Berlin im Frühling 2014 – 1
Sonntag, 4. Mai 2014 um 9:12Der Schreibimpuls, der dieses Blog seit fast elf Jahren füllt, macht sich immer noch rar. Doch ich möchte meinem zukünftigen Selbst etwas Gutes tun: Noch freue ich mich zuverlässig daran, meine eigenen Berichte nachzuschlagen und meine Erinnerung an Erlebnisse durch sie aufzufrischen.
Es war nicht einfach gewesen, am Tag vor dem Abflug nach Berlin online einzuschecken: Die Website von Air Berlin fand erst nicht mal meinen Flug (ich hatte ein O in der Buchungsnummer als 0 gelesen, Klassiker), dann hing bis zum Nachmittag die Sitzauswahl. Dass meine letztendliche Wahl eines Fensterplatzes doch nicht geklappt hatte, stellte ich allerdings erst fest, als ich das Flugzeug betrat.
Am Reisetag schreckten mich morgens die Nachrichten mit “Schnee in Berlin” – ich hatte überwiegend Frühlingskleidung eingepackt. Doch die Berliner Twitteria beruhigte mich mit Berichten von blauem Himmel mit Sonne, das mit den Temperaturen würde man bis zur re:publica schon noch hinkriegen.
So war es dann auch bei meiner Ankunft in Tegel: Sonniges Berlin in kaltem Wind. Die Airbnb-Unterkunft in Kreuzberg fand ich problemlos und schnell, amüsierte mich aber wieder über meine Orientierungsverwirrung nach U-Bahn-Fahrt: Eigentlich kenne ich die Gegend aus den vergangenen Jahren recht gut, doch ohne die Kalibrierung einer oberirdischen Fahrt funktioniert mein innerer Kompass nicht. Ich musste mehrfach lange auf den Stadtplan schauen, um ihn einzunorden. (Oder hätte ich, wie beim iphone, einfach eine Weile in kleinen Achten laufen sollen?)
Eine nette kleine Wohnung im 4. Stock eines Kreuzberger Hinterhofs. Mit etwas Anstrengung kann ich mir einbilden, dass so meine Altersgenossinnen unterkamen, die Ende der 80er der Provinzenge nach Berlin entflohen (und die in meiner inneren Geschichtsschreibung ALLE in Kreuzberg wohnten). Vielleicht minus Zentralheizung.
Eine Stunde Aufruhr ergab sich allerdings, nachdem sich meine Vermieterin verabschiedet hatte und ich auspacken wollte: Der Koffer ließ sich nicht öffnen. Das Samsonite-Stück, das ich vor vier Jahren erwarb, ist mit einem Zahlenschloss versperrt, dessen drei Ziffern ich zweifelsfrei kenne. Sonst teste ich eigentlich nach dem Griff vom Gepäckband des Flughafens immer anhand dieses Schlosses, ob ich auch wirklich meinen Koffer erwischt habe, doch seit dem Israel-Urlaub trägt der Koffer ein paar unverwechselbare Aufkleberreste. Und nun ging er nicht auf. Der Zweiwegereißverschluss ließ sich gerade den halben Zentimeter öffnen, der mir einen Blick auf einen meiner Röcke ermöglichte. Es war also wirklich, wirklich mein Koffer. Der nicht aufging.
Per Telefon ließ ich mir vom Mitbewohner die Servicenummer von der Samsonite-Website durchgeben (Anruf ergab: Ist für Händler gedacht, nicht für Kunden), dann einige Händler in Kreuzberg. Mir war nämlich eingefallen, dass die Verkäuferin mir seinerzeit versichert hatte: Wenn irgendwas mit dem Koffer sei, würde mir jeder Samsonite-Händler auf der Welt weiterhelfen. Die dritte Telefonnummer gab es tatsächlich, und ja, der Herr am Telefon würde den Koffer öffnen können. Nur dass sein Laden in 25 Minuten schließen würde. Ich wuchtete den Koffer also aus dem vierten Stock wieder hinunter und schaffte ihn per Schweinsgalopp, U-Bahn (was war ich um meine Tageskarte froh), Schweinsgalopp zum Kofferladen beim Kleistpark. Die zwei Minuten bis Ladenschluss genügten für die Feststellung, dass die Nummer des Schlosses um eine Stelle in der Mitte verändert worden war. Koffer offen, Nummer korrigiert, allgemeine Verwunderung, wie das wohl passiert war – zum Verstellen der Nummer ist Werkzeug nötig.
Nach Rückweg und Hochwuchten des Koffers zurück in den 4. Stock war ich ordentlich durchgeschwitzt. Auspacken, Rechner online bringen, einkaufen, brotzeiten, den Weg zur Abendverabredung recherchieren, Verabredungen für die nächsten Tage konkretisieren – dann war ich endlich an einem Punkt, an dem mir ein wenig Entspannung möglich war.
Am Abend ließ ich mich von der Tram zu einem Lokal fahren, das meine Verabredung als Ort ausgezeichneter Dumplings angekündigt hatte. Und so traf ich einen ehemaligen Arbeitskollegen, von dem ich viel über Typographie gelernt habe, über tatsächlich ungewöhnlich guten gedämpften Teigtaschen im Lecker Song. Ich genoss die feine Würzung der farbigen Täschchen (Farbe von Kakao, Spinatsaft, roter Bete) – laut Köchin nach Familienrezepten – und dass mein Tischherr, der demselben Provinznest entflohen ist wie ich, seinen Weg auf beeindruckende Weise weitergeht.
die Kaltmamsell5 Kommentare zu „Berlin im Frühling 2014 – 1“
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4. Mai 2014 um 10:05
Liebe Frau Kaltmamsell,
und falls Ihnen vor oder nach dem VieleMenschenTreffen der Sinn nach entspannendem Schwimmen unter freiem Himmel stehen sollte, mein Lieblingssommerbad, das Kreuzberger Prinzenbad, http://www.berlinerbaeder.de/index.php?id=118 hat pünktlich zur re:publica die Saison eröffnet und mind. eins der zwei 50-Meter-Becken wird beheizt.
Herzliche Grüße
la nageuse
4. Mai 2014 um 11:28
Genau wegen Ihres Tipps, la nageuse, habe ich Schwimmzeug dabei. Heute Morgen war es mir dann aber spontan doch zu frisch, ich habe lieber gebloggt. Ich hoffe, ich schaffe es an einem Morgen.
4. Mai 2014 um 11:50
Liebe Frau Kaltmamsell, ich freue mich sehr, dass Sie wieder Ihre eigene Sprache gefunden haben. Ein schöner post zum Sonntag erfreute mich ungemein. Danke
5. Mai 2014 um 6:15
Ich hoffe, es ist ein gutes Zeichen, dass die Schreiblust gehemmt ist. Und wünsche Ihnen viel Leben und Input in Berlin. Ich mags ja nach neun Jahren immer noch nicht..
5. Mai 2014 um 11:39
Wurde der Koffer vielleicht irgendwo im Hintergrund geöffnet und durchsucht (nicht “durchwühlt”, das wäre wohl aufgefallen)?