Archiv für Juni 2015

Journal Sonntag, 14. Juni 2015 – Fladenbrot zur Grillage

Montag, 15. Juni 2015

Den Wecker früh gestellt, da ich vor einer Grilleinladung noch die Pide nach Brotdoc backen wollte. Der Teig hatte schon am Vorabend Signal gegeben, dass 12 Stunden Gehen im Kühlschrank genug sein könnten.

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Er sah auch bei Weitem nicht so kompakt aus wie in Brotdocs sehr nützlichem Anleitungsvideo zum Formen der Brote.

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Beim ersten der drei Fladen war die Ofentemperatur zu hoch (wenn ich jetzt schon 280 Grad kann und das Rezept es angibt, dann mache ich das auch, aber 260 Grad waren grad richtig), der zweite war perfekt, den dritten hätte ich roh besser im Kühlschrank gelagert: Er war übergart und ging nicht auf. Später beim Grillen stellte sich das Innere der ersten beiden als schön großporig heraus (allerdings deutlich saftiger und schwerer als beim Pide aus der türkischen Bäckerei), geschmeckt haben sie hervorragend.

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Neffe 2 hatte zu seinem Geburtstag eingeladen, auf innige Bitte von Herrn Kaltmamsell kam ich mit (er bittet mich selten um etwas). An der Bahnstrecke zwischen München und Ingolstadt wird weiterhin gebaut. Ich glaube mittlerweile, das bleibt so; wir zockeln seit Jahren wochenends mit Schienenersatzverkehr dorthin. Das bedeutete unter anderem, dass wir unsere Fahrräder nicht mitnehmen konnten und für die letzten Kilometer nach hinter den sieben Audibergen ein Taxi zahlen mussten. Vier Verkehrsmittel (S-Bahn nach Petershausen, Bus nach Ingolstadt Hauptbahnhof, Zug nach Ingolstadt Nord, Taxi) für 80 Kilometer fühlten sich schon etwas postkutschig an.

Es gab Sekt mit Walderdbeeren (!) und Minze, Grillage, Salate, Vinho Verde, Schokoladenerdbeeren, tunesischen Feigenschnaps, Espresso, Geburtstagskuchen, Caipirinha. Das ganze bei schwülem Sommerwetter im Garten.

Für den Heimweg brauchten wir ein Verkehrsmittel weniger, weil mein Vater uns zum Hauptbahnhof fuhr. Die Schienen ersetzende Busfahrerin war bester Laune und unterhielt den vorderen Teil des Reisebusses nach Petershausen damit (“Rechts da Weiher – soi ma ohoitn? Badehosen raus!”).

Journal Samstag, 13. Juni 2015 – Schwimmmemme

Sonntag, 14. Juni 2015

Nach dem frühen Aufwachen erst mal Teig für Pide angesetzt und kalt gestellt.

Ein bedeckter Morgen. Ich versuchte es dennoch mit Morgenkaffee auf dem Balkon, doch statt wärmer wurde es kühler und windig. Der Plan für den Vormittag war Schwimmen und Sonnen im Schyrenbad gewesen. Erst plante ich um zu Schwimmen und heiße Innendusche im Schyrenbad, bei immer stärkerem Wind mochte ich gar nicht mehr.

Statt dessen fettete ich meine Wanderstiefel (sie quietschen schon wieder leise beim Gehen, und irgendwo habe ich gelesen, dass das ein Hinweis auf fehlende Geschmeidigkeit und Fettbedarf ist) und die schönste Tasche der Welt. Die Tasche hat nämlich seit zwei Jahren eine aufgerissene Innennaht und einen kaputten Innenreißverschluss, zum Reparieren brachte ich sie lediglich nicht, weil ich sie sichtlich nie anweisungsgemäß eingefettet und deshalb ein schlechtes Gewissen habe. Das Lederfett tat wahre Wunder an der Tasche, jetzt traute ich mich damit zu Antonetty und bat um Reparatur. Meine Runde setzte ich mit dem Kauf eines Geburtstagsgeschenks für meinen Bruder fort: Beim Hugendubel suchte ich nach einem Buch, das da war, gut (ich verschenke immer noch ausschließlich Bücher, die ich selbst gelesen habe – Ausnahme gezielte Wünsche) und in keiner Weise traurig oder bedrückend – Letzteres seit einigen Jahren brüderliche Vorgabe. Es wurde die Moselreise von Hanns-Josef Ortheil.

