Archiv für Januar 2014

Elternschaft und Rentenansprüche – eine Idee

Dienstag, 14. Januar 2014

Nein, jetzt kommt nix Lustiges. Ich habe da wirklich eine Idee.

Denn bislang ist es doch so, dass der Elternteil, der in der Erwerbstätigkeit wegen der Kinder zum Teil oder ganz zurücksteckt, nicht nur die Autonomie über seinen Lebensunterhalt aufgibt, sondern auch die mit dem Einkommen verbundenen Rentenansprüche.
Da das ungerecht ist, wird derzeit “Erziehungszeit” in verschiedener Höhe auf die Rentenansprüche angerechnet, das gleicht die Schieflage allerdings bei weitem nicht aus.

Ich habe da einen alternativen Vorschlag: Wenn sich zwei Menschen ein Gehalt teilen, warum werden die daraus resultierenden Rentenansprüche nicht ebenso aufgeteilt?
Oder bei verschieden hohen Einkommen: Rentenansprüche der Summe berechnet, dann aufgeteilt?
Die Entscheidung, wer wie viel zugerechnet bekommt, sehe ich bei den Eltern: Die beiden sollen das untereinander ausmachen (bei Geburt des Kindes? und dann jährlich neu?) und auf einem dafür angeglichenen Lohnsteuerzettel eintragen.

Diese Rentenansprüche wären bei allen Beteiligten personalisiert, blieben also bei einer Trennung unangetastet – jede und jeder behält sie auch nach Ende der Beziehung.

Kindergeld wäre davon unangetastet.

Der einzige Haken, den ich sehe: Unterm Strich käme weniger Rente für beide heraus als bisher, wo die Erziehungszeit auf die (bei einseitiger Erwerbstätigkeit derzeit sehr ungleich verteilten) Rentenansprüche aufgeschlagen wird. Könnte man das ausgleichen, wenn Eltern von vorneherein höhere Rentenansprüche zugerechnet bekämen?

Welche Vorteile / Nachteile sehen Sie?

Man könnte dieses Modell allerdings auf jede unterschriebene Partnerschaft übertragen. Aber darum geht’s jetzt erst mal nicht.

(Demnächst hier: Meine Idee zur Zukunft der europäischen Landwirtschaft.)
(Und dann: Meine Idee zum Weltfrieden.)
(Na gut, zu Letzterem ist mir tatsächlich noch nichts einfallen.)

Letzte Fotos aus Tel Aviv

Montag, 13. Januar 2014

Nur noch ein Blogpost zum Thema Israel, baby!, dann ist aufgeräumt.

Zum Beispiel ist da noch ein ganzer Schwung Häuser.

Im Stadtteil Neve Shalom.

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Am Rothschild-Boulevard.

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In Seitenstraßen des Boulevards.

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Und wo anders.

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Ein wenig Straßenkunst.

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Und Sonnenuntergänge.

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An einem Abend ballten sich vor dem Sonnenuntergang am Ufer Hochzeitsgesellschaften mit Fotografen-Teams. Ich zählte zehn Bräute, von explodiertem Sahnebaiser bis Great-Gatsby-Robe. Ob das am Datum lag (26.12.), am Donnerstag oder ein Zufall war, brachte ich nicht heraus.

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Beifang aus dem Internet

Samstag, 11. Januar 2014

Letzthin fiel mir wieder dieser Gaststudent aus England ein, den ich in meinem vierten Semester in Augsburg kennenlernte. Der bei einem Besuch in meiner Wohnung darüber dozierte, dass das Klassensystem in seiner Heimat längst ein Ding der Vergangenheit sei – während er im Kaschmirpullover auf meinem Sofa lag, die rahmengenähten Schuhe ohne Rücksicht auf Verschmutzung auf der Sofalehne abgestützt. Auch davor und danach hörte ich diese Behauptung (Klassensystem in England? Gibt’s nicht mehr) ausschließlich von Menschen, die davon profitierten.

