Berlinjournal Freitag, 1. Mail 2015 – Zwangsarbeiterinnen, die hier blieben
Samstag, 2. Mai 2015 um 10:14Schaun’S: Ich kann auch vernünftig. Obwohl ich gestern erst nach 12 zum Flughafen aufbrach, ließ ich das mit dem Sport am Vormittag sein. Zugegeben: Das fiel auch wegen des Regenwetters leicht.
Stattdessen stellte ich mein re:publica-Programm zusammen (in einer Tabelle in einem Textverarbeitungsdokument – es könnte sich eine interessierte Programmiererin ewigen Ruhm erwerben, wenn sie eine bequeme Möglichkeit dafür auf die re:publica-Website einbaute), recherchierte relevante Adressen und Verbindungen des öffentlichen Nahverkehrs für die ersten Tage, stellte die Lieblingstweets April zusammen, packte meinen Koffer so leicht wie möglich (nur ZWEI Bücher für sechs Tage!).
Rollfeld MUC.
Rollfeld Berlin TXL – wie bestellt.
Anfahrt in die Unterkunft in Schöneberg problemlos. Little did I know, dass das noch ganz anders werden würde.
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Im Apartment las ich in Ruhe eine Geschichte im aktuellen SZ-Magazin, die ich im Bus vom Flughafen angefangen hatte:
“Für immer gefangen
Dreizehn Millionen Zwangsarbeiter wurden von den Nazis nach Deutschland verschleppt. Als der Zweite Weltkrieg vor siebzig Jahren zu Ende ging, konnten viele trotzdem nicht nach Hause”.
Beim ersten Anlauf waren mir nach wenigen Absätzen Tränen über die Wangen gelaufen: Meine polnische Großmutter war eine von diese Zwangsarbeiterinnen, die nicht nach Hause konnten. Ich habe vor langer Zeit kurz darüber gebloggt, hier einen kurzen Nachruf.
Ich erinnerte mich mal wieder daran, dass ich meine Oma an einem Nachmittag vor etwa 20 Jahren auf Kassette interviewt hatte, über ihre Jugend, über die erste Zeit in Deutschland. Doch ich weiß nicht, wo diese Aufnahme hingeraten ist. Zwei Ansatzpunkte habe ich: Laut Erzählungen meiner Mutter hatte sich eine Ingolstädter Lokaljournalistin dafür interessiert, außerdem hatte das Ingolstädter Stadtmuseum für eine Ausstellung über Zwangsarbeiter die Aufnahme möglicherweise bekommen. Die Journalistin schrieb ich noch gestern an, jetzt will ich die Kassetten wirklich wiederhaben, digitalisieren und transkribieren. Allerdings hoffe ich, dass sich eher eine Historikerin des Themas annimmt – einem Journalisten traue ich einfach zu wenig zu, ergebnisoffen und ohne Sensationslust zu recherchieren.
Warum diese konkrete Zwangsarbeiterin Kazimiera Cukrowski, meine Oma, nach dem Krieg nicht wie ihre Schwester Irena zurückkehrte nach Südpolen, hat eine eigenartige Mischung von Gründen; die empfundene Schande der zweifachen unehelichen Mutterschaft spielte sicher eine Rolle.
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Noch sehr aufgewühlt setzte ich mich am Nollendorfplatz in die U-Bahn, die mich mit einmal Umsteigen nach Mitte zu meiner Abendverabredung bringen sollte; die Verbindung hatte ich mir über die BVG-Website empfehlen lassen. Nur dass die knallvolle U-Bahn am Umsteigeort Kottbusser Tor nicht anhielt, Kreuzberg barst vor Feiervolk und UMZ!UMZ!UMZ!-Musik. Ich ergriff die nächste Gelegenheit rauszukommen (Görlitzer Bahnhof), suchte vergeblich ein Taxi, gab meiner Verabredung Bescheid, rannte zum Bahnhof Warschauer Straße. Dort empfahl mir dasselbe BVG-System die Tram 10 nach Mitte – was blieb mir übrig, ich musste der Empfehlung ein weiteres Mal vertrauen. Mit mehr als einer halben Stunde Verspätung saß ich dann endlich beim Abendessen.
die Kaltmamsell4 Kommentare zu „Berlinjournal Freitag, 1. Mail 2015 – Zwangsarbeiterinnen, die hier blieben“
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2. Mai 2015 um 16:28
Liebe Kaltmamsell,
nun, für Ihre Fragen gibt es ja Spezialisten, uns zum Beispiel. Gerade Die Frage, warum Ihre Großmutter nicht zurückkehrte ist eine Frage, die oft gestellt wird. Konnte sie denn zurück? Und was hätte sie erwartet. Falls Sie in Berlin sind, kommen Sie gern bei uns vorbei, schreiben Sie uns oder lassen Sie uns auf der re:publica treffen. Mit dem Interview – so die Kassetten wieder zu Ihnen kommen, können wir sicher auch etwas helfen.
Herzliche Grüße, das Team des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit
2. Mai 2015 um 22:46
Ich habe einen Republica-Sessionplaner gebaut. Ist es das, was sie suchen?
http:// http://www.elfengleich.de/rp15 Oder was auf Papier?
2. Mai 2015 um 23:04
Liebes Dokumentationszentrumsteam,
herzlichen Dank für die Meldung! Ein Treffen auf der re:publica wäre großartig – soll ich an die hinterlegte E-Mail-Adresse einen Terminvorschlag schicken?
Der Planer sieht sehr gut aus, Sanníe, jede Form von individueller Zusammenstellung ist mir erst mal recht. Werde morgen eine Übertragung meiner Tabelle versuchen.
3. Mai 2015 um 13:51
Liebe Frau Kaltmamsel,
ich bin sehr ergriffen von ihren Erinnerungen und dem Foto von ihrer Großmutter. Dass sie schreiben, dass ihre Großmutter auch noch nach 70 Jahren Deutschland ihren eigenen Sprachstil behalten hat, gefällt mir. Ich erinnere mich an meine Großmutter, der man auch nach Jahrzehnten Österreich die Ungarin anhörte. Vermutlich war es zu ihren Zeiten nicht wichtig, dass sie korrektes Deutsch sprachen. Es wußten ja eh alle, dass sie aus Böhmen,.. kamen. Und damals war Sprache wohl noch nicht so ein Statussymbol wie heute.
Dass sie nicht nach Polen zurückging, ja das ist eine spannende Frage. Ein interessantes Angebot des Dokumentationszentrums dies bei ihrer Großmutter genauer zu beleuchten. Vielleicht war es in Deutschland noch immer besser als in Polen Kinder aufzuziehen.
Ich wünsche ihnen einenschönen entspannten Sonntag,
ganga