Flüchtig, geflohen

Montag, 8. Juli 2013 um 7:46

Mimosen sind sie, meine Erinnerungen. Mittlerweile könnte ich sie nicht mal greifen, wenn ich wollte. So viele Jahrzehnte, die ich sie vor allem vom Wegschieben kenne. Mir daraus nur die Informationen pflücke, die ich fürs Jetzt und die Zukunft brauche. Oder die Ausschnitte, aus denen ich erzählbare Geschichten mache. “Stories only happen to those who are able to tell them.” Dafür reichen schon wenige Bilder.

Die wenigen Momente, deren Ruhe die Vergangenheit einlud, sehr oft beim Blick aus dem fahrenden Zug. In denen ich das Gefühlsrinnsal zu einem Strom werden lassen konnte, der mich zurückschwemmte in ein vergangenes Erleben. Das ich oft erst in dieser Wiederholung überhaupt fühlen konnte, keine Hut und Achtung nötig.

Doch die viel öfteren Momente, in denen die erinnerte Information zwar nur benetzt war von Gefühlsahnung. Diese aber immer reichte, um mir Übelkeit zu verursachen, bevor der Wegschiebreflex einsetzte. Und so kenne ich meine eigene Vergangenheit eigentlich nicht. Habe meine Erinnerungen zu denen einer Fremden gemacht. Ich kann mich nicht erinnern. Und daran auch nicht, wo es doch erst wenige Jahre zurückliegt.

Schmerz, der immer noch eingeschlossen ist in Behälter, die lediglich generische Aufschriften tragen: “Schmerz 4 (Eichstätt)”, “Schmerz 19 (Hoher Weg)”. So undefiniert und nicht durchfühlt, dass alles umgebende Glück miteingeschlossen werden muss.

Erschöpft vom Wegschieben, wachsende Sehnsucht nach der echten Leere.

die Kaltmamsell

16 Kommentare zu „Flüchtig, geflohen“

  1. Tanja meint:

    Gefühle gegenüber Dritten zu beschreiben finde ich sehr schwierig. Dir ist es gelungen, ich verstehe hier etwas.

    Mein Schwager hat kleine Holzschränke mit einem schweren Schlüssel mit Bart für seinen Schmerz. Mein Sohn hatte lange Zeit Karten in einer Kartenbox, die er nach hinten und wegstellt, wie gelernte Vokabeln oder solche, die man sowieso nie können wird.

  2. engl meint:

    verstehe. (und frage nicht weiter.)

  3. walküre meint:

    .

  4. Jutta meint:

    .

  5. maz meint:

    Ich lese diese Deine orphischen Worte. Immer wieder. Immer wieder. (Mal im Smartphone, mal im Tablet dann wieder im PC. Sie sind so schön. So furchterregend schön. Doch mein bräsiges Hirn kann sich keinen Reim daraus machen.)

  6. stedtenhopp meint:

    Was maz sagt!
    Und ein bisschen in Sorge seit heute früh. Genaugenommen sogar mehr als ein bisschen.

  7. margareta meint:

    was maz und stedtenhopp sagen.
    Sie finden worte für was, was ich ähnlich kenne. dafür dank ich.
    aber Sie schrieben sie so, dass ich in sorge war. anmaßend, sicher. und doch.
    und alle sätzanfänge mit ich-wünsch-Ihnen… und mir-hat-geholfen… löschen sich von selbst, wenn ich sie beginne zu schreiben. und doch.

  8. Preißndirndl meint:

    Schließe mich margareta an … und doch.

  9. Buchfink meint:

    So toll geschrieben, leider ist es autobiographisch.

  10. fragmente meint:

    .

  11. maike meint:

    *

  12. umienne meint:

    .

  13. Julia meint:

    Ich war heute auf “Ihrer” Isar-Strecke laufen, die ja auch lange “meine” Strecke war. Habe dabei an Sie gedacht und positive Vibes gesendet, die hoffentlich ankommen.

  14. Viktoria meint:

    Seit Tagen geht mit dieser Beitrag nach. Und meine erste Reaktion ist immer noch dieselbe: Bestürzung.

    Es ist offensichtlich ein nahezu unerträglich schwerer Rucksack, den Sie seit vielen Jahren mit sich tragen. Ist Stück für Stück auspacken, betrachten, verarbeiten, integrieren und schließlich weglegen – mit professioneller Unterstützung – keine Option?

    Inzwischen scheint das Gewicht der Vergangenheit Ihre Gegenwart auf verschiedensten Ebenen zu blockieren und zu erdrücken. Dafür ist Ihr Leben zu wertvoll, auch wenn Sie das wohl anders sehen.

    Ich wünsche Kraft und gute Entscheidungen.

  15. stedtenhopp meint:

    Ich kann mich wieder nur anschließen, weil es mir an den passenden Worten gebrach (oder ich fürchtete, sie könnten anmaßend klingen). Daher: Was Viktoria sagt. In jeder Hinsicht und mehrfach unterstrichen. Alles Gute Ihnen.

  16. Susann meint:

    Alles Gute, ich habe sehr an Sie gedacht in den letzten Tagen nach Ihrem Posting.
    Passen Sie auf sich auf!

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