Dieser Gaststudent fiel mir nämlich als ein Beispiel für den Umstand ein: Wer in einer Gesellschaft schon immer zu den Privilegierten gehört, merkt das oft nicht. Und tendiert deshalb dazu, diese Privilegien zu bestreiten. Zum Beispiel, wenn er oder sie zur hellhäutigen, westlichen Mehrheit gehört. Noah Sow beschreibt das ausführlicher in ihrem Nachhilfe im Weißsein.

Als weiße Deutsche haben Sie derzeit unter anderem von Geburt an die folgenden Privilegien:
– als Individuum betrachtet zu werden.
– als vollwertiges Mitglied der Bevölkerung betrachtet zu werden.
– nicht automatisch als ‚fremd’ betrachtet zu werden.
– nicht rechtfertigen zu müssen, weshalb Sie in Ihrem eigenen Land leben oder weshalb Sie überhaupt in Ihrer Form und Farbe existieren.
– sich und Ihre Gruppe selbst benennen zu dürfen.
– alle Menschen, die nicht weiß sind, benennen, einteilen und kategorisieren zu dürfen.
– dass Ihre Anwesenheit als normal und selbstverständlich betrachtet wird.
– sich benehmen zu können, als spiele Ihre eigene ethnische Zugehörigkeit keine Rolle.
– jede andere Kultur nachäffen oder sich in Teilen aneignen zu können, ohne dafür von der Mehrheitskultur ausgegrenzt zu werden (ausgelacht vielleicht … ausgegrenzt aber nicht).
– bestimmen zu dürfen, inwiefern die Errungenschaften und Meinungen aller Menschen, die nicht weiß sind, relevant sind, selbst wenn diese Menschen viel gebildeter sind als Sie.
– ohne die Möglichkeit aufzuwachsen, dass Sie rassistisch beleidigt werden können.
– in der Gesellschaft, in der Sie sich bewegen, öffentlich anonym bleiben zu können, wenn Sie wollen.
– nie darüber nachdenken zu müssen, ob Verdächtigungen oder Kontrollen vielleicht aufgrund Ihres vermeintlich anderen Aussehens erfolgen.
– Fremden Ihre Herkunft nicht erklären zu müssen.
– grundsätzlich ungehindert und unkontrolliert in die ganze Welt reisen zu können.
– auf Rassismus nicht reagieren zu müssen.

§

Gefühlte Jahre hat Michael Krüger als Geschäftsführer des Verlags Hanser Abschied genommen. Seit 1. Januar nun ist sein Nachfolger Jo Lendle wirklich, wirklich im Amt. Im Interview mit der FAZ erscheint er als genau der Realist mit Leidenschaft, der Verlagen eine echte Zukunft ermöglicht: “Mehr Frauen, weniger Krimis, junge Stimmen” (doofe Überschrift, darum geht’s in dem Interview am wenigsten).

Verlage sollten sich nicht zu fein sein, Bloggern Rezensionsexemplare zu schicken. Das sind meinungsstarke und bisweilen durchaus wirkungsvolle Spielformen der Literaturvermittlung. Durch das E-Book denken wir anders über Bücher nach. Das sind nicht mehr einfach nur längere Texte, um die ich zwei Deckel schlage, sondern variable Gebilde betreffs Formaten, Aggregatzuständen, Erzählstrukturen. Ich kann über Abonnements nachdenken und Geschichten weitererzählen, Warum nicht dem ollen Fortsetzungsroman einen neuen Auftritt geben? Heute findet das lose im Netz statt, aber daraus können Werke entstehen.

(Und falls sie fragen, wo die “Auf einer Seite lesen”-Funktion geblieben ist: Daran wird nach dem Relaunch von faz.net noch gefrickelt, Redaktion bittet um Geduld.)

§

Reden wir über zwei Worte: abstrakt und diffus.

Das ist das vorherrschende Grundgefühl, wenn ich mich so umhöre und mir Artikel reinziehe, in denen es auch nur ansatzweise um Überwachung und NSA geht. Eine diffuse Angst, heißt es, und ein Thema, das abstrakt bleibt, weil es nicht greifbar sei. Die Menschen nehmen das zur Kenntnis – (angeblich) achselzuckend.

