Journal Samstag, 20. September 2014 – Hoffest im Kartoffelkombinat
Sonntag, 21. September 2014 um 11:05Ungewöhnlich lang geschlafen, nach halb neun sah der Mitbewohner besorgt nach mir (Nichtaufstehen ist gerne mal ein Hinweis auf Migräne). Doch vermutlich fand mein Organismus ohne Morgentermin und ohne Aussicht auf Kaffee schlicht keinen Anlass zu endgültigem Wachwerden. Angenehmerweise ließ sich der Mitbewohner zum Holen von Togo-Kaffee in einer benachbarten Bäckerei manipulieren.
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Kurzer Einkauf in der bereits zu 95% verdirndelten Innenstadt. In der Drogerie Hela sah ich mich beim Anblick der Verkäuferinnen gezwungen, mit “Hollereidulljö” zu grüßen statt mit Grüß Gott. Um nicht zum naheliegenden Helau zu greifen.
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Auf Twitter berichtete ich, dass meine Mutter sich zum 70. Geburtstag ein Fest mit Landhauskleidung wünscht. Und klagte, dass ich nur noch knapp 3 Wochen habe, genug Liebe für eine unzynische Kleidungsidee zusammenzukratzen – schließlich ist es ihr Geburtstag, und ich möchte gerne endlich die Pubertät überwunden haben, in der ich meine Idiosynkrasien selbst bei solchen Anlässen über schlichte Freundlichkeit stelle. Und im Freundeskreis meiner Eltern (Mischung aus gebürtigen Oberbayern und Oberbayerinnen mit vielen zugezogenen aus Franken, Osnabrück, Berlin, Madrid) gilt halt als schönster Festtagsschmuck, was noch vor 30 Jahren Rindern beim Almabtrieb vorbehalten war.
In diesem Fall zeigte sich, wozu all die #609060-Fotos der vergangenen Jahre gut waren: Hilfreiche Twitterinnen empfahlen gezielt Kleidungsstücke aus dieser Bilderreihe, mit denen in Kombination mit Trachtenhalstüchern und Brezelschmuck Landhaustaugliches wird. Problem gelöst! (Ich liebe das Internet.)
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Wir vom Kartoffelkombinat feierten am Nachmittag und Abend ein Hoffest in der hauptbeliefernden Gärtnerei. Da es vormittags heftig geregnet hatte, entschied ich mich gegen Radeln ab S-Bahnhof und freute mich über den Shuttleservice, den die Organisatoren bereitstellten.
Schon am S-Bahnhof Karlsfeld erkannten wir Genossenschaftler einander an Kuchen und Schüsseln im Arm (ich in Ermangelung einer Küche leider ohne) oder Gummistiefeln an den Füßen.
Es war eine wundervolle Atmosphäre zwischen und in den Spätsommersonne-beleuchteten Gewächshäusern. Genossenschaftsgründer und Vorstandsmitglied Daniel zeigte uns die Gärtnerei, führte ins Thema Hybrid-/samenfeste Pflanzen ein, mit dem gerade experimentiert wird (und wieder lernte ich: Es ist kompliziert), erzählte vom derzeitigen Stand der Genossenschaft (500 Haushalte, gerade beginnen 40 weitere die Testphase), erläuterte anhand von Details wie Gewächshausbeheizung (nein) neueste Entwicklungen in der globalen Landwirtschaft sowie Struktur und Hintergründe des Kartoffelkombinats. Ich fühlte mich bestätigt, dass ich hier richtig bin: Schmunzelnd berichtete Daniel von den entsetzten Reaktionen befreundeter Unternehmer und Start-up-Gründer, wenn er in solchen Kreisen von der gründlichen Missachtung betriebswirtschaftlicher Glaubenssätze berichtet. Nein, es wird nicht so viel Gewinn herausgeholt wie möglich. Nein, es werden nicht so niedrige Preise und Gehälter gezahlt wie möglich. Aber auch: Nein, das hier ist keine Dienstleistung wie die Ökokiste, sondern ein Gemeinschaftsprojekt aller Mitglieder.
Das war, so erfuhr ist, das erste Hoffest, das ganz von den Genossen und Genossinnen organisiert wurde – für die Gründer und Manager ein Zeichen, dass sich die Unternehmung in die richtige Richtung entwickelt, dass sich immer mehr Mitglieder aktiv beteiligen.
Es gab Tomatensorten zu probieren (meine Lieblinge waren die kleine Favorita und die gelbe Ochsenherz):
Eine herzliche Begrüßung:
Interessantes während der Gärtnereiführung: Das hier ist abgeerntete Minze, die sich bis zum nächsten Jahr selbst überlassen wird. Sollten die hübschen Käfer überhand nehmen, leiht sich die Gärtnerei einige Hühner vom Nachbarn aus, die dann eine Woche in diesem Gewächshaus leben und die Käfer wegfressen.
Gewächshaus, unbeheizt (rechts wachsender Pak Choi, ganz links Tomaten in Endphase):
Sieht belanglos aus, ist aber das angrenzende Stück Land, das wir sehr gerne pachten würden, um viel mehr im Freiland anzubauen als bisher (vor allem Lagergemüse für den Winter, also Wurzeln). Doch der Bauer, dem der Grund gehört, mag einfach nicht recht. Der verhandelnde Daniel meinte, dass er auch hier viel lerne, was in keinem Buch über Betriebswirtschaft steht.
Wenn ich schon Gummistiefel anhatte, wollte ich sie auch ausnutzen (ich musste allerdings suchen, bis ich eine wirklich befriedigende Pfütze fand):
Köstlichkeiten vom Buffet, der Salat frisch geerntet:
Nicht abgebildet unter anderem:
– Kinder, die mit frisch geernteten Karotten am Grün herumliefen, immer wieder daran knabbernd.