Zum Abenbrot wollte ich einen Blaufränkisch von Heinrich (Gols), beim Kaufhof entdeckte ich gleich daneben einen Blaufränkisch von Nittnaus (Gols) – anscheinend von derselben Lage. Nahm ich ebenfalls mit, zum Vergleichen.

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Meine Lieblingssommelière informierte mich, dass der Nittnaus nur Leithaberg sei, Heinrich ein Mix aus Leithaberg und Parndorf.

Während meinen beiden Einkaufstouren (ich radelte dann nochmal für weitere Geburtstagsgeschenke hinaus) war es immer wärmer geworden, sogar sonnig. Jetzt wäre ideales Freibadschwimmwetter gewesen. Nun ja.

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Große Freude: Manchmal werden Gebete für Freunde auch ohne Beten wahr.

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Auf dem Balkon eine BA-Arbeit durchgesehen, selbstverständlich viel gelernt.

Meisen beobachtet, eine Amsel gähnen sehen, das Kaninchen wieder gesehen: Es ist jetzt immer allein, nachdem sein Kamerad sehr wahrscheinlich verendet ist, sieht aber gesund aus. (Ich checke immer mit Fernglas.)

Viermal fuhren Segway-Trupps vorbei – die durchfahrtsgesperrte Straße, in der ich wohne, eignet sich dafür wohl besonders gut. Diesmal dabei: Ein Junggesellinnenabschied auf Segways. (Zumindest belästigen die höchstwahrscheinlich keine Passantinnen.)

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Zum Nachtmahl Herrmannsdorfer Entrecôte, dazu warmen Frühkartoffelsalat nach Delia Smith aus den ersten neuen Ernteanteilkartoffeln.

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(Na komm’se, irgendwann müssen Sie sich an die Glasteller gewöhnen. Das sind Erbstücke! Mit denen bin ich aufgewachsen! In den 70ern/80ern todschick, von meiner Mutter mühsam einzeln aus Spanien importiert, die gab’s damals in Deutschland gar nicht!)

Ergebnis des Weinvergleichs: Heinrich ist komplexer, mit animalischen und Tabaknoten – aber der war ja auch im Holz. Nittnaus leichter und fruchtiger, würde vermutlich zu einem Auberginengericht besser passen.

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Und nochmal das Thema Gewicht und Gesundheit, evidenzbasiert (unter anderem, weil es auf Deutsch so wenige Artikel zum Thema gibt – als Buch empfehle ich sehr das von Anke Gröner: Nudeldicke Deern – Ausgangspunkt ist zwar Fat Acceptance, doch Anke zitiert ausführlich die Forschung zum Thema Gewicht und Gesundheit). Hier geht es um ein aktuelles Buch von Harriett Brown:
“Du bist nicht zu fett!”

Natürlich, gibt sie zu, könnte man zu fast jedem Forschungsergebnis, das sie erwähnt, eine andere Studie finden, die das Gegenteil zeigt. Dafür gibt es eine Vielzahl an Ursachen – eine der wichtigsten ist, dass sowohl das Gewicht als auch die Gesundheit eines Menschen auf sehr komplexen körperlichen Mechanismen und Systemen basieren, die noch niemand vollständig versteht. Zudem ist die Übergewichtsforschung vor allem eine beobachtende Wissenschaft. Forscher können Versuchspersonen nicht einfach gezielt mästen, um auszuprobieren, ob sie davon krank werden. Sie können nur Menschen beobachten, die ohnehin schon einige Kilo mehr auf die Waage bringen. Auch deshalb seien Erkenntnisse zu Übergewicht, erklärt Brown, erstaunlich verwirrend und widersprüchlich.