Reden wir also über meinen Besuch in der Moschee und darüber, dass ich mich nicht getraut habe, zu unterschreiben.

Hakan schreibt auf kleinerdrei über die Auswirkung der NSA-Überwachung für ihn selbst: “Alles sehr real”. Vielleicht sollte ich künftig mein Smartphone daheim lassen, wenn ich in dieser Gegend Einkaufen gehe (keine 500 Meter von meiner Wohnung) – die gesammelten Ortungsdaten könnten mich sonst verdächtig machen.

§

Sehr lange, sehr lesenswerte Geschichte (mit großartigen Fotos):
“Why I Bought A House In Detroit For $500”.

Drew Philp beschreibt darin das Detroit der vergangenen Jahre (inklusive Rückblicke in die Stadtgeschichte) aus der Sicht von jemandem, der fest an die Zukunft der Stadt glaubt und aktiv daran mitarbeitet – und der dabei mit vielen Menschen zu tun hat, die genauso wenig aufgeben. Die Kraft, die hinter diesem fast schon störrischen Gestaltungswillen steckt, beeindruckt mich tief.

via @spreeblick

§

Laura Himmelreich war mit ihrem Brüderle-Portrait für den Stern vor einem Jahr einer der wichtigen Auslöser der Sexismus-Debatte. In der Meta-Diskussion tauchte sie kaum auf, äußerte sich auch nicht Talk-Shows (ihr sehr gutes Recht).

Jetzt fasst sie dieses Jahr zusammen: “Wie die stern-Autorin den #aufschrei erlebte” – angenehm unaufgeregt und nüchtern, dennoch sehr persönlich.

Ihr Fazit:

Es bleibt das Wort “sexistisch”, das Staub angesetzt hatte und nun wieder einen Platz in unserer Alltagssprache besitzt. Und vielleicht bei der ein oder anderen Frau das Gefühl, mit ihren Erlebnissen nicht allein zu sein.

Ich habe meinen Text nicht aufgrund einer feministischen Agenda geschrieben. Aber die Reaktionen auf den Text haben mich zu einer überzeugteren Feministin gemacht.

Auch ich traue inzwischen meinem Eindruck, dass diese Diskussion wirklich etwas bewirkt hat. Sexistische Bemerkungen möchten (noch?) nicht deutlich abgenommen haben, doch mir fällt auf, wie häufig sie inzwischen von Disclaimern begleitet werden: “Das mag jetzt sexistisch klingen”, “Das ist nicht sexistisch gemeint, aber”, “auch wenn man heute mit sowas den Vorwurf des Sexismus riskiert”. Der Sprecher / die Autorin hat also zumindest das Problem erkannt. Ein erster Schritt, sehr gut, jetzt bitte den nächsten gehen.

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Was die Stürme in England so angerichtet haben, wurde mir erst durch die Fotos des Brightoner Instagramers lomokev klar:

In Hove ist der Kiesstrand nun ein paar Meter landeinwärts.

Hier führten vor dem Sturm Stufen nach unten.

Die Website der BBC hat einige sehr bedrückende Vorher/Nachher-Fotos.

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Und dann noch was fürs Cherz:
“Why This Young Girl Is a Masterful Storyteller in Sign Language”.

Ein süßes kleines Mädchen gebärdet “‘Twas the Night Before Christmas”, der zugehörige Artikel schlüsselt in Standbildern die Gebärdensprachenelemente auf, die das Mädchen verwendet.

via Mitbewohners Hinweis

Essen mit Einschränkung

Samstag, 11. Januar 2014

Eine der größten und begnadetsten Esserinnen vor und nach dem Herrn, Katharina Seiser, steckt gerade für einen Magazinartikel in dem dreiwöchigen Selbstversuch, konsequent vegan zu essen. Sie bloggt täglich darüber, hier beginnt Kathas Serie “Wie schmeckt vegan?“.

