Journal Samstag/Sonntag, 29./30. November 2014 – Internetgäste
Montag, 1. Dezember 2014 um 6:44Samstagvormittag mein Fahrrad endlich zum Schrauber gebracht. Nachdem der Plan ja nicht geklappt hatte, es Donnerstag in der Mittagspause abzugeben, um es am Samstag wiederholen zu können (der Laden ist winzig und hat keinen Platz für Lagerung, besteht also auf umgehender Abholung), werde ich jetzt eine Lösung finden müssen, es am Dienstag abzuholen (Montag ist ebenfalls geschlossen).
Vorbereitung für die kleine Dinnerparty am Abend: Ein paar Leute aus dem Internet zu Gast.
Unter grauem Novemberhimmel gemütliche Einkäufe am Viktualienmarkt sowie in der Kaufhof-Feinkostabteilung, beim Bäcker und im Body Shop.
Daheim den Nachtisch zubereitet: Parmesan-Bavaroise mit Roségelee (das schönste Wort des abendlichen Menüs) aus Sebastian Dickhauts Ich koche. Die Reaktionen der Esser und Esserinnen waren durchwachsen. Wir kamen zum Schluss, dass sich das Gericht besser als herzhafte Vorspeise eignet: Also die Bavaroise ohne Zucker (die Vanille wiederum machte sich sehr gut zum Parmesan), das Roségelee kann bleiben.
Nachmittags um zwei mit dem Hauptgang begonnen: Astrids legendäre Ochsenbackerl in Portwein-Schokoladensoße. Nachdem sie beim ersten Versuch nicht ganz die gewünschte Zartheit erreicht hatten, legte ich anderthalb Stunden Garzeit drauf – genau richtig. Dazu gab’s frische Spätzle, die der Mitbewohner ins Wasser hobelte.
Als Vorspeise hatte ich mir eine bayerische Fischsuppe ausgedacht: Fisch- und Gemüsefond, ein paar getrocknete Steinpilze mitgekocht, darin Zanderstücke und Grießnockerl, darüber ein bissl Schnittlauch. Funktionierte gut.
Schöner Abend in ausgesprochen angenehmer Gesellschaft (drei davon Thomasse, hihihi). Ich sage Ihnen: Im Internet gibt’s großartige Leute.
Nachdem alle weg waren, ließ ich den Abend räumend und spülend ausklingen.
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Sonntag erst mal Brot gebacken: Der Mitbewohner wollte einem ebenfalls Brot backenden Kollegen ein Probierstück mitbringen, ich entschied mich für den gut haltbaren 7-Pfünder. Das Holen aus dem Ofen übergab ich dem Mitbewohner, um mit seinem Rentnerrad zum Schwimmen zu radeln.
Ganz schön anstrengend, so ein Rentnerradl mit tiefem Einstieg, der Sattel so nah am Lenker, dass ich meinen Po bis fast dahinter schob, um mich halbwegs wohl zu fühlen. Trotz der niedrigen Temperaturen kam ich reichlich ins Schwitzen. Um am Olympiabad hiervor zu stehen:
Mein Gejammer auf Twitter ergab die Information, dass mir wohl Stefan Raab in die Quere gekommen war. Ich hatte nicht genug Energie und Lust, weiter ins Dantebad zu radeln, sonder fuhr heim.
Wasser um mich rum holte ich mir halt durch Vollbad in der Badewanne.
Das Brot war wunderbar geworden.
Den Nachmittag mit dem Bloggen von Lieblingstweets und mit Bügeln verbracht.
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Mich letzthin mit jemandem aus ähnlich international zusammengewürfelter Familie wie meine darüber unterhalten, wie bescheuert wir das Wort “Migrationshintergrund” finden. ICH habe doch keinen Migrationshintergrund, mein bisheriges Leben spielte in einem Radius von 70 Kilometern. Mein Vater hat einen, der ist von Madrid nach Bayern ausgewandert. Aber Kollegin K. hatte einen, die musste sich als Oberhauserin in München zurecht finden.
Und dann höre ich von einem mir nahestehenden Lehrer, dass das Ausschlag gebende wohl ist, ob es im Elternhaus einen Deutsch Muttersprachler / eine Deutsch Muttersprachlerin gibt oder nicht. Dieses Kriterium wirke sich am deutlichsten auf die Bildungskarriere aus. Warum nehmen wir dann nicht dieses statt des blöden “Migrationshintergrunds”?
Das würde auch die Probleme der Kollegin mit ruhrpottischem Migrationshintergrund erklären: Ihre Eltern waren keine Deutsch Muttersprachler, sie sprachen Pott (u.a. völlig andere Grammatik).
