regelmäßig könnte, aber noch nie geschafft habe). Er und Simone Stoffers vom NDR präsentierten ihr Thema sehr unterhaltsam, hinterlegt mit vielen Beispielen aus Kommentaren zu den Sendungen, deren Internetdiskussionen sie betreuen, aus quer und extra 3.
Bewegend war für mich die Stunde, in der Anne Wizorek #aufschrei zusammenfasste: Wie es anfing, wie es sich entwickelte, welche Konsequenzen es hatte, auch für sie persönlich. Und danach habe ich Anne endlich persönlich kennengelernt und konnte ihr sagen, wie sehr ich sie dafür bewundere, dass sie sich mit dem Thema immer wieder in die Öffentlichkeit stellt.
Was Anne nicht erwähnt hatte: Einen Versuch, das Thema Feminismus auf die re:publica zu bringen, hatte es ja vor wenigen Jahren gegeben. Er endete in einem Desaster und bewies genau den Sexismus, gegen den wir jetzt aufschreien. Dass es auf der re:publica 2013 sogar mehrere Veranstaltungen zum Thema gab (und das nicht mal thematisiert werden musste) ist eine Folge von #aufschrei.

Und ganz zum Schluss haben wir alle gesungen.
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Sehr großen Dank an alle Macherinnen und Macher der re:publica 13. Die Organisation erlebte ich als reibungslos. Am ersten Tag gab es zwar eine sehr lange Schlange am Restaurant, doch am zweiten Tag nicht mehr – ob das Restaurant gelernt hat (mehr Ausgabestellen) oder die Hungrigen (Stullen mitgebracht) weiß ich nicht.
Vor allem aber, und das wird in die Geschichte eingehen: Es gab ein funktionierendes, starkes und stabiles WLAN. Letztes Jahr hatte mir noch ein Techniker erklärt, bei so vielen Zugriffen aufs Internet müsse man dafür für scheißviel Geld eine eigene Leitung legen. Das haben diese Verrückten wohl dann tatsächlich getan. Danke.
Viele Menschen aus dem Internet zum ersten Mal in Echt gesehen.
Viele Menschen aus dem Internet wiedergetroffen.
Freundinnen und Freunde wiedergetroffen, die ich im Internet kennengelernt habe.
Zum ersten Mal jemanden persönlich getroffen, die ich nur über Instagram kenne.
Sogar über Berufliches gesprochen.
Mich wieder sehr entspannt unter “my people” gefühlt, aber nicht mehr so überrascht davon gewesen wie beim ersten Mal.
Mindestens drei Ideen für eigene Panels auf der re:publica 14 (wird an drei Tagen zwischen 5. und 9. Mai 2014 stattfinden). 