(…)

Wir hassen Diäten, aber wir wollen sie unbedingt. In jedem Drogeriemarkt kann man Pulver für Abnehmshakes kaufen, Redakteure von Frauenzeitschriften (und zunehmend auch von Männermagazinen) wissen, wie wichtig Diäten für den Verkauf der Blätter sind. Was ziemlicher Wahnsinn ist, wenn man bedenkt, dass noch keine Studie beweisen konnte, dass Menschen, die mit einer Diät abgenommen haben, langfristig ihr Gewicht halten konnten. Egal, wie man seine Ernährung umstellt, ob man Kohlenhydrate weglässt, sich von Ananas und Reiscrackern ernährt oder vegan lebt: „Die Chance, dass man einen signifikanten Gewichtsverlust länger als fünf Jahre oder mehr halten kann, ist etwa gleich groß wie die Chance, metastasierenden Lungenkrebs zu überleben: 5 Prozent“, schreibt Brown.

(…)

Schwerer aber wiegt die Tatsache, dass wiederholte Diäten zahlreiche unschöne Nebenwirkungen haben können: In Studien hat sich zeigt, dass Jo-Jo-Diäten Herz-Kreislauf-Krankheiten vielleicht sogar stärker begünstigen als Übergewicht. Mal abgesehen von der psychischen Belastung, die ständige Diäten beziehungsweise ein dauerndes Unwohlsein mit dem eigenen Körper verursachen. Paradoxerweise fördern Diäten auf diese Weise sogar Übergewicht, weil die menschliche Psyche in der ihr eigenen rätselhaften Logik Mechanismen baut, die dazu führen, dass man unbewusst mehr isst, wenn man gehungert hat.

(…)

Wie auch der deutsche Lebensmittelchemiker und ausgewiesene Diätgegner Udo Pollmer auf seiner Facebook-Seite schreibt: „Die Diätindustrie ist der einzige Wirtschaftszweig, der weltweit Milliarden damit verdient, dass seine Produkte nicht wirken.“

Auch lesenswert: Dieses Interview mit dem Arzt und hartnäckigem Evidenzmediziner Gunter Frank.
“‘Ich entspreche dem typischen übergewichtigen Mann’.”

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Die Zeit hat ja doch jemanden gefunden, der brauchbar über Wolfgang Herrndorfs Malen und Zeichen schreiben kann.
“Was mich interessiert, kann ich nicht malen”.

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Architekturjournalist Maik Novotny war im Iran und twitterte danach durchwegs begeistert darüber. Für den Standard hat er geschrieben:
“Iran: Ein Spaziergang durch persische Oasen”.

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Katja Kelm zitiert beim höchst lobenswerten Journalbloggen (bei anderen ist das viel interessanter als bei mir) ihre Freundin Sarah:

“das schlimmste, was einem passieren kann, ist doch: das du gelebt hast und gestorben bist und niemand hat je ein wort über dich geschrieben.”

Um Gottes Willen! Das soll niemandem passieren. Wenn ich hier helfen kann: Sollten Sie auch so denken und fürchten, Ihnen könnte das zustoßen, melden Sie sich bitte bei mir. Dann schreibe ich über Sie. Was, das finden wir dann schon noch heraus.

Journal Freitag, 12. Juni 2015 – #12von12 und #distractinglysexy

Samstag, 13. Juni 2015

Auch gestern wurde ich erst in der Arbeit daran erinnert, dass wieder #12von12 war. Mein Plan war gewesen, heute eine Reihe Rosenfotos zu zeigen (ist heuer ein besonders gutes Rosenjahr? noch nie sind mir auf meinen Wegen so prächtige Rosen aufgefallen), also hatte ich zumindest nach meinem Crosstrainerstrampeln auf dem Weg in die Arbeit bereits Fotos gemacht.