– Ein riesiger Wasserkessel, in dem vor Ort gemachte Gnocchi gekocht wurden, serviert mit vor wenigen Wochen gemeinschaftlich eingekochtem Tomatensugo.
– Die beiden Bienenvölker, an denen eine Gruppe Genossenschaftlerinnen seit Anfang dieses Jahres das Imkern lernt, das vielleicht irgendwann in Jahren zur Versorgung der Genossenschaft mit Honig führt.
7 Kommentare zu „Journal Samstag, 20. September 2014 – Hoffest im Kartoffelkombinat“
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21. September 2014 um 11:54
Interessant, Hühner fressen Käfer. Wieder was gelernt.
Das Kartoffelkombinat gefällt mir immer wieder. Nur den Namen finde ich verwirrend. Nicht wegen dem Kombinat, sondern wegen der Kartoffel. Dann denkt der Laie vielleicht, dass es da nur zehn Sorten Kartoffeln gibt.
Kaffee-Notsituationen empfinde ich als so schlimm, dass ich dann vorübergehend mit Instantespresso und heißem Wasser (aus dem Bad oder Wasserkocher) improvisiere. Zu meiner Überraschung gibt es inzwischen ein paar wenige Espresso-Instantpulver, die sogar sehr ähnlich wie Kaffee schmecken. Das sind so schmale Tütchen von italienischen Herstellern und sogar von der deutschen Marke, für die immer Karin Sommer geworben hat (deren Filter-Kaffeepulver ich nie kaufen würde), gibt es Instant-Espresso in Tütchen, der mit den italienischen zu meiner größten Überraschung mithalten kann. Das normale Kaffeepulver schmeckt aber weiterhin von allen Herstellern im Ergebnis wie Abspülwasser. Ist natürlich auch nur für vorübergehende Notfälle gedacht. Wenn man zum Beispiel am Abend in einer Ferienwohnung ankommt und kein Laden mehr aufhat.
P.S. das Notfall-Espressopulver gibt es natürlich auch umweltfreundlicher im Glas, aber wenn ich so eine Notration für unterwegs brauche, sind die Portionstütchen bedeutend leichter im Reisegepäck.
21. September 2014 um 13:10
Das Ergebnis der hilfreichen Twitter-Aktion, Sie landhaustauglich auszustatten, wollen Sie uns doch hoffentlich nicht vorenthalten, oder?
Beim Kölner Treff mit Bettina Böttinger hörte ich vom Schauspieler Dietmar Bär, dass seine Frau sich für den ersten Besuch des Oktoberfestes ein Dirndl schneidern ließ aus afrikanischen Stoffen. Das ist doch mal eine schöne Verbindung von länderübergreifender traditioneller Bekleidung und dem dress code ist auch Genüge getan.
Darf ich sagen, dass ich mich für Ihre Mutter freue, dass Sie sich ihr zu Ehren auf humorvolle Weise überwinden können?
21. September 2014 um 13:59
Die Firma mit den afrikanischen Dirndln, Trulla, heißt Noh Nee. Dirndloide Mode ist hierzulande selbstverständlich schon länger ein eigener Wirtschaftszweig im Wettkampf um Originalität. Und hat ja keiner gesagt, dass das Landhaus nicht auch in Schwarzafrika stehen kann.
Das ist eine sehr wertvolle Information, Gaga, ich werde mich gleich morgen nach diesen Instanttütchen umsehen. Ich finde den Namen Kartoffelkombinat charmant, zumal Kartoffeln in unserer Kultur geradezu das Kerngemüse sind. Mal sehen, ob ich mir nicht doch noch irgendwann die “Kulturbrigade Schantal Konopaschke” von Antville vor zehn Jahren ausleihe und ins Kartoffelkombinat einbringe.
21. September 2014 um 14:21
(getestet und für am besten befunden, gibt es in Berlin oft in normalen Supermärkten, in München sowieso nehme ich an.)
21. September 2014 um 14:25
Was Frau Nielsen sagt.
Der Jacobs ist tatsächlich trinkbar und jeder Supermarkt führt ihn.
Ich war auf Verwandtenbesuch und da gab es die übliche Hochglanzespressomaschine die, wie schon häufiger erlebt, nur nach Blech schmeckende Plörre erzeugt. Dagegen sind die Tütchen eine Wonne.
Als unsere Küche umgebaut wurde, habe ich die Bialetti auf den kleinen, mit Patronen betriebenen asiatischen Gaskocher gestellt, was prima ging.
Übrigens ein auch ansonsten unentbehrliches Teil in meiner Küche. Ich sage nur: Bulgogi!
21. September 2014 um 15:33
eine sehenswerte Sendung zum Thema Hybrid-/samenfeste Pflanzen :
http://www.ardmediathek.de/tv/betrifft-/Wo-sind-die-guten-alten-Sorten/SWR-Fernsehen/Video?documentId=23409886&bcastId=1100786
21. September 2014 um 19:44
So ein Kartoffelkombinat hätte ich hier auch gerne, die brasilianischen Kartoffeln sind einfach nicht passend für niederbayrische Mehlspeisen… seufz!
Die grünen Käfer sind interessant, hatte ich bei meinem letzten Besuch auch schon entdeckt, vorher nie gesehen – was sind das für welche?
Zum Thema Dirndl – ich überlege gerade, ob ich am Wochenende zur Strandhochzeit eines Oberbayern nun im Dirndl erscheinen muss…