Journal Freitag, 6. März 2015 – Sonne und Diätgedanken
Samstag, 7. März 2015 um 12:47Crosstrainerstrampeln in einen sonnigen Morgen hinein.
Berufszukünftliche Mittagsverabredung bei Marietta. Dort war ich ja schon sehr lange nicht mehr gewesen, dazwischen nur zum Agentur-2015-Kickoff-Essen im Januar. Kaum öffnete ich die Tür, rief Marietta schon durchs Lokal: “Schau mal, Rico, wer da ist!” Ich war sehr gerührt und betreten, aß ausgezeichnete frittierte Artischocken auf Salat.
Und musste darüber wieder meinen Vortrag halten, dass ich die Stellung des Autos und der Automobilindustrie in unserer Gesellschaft für böse sowie schädlich erachte und nicht mittrage. Schon gar nicht beruflich.
Vorm Bürofenster die Verheißung eines sonnigen Wochenendes.
Auf dem Heimweg Malerizität.
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Abends nochmal Artischocken, diesmal als Vorspeise ganz zum Blätterzupfen mit Aioli. Danach Jakobsmuscheln auf Safrannudeln.
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Nein, ich habe das Thema Diätterror und Idealkörper immer noch nicht hinter mir gelassen, werde ich vermutlich bis an mein Lebensende nicht.
Zum einen, weil es zu meinen frühesten Prägungen gehört. Sie erinnern sich vielleicht: Ich wurde auf die erste Diät gesetzt, als ich drei war, von da an regelmäßig, bis ich mein Elternhaus verließ – in der Teenagerzeit internalisiert genug, dass ich selbst die Initiative ergriff. Ich hielt mich als Jugendliche und junge Frau mit Kleidergröße 40 ernsthaft für richtig dick, also nicht bloß “es könnte ein bisschen weniger sein”, sondern so richtig mit Alison Moyet als Rollenvorbild für dicke Schönheit und dem halb-spaßigen Plan, eine Boutique für Dickenmode zu eröffnen. Ich bin schon froh, dass ich auf den meisten Ebenen meines Bewusstseins gelöscht habe, dass mein Körper in seiner Veranlagung minderwertig und falsch ist.
Zum anderen weil die Ideologie Dünner-ist-immer-besser / Dick-ist-minderwertig als Dauerbeschuss des Marketings auf mich einprasselt. Die einfach nicht stimmt.
Deshalb ein weiteres Mal:
“Why Do Dieters Gain Their Weight Back?”
Nachdem sie daran erinnert hat, dass 95% allen Gewichtsverlusts nicht auch nur mittelfristig von Dauer ist (und dennoch den Menschen die Schuld dafür gegeben wird, nicht der Methode oder dem Ziel), schreibt Ragen:
Consider this:
Your body doesn’t understand that there is a certain size and shape that brings with it an increased social capital. Your body can’t imagine a situation in which it is hungry and there is food, but you won’t feed it. And so when your body is hungry but you ignore it, it assumes that there is no food available. Your body is like “No problem, I’ve evolved to survive famine let me just get those systems online. I’ll just get started lowering our metabolism.” (In my mind your body talks like JARVIS from the Ironman movies, but that’s neither here nor there I suppose.)
In the meantime, you go run on a treadmill. Your body now thinks that there is a famine and you have to run from bears. But your body is like “No problem, I’ve got this.” So it lowers your metabolism even more, drops calorically expensive “extra” muscle, floods the body with hunger hormones (since, what with the famine and the running from bears, it wants to make sure that you don’t forget to eat) and it holds back hormones that tell you that you are full. Basically, your body is hard at work doing everything it can to lower the amount of food that you need to live and store as much food as it can.
At the end of this process your body is biologically different than it was when you started. Your body has now turned into a weight gaining, fat storing, weight maintaining machine, biologically different than a body that has never dieted, and likely with a new set point weight – higher than your original weight – that your body is trying to maintain because it now is worried that there will be another famine and bear situation. Bodies are still biologically different even a year or more after someone stops dieting.
