Wie es dazu kam, dass Am grünen Strand der Spree wieder aufgelegt wurde
Donnerstag, 12. Dezember 2013 um 8:41Da war diese Bloggerin, die stellte in ihrem Blog einen Roman vor, den sie in ihrer Leserunde besprochen hatte. Sie fand den Roman großartig, beschrieb ihn ausführlich und äußerte ihr Bedauern, dass er schon lange vergriffen war. Ein Verleger hielt das für interessant genug, dass er den Roman las. Das Buch gefiel ihm so gut, dass er sich um die Lizenz dafür bemühte und es neu auflegte – mit dem Hinweis, ohne die Besprechung im Blog wäre er nie draufgekommen.
Eine schöne Geschichte über die Verbindung von Online- und Offline-Welt. Die ich erheblich unbefangener bejubeln könnte, wenn die Bloggerin nicht ich selbst wäre. Denn das oben ist die Kurzfassung, wie es dazu kam, dass Am grünen Strand der Spree von Hans Scholz jetzt wieder zu haben ist. Gebloggt hatte ich über den Roman hier. Eine Besprechung im Spiegel aus dem Jahr 1956 finden Sie hier.
Das eigentlich Interessante ist aber zum Glück der Roman und seine Geschichte. Verleger André Thiele war so freundlich, mir Zeit für ein ausführliches Gespräch zu schenken und einer völlig Fachfremden zu erklären, warum der einstige Bestseller (erschienen 1955, 1960 als Fernseh-Fünfteiler gesendet) so lange nicht zu haben war und warum das jetzt anders ist. Ich habe sehr viel über Büchermachen und Verlage gelernt, auch über Zukunftsperspektiven der Branche. In einer zweiten Geschichte werde ich über den VAT Verlag schreiben.
Wie kam es also überhaupt dazu, dass ein Bestseller, der immer noch nachgefragt und gelesen wurde, nicht mehr auf dem Markt war?
Ich erfuhr, dass das hauptsächlich an dem Verlag lag, der die Nutzungsrechte an Am grünen Strand der Spree hält: Hoffmann und Campe. Nach Einschätzung von André Thiele würde ein solch großer Verlag unter einer Auflage von 5000 ein Buch gar nicht herausbringen – doch ob dafür die Nachfrage reicht, sei fraglich. Außerdem passe das Buch wahrscheinlich nicht ins Verlagsprogramm, sondern würde eher Verwunderung auslösen: Findet Hoffmann und Campe keine neuen Autoren mehr?
Hier kommt ein kleiner Verlag wie der Mainzer VAT ins Spiel, für den die Wiederentdeckung eines früheren Literaturerfolgs ganz wunderbar ins Programm passt. Klar überlegte und recherchierte auch André Thiele, wie viele Menschen dieser Roman ansprechen könnte, wie viele Exemplare noch antiquarisch zu haben sind, wie viele Leute sich wohl noch an die Verfilmung erinnern. Und er kam zu dem Ergebnis, dass der Roman (Autor Hans Scholz nannte ihn „So gut wie ein Roman“) auch heute ein Publikum hat.
Die nächsten Schritte zur Wiederveröffentlichung eines vergriffenen Buchs, die André Thiele schilderte, erschienen mir dann überraschend einfach: Der interessierte Verlag wendet sich an den Inhaber der Nutzungsrechte (den Thiele in der jüngsten gebunden Ausgabe fand) und fragt nach einer Lizenz. In diesem Fall war das eben Hoffmann und Campe. Dort prüft die zuständige Abteilung, ob der Verlag tatsächlich die Rechte hat und wie der zugehörige Vertrag aussieht. Dann wird die Gebühr für die Lizenz einer Neuauflage verhandelt. All das, so André Thiele, ging bei Hoffmann und Campe sehr schnell und unkompliziert.
Etwas zäher wurde die Sache, als es ans tatsächliche Nachdrucken ging. Druckplatten gibt es für ein so lange vergriffenes Buch natürlich keine mehr, also musste es gescannt werden, der Scan bereinigt und Korrektur gelesen. Das, so André Thiele, erwies sich bei Am grünen Strand der Spree als unerwartet aufwendig: Das Korrektorat musste sehr viel nacharbeiten. Zunächst hatte er die Neuveröffentlichung für Sommer geplant, doch die zusätzlichen Korrekturen verzögerten den Druck bis jetzt.
