Berlinjournal Dienstag, 5. Mai 2015 – re:publica 1
Mittwoch, 6. Mai 2015 um 8:29Jetzt bin ich auch mal Rad gefahren in Berlin – ich arbeite mich unaufhaltsam zur Teilzeitberlinerin hoch. Gebt mir noch ein paar Jahre, und ich fange an auf die Touristinnen zu schimpfen wie die Einheimischen.
Meine aufmerksame Gastgeberin hatte mir ihr Zweitfahrrad zur kompletten Einsatzfähigkeit hergerichtet – MIT funktionierendem Licht! Von Neukölln zum Gleisdreieck und damit zum ersten Tag der re:publica konnte ich fast Luftlinie fahren. Der Himmel war düster, die Luft schwülwarm.
Die Begrüßung der Organisatoren im knackvollen Hauptsaal war herzlich und wieder ein Stück professioneller, alle netzpolitischen und netzgeschäftlichen Themen der Konferenz wurden klar formuliert.
Das Gelände ist so weitläufig, dass es auch im größten Trubel Rückzugsmöglichkeiten bietet.
(Motividee von dem professionell aussehenden Fotografen neben mir – mein Blick war seinem Objektiv gefolgt.)
Die Keynote kam von Ethan Zuckerman, “The system is broken, and that’s good news“. Er schilderte die derzeitige politische Stimmung der Bürger und Bürgerinnen in westlichen Parteidemokratien (enttäuscht, misstrautisch dem System gegenüber) und wie sich nach seinen Vorstellungen das Web als Gegenmittel nutzen lässt – mit deutlich mehr Optimismus, als er mir zur Verfügung steht.
Dazwischen zwei weitere Jobabsagen, darunter nett und telefonisch die Stelle, für die Sie mir mit dem Tag-Cloud-T-Shirt geholfen haben. Wie ich nach dem sehr angenehmen Gespräch befürchtet hatte, sieht man mich dort als überdimensioniert für die Stelle (meine Wortwahl). Ich muss mir mal wieder eine Runde Traurigsein und Erholen von den jüngsten Niederlagen nehmen, aber jetzt passte es gerade nicht.
Johnny und Tanja Häusler verkündeten in ihrem Vortrag, der als Fortsetzung ihrer Bildungstirade von vor zwei Jahren angekündigt war, die praktische Umsetzung ihres Buchs Netzgemüse: Die Veranstaltungsreihe TINCON für Jugendliche (Teenageinternetwork), hinterlegt mit Verein und Konzept. Klang sehr spannend und unterstützenswert.
Von Markus Beckedahl und Leonhard Dobusch ließ ich mir den Stand der Netzpolitik erläutern: “Die Netzgemeinde ist am Ende. Jetzt geht’s los.” Es tat ganz gut, nicht nur die haarsträubenden Missstände und Fehlentwicklungen wiederholt zu bekommen, sondern auch in die vielen Fortschritte der letzten zwölf Monate zu blicken.
Nichts wirklich Neues gab es in der Podiumsdiskussion “Geteiltes Leid ist halbes Leid? – (Medien-)Ethik in der Digitalen Sphäre”: Wir müssen uns überlegen, auf welchen Werten wir unsere Entscheidungen über Verbreitung von Material online gründen. / Gibt es einen Unterschied zwischen dem Angriff auf Institutionen und Privatpersonen? / Es geht nicht um gesetzliche Regelungen, sondern um grundsätzliche Kultur.
Am bemerkenswertesten erschien mir, dass die Medienwissenschaftlerin Petra Grimm das Wort “Shitstorm” verwendete, als gehöre es inzwischen zu Fachterminologie mit klarer Definition.
“Hoax-Kampagnen: Opium fürs Empörungsvolk” hieß der Vortrag von Deef Pirmasens und Christian Schiffer. Interessante Analysen und Beispiele. Allerdings gruselte mich, als ich sah, wie der Herr vor mir im Publikum eifrig mitschrieb und noch während des Vortrags weitere Hintergründe recherchierte – laut Logo des von ihm gleichzeitig bedienten Twitter-Channels arbeitet er für einen meiner früheren Web-Dienstleister, und alles wies darauf hin, dass er die Kriterien für das Funktionieren von Hoaxes als Anleitung für kommende Projekte auffasste.
Abschluss meines Konferenztages: “Das elektronische Comic Quartett”, das Online-Comics vorstellte und vorlas, inklusive Umsetzung des gezeichneten Soundtracks. Faszinierend, wie viele Stile und Techniken da mittlerweile unterwegs sind. Herzerfrischende Wiederbegegnung mit Blog-Urgestein Lisa Neun.
Dazwischen immer wieder Begegnungen, den Regentropfen im Schwülen ausweichen, dann wieder auf der Terasse den schrägen, aggressiven Sonnenstrahlen.
Heimradeln in später Abenddämmerung, eine schwarze Regenwolke drohend im Nacken.