Ich lese höchst neugierig und gespannt mit, aber nicht in erster Linie wegen der Nahrungsmittel. Der Aspekt der letzten Absätze hier ist für mich der Bewegendste: Erst durch Kathas Hadern ist mir klar geworden, wie sie sonst isst, nämlich tatsächlich nur von den Aspekten Qualität und Verfügbarkeit eingeschränkt. Und mir wird klar, welche Ochsentour das für sie gerade ist (Gott möge sie hüten vor Allergien und sonstigen Krankheiten, die ihr Ähnliches auferlegen).

Denn: Damit ist sie die riesige Ausnahme. Auch wenn nicht jede wie ich ab dem Alter von 4 Jahren fast durchgehen auf Diäten gesetzt wurde: Geschätzten 95 % der weiblichen Bevölkerung wurde schon als Kinder irgendeine Art von Filter für ihre Essensauswahl eingeredet, meist “gesund” und “abnehmen” (= Diät). Diese 95 % kennen Essen nicht anders denn als Sortierung in “gutes” und “böses” Essen, in “sollte ich eigentlich nicht” und “darf ich”.

Das macht mich traurig, denn: Ich kämpfe mich erst in den vergangenen Jahren zu einem echten G’lüscht-orientierten Essen durch und weiß nicht, ob ich das in diesem Leben noch schaffe (zum Beispiel ein Gericht stehen zu lassen, wenn es mir eigentlich nicht schmeckt). Derzeit wechsle ich von Frischmilch 1,5 % zu Vollmilch, weil sie mir in meinem Milchkaffee wirklich besser schmeckt. (Beim Joghurt habe ich das schon vor ein paar Jahren geschafft.) Dafür muss ich mich mit der Panik auseinandersetzen, dass ich in spätestens zwei Wochen in keinen Rock mehr passen werde. Aber ja, selbstverständlich ist diese Panik völlig irrational und bescheuert; wir sprechen hier halt von Gefühlsmechanismen, die sich durch Vernunft nicht erreichen lassen.

Ob meine statistisch noch verbleibenden 40 Lebensjahre ausreichen, um mich vom Süßstoff wegzubringen, weiß ich nicht. Mit dem wurde ich großgezogen (siehe Diät ab 4, Details in einem sehr alten Blogpost), an dem halte ich mich bis heute fest im tiefen Glauben, dass ein konsequentes Ersetzen des Süßstoffs durch Zucker mir mindestens zwei Kleidergrößen mehr einbringen würde. Aber es besteht Hoffnung: Inzwischen verreise ich nicht mehr mit Süßstoff (oh ja), auf Reisen und auch sonst außer Haus süße ich meine Heißgetränke mit Zucker; die aktuelle Dose Süßstoff in meiner Küche hält schon fast zwei Jahre.

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende mit lauter Essen, das genau das ist, worauf Sie gerade Lust haben!

Israel, baby! – 9 10 – Wahrnehmungsschnipsel

Dienstag, 7. Januar 2014

Mein zwischenmenschlicher Austausch in Israel war begrenzt, da ich als Teil eines Heteropaars unterwegs war: Meiner Erfahrung nach ist bei dieser Form des Reisens der Kontakt am geringsten, man wird als geschlossene Formation wahrgenommen. Selbst wenn ich zu zweit mit einer Frau reiste, kam ich häufiger in Kontakt. Vorsatz für die Zukunft: Sobald ich in der Reisefremde nicht mehr zu sehr fremdle (ich bin anfangs durchaus entspannter, wenn ich nicht allein bin), mehr einzeln losziehen.

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Die halbwegs wohlerzogene Bayerin versucht, die Leute überall in ihrer Version von “Grüß Gott!” zu begrüßen. In Israel sagt sie also beim Reinkommen “Shalom!”. Allerdings musste ich feststellen, dass das einen Nachteil hat: Ich wurde in diesem buntvolkigen Land nicht sofort als Fremde und als Touristin identifiziert – und die Bedienung legte mir dann schon mal die Speisekarte in Ivrit hin.

Doch auch ohne “Shalom!” wurden wir beide meist auf Hebräisch abgesprochen, Nicht-Mehrheits-Aussehen oder auch nur Funktionsjacke und bequeme Schuhe deuten hier eben nicht auf Auswärtigkeit hin (solange man nicht fernöstlich aussieht?).