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Eigentlich streikt ja die Post. Deshalb war ich überrascht, als es morgens an der Firmentür klingelte und ich eine Lieferung Büromaterial erhielt, das ich erst am vorherigen Nachmittag bestellt hatte.

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Eine Kollegin meldete sich über Skype aus dem Home Office wegen eines Computerproblems. Ich konnte ihr nicht nur helfen, sondern schickte ihr auch den Link zu DEM Tipp schlechthin für alle Computerprobleme.

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Ein sommerlicher Tag, der Biergarten vor dem Fenster war ausgelastet.

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Mittags Zeitung gelesen, Brotzeit waren Reste der vorabendlichen Mahlzeit.

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Ereignisloser Arbeitstag. Betrachtung der Heerscharen von Symbolen an meinem Bildschirmrand – ich nehme keines davon wahr.

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Feierahmd!

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Erst diese Woche fiel mir auf meinem Heimweg ein Haus an der Theresienwiese auf, Höhe St. Paul, von dem ein Einhorn herabblickt. Gestern hielt ich es fest.

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Die Linden sind gerade in voller Blüte und duften – betörend Hilfsausdruck.

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Einen so schönen und auch noch freitäglichen Sommerabend wollte ich draußen verbringen. Nachdem ich mir bei jedem Vorbeiradeln denke, “Warum gehen wir eigentlich nicht mal hierhin?”, spazierte ich mit Herrn Kaltmamsell zum Biergarten des Paulaner Bräuhauses. Wir hatten Mühe einen Platz zu finden, denn ein Drittel des Biergartens war von einer Firmenteambuildingveranstaltung okkupiert, in internationaler Zusammensetzung. Über unserem Abendbrot erklärte ich Herrn Kaltmamsell (dem als Lehrer solche Dinge völlig fremd sind), was er da sah: Businessmenschen in Freizeitkleidung, in diesem Fall inklusive Partnern/Partnerinnen, spielen in Gruppen Spiele gegeneinander, das ganze in einer Umgebung mit heftiger und deutlich lokaler Kultur (die heimischen Gastgeber trugen auch brav Lederhosen und Karohemd), man trinkt Alkohol und vergnügt sich energisch auf eine Art und Weise, die einem in privatem Umfeld sehr wahrscheinlich nie in den Sinn käme – das ist ja das Bereichernde daran.

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Unangenehmerweise nahmen die teambuildenden Herrschaften die Veranstaltung sehr ernst: Sie jubelten und feuerten in einer Lautstärke an, dass mir nicht nur mehrfach vor Schreck fast die Gabel aus der Hand fiel, sondern auch Konversation unmöglich wurde. Obwohl ich mir eigentlich den ganzen Abend im Biergarten vorgestellt hatte, brachen wir deshalb so bald wie möglich auf. Hinter uns riefen erste nicht teambuildende Biergartengäste: “Shut! Up!”

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Heim wollte ich aber auf keinen Fall, also spazierten wir ins Auroom. Diese ernsthafte Cocktailbar war dann auch genau das Gegenteil eines lärmenden Biergartens und herrlich entspannend. Ich bat um den furztrockenen Schokoladencocktail, der mich hier vor Jahren begeistert hatte (Dry Chocolate Martini, wie sich herausstellte), Herr Kaltmamsell orderte einen Auroom Old Fashioned, der mit einer Glas füllenden Eiskugel serviert wurde. Beides ganz ausgezeichnet.

