Brighton 2015 – Erotisches Wohnen
Samstag, 4. April 2015 um 21:01In diesem Brightonurlaub lerne ich viel über Erotik. Als wir uns für die Airbnb-Unterkunft entschieden, taten wir das wegen der Lage, auch wegen der Dachterrasse, und die Räume sahen ganz behaglich aus. Dass sie als “sexy little house” bezeichnet wurde, “for a few nights of sexy, decadent pleasure”, nahm ich nicht so ganz ernst – was Vermieterinnen halt so schreiben.1 Hätte ich aber besser, denn diese Unterkunft scheint tatsächlich nicht für ganz normales Bewohnen ausgelegt; unter anderem hat sie weder Kleiderschrank noch Esstisch oder auch nur einen Beistelltisch fürs Sofa. Zu der hochtechnischen und eleganten Küchenzeile gehört lediglich ein Stehtischchen mit zwei Barhockern. Der Fernseher steht nicht gegenüber dem Sofa im Obergeschoß, sondern hängt an einer Schlafzimmerwand. Selbst die Kochbücher in der Küche heißen Food for Love oder Kinky Cupcakes (im Unterschrank gleich neben den Spielen Sex!, Intimate und Dirty Minds).
Hier ist ausschließlich erotisches Wohnen vorgesehen, und das ist für mich ein recht unbekanntes Gebiet. Für Sex interessiere ich mich nicht sehr – na gut, vielleicht ein bisschen mehr als für Musik. Am ehesten bekomme ich etwas über das Thema mit, wenn Bloggerinnen, die ich gerne lese, darüber schreiben oder vortragen. Es ist für zwar mich selbstverständlich, dass Menschen sexuell tun dürfen sollen, wozu alle Beteiligten von Herzen zustimmen. Auch dass es sich um ein Interessengebiet handelt, mit dem man sich leidenschaftlich und detailliert beschäftigt, kann ich verstehen. Doch es ist zum Glück einfach, sich nicht eingehend damit zu beschäftigen (anders als bei Fußballbegeisterung zum Beispiel).
Jetzt sitze ausgerechnet ich bis über beide Ohren in Erotik. Und entwickle eine gewisse Neugier für reverse engineering: Wie funktioniert dieses Erotikdings anscheinend?
Da die Vermieter das ganze als generell “sexy, decadent pleasure” verkaufen, adressieren sie offensichtlich nicht eine bestimmte sexuelle Vorliebe, sondern die Schnittmenge der in unserer (westlichen?) Kultur verbreitetsten Vorlieben. Ich lerne also:
1. Es muss dunkel sein, so dunkel wie möglich: Die Wände aller Räume sind schwarz, im Schlafzimmer sind alle Möbel schwarz, die Bettwäsche ist schwarz, die Fenster sind mit schwarzen Jalousien verdunkelt.
2. Die Menschen mögen sich ansehen: Die Dusche ist nicht nur sehr geräumig, also sehr wahrscheinlich ein möglicher Sexschauplatz. Sie ist auch rundum verspiegelt. Jetzt endlich kommt mir zugute, dass ich viele Jahre Übung darin habe, auch in noch so verspiegelten Umgebungen an mir vorbei zu schauen – nämlich durch Aerobic und Gymnastik in Fitnessstudios. Ich sehe – wie die meisten dort – beim Rumhopsen so bescheuert aus, dass ein zu häufiger Blick demotivierend wirkte.
3. Als erotisierend werden Frauenbilder eingeordnet: Hier hängen nur unzüchtige Bilder von Frauen, mit einer einzigen Ausnahme. (Meine anfängliche Theorie, dass diese Wohnung nur auf Menschen ausgerichtet ist, die Frauen sexuell attraktiv finden, verwarf ich beim Durchdenken aller erotisch geltender Bilder, die mir einfielen.) Ist die Folgerung zulässig, dass die erotisierende Ikonographie der westlichen Hemisphähre zu 95% Frauen darstellt?
4. Erotik hat viel mit Büchern zu tun: Hier stehen ganze Regalmeter Bildbände und Literatur mit “love”, “nude” oder “sex” oder “girls” im Titel. (Daneben aber auch Dylan Thomas’ Under milkwood.)
Hier kommen die Wohnung und ich uns – wenig überraschend – am nächsten. Die Überschneidung zu meiner Bibliothek:
D.H. Lawrence, Lady Chatterley’s Lover
Anaïs Nin, Delta of Venus
Belle de Jour, The Intimate Adventures of a London Call Girl (hier steht auch der zweite Band, aber ich fand schon den ersten nicht so toll)
John Fowles, The French Lieutenant’s Woman
Alan Hollinghurst, The Line of Beauty
Dylan Thomas, Under milkwood
5. Erotik findet im Bett statt (das ist hier riesig), in der Badewanne oder in der Dusche. Nicht aber mit Tisch oder beim Essen am Tisch.
6. Erotik hat etwas mit Schlafmasken zu tun. Zumindest liegen neben dem Riesenbett vier Stück auf einer eigenen Konsole.
Ich sehe das Projekt natürlich als noch nicht abgeschlossen an. Mal sehen, was ich in der kommenden Woche noch so über Erotik herausfinde.
- Schließlich versuche ich mir seit Jahren abzugewöhnen, Verkaufssprech wörtlich zu nehmen. [↩]
18 Kommentare zu „Brighton 2015 – Erotisches Wohnen“
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4. April 2015 um 22:09
Liebe Frau Kaltmamsel,
die Schilderung ihres Urlaubsdomizil ist gar köstlich. Bei den schwarzen Wänden und den verspiegelten Duschwänden wurde es mir aber entrisch zumute.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Osterurlaub
Barbara
5. April 2015 um 8:15
Meine Vorstellungskraft kommt bei der versiegelten Dusche nicht mehr mit.
