Der zweite Eintrag zum Freitag. Es war der Tag, an dem ich aufs Oktoberfest musste.
Eigentlich war es zu dieser Reservierung auf Bitte eines ausländischen Kunden gekommen. Ich hatte alles darangesetzt sie zu ermöglichen (inklusive angstwacher Nächte, denn wir wissen doch alle, dass Oktifestreservierungen ohne Kundennummer praktisch unmöglich sind). Doch auf meine erleichterte Erfolgsmeldung hin wurde mir beschieden, dass der Kunde die zugehörige Veranstaltung in München abgeblasen hatte, die Reservierung also gar nicht brauchte. Kurzerhand, und wenn man schonmal Tische hatte, übernahm sie die Agentur, für die ich arbeite.
Zumindest weiß ich jetzt, wie das mit der Reservierung von Tischen für das Oktoberfest geht und kann das hier festhalten (und mich so ein wenig für die hilfreichen Erklärtexte von Novemberregen revanchieren).
Erst mal bewirbt man sich so früh wie möglich bei den Festzelten um eine Reservierung, und zwar schriftlich, je nach Festzelt per Fax (meist) oder per E-Mail (seltener) – die gewünschte Medienart steht auf den verlinkten Websites der Bierzelte. Wichtige Details erläutert Christian Schottenhammel: “Auf die Bestellung gehören die Anzahl der Gäste und der gewünschte Termin.”
Ohne Kundennummer hat man die größten Aussichten auf Erfolg mit einem Wunschtermin mittags von Montag bis Donnerstag. Denn Wochenenden, Feiertage (dieses Jahr auch Freitag, 3. Oktober) und Abende geben die meisten Festzelte von vorneherein als ausgebucht an.
Da der Kunde eine größere Veranstaltung um den Oktoberfesttermin herum organisieren wollte, musste es ein Freitag sein, blieb in Ermangelung des 3. Oktober nur Freitag, der 26. Oktober. Um die Erfolgsaussichten zu erhöhen, schrieb ich alle Festzelte an, zumal ich Ende Februar verhältnismäßig spät dran war mit meinem Anliegen.
Ob die Reservierung erfolgreich ist, erfährt man erst Mitte April, nämlich wenn der Stadtrat festgelegt hat, wie viel Prozent der Plätze überhaupt reserviert werden dürfen (den Titel “Wiesn-Chef” führt der Wirtschaftsreferent der Stadt). Das wird jedes Jahr neu verhandelt und beschlossen. Ziel der Quote ist ein Mittelweg zwischen dem Interesse der Oktoberfestwirtinnen, durch Reservierungen möglichst gut planen zu können, und dem Wunsch des gemeinen Volks aus München und der ganzen Welt, auch spontan in ein Bierzelt zu gehen und einen Platz zu finden.
Absagen auf meine Reservierungsanfragen bekam ich von umgehend bis in den Mai hinein, immer mehr Zelte musste ich streichen. Eine partielle Zusage für die Hälfte der beantragten Plätze traute ich mich nicht anzunehmen, schießlich plante der Kunde ja eine größere Veranstaltung. Umso tiefer war meine Erleichterung, als ich endlich eine Zusage mitsamt Kundennummer bekam, und dann auch noch von der renommierten Ochsenbraterei: Freitag, 26. September, 12 bis 16 Uhr.
Damit ist allerdings lediglich die erste, wenn auch größte Hürde für einen reservierten Besuch auf dem Oktoberfest genommen. Um die Reservierung zu fixieren, muss man sich zu einem Mindestverzehr pro Kopf verpflichten. Er besteht meist in zwei Maß Bier und einer Mahlzeit, unterscheidet sich aber von Zelt zu Zelt. Und zwar verpflichtet man sich schriftlich dazu, noch bevor die Preise festgelegt sind, das werden sie nämlich erst im Juni.
Erst wenn man das Geld für diesen Mindestverzehr (oder mehr) überwiesen hat, ist die Reservierung wirklich bindend. Man erhält im Gegenzug Gutscheine für Getränke und Speisen, mit denen man im Zelt bezahlt.