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In unserer reichen Gesellschaft gibt es eine immer größere Gruppe Armer mit Arbeit: Das Dienstleistungsproletariat, Konsequenz einer menschenverachtenden Kostenoptimierung der Lehrbetriebswirtschaft. Die brandeins hat ein Interview dazu veröffentlicht:
Zwölf Prozent der Arbeitnehmer gehören in Deutschland zum sogenannten Dienstleistungsproletariat. Ein Gespräch mit dem Sozialwissenschaftler Philipp Staab über die Entwertung von Qualifikationen, fehlenden Berufsstolz und kleine Racheakte.”
Einfache Dienstleistungsarbeit steht unter hartem Rationalisierungsdruck. Wenn durch Technik rationalisiert wird, etwa durch Selbstzahlkassen bei Ikea oder durch Selbstbedienungsautomaten, wird Arbeit, die früher Beschäftigte verrichteten, auf Maschinen oder Kunden übertragen. Sie wird dadurch standardisiert. In einem Discount-Supermarkt oder bei Unternehmen wie H&M oder Zara gehört Kundenberatung beispielsweise nicht mehr zum Arbeitsprofil der Beschäftigten. Es reicht, wenn die Regale gefüllt und die Böden sauber sind. Die Leute brauchen keine Kenntnisse über Produkte, keine spezifischen Fähigkeiten mehr. Die einfachen Tätigkeiten, die übrig bleiben, werden universalisiert, jeder Mitarbeiter ist für alles zuständig: Ware aus dem Lager holen, einräumen, putzen. Standardisierung, Universalisierung und letztlich die Verdichtung von Arbeit sind wirkungsvolle Instrumente zur Rationalisierung einfacher Dienstleistungsarbeit.
(…)
Eine der besten Eingruppierungen für einfache Dienstleistungen im Supermarkt ist die der Kassiererin, laut Tarifvertrag eine qualifizierte Tätigkeit. Also versuchen Supermärkte, ihre Kassiersysteme so zu vereinfachen, dass sie jeder bedienen kann, und stellen keine Kassiererinnen mehr ein. Ein anderes Beispiel für Universalisierung und Verdichtung von Arbeit: Früher wurde in der Gebäudereinigung detailliert vereinbart, was genau die Reinigungskraft zu tun hatte. Heute bieten die Unternehmen dem Kunden, zum Beispiel einem Bürokomplex-Betreiber, pauschal an, für adäquate Sauberkeit zu sorgen – was das ist, liegt im Auge des Betrachters. Besondere Ansprüche muss die Reinigungskraft auffangen, etwa wenn die Räume besonders stark verschmutzt sind, ohne dass sie deshalb mehr Stunden bezahlt bekäme. Verantwortung wird nach unten durchgereicht. Weil Fensterreinigung tariflich höher eingestuft ist, sagt man, wir brauchen keine Fensterreiniger. Die Fenster werden nach Bedarf von den einfachen Reinigungskräften, die jetzt für alles zuständig sind, mit übernommen.
Jetzt verstehe ich auch die eigenartige Arbeitsweise der Reinigungskräfte in dem letzten Großraumbüro, in dem ich arbeitete: Mir war nie klar, was hier eigentlich gereinigt wurde. Ich unterhielt mich zwar immer wieder mit den Putzleuten, aber halt small talk, ich wollte sie ja nicht aushorchen.
Richtig gefährlich wird diese Entwertung der Reinigungstätigkeiten (und ich habe als Schülerin in Putzjobs noch beeindruckend kenntnisreiche Reinigungsfachkräfte kennengelernt) natürlich in Krankenhäusern.
Wäre es für viele Unternehmen nicht klüger, auf Kundenkontakt, Service sowie selbstbewusste und kompetente Mitarbeiter zu setzen?
Kunden, die sich in Boutiquen beraten lassen, akzeptieren höhere Preise. Aber das große Wachstum sehen wir bei Discount-Supermärkten oder Ketten wie H&M, die genau solche Rationalisierungsstrategien anwenden. Deren Kunden sind längst daran gewöhnt, nicht beraten zu werden.
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Der Advent hat begonnen, die Jahrezeit der Wohltätigkeit: Die, die haben, geben denen, die nicht haben – einfach herzerwärmend. Oder einfach nur wärmend.
http://youtu.be/oJLqyuxm96k
10 Kommentare zu „Journal Samstag/Sonntag, 29./30. November 2014 – Internetgäste“
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1. Dezember 2014 um 9:03
Nur wird dieses “Dienstleistungsproletariat” von den Politikern nicht wahrgenommen, und wenn dann nur als Ausdruck für den Erfolg der Politik in Sachen Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Am Besten zu sehen in der Hauptstadt. Laut dem Senat eine echte Boomtown, die auf Tourismus setzt und je nach Zählung 300.000 und mehr Arbeistplätze in Berlin sichert. Dazu noch das Wissenschaftspräkeriat mit 200.000 Arbeitsplätzen + die StartUp-Präkariatsszene. Und aus dem Berliner Wirtschaftswunder wird ein eine Elendsgegend mit gutem Partyangebot.
