Journal Mittwoch, 26. November 2014 – Backsteinhäuser

Donnerstag, 27. November 2014 um 9:37

Morgens ganz in Gedanken versunken auf dem Crosstrainer gestrampelt, das Stündchen verflog geradezu.

Büroarbeit.

Abends Verabredung zum Vortrag “Über Baukunst und Gesinnung. Eine Einführung in Werk und Lehrmeinung von Martin Elsaesser”. Leider stellte sich der Titel als Mogelpackung heraus: Wir hörten eine nahezu gar nicht kommentierte oder eingeordnete Aufzählung von Daten, um Gesinnnung ging es nicht. Interessant fand ich die illustrierenden Bilder von Häusern und Entwürfen. Besonders gefielen mir die Backsteinhäuser mit Sprossenfenstern, die mich an diesen Komplex in Brighton erinnerten.

Den Abend im Café Puck fortgesetzt, dabei schloss ich eine neue, sehr erfreuliche Bekanntschaft. (Ich weiß schon, dass man eigenlich Bekanntschaften macht und Freundschaften schließt – dabei ist eine Bekanntschaft doch erheblich schwerer aufzulösen als eine Freundschaft?)

Doch dann wäre ich fast nicht mehr heim gekommen. Die Sonnenstraße war ab Höhe Schwanthalerstraße gesperrt, dahinter mehr Polizeikleinbusse, als ich je auf einem Haufen gesehen habe (und das nach dem Erleben zahlreicher NATO-Sicherheitskonferenzen). In die Abzweigung zur Nußbaumstraße durfte ich selbst mit dem Radl nicht: Sie war durch eine Kette von Polizisten blockiert, dahinter sah ich schemenhaft tumultöse Menschenmengen. Als ich grüßte und um Hilfe beim Nachhausekommen bat, bekam ich nach ein, zwei grimmigen Sätzen tatsächlich einen freundlichen Tipp und Abschiedsgruß.

Und darum ging’s: Die Polizei hatte das Flüchtlingscamp am Sendlinger Tor aufgelöst.

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Kulturwissenschaft der Typografie – faszinierend. Ich bin sicher, auch Sie sehen manchen Büchern allein an der Schriftart die Sprache an, in der sie geschrieben sind.

“Erik Spiekermann über Typografie
‘Schrift muss ein bisschen fusseln'”

Welche Eigenschaften muss eine Schrift mitbringen, damit sie am Monitor gut lesbar ist?

Da gibt es mehrere Kriterien. Zum einen das Historische: Wir lesen, was wir gewohnt sind. In Deutschland sind das zwei Schriften: Die serifenlose Grotesk und die Antiqua. Eine Schrift muss in den Kulturraum passen und ich muss ihr auch ansehen, ob es ein längerer oder ein kürzerer Text wird. Dann kommen die physischen Kriterien dazu: Der Kontrast darf nicht zu stark sein. Tiefschwarze Schrift auf glänzendem Papier oder auf dem Bildschirm ist scheußlich! Wir können inzwischen ganz präzise Schriften machen, weil die Pixel so klein geworden sind. Dann sind die so wie Nylon. Aber das möchte ich nicht an der Haut haben, da möchte ich lieber Baumwolle. Das fusselt zwar, ist aber angenehmer. Schrift muss auch ein bisschen fusseln, die muss angenehm weich sein. Wie beim Buchdruck, da wurde der Buchstabe eben ins Papier eingepresst wobei eine eigene Unschärfe entstand. Die Unschärfe, die runden Ecken, machen sie schön und angenehm.

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Alle Berichterstatterinnen und Berichterstatter über den Nahost-Konflikt sind Angriffen von allen Seiten ausgesetzt, die ihnen Parteilichkeit unterstellen. Seit einigen Monaten beobachte ich, dass sich immer mehr von Ihnen um größere Transparenz ihrer Arbeitsweise bemühen und öffentlich ihr Herangehen reflektieren.

Margaret Sullivan hat das ausführlich und bewundernswert nüchtern für die New York Times getan, inklusive Verbesserungsvorschlägen fürs eigene Blatt:
“The Conflict and the Coverage”.

What can Times editors and reporters do in this situation in which so many readers mistrust their motives and their efforts, and in which charges of bias and cries of “shame on you” come unrelentingly from both sides?

I’m not a believer in the idea that if both sides are upset, The Times must be doing something right. That would be convenient in this case, but sound journalism isn’t a matter of hewing to the middle line.

via @NicoleDiekmann

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Und weil heute Donnerstag ist:
“Die Wahrheit über ‘quer'”.

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http://youtu.be/ltOWzU4ajWU

Selbst kann ich die Existenz von zumindest einem der drei Süß-Zwillinge augenbezeugen: Ich bin ihm mal auf der Straße begegnet.

die Kaltmamsell

4 Kommentare zu „Journal Mittwoch, 26. November 2014 – Backsteinhäuser“

  1. Herr K. meint:

    Hallo sehr verehrte Frau Kaltmamsell,
    habe heute wieder, wie in letzter Zeit schon öfters, von Ihrer köstlichen Vorspeisenplatte genascht. Sagen Sie mal, strampeln Sie tatsächlich 1 Std auf diesem Marterinstrument rum – Waaahnsinn. Wenn ich auf meinem Hometrainer in 10 Min. 5Km geschafft habe, dann bin ich dieses.
    Apropos Schrift: ich gestatte mir als ein schon etwas älteres Semester die Winzigkeit der Schrift Ihres Blogs zu beanstanden. Schon etwas mühsam, Ihre interessanten Texte zu lesen. Sind nicht drei Zwillinge = Drilinge? Ach so, das war ein Kalauer.
    Schöne Grüße von Herrn K.
    Übrigens, wie geht es dem ominösen Wesen “mein Mitbewohner”?

  2. Sebastian meint:

    Ebenso war die Lindwurmstraße ab Goetheplatz gesperrt. Und dann wohl auch all die anderen auf den Platz zulaufenden Straßen über mehrere hundert Meter. Ob aus Angst, Vorsicht oder Tradition (Münchner Kessel XXL), es wirkte verstörend und gespenstisch. Weiß jemand, warum das in dieser Größenordnung geschah?

  3. die Kaltmamsell meint:

    In der Süddeutschen war von 500 Mann/Frau die Rede, Sebastian. Meine PR-Erklärung: Die wollten dem Thema genug Aufmerksamkeit verschaffen, um das Anliegen der Asylbewerber zu unterstützen. Klar: Wenn Räumung angeordnet wird, muss die Polizei räumen. Aber damit das auch wirklich jeder mitbekommt, haben sie alles aufgefahren, was sie hatten.

  4. Sebastian meint:

    Das ist ja dann gut gelungen, kaltmamsell

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