Archiv für Dezember 2013

München kann auch lustig: “Same old song” im Milla Club

Freitag, 6. Dezember 2013

Selbstverständlich ist mir klar, dass ich die meisten lustigen Veranstaltungen in München gar nicht mitbekomme, auch nicht die, die genau das Richtige für mich wären (kleine Lesungen, Science Slams, handgemachte Musik-Blödeleien, kleine Comedy-Bühnen). In München ist auch im Kleinen mords was los. Und selbst wenn ich solche Sachen rechtzeitig mitbekomme, bin ich fast immer zu träge sie wahrzunehmen.

Es musste also schon eine Menge zusammenkommen, dass ich gestern zu “Same old song” in den Milla Club ging: Ein ganzer Abend mit verschiedenen Versionen des selben Lieds, live gespielt.

Ein Arbeitskollege des Mitbewohners hatte ihn gefragt, ob er nicht kommen wolle, weil er mit seiner Big Band auftreten würde. Der Mitbewohner wiederum fragte mich, ob wir nicht zusammen? Big Band leuchtete mir sofort ein, als ich den Song des Abends erfuhr: The Final Coutdown. (Vorherige “Same old song”-Abende hatten zum Thema Stairway to heaven, Smells like teen spirit, 99 Luftballons und Billy Jean.)

Und so stiegen wir hinunter in einen schmalen, abschüssigen und dunklen Kellerraum – an einer Schmalseite die Bar, an der gegenüberliegenden Seite unten eine kleine Bühne (aber mit Showtreppe!), holten uns Flaschen in die Hand und setzten uns auf eines der spärlich verstreuten abgenudelten Sofas.

Die Musik war großartig: Erst mal eine a-capella gesungene Version mit dem Text “Ich zähle rückwärts, zum allerletzten Mal”, aber auch die Codo-der-dritte-artige elektronische Fassung von Vater und Tochter oder der Elektrolandler. Die Big Band Dachau mit 19 Leuten überhaupt auf die Bühne zu bekommen, kostete ein wenig Anstrengung, war es aber wert.

Da der Spaß erst um halb zehn angefangen hatte, hielten wir beide nicht bis zum Ende durch. Aber bis dahin war’s sehr schön.
UND ich habe nach mindestens 15 Jahren mal wieder Spezi getrunken.

Auf dem Heimweg jubilierte der Mitbewohner über den Umstand, dass er mich mal abends ausgeführt hatte.

Beifang aus dem Internet

Mittwoch, 4. Dezember 2013

Die Piratenpartei finde ich immer noch spannend und verfolge mit Interesse ihre Entwicklung. Die heutige Informations- und Medienwelt ist eine andere als bei der Entstehung der Grünen – es ist aufregend, wie sich das auf das Formieren einer neuen Partei auswirkt. Hier eine Innensicht:
Bundesparteitag in Bremen – Lessons learned

Das Erste, was uns wirklich zurückgeworfen hat, war die Tatsache, dass wir gelesen haben, was über uns geschrieben wurde. Der journalistische Ruf nach einem Vollprogramm, der sicherlich auch aus der Neugier einer Zunft geboren war, die gern mehr wissen möchte, löste Panik aus.

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Nicht nur für Politiker, sondern auch für den Hausgebrauch:
Policy: Twenty tips for interpreting scientific claims“.

Perhaps we could teach science to politicians? It is an attractive idea, but which busy politician has sufficient time? In practice, policy-makers almost never read scientific papers or books. The research relevant to the topic of the day — for example, mitochondrial replacement, bovine tuberculosis or nuclear-waste disposal — is interpreted for them by advisers or external advocates. And there is rarely, if ever, a beautifully designed double-blind, randomized, replicated, controlled experiment with a large sample size and unambiguous conclusion that tackles the exact policy issue.

In this context, we suggest that the immediate priority is to improve policy-makers’ understanding of the imperfect nature of science. The essential skills are to be able to intelligently interrogate experts and advisers, and to understand the quality, limitations and biases of evidence. We term these interpretive scientific skills. These skills are more accessible than those required to understand the fundamental science itself, and can form part of the broad skill set of most politicians.

Die Tipps gehen von “Differences and chance cause variation” über “Bias is rife” und “Extrapolating beyond the data is risky” bis “Extreme measurements may mislead”.

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Popmusikerinnen und -musiker der 80er, wie sie heute aussehen:
New Wave artists aging gracefully. An 80′s world gone by…
Wobei zwengs meiner überhaupt niemand gracefully altern muss. Soll sich doch mal die Jugend mit Würde beschäftigen!
via @formschub

Alison Moyet war seinerzeit für mich neben Sade die schönste Frau der Welt, durchaus weil sie mir bewies, dass man gleichzeitig dick und schön sein kann. Und heute muss ich damit zurecht kommen, dass sie so aussieht (geht mich nichts an, ihre Sache).

