Mein zwischenmenschlicher Austausch in Israel war begrenzt, da ich als Teil eines Heteropaars unterwegs war: Meiner Erfahrung nach ist bei dieser Form des Reisens der Kontakt am geringsten, man wird als geschlossene Formation wahrgenommen. Selbst wenn ich zu zweit mit einer Frau reiste, kam ich häufiger in Kontakt. Vorsatz für die Zukunft: Sobald ich in der Reisefremde nicht mehr zu sehr fremdle (ich bin anfangs durchaus entspannter, wenn ich nicht allein bin), mehr einzeln losziehen.
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Die halbwegs wohlerzogene Bayerin versucht, die Leute überall in ihrer Version von “Grüß Gott!” zu begrüßen. In Israel sagt sie also beim Reinkommen “Shalom!”. Allerdings musste ich feststellen, dass das einen Nachteil hat: Ich wurde in diesem buntvolkigen Land nicht sofort als Fremde und als Touristin identifiziert – und die Bedienung legte mir dann schon mal die Speisekarte in Ivrit hin.
Doch auch ohne “Shalom!” wurden wir beide meist auf Hebräisch abgesprochen, Nicht-Mehrheits-Aussehen oder auch nur Funktionsjacke und bequeme Schuhe deuten hier eben nicht auf Auswärtigkeit hin (solange man nicht fernöstlich aussieht?).
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Auberginensalat liebe ich eigentlich in jeder Form. Ausgerechnet der israelische (ob Natur, mit Tomate oder mit Tahini) schmeckte mir nicht: Er hat eine deutlich verbrannte Note. Beim ersten Mal nahm ich noch eine Panne an, aber nachdem auch der dritte und vierte mit Verbrennungsgeschmack serviert wurde, musste ich erkennen: Das gehört hier so. Bäh.
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Anfängliche Verunsicherung: Es wird wenig gelächelt – ob zur Begrüßung in einem Café oder beim Kreuzen von Blicken. Auch beim Dauerlauf die Strandpromenade entlang lächelte ich mindestens eine Hand voll entgegenkommender Frauen verschiedenen Alters vergeblich an: Sie hielten lediglich meinen Blick kurz mit unbewegter Miene fest.
Doch eben nur anfänglich, ab meinem vierten morgendlichen Dauerlauf war das anders. Die eine oder andere Läuferin lächelte mich sogar initial an, ich erkannte einige markante Läuferinnen und Läufer wieder, wurde mit Nicken gegrüßt.
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Als Deutsche in Tel Aviv:
Ich bin befangen, wenn ich mich im Ausland als Deutsche zu erkennen gebe, weil ich immer fürchte, dass das lokale Deutschen-Stereotyp auf mich projiziert wird. In England befürchte ich, für eine ungehobelte Besserwisserin gehalten zu werden, in Österreich für eine arrogante Rumbestimmerin, in Spanien musste ich mir vom Mann meiner Kusine anhören, die Spanier seien den Deutschen auf Ewig dankbar, weil ohne sie Franco den Bürgerkrieg nicht gewonnen hätte.
Am ersten Abend in Tel Aviv holte sich der Mitbewohner in einem darauf spezialisierten Lokal ein Schawarma. Der grauhaarige, gemütliche Herr an der Kasse erkannte seine Herkunft umgehend und packte lächelnd seine paar Brocken Deutsch aus.
Der wettergegerbte Leiter der Bauhausführung fragte in die Menge, wer denn woher komme. Ob auch Deutsche dabei seien? Ein paar Hände hoben sich. Kommentar des Tel Avivers: Er amüsiere sich ja immer königlich, wenn ausgerechnet Deutsche nach Israel kämen, um Bauhaus zu sehen.
Der Kellner im arabischen Restaurant erkannte uns gleich als Deutsche. Als er erzählte, dass er ein paar Monate in Köln gelebt habe, leuchteten seine Augen, es habe ihm sehr gut dort gefallen. Von da an flocht er beim Servieren, Abräumen, Abschied immer wieder deutsche Wörter ein, wir würdigten das, indem wir auf Deutsch antworteten.