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Danach hatten wir Lust auf mehr. Ich fragte den Barkeeper Alexander, ob es denn sehr albern sei, beim Cocktailbestellen von einem bestimmten Glas auszugehen: Ein bauchiger Tumbler im beleuchteten Regal hatte es mir angetan. Der Herr ging darauf ein, erklärte mir aber, das sei eigentlich ein Wasserglas, abgesehen davon werde darin guter Rum pur serviert. Darauf hatte ich aber gerade keine Lust. Er bot mir einen ähnlichen Tumbler an, in dem klassischerweise Sours serviert würden. Nachdem er ein paar Vorlieben abgefragt hatte (gerne sauer und frisch, Rum ist ok), bekam ich einen Five Island Sour (wenn ich das richtig verstanden habe).
Herrn Kaltmamsell gelüstete es nach sowas wie Brandy Alexander. Daraus wurde der süße Cocktail Rumkugel mit Rummen, Macadamia, Schokolade, Karamell.

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Außerdem möchte ich unbedingt ein paar von den Wissenschaftlerinnen festhalten, die sich auf Twitter über den Nobelpreisträger Tim Hunt lustig machten:

Tim Hunt, an English biochemist who admitted that he has a reputation for being a “chauvinist”, said to the World Conference of Science Journalists in Seoul, South Korea: “Let me tell you about my trouble with girls … three things happen when they are in the lab … You fall in love with them, they fall in love with you and when you criticise them, they cry.”

Unter dem Hashtag #distractinglysexy illustrierten sie die Gültigkeit seines Vorwurfs. Hier einige Beispiele. (Nebeneffekt: Haufenweise Fotos von weiblichen Rollenvorbildern in Forschung und Wissenschaft!)

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Journal Dienstag/Mittwoch/Donnerstag, 9.-11. Juni 2015 – gemischte Lesehinweise

Freitag, 12. Juni 2015

Nach dem langen Text gestern gibt es heute externe Lesetipps.

Sie haben nichts verpasst: Dienstag und Mittwoch waren kalt und düster, gestern wurde es über den Tag immer wärmer. Ich war unter anderem beim Krafttraining, habe Waschpulver gekauft, einem Heizungsableser mit einem Blogpost geholfen.

Der Techniktagebuch-Redaktionschat hat nun auch mich in die Arme von Duolingo getrieben. Ich punkte mich im Spanischen hoch (das ein etwas verwirrendes Lateinamerikanisch ist, obwohl die spanische Fahne angezeigt wird), um an die wirklich interessanten Lernhinhalte zu kommen (Vergangenheiten! Subjuntivo!) und vielleicht dann doch endlich mal die Akzente auf die Reihe zu kriegen.

§

Von wegen Arbeitswelt: Antje Schrupp hinterfragt die verbreitete Forderung, Frauen müsste sich halt durchsetzen, es genauso machen wie erfolgreiche Männer.
“Frauen sollen selbstbewusster werden? Nein: Männer sollten selbstkritischer werden!”

Natürlich kann man es den einzelnen Männern nicht wirklich anlasten, wenn sie sich regelmäßig besser darstellen als sie sind, sie folgen ja nur den Spielregeln, so wie sie heutzutage im Management üblich sind. Aber wie klug ist es, nun auch noch die Frauen dazu bringen zu wollen, genauso unsinnig zu agieren? Wäre es nicht besser, die Tatsache, dass Frauen im Schnitt eine realistischere Selbst- und Situationseinschätzung vornehmen, dafür zu nutzen, die Spielregeln zu ändern?

(…)

Aber nein, die eingefahrenen Gewohnheiten zu hinterfragen, das wäre wohl zu viel verlangt. Viel einfacher ist es ja, die Schuld auf die Frauen abzuwälzen. So funktioniert das mit der Gleichstellung schon immer: Gemeint ist immer nur die Gleichstellung der Frauen mit den Männern, nie andersrum. Selbst dann nicht, wenn das, was die Frauen machen, mit Abstand das Vernünftigere ist.

Das läuft durchaus wieder auf die Frage hinaus, in welcher Welt wir leben wollen. Und welche Teile davon wir als “Ist nunmal so” hinnehmen wollen.