Ich wollte wissen, ob er denn sicher sei, dass sich genügend Menschen für die Nachkriegszeit interessieren, um die es geht. Doch das ist nach André Thieles Meinung gar nicht das Hauptthema: Alle interessieren sich für die Gegenwart. Und nach seiner Überzeugung liefert gerade Am grünen Strand der Spree sehr viele Parallelen zur Gegenwart: Es gehe darin um die unruhigen Zeiten nach dem Krieg, um den Ost-West-Konflikt, in dem eine Nation sich damals selbst suchte – ähnlich wie sich heute Europa finden müsse und Deutschland seinen Platz in diesem europäischen Staatenbund.
Der Roman von Hans Scholz habe ihn wegen seines Realismus gefesselt: „Er schildert Dinge, die unabhängig vom Bewusstsein der Beteiligten stattgefunden haben.“ Scholz schreibe mit einer ungeheuren Klarheit über die Ereignisse und kausalen Zusammenhänge des Kriegs, die in dieser Zeit offensichtlich von weiten Teilen der Bevölkerung wahrgenommen wurden (sonst hätte der Roman nicht so viele Leser gefunden, wäre die Fernseh-Verfilmung nicht einer der ersten Straßenfeger des jungen deutschen Fernsehens geworden) – die dann aber schnell wieder vergessen oder verdrängt wurden. Thiele spricht voll Bewunderung von Scholz’ „Offenheit, mit der er klarstellt, dass auch der kleine Soldat wusste, was los war“. Das belegt seiner Ansicht nach, dass eben nicht erst die 68er diese schuldreiche Episode der deutschen Geschichte beleuchteten, sondern dass es schon vorher eine Phase der Klarheit gegeben hatte. Doch der Verleger verweist auch auf einen eklatanten Irrtum des Romans: Heute weiß man, dass die Unterscheidung in gute Wehrmacht und böse SS nicht haltbar ist.
Parallelen zur Gegenwart sieht André Thiele in weiteren Details: Den gewaltigen gesellschaftlichen Umbruch der 50er schildert der Roman an vielen Ausschnitten des Alltags, nicht mit großen politischen Ausführungen. Auch heute sei zu beobachten, dass die tatsächlichen gesellschaftliche Veränderungen eher im Kleinen zu belegen sind. So verbreite sich die Weigerung, viele Missstände weiter hinzunehmen, doch das werde in einer kleinen Bar besprochen, nicht auf der großen Bühne – wie eben in Am grünen Strand der Spree im Jockey-Club.
Ob sich nun tatsächlich Leserinnen finden für den Roman, kann Thiele natürlich nicht mit Bestimmtheit sagen: „Verlegerei ist eine Form des Glücksspiels.“
Was er genauer damit meint, und warum ihm am liebsten ist, wenn die Bücher aus seinem Programm über die verlagseigene Website gekauft werden (*hint* *hint*) erzähle ich in einem eigenen Post.
17 Kommentare zu „Wie es dazu kam, dass Am grünen Strand der Spree wieder aufgelegt wurde“
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12. Dezember 2013 um 9:44
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Made my day
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12. Dezember 2013 um 10:21
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Gerne gelesen
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12. Dezember 2013 um 10:36
Made my day.
Und gekauft hab’ ich ihn auch gleich.
12. Dezember 2013 um 11:27
Was für eine schöne Geschichte. Und – bei aller innerer Ambivalenz – was für ein schönes Gefühl muss das sein. Ich hoffe, Sie gönnen sich das kleine bisschen höchstverdienten Stolz, werte Kaltmamsell.
Und weil es ebenso selten wie erfreulich ist: lobpreise ich hiermit auch noch ganz ausdrücklich den Verzicht auf Amazon- und Affilate-Verlinkung zugunsten des Verlags.
12. Dezember 2013 um 11:42
Zu Letzterem wird es noch Details geben, Marqueee, in meiner Geschichte über den Verlag: André Thiele war Anfang des Jahres Medienthema, weil er Amazon öffentlich gekündigt hatte.
12. Dezember 2013 um 12:04
[Als Spam markiert von Antispam Bee | Spamgrund: Server IP]
Was Marqueee sagt. Oder: wenn es ginge, würde ich unter dem Kommentar den “Gefällt mir”-Button drücken. So ist es aber hübscher.
12. Dezember 2013 um 12:57
Also ich (Baujahr 67) habe die Fernsehfassung noch gesehen. Muss irgendeine Wiederholung in den späten 70ern gewesen sein. Mir fallen natürlich nur noch diffuse Bilder dazu ein (die ich wahrscheinlich mit 08/15 und Edgar Wallace vermische – war ja alles Schwarz-Weiß). Würde ich gerne mal wieder sehen.