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Auberginensalat liebe ich eigentlich in jeder Form. Ausgerechnet der israelische (ob Natur, mit Tomate oder mit Tahini) schmeckte mir nicht: Er hat eine deutlich verbrannte Note. Beim ersten Mal nahm ich noch eine Panne an, aber nachdem auch der dritte und vierte mit Verbrennungsgeschmack serviert wurde, musste ich erkennen: Das gehört hier so. Bäh.

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Anfängliche Verunsicherung: Es wird wenig gelächelt – ob zur Begrüßung in einem Café oder beim Kreuzen von Blicken. Auch beim Dauerlauf die Strandpromenade entlang lächelte ich mindestens eine Hand voll entgegenkommender Frauen verschiedenen Alters vergeblich an: Sie hielten lediglich meinen Blick kurz mit unbewegter Miene fest.
Doch eben nur anfänglich, ab meinem vierten morgendlichen Dauerlauf war das anders. Die eine oder andere Läuferin lächelte mich sogar initial an, ich erkannte einige markante Läuferinnen und Läufer wieder, wurde mit Nicken gegrüßt.

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Als Deutsche in Tel Aviv:

Ich bin befangen, wenn ich mich im Ausland als Deutsche zu erkennen gebe, weil ich immer fürchte, dass das lokale Deutschen-Stereotyp auf mich projiziert wird. In England befürchte ich, für eine ungehobelte Besserwisserin gehalten zu werden, in Österreich für eine arrogante Rumbestimmerin, in Spanien musste ich mir vom Mann meiner Kusine anhören, die Spanier seien den Deutschen auf Ewig dankbar, weil ohne sie Franco den Bürgerkrieg nicht gewonnen hätte.

Am ersten Abend in Tel Aviv holte sich der Mitbewohner in einem darauf spezialisierten Lokal ein Schawarma. Der grauhaarige, gemütliche Herr an der Kasse erkannte seine Herkunft umgehend und packte lächelnd seine paar Brocken Deutsch aus.

Der wettergegerbte Leiter der Bauhausführung fragte in die Menge, wer denn woher komme. Ob auch Deutsche dabei seien? Ein paar Hände hoben sich. Kommentar des Tel Avivers: Er amüsiere sich ja immer königlich, wenn ausgerechnet Deutsche nach Israel kämen, um Bauhaus zu sehen.

Der Kellner im arabischen Restaurant erkannte uns gleich als Deutsche. Als er erzählte, dass er ein paar Monate in Köln gelebt habe, leuchteten seine Augen, es habe ihm sehr gut dort gefallen. Von da an flocht er beim Servieren, Abräumen, Abschied immer wieder deutsche Wörter ein, wir würdigten das, indem wir auf Deutsch antworteten.

Der Saftverkäufer im Familienvateralter mit Kippa machte auf Englisch Smalltalk, während sein Kollege meine Granatapfelsäfte presste: Das erste mal in Israel? Willkommen! Ah, aus Deutschland! Da sei es doch jetzt sicher bitter kalt.
Wir verglichen eine Weile Klima und Sonnenmenge; als er die Saftbecher über den Tresen reichte, nannte er den Preis auf Ivrit, dann auf Englisch und bat mich ihm beizubringen, wie die Zahl auf Deutsch heißt (dreißig). Dann ließ ich mir das Ivrit-Wort beibringen (schloschím).

Die junge, sehr liebenswürdige Boutiquenbesitzerin, die mich in ein Gespräch verwickelte, tippte gleich auf Deutschland als Herkunftsland. Sie schwärmte von den Monaten, die sie in Berlin gelebt hatte, ihrem Eindruck nach hat eine bestimmte Art Deutscher sogar einen ganz besonders guten Draht gerade mit Israelis. Sie erzählte aber auch, dass ihre Mutter ihr damals zwar nicht dreingeredet habe, aber durchaus ihr Unverständnis geäußert habe, dass es ausgerechnet Deutschland sein musste. In der Generation ihrer Eltern, meinte die junge Frau, bleibe halt immer dieses bestimmte Etwas (sie griff sich ans Herz), dieser Stachel, der nicht weggehe. Wir waren uns einig, dass das verständlich sei und wir das respektieren.