§

Christopher Lee ist tot. Meine Verehrung.

Aktivieren Sie JavaScript um das Video zu sehen.
https://youtu.be/T9MuEA2eF8c

§

Sehr gelacht über
“I went Paleo and now I hate everything”.

Wenn man sich das irre Begeisterungsglitzern der Diät-Cheerleader in Frauenzeitschriften wegdenkt (und der Männer mittleren Alters, die zum ersten Mal im Leben das Hormon-High eines deutlichen Gewichtsverlusts durch Entsagung erleben und überzeugt sind, wirklich, wirklich den Schlüssel zu ultimativer Schlankheit gefunden zu haben – also das High, dem die meisten Frauen mit spätestens 17 zu misstrauen gelernt haben, nachdem sie nämlich die schönen drei Kleidergrößen weniger wieder drauf hatten), dann bleibt von Diäten, pardon: von “Ernährungsumstellung” nämlich genau das übrig:

In some respects, it’s worked: being Paleo has killed my will to live, so I’m too sad to snack. My abs look pretty damn good, but I suspect that’s from all the nights I spend wracked with sobs because I can’t eat anything fun.

§

Das Sprachlog nimmt eine aktuelle Untersuchung zum Einfluss von Berufbezeichnungen auf Kinder zum Anlass, nochmal auf die belegbaren Auswirkungen nicht gegenderter Sprache hinzuweisen:
“Geschlechtergerechte Sprache und Lebensentscheidungen”.

Ich höre immer wieder das Argument, man solle doch anstelle des Sprachgebrauchs lieber die gesellschaftliche Wirklichkeit ändern. Aber gesellschaftliche Wirklichkeit ändert sich eben (auch) über den Sprachgebrauch.

Als Beispiel erzählt Pia Ziefle, warum sie unbedingt “Siebdrucker” lernen wollte und warum sie sich heute mit “Siebdruckerin” vorstellt:
„’Du kannst nur Kamerafrau werden’.”

In meinem Blog mische ich seit Jahren wild: Ich verwende männliche und weibliche Bezeichnungen, generisches Femininum, am seltensten (bilde ich mir ein) das generische Maskulinum.

Mit Ende 40 einen neuen Job suchen –
große Brocken

Donnerstag, 11. Juni 2015

Nach 18 Monaten, 65 Bewerbungen und 8 Vorstellungsgesprächen habe ich also eine neue Stelle. Jetzt traue ich mich, von meinen Erfahrungen in dieser Zeit zu berichten.

Um eines gleich mal klar zu stellen: Ja, das habe ich mir selber eingebrockt (mit einer Kündigung aus einem sicheren Job, der mir Anerkennung und gutes Gehalt bot, aus reinem GEHT NICHT MEHR). Aber ich wurde davon überrascht, wie groß die Brocken waren.

Diese Zeit hat mich in vielerlei Hinsicht verändert. Eine Folge des langen vergeblichen Bewerbens: Über die Monate sah ich meine Selbstsicht bestätigt. Ich bin tatsächlich so unfähig, wie ich das immer gesehen habe. Das war gar kein impostor syndrom, sondern schlicht Realismus.
Na gut, formulieren wir es neutraler: Ich habe ein wenig Demut gelernt.

Die Ausgangsbasis: Was alles an meinem bisherigen Berufsleben nicht mehr ging, war mir klar und benannt. Doch wie ich mir die Alternative wünschte, fand ich deutlich mühsamer heraus.

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Hoffnungsfroher Anfang und langsamer Absturz

Systematisch auf der Suche war ich ab Dezember 2013, in erster Linie über StepStone. Erst später abonnierte ich auch die Stellennewsletter von Arbeitgebern, die ich mir wünschte, und Indeed.
Anfangs suchte ich in der Jobrichtung Kommunikation, Schwerpunkte PR, Corporate Publishing, Online-Medien (Social Media gehört für mich per Definition dazu), als Arbeitsorte stellte ich München und Umgebung ein (also S-Bahn-Gebiet), zudem Berlin.