12. Dezember 2013 um 13:01
Freue mich auch schon das Buch, das ich hier entdeckt habe und vielen Dank für den lesenswerten und interessanten Blick hinter die Kulissen!
@Kai: Ich werfe mal “Rosen für den Staatsanwalt” in die Runde.
13. Dezember 2013 um 11:36
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Made my day
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13. Dezember 2013 um 16:19
Das Buch liegt bei mir zu Weihnachten unterm Baum, bin gespannt.
13. Dezember 2013 um 19:34
Das Buch gibt es leider noch nicht im Buchhandel zu kaufen. (Laut Auskunft von heute 17:30 Uhr) Meine Buchhandlung wird mich informieren, sobald das Buch im Handel ist und ich es meiner Enkelin auf den Gabentisch legen kann.
14. Dezember 2013 um 9:57
Super! Ich hab mir ja gleich nach deiner Besprechung ein Exemplar in einem Antiquariat (dank Internet) besorgt :-)
16. Dezember 2013 um 13:56
Huhu, wann erscheint das Buch eigentlich? Mein Buchhändler meint, es sei noch bei keinem seiner Lieferanten erhältlich und beim Verlag auch nicht (“erscheint im November” steht in seinem Computer??!)
16. Dezember 2013 um 18:24
Das Buch, Jenny B., ist am 12. Dezember erschienen, kann hier beim Verlag versandkostenfrei bestellt werden:
http://www.vat-mainz.de/buecher/belletristik/scholz-am-gruenen-strand-der-spree.php
19. Dezember 2013 um 13:12
Am 12.12. beim Verlag bestellt, heute geliefert. Es bleibt noch eingeschweißt, da als Geschenk für meine Mutter gedacht. Danke für den Tipp!
2. Januar 2014 um 15:23
Der verehrten Kaltmamsell erst einmal wiederholten Dank für den Hinweis auf das Buch, für den Besuch zum Interview in Mainz und für den obigen Artikel.
Hier mal ein professionelles Feedback zum Verhältnis alte Medien / neue Medien, denn es ergab sich per Zufall eine Art Feldversuch:
Am selben Tag erschienen der obige Artikel auf vorspeisenplatte.de und eine ausführliche Rezension des Buches “Auf Rehwildjagd mit Jesus” von Joe Bageant in der Tageszeitung junge Welt (täglich 40.000 Leser lt. Redaktion). Beide Besprechungen sind gut geschrieben und loben die Bücher.
Ergebnis aus Verlagssicht: Tageszeitung = 2 direkte Bestellungen beim Verlag, Blog = 38 direkte Bestellungen beim Verlag.
Natürlich kann man die beiden Ereignisse nicht 1:1 gleichsetzen, aber es ist schon eine beeindruckende Differenz.
Den Leserinnen und Lesern dieses Blogs, die das Buch aufgrund der Empfehlung bestellt haben, sage ich herzlichen Dank – wir haben uns sehr bemüht, allen Bestellern das Buch noch vor Weihnachten zuzusenden, ich hoffe, dass das geklappt hat.
Vielleicht teilen Sie mir Ihre Leseerfahrungen mit dem Buch mit? Das würde mich sehr freuen! Hier oder auch gern unter info@vat-mainz.de.
Ich möchte mit einem Zitat schließen, ein Passus, den wir dem Buch “Am grünen Strand der Spree” in der von uns besorgten Neuausgabe auf der Impressumseite vorangestellt haben:
“Der Verlag André Thele wurde im März 2011 auf eine Diskussion aufmerksam, die auf dem Blog http://www.vorspeisenplatte.de geführt wurde. Gegenstand war der vorliegende Roman. Die dort mitgeteilten Argumente und Erfahrungen mit dem Buch bestimmten uns, das Werk näher zu betrachten. Nach längeren Recherchen und Diskussionen beschlossen die Verlagsmitarbeiter, eine Neuauflage zu wagen. Uns freut insbesondere, dass dieses Buch ein Beispiel für den Unsinn einer Trennung von »alten« und »neuen« Medien ist. Unser Dank gilt Inés Gutiérrez, die als »die Kaltmamsell« den genannten Blog betreibt. Ohne sie gäbe es diese Neuauflage nicht.
Dem Verlag Hoffman und Campe danken wir für die unkomplizierte Überlassung der Lizenz.”
11. Januar 2014 um 22:33
Also das Buch ist ja ein echter Knaller, ich hab’s gerade ausgelesen und bin immer noch ganz gefangen von der Geschichte, den Stories, der Atmosphäre. Danke für diesen Tip!