Dann muss man nur noch pünktlich am reservierten Tisch erscheinen, sonst erlischt die Reservierung im letzten Moment. Die Reservierungen des Tages hängen am Haupteingang der Zelte aus (Name, auf den reserviert ist, sowie Reihen- und Tischnummer), so können sich alle Gäste zurechtfinden.
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Nicht erst als klar war, dass die Agentur diese Oktoberfestreservierung übernehmen und eigene Kunden einladen würde, hatte ich meine große Abneigung gegenüber der Veranstaltung klargemacht. Ich betonte mehrfach, wie sehr ich da nicht hin wollte, doch man bestand darauf – obwohl ich in dieser Agentur in keiner Weise Bezugsperson für die Gäste bin. Klar hätte ich mich krank lügen können, aber solche blanken Lügen, vor allem im Arbeitsleben, hebe ich mir dann doch für lebenswichtige Umstände auf.
Fast ebenso unnachgiebig verlangte man von mir, den Termin in Oktoberfestverkleidung anzutreten, knickte aber zumindest in diesem Punkt ein, als ich die Kosten dafür von der Agentur erstattet haben wollte.
Mir war übel und ich fror, als ich mich am Freitag kurz vor zwölf in den Menschenstrom von der Hackerbrücke zum Oktoberfest einreihte. Zu meiner Überraschung war der Weg gesäumt von lebenden Statuen – oder wie heißen diese Menschen in Verkleidung und Bemalung, teilweise sehr aufwändig, die auf Podesten stehen und dafür Geld möchten?
Die Betreuung in der Ochsenbraterei war sehr freundlich und professionell. Kaum saßen wir am reservierten Tisch, kam eine Bedienungsvorarbeiterin, begrüßte uns und erklärte das Prozedere. Sie schlug vor, die Gutscheine gleich mal einzusammeln (ich gab ihr zwei Drittel) und deren Wert abschließend mit der Zeche zu verrechnen (es ist also keineswegs so, dass mit der Bestellung eines halben Liters Wasser gleich die 9,90 Euro für eine Maß weg sind). Zusätzliches konnte man bar und mit EC-Karte begleichen.
Die Kapelle war, wie alle Oktoberfestkapellen, musikalisch hervorragend. Kurz nachdem ich meine Radlermaß bekommen hatte, spielte sie den Gefangenenchor aus Nabucco, ich amüsierte mich, und dass gefühlt das gesamte Bierzelt gerührt schunkelnd mitsang (auf “Lalala”, nicht etwa mit Operntext), ist für mich bis auf Weiteres das bezeichnendste Bild für die Veranstaltung.
Ein Geschäftspartner der Firma saß mir gegenüber und machte freundlich Konversation, ich rettete mich von Viertelstunde zu Viertelstunde. Eine liebe Kollegin kam eigens an meine Tischseite, um mich für meine Haltung zu loben, ich war mir noch peinlicher also ohnehin schon.
Nach anderthalb Stunden, als die Gruppe auch Essen bestellt hatte, sah ich meine arbeitsvertragliche Pflicht für erfüllt an, schob einem Kollegen den Umschlag mit den restlichen Gutscheinen rüber und ging zurück ins Büro. Selten habe ich mit größerem Enthusiasmus einen Berg Arbeit weggeschafft. (Und wenigstens eine Hand voll Nüsse gegessen, bislang hatte ich nichts heruntergebracht.)
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Als ich abends heimkam, war ich völlig durch den Wind: Nachmittags war auch noch ein unerwartetes, dringendes Projekt aufgetaucht. Um irgendwie runterzukommen, verfiel ich erst mal in wahlloses Räumen in der neuen Küche (der Mitbewohner hatte bereits den ganzen Nachmittag hindurch geputzt und geräumt).
Eine bessere Idee war der anschließende Ausflug in eine garantiert Oktoberfest-freie Bar: Auroom.
Champagnercocktail Orange Blossom:
Thymian-Gimlet:
Dazu gab es Bar-Food, ein wenig war mein Appetit zurückgekehrt: mit Mandeln gefüllt Oliven, gebratene Speckdatteln, Saté-Spieße.