Und das ließ sich gut an: Eine Agentur für Change Management suchte jemanden, der Social Media in interne Kommunikation integriert. Ich wurde gleich zum Bewerbungsgespräch eingeladen, und auch das verlief eigentlich sehr erfreulich. “Eigentlich” deshalb, weil der konkrete Einsatz zu 90 Prozent allein beim Kunden vor Ort stattfinden sollte und weil sich bei der konkreten Branche, dem konkreten Kunden und dem konkreten Einsatzort alles in mir sperrte: Um auf diese Weise, zu diesem Thema, bei denen und dort zu arbeiten, hätte ich persönlichkeitsverändernde Medikamente gebraucht. Ich sagte noch vor der nächsten Gesprächsrunde ab.

Doch dann kam mehrere Monate lang: nichts. Ich bewarb mich im Schnitt alle zwei Wochen, ausschließlich auf Stellen, die ich wirklich haben wollte. Für alle war ich geeignet, bei allen betonte ich durch Angabe meiner Gehaltsvorstellungen, dass ich nicht so teuer war, wie mein Lebenslauf aussah. Drei dieser Ausschreibungen passten so genau auf mein Profil (Kenntnisse, Erfahrungen, Branche), dass eigentlich nur noch meine Name als Anforderung fehlte. Auf die erste bewarb ich mich tatsächlich noch mit der Haltung: “Na, dann tun wir denen halt den Gefallen einer Bewerbung.” Doch diesen drei und allen anderen Bewerbungen war gemein, dass man mich nicht mal kennenlernen wollte. Ich flog bereits durch den ersten Anblick meiner Unterlagen raus.

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Reality Check

Als auch beim dritten 150-prozentigen Job eine kurz angebundene Absage kam, war ich bestürzt: Offensichtlich verkannte ich die Situation; vielleicht war ich schlicht wirklich unbrauchbar.

Doch zum einen überlegte ich, dass das im Grunde das erste Mal in meinem Leben war, dass ich mich ganz regulär bewarb. Von allen Stellen davor hatte ich über persönliche Tipps erfahren, für alle Stellen davor war ich ein persönlicher Tipp gewesen. Ich begann, bei Bekannten herumzufragen, ließ mir Tipps geben, schrieb Headhuntereien an, die auf meine Branche spezialisiert sind.

Sogar an meinen früheren Chef wandte ich mich. Der Gute war weiterhin zugewandt und hilfsbereit, obwohl ich ihm die Jobtüre ins Gesicht geworfen hatte. Er schilderte mir die Situation aus seiner Warte des Einstellers. Man mache halt, so erklärte er, aus den eingehenden Bewerbungen drei Stapel:
1 – Passt sehr gut zum Jobprofil.
2 – Passt sehr gut bis überhaupt zum Jobprofil – die sehen wir uns an, wenn in Stapel 1 niemand geklappt hat.
3 – Wie um Himmels Willen kommen die auf die Idee sich zu bewerben?!
Aufgrund meines Alters und meiner Überqualifikation landete ich seiner Einschätzung nach immer auf Stapel 2 – nur dass bei der Art Job, auf die ich mich bewarb, wahrscheinlich bereits eine passende Kandidatin in Stapel 1 war.

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Was nicht mehr geht

Einmal wurde ich selbst angeschrieben: von einem Headhunter, für eine Führungsposition in einem Großunternehmen, die sehr gut auf mein Profil passte. Ich ließ mich darauf ein, da ich mich nicht schon wieder anstellen wollte, es kam bis zum großen Vorstellungstermin: Ein Desaster.

