Dallas Buyers Club – nichts außer McConaughey
Sonntag, 2. März 2014 um 8:53Ich habe den Film gerne angesehen, und Matthew McConaughey (dessen Namen ich immer irgendwo rauskopieren muss) hat mich sehr beeindruckt und sah so ungewohnt aus, dass ich ihn nicht mal wie sonst nicht ausstehen konnte.
Doch je länger ich danach über den Film nachdachte, desto mehr ärgerte ich mich über das Drehbuch: Alle Figuren sind cool und lässig, haben einen kessen Spruch auf der Lippe, fast jeder Dialog läuft auf eine Pointe hinaus. Keine der Figuren hat eine ernsthafte Charakterzeichnung, die einzige Figur, die sowas wie eine Entwicklung durchmachen darf, ist die Hauptfigur Ron. Und auch da sehen wir keine Entwicklung, sondern nur Zwischenresultate. Niemand denkt über irgendwas nach, alle haben sofort Lösungen parat. Am stärksten stieß mir das in der Japan-Sequenz auf, als Ron das Interferon, wegen dem er angereist ist, nicht kaufen darf. Man sagt ihm, das dürften nur einheimische Ärzte. Schnitt: Ron sitzt einem japanisch aussehenden Mann gegenüber, der englisch spricht, wohl ein Arzt ist und das für ihn erledigt. So sehr ich Erzählökonomie schätze – hier hätte mich dann doch sehr interessiert, wie er an den kam.
Es soll ein Gesellschaftsbild der Anfänge von Aids gezeigt werden, doch wir sehen nur an Ron, welche Konsequenz ein Bekanntwerden einer HIV-Infektion hat: Seine Arbeitskollegen und Freund wollen nichts mehr mit ihm zu tun haben (was aber mehr daran liegt, dass sie ihn automatisch für schwul halten), er verliert seine Wohnung, seinen Arbeitsplatz. Von allen anderen Infizierten wird nichts dergleichen erzählt. Ebenfalls ausgespart wird, dass die Aidskranken dieser ersten Generation scharenweise aufs Elendigste starben. Es wird lediglich mehrfach gesagt, dass Todkranke nichts zu verlieren haben und deswegen bereit sind, auch hochriskante Medikation zu versuchen. Rons eigene Homophobie wird vorgeführt, doch das zusätzliche Leid, das schwule Kranke durch schwulenfeindliche Ausgrenzung erlebten, spielt keine Rolle. Wobei gerade das ein ernsthafte Beachtung des Problems lange verzögerte: “Ach, ist halt diese Schwulenseuche.” All das kritisiere ich nicht als Realitätsferne, sondern als dramaturgischen Mangel.
Dann die stereotype Verschwörungsgeschichte von den bösen Pharmakonzernen und Wissenschaftlern, die vorgeblich auf überprüfbaren Prozessen beharren, in Wirklichkeit aber verhindern wollen, dass wirklich wirksame Medikamente verwendet werden. Ist mir einfach einmal zu oft erzählt worden.
Und das alles, um Ron gut aussehen zu lassen, um eine (zugegebenermaßen spezielle) Heldengeschichte zu schaffen.
Was bleibt: McConaugheys schauspielerische Leistung. Aber die rettet den Gesamtfilm nicht.
die Kaltmamsell3 Kommentare zu „Dallas Buyers Club – nichts außer McConaughey“
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2. März 2014 um 9:57
Interessant – ich habe den Film komplett anders gesehen.
Ich habe keine der Figuren als „cool und lässig“ gesehen, sondern im Gegenteil, gerade Rons Clique, als zu sehr von sich selbst überzeugt und deswegen mit dieser Pseudo-Coolness ausgestattet, die sich aus dem angeblichen Wissen um das eigene Bessersein speist. Diese Coolness, die keine ist, bröckelt bei Ron, als er sich plötzlich durch die Krankheit einem Gegner gegenüber sieht, dem er mit dieser Masche nicht mehr beikommen kann. Er verlegt sich auf andere schlitzohrige Mittel, die sich aber jetzt aus purem Überlebensinstinkt speisen und nicht mehr aus der Annahme, man sei so großartig und unbesiegbar. Die konsequente, kurz angebundene, fordernde Art, wie er mit seinen Kunden im Buyers Club umgeht oder den ÄrztInnen, unterscheidet sich in meinen Augen sehr von der affigen Lässigkeit, mit der er vorher durchs Leben kam.
Ich habe ihn aber vorher schon als Schlitzohr wahrgenommen, als jemand, der alles zu seinem Vorteil hinbiegen will und kann. Das kommt ihm zugute, als er Medikamente kaufen will – gerade die Szene, die du als erzählökonomisch beschrieben hast, fand ich großartig: Ich muss nicht wissen, wie er das gemacht hat, mir reicht, dass er es mal wieder hingekriegt hat. Da ist der alte Ron, der sich nicht seiner Krankheit ergibt, sondern ihr den Mittelfinger zeigt.
Deswegen habe ich auch keine größere Entwicklung vermisst, ganz im Gegenteil, gerade das offensichtliche Fehlen derselben fand ich so gut an dem Film. Ich mochte es sehr, dass er eben nicht die übliche Hollywoodkurve kriegt, wo alles gut wird, seine Freunde ihn plötzlich mögen, er noch eine große tränenreiche Abschiedsszene am Krankenbett von You-know-who mitmachen darf und zum Schluss unter Geigenbegleitung eine Regenbogenfahne schwingt. Nein, Ron bleibt das blöde, überhebliche Arschloch und wird keine knuffige Filmfigur.
Ich musste auch nichts über die vielen anderen Kranken wissen, es hat mir gereicht, dass sie in einer Schlange um das Motel rumstanden, in dem der Buyers Club sein Hauptquartier hat. Es gibt anscheinend genügend von ihnen, die in einer absoluten Extremsituation sind. Welche das genau ist, dafür würde ich mir eine Doku angucken, aber keinen Spielfilm, der sich lieber auf eine Person konzentriert (zwei, wenn man Letos Nebenrolle mitzählt). Auch die von dir erwartete zusätzliche Ebene, die zeigt, wie sehr gerade Schwule unter der Epidemie litten, war für mich deutlich zu sehen: Rons Freunde wenden sich von ihm ab, weil sie, die mit ihm Bettgenossinnen geteilt haben (!), plötzlich glauben, er sei schwul. Dieser Irrsinn war für mich deutlich genug.
Ich hatte während des Films mehrere Momente, wo mein Hollywoodhirn mit einer bestimmten Wendung gerechnet hatte – und genau die kam nicht. Deswegen fand ich den Film ziemlich großartig.
2. März 2014 um 12:51
Ein wunderbares Beispiel, Anke, wie man dieselben Sachen auf der Leinwand sehen kann und doch komplett verschieden einordnen. Die weitaus meisten Rezensionen stimmen ja deiner Sicht zu.
2. März 2014 um 22:58
Du schreibst “Es soll ein Gesellschaftsbild der Anfänge von Aids gezeigt werden.” – Aber warum denn? Wer sagt das? Es ist eine Geschichte aus einer Perspektive – offensichtlich aus der, die du, wenn du den Film gedreht hättest, nicht eingenommen hättest.
Ich bin ohne Erwartungen in den Film gegangen und hätte die Befürchtung, dass es in alter Philadephila-Manier um das Elend von HIV ging. Dass es nicht so war, hat mich überrascht. Eine wahre Kunst, das Thema ohne Pathos anzugehen.
Dennoch natürlich interessant, dass der Film bei jedem anders ankommt. Gruß, Anna