Zusammenfassung: Es ist mir unangenehmer, in England als Deutsche erkannt zu werden.

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Diese Wintersonne kannte ich noch nicht: Sie wärmte wundervoll Haut und Körper, doch die Luft blieb kühl. Ich konnte auf Sonnenmilch verzichten: Anders als die Wintersonne beim Skifahren verbrannte die nahöstliche Wintersonne meine Haut nicht.

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In dem fünfstöckigen Wohnhaus, in dem unsere Wohnung lag, wurde sehr konsequent Aufzug gefahren. Bis zum 4. Obergeschoß nehme ich eigentlich immer automatisch die Treppe (vermutlich eine gewissen Fitnessarroganz – weil ich kann), doch mein einziger Versuch in diesem Haus wurde ein Hürdenlauf: Das Treppenhaus war ein Lager für Möbel und Fahrräder (na, jetzt verweisen Sie doch nicht so reflexartig auf Brandschutz, Sie Deutsche!).

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Viele Männer jeden Alters trugen Kippa – selbst wenn es physikalisch unmöglich schien. Die Haarklammern zur Befestigung sind naheliegend, doch wie hielten gehäkelte Minidinger auf millimeterkurz geschorenen Hinterköpfen? Gibt es Kippakleber?

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Streetstyle in Tel Aviv fand ich nicht inspirierend, man hat’s achtlos leger. Ausnahmen:
1. Alte Damen von Tigerlilli über Bohème mit wilder Brille bis Königin der Perlenketten.
2. Männerschuhe – wer nicht in (neuen) Joggingschuhen herumlief, trug überwiegend geschmackvolle und gepflegte Stiefel.

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Taschenkontrollen überall, ob vor Museen, Bahnhöfen oder Einkaufszentren, manchmal inklusive Körpercheck.

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Straßenverkehr: Ich war überrascht, wie ernst Fußgängerampeln genommen wurden, und praktisch niemand kreuzte große Straßen an Stellen ohne Ampel.
Umstellung erforderte allerdings der Zweiradverkehr: Tel Aviver fahren viel Fahrrad, ob rein mechanisch oder mit Elektromotorunterstützung, dazu kommen motorisierte Tretroller, die teilweise mit Sitzen und sogar Kindersitzen aufgemotzt sind. An der Strandpromenade, auf dem Mittelstreifen von Boulevards und einigen weiteren Hauptstraßen gibt es Radwege, die allerdings keineswegs freigehalten werden von Fußgängern, Hundbesitzerinnen, Kinderwagenschiebern. Und wo es keine Radwege gibt, wird klingelnd auf den Gehwegen geradelt, egal wie schmal sie sind, in beide Richtungen. Der Mitbewohner und ich waren die einzigen Radler, die auch mal auf die Straße auswichen.

Israel, baby! – 9 – mehr Essen

Sonntag, 5. Januar 2014

Wir haben weiter sehr erfolgreich in Tel Aviv gegessen.

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Auf dem Gewürzmarkt in Neve Shalom holte sich der Mitbewohner Fettgebackenes auf die Hand, wunderbar frisch und knusprig, leicht süß.

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Zum ausschließlichen Hummus-Essen radelten wir nach Jaffa ins urige Abu Hassan (auf allen Listen, in allen Reiseführern empfohlen). Winziges Lokal, Neonlicht über Resopaltischen, serviert wird Hummus, Punkt.

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Ja, war gut, auch die rohe Zwiebel und das scharfe grüne Sößchen dazu – aber nichts umwerfend Besonderes.

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Nach so vielen Tagen leichter, mediterraner Gemüseküche kehrten wir zur Abwechslung in einem Restaurant ein, das osteuropäische jüdische Küche anbietet, also aschkenasische. Das Café Batya war an seinem alten Standort eine Institution (“founded in 1941 by Batya Yom Tov with recipes from her mother’s kitchen, served mainly bus drivers from the Dan Cooperative’s garage nearby“) und ist auch in seinen jetzigen Räumlichkeiten in der HaHashmonaim Street 95 gut besucht. Weil Shabbat war, wählte der Mitbewohner “Cholent komplet”, also inklusive Rinderbraten und einer Fett-Brösel-Wurscht, ich aß die Gänsekeule (mit Orange recht süß) mit Gemüsen, als Nachtisch teilten wir uns eine Nudelkugel.