Der Saftverkäufer im Familienvateralter mit Kippa machte auf Englisch Smalltalk, während sein Kollege meine Granatapfelsäfte presste: Das erste mal in Israel? Willkommen! Ah, aus Deutschland! Da sei es doch jetzt sicher bitter kalt.
Wir verglichen eine Weile Klima und Sonnenmenge; als er die Saftbecher über den Tresen reichte, nannte er den Preis auf Ivrit, dann auf Englisch und bat mich ihm beizubringen, wie die Zahl auf Deutsch heißt (dreißig). Dann ließ ich mir das Ivrit-Wort beibringen (schloschím).
Die junge, sehr liebenswürdige Boutiquenbesitzerin, die mich in ein Gespräch verwickelte, tippte gleich auf Deutschland als Herkunftsland. Sie schwärmte von den Monaten, die sie in Berlin gelebt hatte, ihrem Eindruck nach hat eine bestimmte Art Deutscher sogar einen ganz besonders guten Draht gerade mit Israelis. Sie erzählte aber auch, dass ihre Mutter ihr damals zwar nicht dreingeredet habe, aber durchaus ihr Unverständnis geäußert habe, dass es ausgerechnet Deutschland sein musste. In der Generation ihrer Eltern, meinte die junge Frau, bleibe halt immer dieses bestimmte Etwas (sie griff sich ans Herz), dieser Stachel, der nicht weggehe. Wir waren uns einig, dass das verständlich sei und wir das respektieren.
Zusammenfassung: Es ist mir unangenehmer, in England als Deutsche erkannt zu werden.
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Diese Wintersonne kannte ich noch nicht: Sie wärmte wundervoll Haut und Körper, doch die Luft blieb kühl. Ich konnte auf Sonnenmilch verzichten: Anders als die Wintersonne beim Skifahren verbrannte die nahöstliche Wintersonne meine Haut nicht.
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In dem fünfstöckigen Wohnhaus, in dem unsere Wohnung lag, wurde sehr konsequent Aufzug gefahren. Bis zum 4. Obergeschoß nehme ich eigentlich immer automatisch die Treppe (vermutlich eine gewissen Fitnessarroganz – weil ich kann), doch mein einziger Versuch in diesem Haus wurde ein Hürdenlauf: Das Treppenhaus war ein Lager für Möbel und Fahrräder (na, jetzt verweisen Sie doch nicht so reflexartig auf Brandschutz, Sie Deutsche!).
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Viele Männer jeden Alters trugen Kippa – selbst wenn es physikalisch unmöglich schien. Die Haarklammern zur Befestigung sind naheliegend, doch wie hielten gehäkelte Minidinger auf millimeterkurz geschorenen Hinterköpfen? Gibt es Kippakleber?
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Streetstyle in Tel Aviv fand ich nicht inspirierend, man hat’s achtlos leger. Ausnahmen:
1. Alte Damen von Tigerlilli über Bohème mit wilder Brille bis Königin der Perlenketten.
2. Männerschuhe – wer nicht in (neuen) Joggingschuhen herumlief, trug überwiegend geschmackvolle und gepflegte Stiefel.
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Taschenkontrollen überall, ob vor Museen, Bahnhöfen oder Einkaufszentren, manchmal inklusive Körpercheck.
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Straßenverkehr: Ich war überrascht, wie ernst Fußgängerampeln genommen wurden, und praktisch niemand kreuzte große Straßen an Stellen ohne Ampel.
Umstellung erforderte allerdings der Zweiradverkehr: Tel Aviver fahren viel Fahrrad, ob rein mechanisch oder mit Elektromotorunterstützung, dazu kommen motorisierte Tretroller, die teilweise mit Sitzen und sogar Kindersitzen aufgemotzt sind. An der Strandpromenade, auf dem Mittelstreifen von Boulevards und einigen weiteren Hauptstraßen gibt es Radwege, die allerdings keineswegs freigehalten werden von Fußgängern, Hundbesitzerinnen, Kinderwagenschiebern. Und wo es keine Radwege gibt, wird klingelnd auf den Gehwegen geradelt, egal wie schmal sie sind, in beide Richtungen. Der Mitbewohner und ich waren die einzigen Radler, die auch mal auf die Straße auswichen.