In meiner Übersetzung:
Bedenken Sie:
Ihr Körper versteht nicht, dass eine bestimmte Konfektionsgröße und Form Ihre Stellung in der Gesellschaft deutlich verbessern. Ihr Körper kann sich keinen Umstand vorstellen, in dem er hungrig ist, es genug zu essen gibt, aber Sie ihm nichts geben. Wenn Ihr Körper also Hunger hat und Sie das ignorieren, nimmt er an, dass es keine Nahrung gibt. Die Reaktion Ihres Körpers: “Kein Problem, die Evolution hat dafür gesorgt, dass ich Hungersnöte überstehen kann; ich fahre gleich mal die entsprechenden Systeme hoch. Als erstes verlangsame ich unseren Stoffwechsel.” (In meinem Kopf spricht Ihr Körper wie JARVIS aus den Ironman-Filmen, aber das ist vermutlich nicht besonders wichtig.)
Und dann steigen Sie aufs Laufband. Jetzt glaubt Ihr Körper, dass nicht nur eine Hungersnot herrscht, sondern Sie auch noch vor Bären davonlaufen müssen. Die Reaktion Ihres Körpers: “Alles klar, kein Problem.” Er verlangsamt den Stoffwechsel nochmal, baut überflüssige Muskulatur ab, die nur unnötig Kalorien verbraucht, flutet das System mit Hungerhormonen (bei all dieser Hungersnot und dem Weglaufen vor Bären sollen Sie ja bitte nicht vergessen zu essen) und er reduziert die Hormone, die Ihnen signalisieren, dass Sie satt sind. Kurz: Ihr Körper setzt alles daran, dass Sie mit möglichst wenig Nahrung auskommen und möglichst viel davon speichern.
Am Ende dieses Prozesses ist Ihr Körper biologisch ein anderer als am Anfang. Ihr Körper ist jetzt eine gewichtserhöhende, fettspeichernde, gewichtserhaltende Maschine, biologisch deutlich unterscheidbar von einem Körper, der nie Diät gehalten hat. Sehr wahrscheinlich hat der Körper jetzt ein anderes Zielgewicht, nämlich höher als das Ausgangsgewicht, und das versucht er zu halten, denn nun bereitet er sich auf die nächste Hungersnot und die nächste Bärengefahr vor. Biologisch sind Körper auch ein Jahr nach einer Diät noch durch diese Erfahrung geprägt.
Also hauptsächlich zur Erinnerung für meine Selbsthassphasen, wenn mal wieder eine Hose kneift: Größe 36/38 hielt ich lediglich ca. zehn Jahre, indem ich fast täglich Hunger litt; sei es dass ich hungrig zu Bett ging (wenn ich davon aufwachte, schnell ein Stückchen Käse aß) oder eine Mahlzeit trotz Hunger hinausschob. Und indem ich regelmäßig andere Lebensmittel aß, als ich eigentlich wollte: Dünn Frischkäse statt dick Butter, Süßstoff statt Honig, Wasser statt Milch (Kakao), Magerjoghurt statt Vollfett- oder gar Sahnejoghurt, Joghurt statt Öl (Salatdressing) etc.pp.weitere Details entnehmen Sie jedem beliebigen Frauenzeitschriftsdiätratgeber.
Auch deswegen bin ich den Tränen nahe, wenn ich so etwas lese:
“After People Tried To Body-Shame This Guy Dancing At A Concert Something Amazing Happened”.
Update der Dancing-Man-Geschichte:
“Everybody dance: Pharrell and Moby to join #DancingMan at LA party”.
Ich nehme an, die Geschichte ist hier noch lang nicht zu Ende.
7 Kommentare zu „Journal Freitag, 6. März 2015 – Sonne und Diätgedanken“
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7. März 2015 um 16:45
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Made my day
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7. März 2015 um 17:43
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Made my day
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7. März 2015 um 20:27
:’-)
7. März 2015 um 21:20
Ich les mir das alles noch durch. Aber bei “Dieters” hab ich doch etwas gestutzt und mich gefragt, ob der Bohlen jetzt auch noch beim Abnehmen mitmischt :-)
7. März 2015 um 23:20
Dein Post ist toll. Der Beitrag von Ragan ist sehr wahr und sie bringt es auf den Punkt. Vom Video bin ich restlos begeistert.
Es geht doch darum, sich so zu akzeptieren wie man ist. Und das sage ich als sehr dicke Frau. Selbsthass bringt eine nicht weiter, wie du schreibst.
Ich wünsche dir einen schönen Sonntag
ganga
8. März 2015 um 9:26
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Gerne gelesen
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8. März 2015 um 19:23
“Another famine and bear situation”. Großartig in seiner Einfachheit.