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Christian Seiler erzählt ausführlich vom Essen in Barcelona:
Hundertwasser, Fußball, die Speisekarte und ich“.

Das „Tapaç24″ ist notorisch überfüllt. Zu den Essenszeiten bilden sich lange Schlangen auf der Straße. Da ich es hasse, hungrig in einer langen Schlange zu stehen – hat das nicht etwas ebenso Unwürdiges wie in einer der Absaugstationen auf einem internationalen Flughafen eine Zigarette zu rauchen? – , spazierte ich gleich nach meiner Stippvisite zur Casa Milà hinunter in das Tapaslokal, wo um elf Uhr vormittags gähnende Leere herrschte.

Ich hockte mich an ein Hochtischchen und arbeitete die hübsch dekorierte Karte durch. Das beste Gericht – neben den Sardinen mit Zitrone, den gedämpften Paprikaschoten, dem wirklich anständigen Iberico-Schinken, der Tortilla oder den mit Anchovis gefüllten Oliven – war die Krokette, die mit Fleischstücken vom Brathuhn gestopft worden war. Die war so gut, dass ich, obwohl ich mir das vorher kategorisch verboten hatte, eine zweite Portion bestellte.
Der Kellner, der in einem anderen Leben ein von Paparazzi verfolgter Hollywoodstar gewesen sein musste – so benahm er sich jedenfalls, wenn man ihn um etwas bitten wollte – quittierte die Bestellung mit vorgeschobener Unterlippe und indem er mich von oben bis unten musterte: Machst du das eigentlich jeden Tag, mein Freund?

Nein. Aber heute schon, denn morgen bin ich nicht mehr da.

Dabei finde ich Reiseberichte sonst auch weiterhin langweilig. Außer sie kommen in Blogs oder wie in Blogs daher.

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Hier geht es um das eingebaute Filmchen:
Science Reporter Emily Graslie Reads Her Mail — And It’s Not So Nice“.

Die Dame macht science-Filmchen und veröffentlicht sie als “Chief Curiosity Correspondent of The Field Museum in Chicago” auf ihrem YouTube-Kanal “The Brain Scoop“. Und nun raten Sie mal, welchen Unterschied es in den Kommentaren und Zuschriften macht, dass sie eine Frau ist.

Restliche Lieblingstweets des Novembers

Dienstag, 3. Dezember 2013

Ich hatte ja noch gar nicht aufgeräumt!

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Handlinien

Sonntag, 1. Dezember 2013

Als ich etwa 16 war, stieß ich beim Wühlen in den Remittenden vor der Buchhandlung Schönhuber auf ein Buch über Handlesen. Es war einfach geschrieben und mit vielen Zeichnungen illustriert. Für die Mark fuchzig, die es kostete, nahm ich es mit.

Die Systematik, mit der das Buch die Bedeutung der Handlinien erklärte, war einfach und leicht zu merken:
Die linke Hand, so hieß es darin, zeige die Anlagen des Menschen, mit denen er geboren worden sei, welches Leben für ihn vorgesehen sei. Aus der rechten hingegen sei sein momentaner Stand im Leben zu erkennen, was er aus diesen Anlagen bislang gemacht habe. (Bei Linkshänderinnen andersrum.)

Die Linien selbst wurden ganz klassisch so bezeichnet:

Hauptlinien

An Länge, Dicke, Verlauf und Verzweigtheit der Lebenslinie, so ging die Geschichte, könne man das Auf und Ab der Biografie ablesen, mit den erwartbaren Gleichungen: lang = langes Leben, dick und klar = wenige Turbulenzen, zerrissen und von Seitenlinien gekreuzt = unruhiges Leben. Stärke und Klarheit der Kopflinie sollte Aussagen über Größe und Einfluss des Intellekts zulassen, bei der Herzlinie wiederum war der Grad der Biegung wichtig: Je krummer, desto größer der Anteil von Bauchentscheidungen. Auch die Stellung von Kopf- und Herzlinie zueinander trug Bedeutung: Je paralleler, desto sturer. Ein großer Unterschied zwischen den Linien der linken und der rechten Hand wies auf ein sehr selbstbestimmtes Leben hin, das sich kaum von Dritten und äußeren Umständen beeinflussen ließ. Das Buch betonte, die Handlesekunst Chirologie sei keineswegs Hellsehertum auf die Zukunft, sondern gebe lediglich Aufschluss über Veranlagung und Charakter eines Menschen. (Alles aus dem Gedächtnis, das Buch habe ich schon lange nicht mehr.)