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Der nächste Tipp muss ohne Bilder auskommen – ich hatte meine Kamera noch auf den Sonnenuntergang eingestellt, ahem. Odelia in der Ben Yehuda Street serviert herzhafte Hausmannskost (selbst wenn die Fotos technisch gelungen wären, hätte man auf dem Teller nicht viel unterscheiden können) für wenig Geld – aber das Hummus schmeckte mir überdurchschnittlich gut.

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Mehrfach war ich morgens am alten Tel Aviver Hafen an einem Lokal vorbeigejoggt, auf dessen Außentischen das Frühstück gleich mehrstöckig lockte: Café Nimrod. Das sah definitiv gut aus, das wollte ich mit dem Mitbewohner probieren. Das hier ist das “Village Breakfast“, das wir bekamen.

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Neben Omelett mit Kräutern und Zwiebel, unter den Salätchen auch all die klassischen Milchprodukte verarbeitet, die der Israeli gerne isst: Frischkäse, Hüttenkäse, Sauerrahm, Quark (überraschend mild), Joghurt (überraschend sauer und salzig). Auf der Empore frischer Salat, zusätzlich noch ein paar Süßteile und Granola mit Joghurt in Schnapsgläsern.

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Ganz wundervolle Mezze gab es im Haj Kahlil in Jaffa, das bereits David Lebovitz beschwärmt hatte, darunter frischer Fenchel mit schwarzem Kümmel, Avocadostücke mit Schnittlauch, Petersiliensalat, Kräutersalat.

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Wir bestellten sogar ein Hauptgericht: Mit Reis, Hack, Gewürzen und Mandeln gefüllter Lammhals. Köstlich zart, aromatisch duftend – wunderbar. Als Getränk dazu die lemonade, die ich hier sehr zu schätzen gelernt habe.

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Im ältesten Teil von Tel Aviv, im Neve Tsedek, liegt das Restaurant Suzanna. Wir saßen aufs Idyllischste unter einem Baum, die bezaubernde Bedienung erklärte uns alle Gerichte, für die wir uns interessierten, warnte auch vor Details, die vielleicht gewöhnungsbedürftig sein könnten.

Weil ja Winter ist (wir saßen in Hemdsärmeln im Freien – hach!), aßen wir erst mal Suppe. Der Mitbewohner hatte Rote-Rüben-Suppe mit Kubbe (Grießknödel mit Hackfleischfüllung), ich bestellte die silk soup “Harira” mit Kalbfleisch und Kichererbsen – wundervoll herzhaft und zitronig.

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Ebenfalls sehr gut war mein Blätterteig mit Auberginen und Käse, der Mitbewohner aß mit Begeisterung die Hackfleisch-gefüllten Trockenfrüchte mit Reis (das Orange drauf ist ein Stück Kürbis). Dazu probierte ich einen israelischen Chardonnay Recanati – passte sehr gut, wäre mir so für sich zu holzig gewesen.

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Eigentlich hatten wir nochmal im Benedict spät frühstücken wollen, diesmal im nördlichen Ableger an der Ben Yehuda. Tipp: Halb Tel Aviv hat an einem Shabbat dieselbe Idee. Also holten wir uns Cappuccino an einem Kiosk auf einem Boulevard (WIE DIE SCHICKEN JUNGEN ANWOHNER, BABY!) und sahen uns nach einem Mittagessen um. Das Barbunia in der Ben Yehuda Street 163 war ein echter Glücksgriff: Richtig gute Salätchen (den Karottensalat mit Zitrone, Chiliöl und Koriander werde ich definitiv nachbauen), und saftig gegrillter Fisch (bei mir Forelle, der Mitbewohner hatte Calamares), zuvorkommende Bedienung – Warnung: Sobald ein Salatschälchen leer ist, wird es durch ein volles ersetzt.

