Ein regnerischer Tag, doch er hatte genug Regenpausen, dass ich auch auf dem Rad überallhin trocken kam.
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Abends im Feedreader den Hinweis des Münchner Kartoffelkombinats gefunden, dass wieder Haushalte in die Genossenschaft aufgenommen werden. Mitmachformular ausgefüllt, abgeschickt. Die sechs Testwochen sind eine hervorragende Möglichkeit herauszufinden, wie wir mit dem Zusatzaufwand zurecht kommen, unsere Lieferung im “Verteilpunkt” abzuholen, statt eine Kiste vor die Wohnungstür gestellt zu bekommen. Aber jetzt finde ich vor allem die Aussicht spannend, einen Ernteanteil einer ganz konkreten Gärtnerei zu bekommen – an dem ich mir naturgemäß nichts aussuchen kann.
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Sometimes I don’t think Germans find anything racist except for Nazi demos in Hellersdorf, the actual Holocaust and Rosa Parks not being allowed to sit down on the bus.
Auf Englisch gewinnt diese Tirade von Jacinta Nandi gegen Rassismus in Deutschland anlässlich der unsäglichen Interviewfragen der taz an Philipp Rösler schon wegen der vielen schönen fucks an Wucht. (Zur Klarstellung: Ob und wie jemand die geographische Herkunft seiner biologischen Vorfahren thematisieren will, wie sehr sich jemand darüber definiert, liegt bitteschön völlig im Ermessen des und der Einzelnen.)
Einfach ist das alles dennoch nicht, sondern vielschichtig und von vielen Faktoren beeinflusst, blöderweise auch vom grundmenschlichen Wahrnehmungsmechanismus, in der Umwelt Stereotypen und Muster zu suchen (zum Beispiel um schnell Prognosen und Entscheidungen treffen zu können). Dem Menschen ist ein neutraler Blick wahrscheinlich nicht möglich. Ein paar Schlaglichter.
In Deutschland muss noch viel bis zu einer Integration von Einwanderern und nicht einheimisch aussehenden Menschen geschehen. Die Sammlung von Alltagsrassismus unter dem Hashtag #schauhin (hier eine Art Zusammenfassung auf Kleinerdrei) ist eine traurige Bestätigung.
Wobei ich erst letzthin wieder zuckte, als eine Münchnerin mir erklärte, dass es “bei uns” einen bestimmten Aberglauben gebe (es ging um graue Haare), und damit ihre kosovarischen Vorfahren meinte. Denn dieses “wir” zeigt, wie scheißschwierig die Sache ist.
Eine meiner britischen Freundinnen machte mich während meines Auslandsstudienjahrs vor 20 Jahren in Wales völlig wuschig: “We conquered Scotland.” Damit waren Engländer vor 800 Jahren (!) gemeint. “We eat pancakes with sugar and lemon juice.” Das waren dann noch lebende Briten.
Noch schwieriger wurde es bei “ihr”: “We will beat you 5 to one!”, sagte sie zu mir. In diesem Fall war “wir” ein englischer Fußballverein und offensichtlich ihm geneigte Zuschauer, die nicht ein einziges Mal Ballkontakt hatten, “ihr” war die Bundesliga-Fußballmannschaft Bayern München – denen ich echt ehrlich niemals im Leben in ihren Fußballerberuf pfuschen würde.
Richtig lustig wurde es bei: “You invaded Poland.” Die jetzt lebenden Deutschen, mit denen ich die Staatsbürgerschaft teilte, konnten nicht gemeint sein – von den Poleninvasoren lebte ja praktisch keiner mehr. Gerade mich aber in die Vorfahren einzuschließen, war aber auch eine Schieflage: Die eine Hälfte meiner 1939 lebenden Vorfahren wurde als Polen damals invadiert, die andere Hälfte versuchte im vom Bürgerkrieg verwüsteten Spanien zu überleben. Es waren also Menschen gemeint, die meine nordenglische Freundin auf irgendeine Art und Weise in Bezug zum Überfall auf Polen im Jahr 1939 setzte. Ich fand es ausgesprochen anstrengend herauszufinden, wie die angesprochenen Gruppen jeweils definiert waren.
Nein, selbst bin ich auch nicht frei von Zuschreibungen (ein sehr praktischer Begriff für den Mechanismus, den er bezeichnet). Der ältere Münchner Handwerker, mit dem ich gestern wegen eines Termins im Büro telefonierte, sprach mit Akzent und hatte einen deutlich türkischen Namen. Nein, lachte er, diesen Samstag könne er nicht zur Agentur kommen: Wegen des Oktoberfests werde er da nie im Leben an das Gebäude gelangen. “Ach ja,” seufzte ich, “am Samstag beginnt ja wieder die jährliche Geißel Gottes.” Da lachte der Handwerker wieder: Nun ja, er finde die Wiesn großartig und freue sich schon drauf. Und ich registrierte meine Überraschung: Ich hatte nicht damit gerechnet, dass jemand mit türkischen Wurzeln ein Fan des Oktoberfests ist. Offensichtlich passte das nicht in mein vorgefasstes Bild.