Mit diesem oberflächlichen Wissen machte ich mich an das Lesen von Händen. Und wurde ein Partystar: Sobald ich einer die Hand las, standen die anderen schon Schlange und wollten auch. Selbst auf Festen meiner Eltern wurde diese Leserei vorübergehend ein Programmpunkt: Meine Mutter ließ fallen, dass ich übrigens Handlesen gelernt hätte, und der Abend war gelaufen.
Ich stellte schnell fest, wie einfach die Menschen dabei zu beeindrucken waren: Ein paar anfängliche Erklärungen wie oben notiert, und dann musste ich lediglich auf die Reaktionen meines Gegenübers eingehen und mein Wissen über diese Person nutzen: “Oh, ich sehe einen ganz schwierigen Lebensanfang”, war bei einer Nachkriegsgeborenen ein ziemlich sicherer Treffer. Den von Überstunden geplagten Büroarbeiter auf die gebogene Herzlinie hinzuweisen und eine Zerrissenheit zwischen Pflichten und inneren Bedürfnissen herauszulesen, war auch nicht schwierig. Und irgendwo in der Hand fand ich dann schon noch etwas, mit dem ich ihn trösten konnte, dass das alles bald besser würde.

Gleichzeitig erschrak ich, wie begierig die Leute meine Interpretationen aufsogen und glauben wollten. Ich stand hilflos und befremdet vor dieser ungeheuren Sehnsucht, eine tiefe Wahrheit über sich zu erfahren, das wahre Selbst (die Fragebögen in Frauenzeitschriften leben davon). “Ja! Genau!”, riefen sie und sahen mich fassungslos begeistert an – auch wenn es zum Glück immer jemanden in dritter Reihe gab, der “Pah. Humbug.” schnaubte. Auf einer Party meiner Eltern wich mir ein Gast nicht mehr von der Seite, nachdem ich ihm aus der Hand gelesen hatte. Er folgte mir kuhäugig und schien überzeugt, ausgerechnet in diesem gschaftigen Teenager den einen Menschen gefunden zu haben, der ihn wirklich verstand.

Für mich war es ein Spiel, das umso besser funktionierte, je öfter ich es betrieb. Chirologie ließ sich halt, wie jedes ausgedachte System, das sich nicht an Naturgesetze halten muss, sehr flexibel und individuell einsetzen.

Zum letzten Mal griff ich darauf mit 18 zurück, als mir vor der Kathedrale in Sevilla eine gitana ihre Handlesekünste anbot. “Danke, kann ich selbst”, wandte ich mich ab – da hielt sie mir ihre Hand hin und bat mich, ich solle ihr daraus lesen. Den Gefallen tat ich ihr gerne, woraufhin eine weitere gitana mitdiskutierte, dann noch eine (ich glaube es ging in erster Linie darum, ob und wie man die Zahl der künftigen Kinder erschließen kann). Meine Reisegefährtin Veronika machte die denkwürdige Aufnahme: Kaltmamsell liest vor der Kathedrale von Sevilla einer gitana aus der Hand.

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Doch schon mit 16 betrachtete ich natürlich als erste meine eigenen Handlinien, als naheliegendes Beispiel und zum Lernen der Systematik aus dem Buch. Und war ein wenig verwirrt: Die Lebenslinien beider Hände wollten nicht recht zu den Zeichnungen passen. Ich musste sie entweder als nach zwei Dritteln endend interpretieren, oder ich hatte je zwei, von denen eine die andere ablöste. Nun gut, nach dem Muster, mit dem ich beim Handlesen andere beeindruckte, lautete die Prophezeiung, dass es im dritten Viertel meines Lebens wohl eine existenzielle Veränderung geben würde – einen Unfall vielleicht, der meine körperlichen Fertigkeiten beeinflussen würde. Oder einen großen Umzug in eine andere Gegend der Welt.

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Und nach dem Muster, mit dem meine Gegenüber ihre realen Erfahrungen in meine Aussagen einsortierten, könnte ich im Moment darauf hinweisen, dass das das ja wohl alles stimmt: Ich habe im dritten Lebensviertel mein bis dahin geführtes Leben (na ja, Berufsleben) abgebrochen, führe ein anderes Leben weiter. Nun wird lediglich spannend, ob ich mich schon in diesem neuen Leben befinde (das wäre unangenehm) oder noch in der Lücke zwischen den beiden Lebenslinien und erst zu diesem neuen Leben finde.