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Dr. Shakshuka, ebenfalls in allen Listen und Führern rauf und runter empfohlen, war der kulinarische Rausschmeißer aus Tel Aviv. Wir saßen in einem geräumigen überdachten Innenhof Jaffas und aßen, nun, Shakshuka. Sehr in Ordnung, vor allem da das Ei darin noch flüssig war – mag ich deutlich lieber als fest. Und auch wenn man es ihm nicht ansieht: Das Brot dazu war der Hammer, richtig durchgesäuert und frisch (sonst gibt es eher hefelastige, bröslige Sachen).

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Aber das ist das Bild, das ich mit nach Hause nehme: Hier hat die Erdbeerzeit bereits begonnen.

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Israel, baby! – 8 – Gordon Pool

Freitag, 3. Januar 2014

“Shalom, good morning! I would like to go for a swim!” strahlte ich vorfreudig die dunkel gelockte Frau im Kassenhäuschen an. “What do I have to do?” Die Frau lachte (hier keine Selbstverständlichkeit): “You have to pay me 65 Schekel.”

Wir Kachelzählerinnen unter den Schwimmern haben ja gerne mal ein schwieriges Verhältnis zum ernsthaften Schwimmen im völlig offenen Wasser (siehe Leanne Shapton). Für uns hat Tel Aviv ein 50 Meter Außenbecken mit Salzwasser gefüllt, den Gordon Pool. Ich hatte ihn im Vorbeijoggen entdeckt und danach gegooglet; heute war ich endlich zum Schwimmen dort (Schwimmzeug hatte ich in der Hoffnung auf sowas eingesteckt). Abenteuerlicher ist meine Abenteuerlust auf Reisen leider nicht.

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(Foto vom vergangenen Sonntag, da war der Pool noch geschlossen.)

Die Frau im Kassenhäuschen (die, wie praktisch alle Tel Aviver mit professionellem Menschenkontakt, ausgezeichnet Englisch sprach) wies mir auf meine Fragen den Weg zur Umkleide und Dusche in einem Gebäude abseits des eingezäunten Pools, für die Nutzung eines Schließfachs musste ich allerdings 10 Schekel extra zahlen. Die Damenumkleide war an diesem Freitagmorgen rege genutzt, vor allem von älteren Semestern. Da die Strandpromenade wie schon vergangenen Freitag schwarz von Läufern und Läuferinnen war, alle Volleyball- und Matkot-Plätze belegt waren, nehme ich an: Freitag ist hier Sporttag.

Der Pool selbst war zum Glück ruhig. Die Bahnen sind nach Geschwindigkeit sortiert in langsam, mittel und schnell. Auch wenn ich mich vorsichtshalber unter die mittelschnellen Schwimmer einreihen wollte, sah ich nach ein wenig Beobachtung, dass ich in diesem Umfeld wohl zu den schnellen gehörte und ließ mich dort zu Wasser. Mit dem größeren Auftrieb des Salzwassers kam ich bald zurecht (beim Kraulen eher als beim Brustschwimmen), doch das Salz machte mir klar, wie viel Wasser beim Schwimmen dann doch in Mund und Nase gerät. Bäh. BÄH.

Doch die Sonne glitzerte, ich musste meine Bahn mit nur wenigen teilen, auch meine seit gestern schmerzhaft verzogene Schulter hinderte mich nicht (ich sag Ihnen: Schlafen sollte orthopädisch verboten werden.) – es war ein Genuss. Selbst wenn es sich um die bislang teuerste Schwimmrunde meines Lebens handelte (mit Spindgebühr 75 Schekel sind halt dann doch umgerechnet 15 Euro).

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Übrigens habe ich traurige Nachrichten für die Freunde des Matkot-Museums, das Meike Winnemuth in ihrem Weltreiseblog beschrieb: Als wir heute in der Shabazi Street an der Stelle vorbeikamen, fielen mir sofort ein paar Matkot-Schläger an Schildern auf, doch das Haus selbst stand nur noch zur Hälfte – es wird wohl gerade abgerissen.