Auf die Fortsetzung freue ich mich.
5. April 2015 um 9:27
Haben Sie und Herr Kaltmamsell beim Betreten der Wohnung nicht den totalen Lachanfall bekommen?
5. April 2015 um 9:42
Wie gut, dass Sie es mit Humor nehmen.
Dieses zwanghafte Interieur würde mir aufs Gemüt schlagen. Deshalb kann ich Ihnen nur wünschen, dass die Sonne auch in Brighton so herrlich scheint wie in Hamburg und Sie die meiste Zeit an der frischen Luft sein können.
Frohe Ostern
Ansonsten gilt: Reisen bildet
5. April 2015 um 10:22
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Made my day
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5. April 2015 um 11:17
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Made my day
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5. April 2015 um 11:36
ich habe mir die Wohnung mal auf airbnb angeschaut. So überraschend finde ich das nach Studium des Bildmaterials ja nicht. Die rotverschleierten Lämpchen im Schlafzimmer wirken schon recht einschlägig. Wobei ich ja selbst im Reisegepäck immer ein rot-oranges Seidentuch zum Dimmen von zu grellen Nachttischlampen habe. Das ist dann halt so eine feine Abstufung in der ästhetischen Qualität. Zum Glück fährt man ja meistens nicht zum Lesen an einen Urlaubsort, und wenn, dann hat man ja meistens ein eigenes Buch dabei. Das könnte sonst schon ein wenig eintönig werden. Auf mich wirkt die Wohnung übrigens nicht erotisch sondern plakativ. Aber das ist ja auch Geschmackssache.
5. April 2015 um 11:39
Bin auch schon auf die Fortsetzung gespannt, bitte mit Foto!
5. April 2015 um 13:33
Ich würde kurzerhand den Tisch und evt. zwei der vier Sessel von der Terrasse in das Wohnzimmer oder die Küche bugsieren. So schwer sind die sicher nicht. So ein bißchen Umräumen lohnt sich doch, wenn man mehr als zwei Tage da übernachtet.
5. April 2015 um 15:03
Der Terrassentisch ist riesig, Gaga, über 1×1 Meter und mit Glasplatte – da muss ich erst noch überlegen.
5. April 2015 um 15:07
Das lohnt sich! Zu zweit packt man das! Ich räume immer in Ferienwohnungen um, und war immer sehr zufrieden nach der Anstrengung! Also los.
5. April 2015 um 20:29
Hihiii :)
So gewollte Konstellationen sind ja eher nicht anregend. Der Fantasie wird kein Raum gegeben. Aber nun, die Wohnung ist da und will belebt werden. Wir sind gespannt!
5. April 2015 um 21:29
“Ist die Folgerung zulässig, dass die erotisierende Ikonographie der westlichen Hemisphähre zu 95% Frauen darstellt.”
Jo. Weil sie bis jetzt wahrscheinlich zu 95% von Männern für Männer gemacht wurde.
6. April 2015 um 8:58
In den letzten zehn Jahren durfte ich sehr viel Erfahrung bei der Einrichtung erotischer Zimmer sammeln. Habe es darin zu einiger Finesse geschafft, was man dann auch irgendwann meinem Schlafzimmer angesehen hat. Dieses wird zur Zeit aber nur von mir allein genutzt.
Männer schauen sich gerne selber beim Geschlechtsverkehr zu. Vielleicht, weil sie sich so abstrahieren können. Deshalb die Spiegel, die sich wahrscheinlich auch selber noch spiegeln.
Die Beleuchtung sollte diffus sein. Körper sehen in schummrigem Licht weicher und schöner aus. Deshalbs sind die Wände wohl scharz gehalten.
Und irgendwie ist schwarz ja auch nur eine Schattierung von grau. Womit wir beim Szeneklassiker “50 shades of grey” wären…. ;o)
P.S.: Habe ungefähr ein Jahr Training im Fitness-Studio gebraucht, bis ich meinen Anblick im Spiegel ertragen konnte, um meine Haltung zu korrigieren.
6. April 2015 um 9:06
Vielen Dank für die Erklärung, Christine! Dann hatte ich also noch nie “Männer” im Bett – ich habe den Verdacht, dass mir nichts entgangen ist.
6. April 2015 um 14:05
Ich muss Gaga Nielsen zustimmen: Bei den Fotos hätte man schon darauf kommen können, dass sich das Ganze etwas … nunja… Puff-artige gestaltet, oder? Aber eigentlich doch recht geschmackvoll im Vergleich zu den Ikea-artigen FeWos der 80er und 90er Jahre, die heute noch vermietet werden. Eine Bitte: Könnten Sie sich mal auf die Suche nach den Schuhen machen, die da in der Dusche rumfliegen? (Warum liegen Schuhe in der Dusche?) Die würden mich interessieren! Eine schöne Zeit wünsche ich Ihnen beiden!
6. April 2015 um 14:10
PS: Der bEdW lachen gerade Tränen und das ist ja bekanntlich noch viel gesünder als “erotisches Wohnen”. You made my day! Danke!
8. April 2015 um 7:09
Erotisches Wohnen ist ein Konzept, das bisher an mir vorüber gegangen ist. Ob ich das bei der für dieses Jahr geplanten Renovierung des Turmstübchens berücksichtigen sollte? Aber eine verspiegelte Dusche? Nicht mit mir, nicht in meinem Alter!