Journal Sonntag, 17. Mai 2015 – Croissants und Kino
Montag, 18. Mai 2015Croissants gebacken. Resultat schmackhaft, aber an der Blättrigkeit werde ich noch arbeiten müssen, sie könnten stärker aufgehen (vielleicht weniger straff aufrollen?). Außerdem blieb ganz schön viel Butter auf dem Blech – ich erinnere mich dunkel, dass das ein Symptom für einen ganz bestimmten Herstellungsfehler ist, muss ich noch recherchieren.
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Vormittags in die Matinee im Cinema geradelt (Regenumhang in der Tasche, in der Nacht und am Morgen hatte es kräftig geregnet): Ex Machina. Gefiel mir sehr gut, kleiner und schöner Film, auch wenn große Fragen darin vorkommen. Alicia Vikander und Domnhall Gleeson spielen ihre Hauptrollen ganz hervorragend, Oscar Issac als genialischer CEO der weltgrößten Suchmaschine muss sich wegen Riesenbarts ganz auf seine Augen und Körpersprache verlassen. (Nettes Detail der Filmwebsite: Eine Session mit Ava.)
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Feedreader mal wieder ausführlich gelesen. Bei dieser Gelegenheit bereinigt und wieder einige Foodblogs gelöscht, die mir zu sehr zu PR-Blogs geworden sind. Jede soll bitte gerne die Chance nutzen, kostenlos an Reisen, Events, Mahlzeiten und Produkte ranzukommen – ich weiß, dass das für einige ein wichtiger Teil ihres Lebensunterhalts ist. Aber ich mag’s halt nicht lesen weil langweilig. (Mulmig wird mir allerdings, wenn einstmals qualitätsbewusste Foodbloggerinnen dabei völlig unkritisch die Nahrungsmittelindustrie bejubeln.)
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Zeitungen weggelesen, kleine Siesta, Ossobuco zum Abendbrot gemacht. Neuen Frankfurt-Tatort angesehen – mehr als erträglich, ich mag ja nicht-realistisch gebrochenes Erzählen, außerdem war ich so erleichtert, mal keine psychisch zerrissenen Exzentriker als Ermittlerpaar zu bekommen.
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Das war lustig letzte Woche, als mein Friseur Chemtrails erwähnte, ich losprustete, mich gleich wieder fing und darauf hinwies, man sollte sich eigentlich nicht lustig machen, schließlich gebe es Leute, die das wirklich glauben, und dann seinen Gesichtsausdruck im Spiegel sah.
https://youtu.be/zMidf3JYFls
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Der Postillon: “Baukräne der Elbphilharmonie werden unter Denkmalschutz gestellt”.
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Daniel Miller ist Anthropologe und forscht über die Nutzung des Web und seiner Interaktionsmöglichkeiten weltweit. Wenig überraschendes vorläufiges Ergebnis: Es kommt ganz auf die Kultur an.
“Das Netz bist du!
Amerikanische Collegeschüler nutzen Facebook anders als japanische Hausfrauen. Der Anthropologe Daniel Miller erforscht in seiner weltweit größten Studie zu Sozialen Netzwerken deshalb vor allem den Einzelfall.”
Technik entfremdet, macht einsam, verstört, steht zwischen Individuen. Miller hasst diese Sätze. “Menschen sind durch digitale Technologien nicht einen Deut stärker mediatisiert”, sagt er. Ein koreanischer Computerspieler sei nicht mehr und nicht weniger authentisch als ein Stammespriester in Ostafrika. “Kultur ist doch immer vermittelt!”
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Die Evolution der Webcam bleibt aber nicht beim Gespräch stehen. Technik mutiert, indem ihr ursprünglicher Zweck umgedeutet wird. Jahrelang haben Chelsea und Avi, ein Paar aus Trinidad, das Miller begleitete, in einer Fernbeziehung gelebt. Avi war in den USA, an der Universität. Irgendwann haben sie die Webcam nicht mehr ausgestellt, sie wurde zum Fenster in die Lebenswelt des anderen. Sie kochten zur selben Zeit, aßen zur selben Zeit, sie ließen die Kamera laufen, wenn sie sich umzogen, wenn sie einschliefen. Die Kamera blieb immer an. Intensive Gespräche empfinden sie als intim, die intimsten Momente aber sind die, in denen sie den anderen nicht mehr bewusst wahrnehmen, seine Präsenz als völlige Normalität empfinden.
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Erste Ergebnisse gibt es schon. Posten Jugendliche in England und auf Trinidad ähnliche Dinge? Bis auf Fotos von Babys, die Mütter nach der Geburt ins Netz stellen, gibt es kaum Gemeinsamkeiten. Engländer machen sich über sich selbst lustig. Der typisch britische Post: “Was für ein verdammter Idiot ich bin! Ich treff mich gleich mit meinem Chef und habe mir Ketchup übers weiße Hemd gekippt.” Auf Trinidad unmöglich. Posts sind häufig religiöse Sinnsprüche. “Soziale Medien sind eben immer eine lokale Erfindung”, sagt Miller.
Meine Rede: Es handelt sich bei Computern und beim Web um Medien, nicht um Inhalte. Doch erst letzte Woche hörte ich wieder jemanden seine Internetferne damit begründen, er sitze den ganzen Arbeitstag schon vor einem Computer, da wolle er ihn am Feierabend nicht auch noch anschalten. Ich wunderte mich wie immer bei dieser Aussage, ob er wohl beruflich dieselbe Art Inhalte auf dem Bildschirm hat wie am Feierabend und ob der Unterschied zum Fernsehbildschirm existenziell ist.