Nachtrag: Hier ein paar Sessions zum Nachgucken.
https://youtu.be/EHmAPmktKhk
https://www.youtube.com/watch?v=jV6ZhAuKOlg
12 Kommentare zu „Berlinjournal Dienstag, 5. Mai 2015 – re:publica 1“
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6. Mai 2015 um 8:40
Ach, Mensch… (Jobsituationseufzer).
6. Mai 2015 um 8:52
Wie schade! Ich hatte so fest die Daumen gedrückt!
6. Mai 2015 um 9:14
Tut mir so leid wegen der Absagen! Ich hätte es Ihnen so sehr gewünscht. Wieso können die Firmen sich nicht einfach freuen, wenn jemand “überqualifiziertes” den Job so gerne machen würde??
6. Mai 2015 um 9:35
Ach herrje, das tut mir sehr leid. Und ich weiß aus eigener Erfahrung, dass jede Absage auf eine Bewerbung weh tut – aber die Absagen auf Bewerbungen, bei denen man sich schon in der Firma am Schreibtisch sitzen sah, die tun mehr weh wie die anderen. Ich reihe mich auch wieder in die Riege der Jobsuchenden ein, mein neuer Job den ich im März begonnen hatte hat sich vom Traumjob zum Alptraum entwickelt und ich habe die Reißleine gezogen.
@Nina – die Firmen haben Angst, dass sich derjenige dann unterfordert fühlt und deswegen wieder geht. Es ist für die meisten zukünftigen Vorgesetzen nicht vorstellbar, dass jemand freiwillig “rückwärts” geht und einen Job machen möchte, der seine Fähigkeiten nicht ganz fordert.
Dass derjenige das aber ganz bewusst tut ist schwer zu vermitteln.
6. Mai 2015 um 10:10
Mein herzlichstes Beileid zu den Absagen!
6. Mai 2015 um 10:19
Das tut mir Leid. Gut, drücken wir eben alle weiter Daumen, bis es klappt.
6. Mai 2015 um 11:24
Mir tut es auch leid, dass es mit der Stelle nicht geklappt hat. Diese Absagen mit der Begründung “überqualifiziert”, hab ich selber auch zigfach bekommen und weiß, wie frustrierend das ist. Auf der einen Seite wird ständig gefordert, man soll sich bilden und fortbilden und verbessern und am Ende wird einem genau das dann zum Verhängnis. Bitter! Drücke weiter die Daumen für eine passgenaue Stelle!
6. Mai 2015 um 12:42
Hi, warum zum Teufel versuchst Du nicht freiberufluch- oder wie immer man es nennt- in einer der Medienkonzerne unterzukommen.
Ich meine in den FAZ-Blogs tummeln sich merkwürdigsten Minderbegabten herum. Deine Intelligenz und so, wie Du die Welt betrachtest wertete deren Blogs (ich rede nur hiervon) ungemei auf. Oder bei SpOn. Da ist -oder vielleicht war- doch eine alte Bloggerin sogar irgendwas auf Geschäftsführerebene.
Ich meine, Du bist echte Bloggerin (Pionierin mit sehr guter Reichweite), die seit über Jahrzehnt (Ausdauer)auf stilistisch höchstem Niveau erzählt, Du liest (was heute kaum relevant erscheint) tatsächlich sehr viel und -meistens- Gutes (das heißt, arbeitest immer an Deiner intellektuellen Substanz), Du hast Kanten entwuckelt und hast in der Feminismusdebatte klare Stellung beziogen und vor allem: Du bist inglaublich authentisch. Mach doch was daraus (ich weiß, ich weiß, ist immer auch Vitamin-B-Ding und Penetranz, daran kannst Du ja aber bestimmt arbeiten).
Wenn jemand mit diesen verdamten Blogs Geld verdienen sollte, dann du!!!
6. Mai 2015 um 13:23
Man verzeihe mir die Vertipper und so… Smartphone…
6. Mai 2015 um 14:25
Als wenn Frau das aus leidlicher Erfahrung nicht schon gewußt hätte- ab einem gewissen Alter ist man immer nicht das passende Puzzle zur Stelle.
Ich habe mit 63 Jahren aufgegeben mich weiter zu bewerben, weil keiner eine leitende Mitarbeiterin/ Managerin in der Erwachsenenbildung haben will, die sich traut eine eigene Meinung und Visionen zu haben.Hier in Deutschland hat man Angst vor Erfahrung und Kompetenz- leider. Also nicht verzagen und einfach über einen neuen Weg nachdenken. Irgendwas geht immerhin-ich drück die Daumen.
LG Hilde
6. Mai 2015 um 14:48
Na hoffentlich begegnen wir uns heute nochmals ein wenig länger!?
Ich mußte leider bis jetzt arbeiten, mach mich aber gleich auf in Richtung Re:Publica!
6. Mai 2015 um 19:19
Das ist doch Mist. Ich drücke weiterhin die Daumen und reiche ein virtuelles Weinglas zum innerlichen Schniefen.