1. Dezember 2014 um 10:34
die gebäudereinigungsfirma meiner firma muss pro jahr drei oder vier sogenannte sonderreinigungen vorhalten. diese werden dann genutzt, wenn mal wieder noro ausbricht oder sich jemand irgendwo ernsthaft verletzt.
ausgebildet für solche fälle sind die reinigungskräfte nicht.
ich selbst habe kekskrümel vom letzten jahr neben meinem schrank liegen und halte meinen schreibtisch inzwischen mutwillig unaufgeräumt, weil ich nicht möchte, dass die reinigungskraft mit einem lappen drüber wischt. wo der vorher war, in einem flur mit mehreren toiletten, möchte ich gar nicht wissen.
als ich allerdings um weihnachten rum letztes jahr ‘meine’ reinigungkraft antraft, ging unser small talk vor allem über die tatsache, dass sie in briefträgerinnen-outfit putzte (bzw müll sammelte). die reinigung unserer büros findet normalerweise vor ihrer postbotenrunde statt. nur vor weihnachten hat sie eine runder vor der post und eine nach der post gemacht, damit sie mal einen montag nicht um halb 4 in der arbeit sein musste.
1. Dezember 2014 um 14:31
Habe gestern in der Zeit Printausgabe einen Artikel gelesen der sich mit dem Thema getarnte Verkäufer beschäftigt.
Bei Zeit-Online gibt es momentan diesen Artikel dazu: http://www.zeit.de/wirtschaft/2014-11/einzelhandel-undercover-verkaeufer
Der Printartikel (noch nicht online zu sehen) zeigt noch weitere Aspekte, nämlich dass die Handelsketten reguläre Verkäufer/innen durch spezialisierte und von Fremdfirmen bezahlte ersetzen und damit selbst Geld für Personal sparen können.
Der Verbraucher durchschaut das nicht (wegen guter Tarnung) und kauft das empfohlene ohne zu ahnen dass er einer getarnten Werbebotschaft aufsitzt.
Werde in Zukunft beim einkaufen genau aufpassen.
1. Dezember 2014 um 18:22
Migrationshintergrund bedeutet nicht zwingend eine eigene Migrationserfahrung.
Selbst in der amtlichen Statistik werden je nach Erhebung (Zensus, Mikrozensus, Schulstatistik, Kinder- und Jugendhilfestatistik usw.) und zum Teil je nach Bundesland unterschiedliche Definitionen zugrunde gelegt. Zu den Kriterien zählen – in unterschiedlicher Kombination – z.b. nichtdeutsche Staatsangehörigkeit, Geburtsort außerhalb Deutschlands, Zuwanderung der Person selbst, der Eltern oder Großeltern, nichtdeutsche Verkehrssprache in der Familie. Manchmal wird statt Migrationshintergrund auch der Begriff Zuwanderungsgeschichte verwendet. Eine Übersicht findet sich hier: http://www.staedtestatistik.de/fileadmin/vdst/AG_Bevoelkerung/Publikation/Heft2_Migrationshintergrund.pdf (für die Schulstatistik ab S. 25).
1. Dezember 2014 um 19:32
Diese Außensicht kenne ich durchaus, Pippilotta. Wie viele solche Menschen kennen Sie, die von sich sagen: “Alta, habsch voll Migrationshintergrund.”? Meine ist die Innensicht.
1. Dezember 2014 um 19:47
Schon vor zwanzig Jahren hörte ich in der U-Bahn ein Gespräch dreier Verkäuferinnen mit. Die eine schilderte die Zustände in der Damenoberbekleidungsabteilung eines Kaufhauses. Früher seien dort drei Fachverkäuferinnen gewesen, später dann nur noch eine ausgebildete Verkäuferin mit einem Lehrling und noch später lediglich eine ungelernte Aushilfe.
1. Dezember 2014 um 20:41
Ihre Innensicht sei Ihnen selbstverständlich unbenommen, werte Frau Kaltmamsell. Mir ging es lediglich um den Hinweis, dass die Verwendung des Begriffs Migrationshintergrund auch in der “Außensicht”, in diesem Fall der statistischen Erfassung und wissenschaftlichen Erforschung, keineswegs so einheitlich ist wie sie zu sein scheint.
1. Dezember 2014 um 23:06
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Gerne gelesen
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2. Dezember 2014 um 20:45
“Das würde auch die Probleme der Kollegin mit ruhrpottischem Migrationshintergrund erklären: Ihre Eltern waren keine Deutsch Muttersprachler, sie sprachen Pott (u.a. völlig andere Grammatik).”
Köstlich! Hat mir den Tag gemacht.
4. Dezember 2014 um 9:59
Uiiii, es freut mich, dass es geschmeckt hat. Demnächst gibts auch bei mir mal wieder eine Neuauflage des Themas “Die Backe sitzt” – im Petromaxtopf auf offenem Feuer im Garten. Die Vorstufe, bevor ich da das Kamel zum Schmoren verbuddel ;)