Mir war anschließend bis ins Mark peinlich, dass ich nicht hatte glauben wollen, wie sehr manche Großunternehmen all die bösen Dinge sehenden Auges tun, ohne den leisesten Anspruch, damit auch auf eine gesellschaftliche Verbesserung einzuzahlen. Schaun Sie: Wäre ich in solch einem Unternehmen eine kleine Mitarbeiterin am IT-Helpdesk, könnte ich mir vielleicht noch einreden, dass das nichts mit mir zu tun hat. Das kann ich aber auf keinen Fall, wenn ich für das Unternehmen sprechen soll.

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Das bizarrste Erlebnis

Das bizarrste Erlebnis hatte ich mit einer großen, internationalen Agentur mit Hauptsitz in Paris. Sie hatte eine Stelle “Content Manager” ausgeschrieben, laut Stellenbeschreibung ging es um das Redigieren von Inhalten für und das Befüllen einer Website (dass “Content Management” heutzutage alles von Chefredaktion bis Copy/Paste heißen kann, lernte ich ebenfalls in diesen 18 Monaten). Ich wurde Anfang August 2014 zum Vorstellungsgespräch eingeladen und bekam dort einen 40-minütigen Vortrag übers Unternehmen. Dann wurde mir kurz die Stelle geschildert. Sie interessierte mich, auch wenn die Branche des betreffenden Kunden überhaupt nicht das Meine war.

Es folgte wenige Tage später ein zweites Gespräch mit zwei anderen Menschen: Jetzt wurde mir ein anderer Job in dieser Agentur angeboten. Dieser klang rundum spannend, hochtechnische Themen, interessanter Kunde aus interessanter Branche, Umstrukturierungsprojekt, Online-Kommunikation, international, Projektleitung nach wenigen Monaten. Ich war begeistert. Die Schwierigkeit lag in meiner Kündigungsfrist, ich hätte innerhalb weniger Tage einen Vertrag gebraucht, um die sechs Wochen zum nächsten Quartalsende noch zu schaffen und zum 1. Oktober zu wechseln. Die direkt Beteiligten riefen mich regelmäßig an und hielten mich auf neuestem Stand, doch das klappte dann knapp nicht.

Es meldete sich wieder ein Mensch aus dem ersten Gespräch: Eigentlich sehe man bei mir ohnehin noch viel weiter reichende Einsatzmöglichkeiten, ich solle mich am besten mal mit der Geschäftsführung unterhalten.

Dieses Gespräch mit der Geschäftsführung Ende September (es war dann doch ich, die dem Termin hinterherjagen musste) verlief angenehm und konstruktiv, mir wurde eine konkrete Stelle angeboten, wir waren uns einig. Man bedauerte lediglich, dass ich erst zum 1. Januar würde antreten können, eigentlich würde ich früher gebraucht. Die Personalabteilung schickte mir einen Personalbogen, ich schickte ihn ausgefüllt und mit weiteren erbetenen Unterlagen zurück und wartete auf den Arbeitsvertrag. Und wartete. Und wartete. Als sich der Termin näherte, zu dem ich für einen Wechsel zum 1. Januar kündigen musste (Mitte November), rief ich mich per E-Mail an die Personalabteilung in Erinnerung. Diese beschied mir, das sei alles kompliziert, man verhandle zu meiner Stelle noch mit der Zentrale. Wenige Tage vor meiner Kündigungsfrist hakte ich nochmal nach: Ich bat um Auskunft zum Stand der Dinge, auch dann, wenn inzwischen eine Entscheidung gegen meine Einstellung gefallen sei. Es folgte: mehrtägiges Schweigen. Ich schluckte Stolz und Trotz hinunter und versuchte den Kontakt hartnäckig telefonisch: Vergeblich, laut Telefonzentrale war die Personalabteilung durchgehend in Besprechungen. Endlich bekam ich Antwort per E-Mail: Das sei weiterhin alles sehr kompliziert, und es mache ja auch nichts, wenn ich erst zum 1. April anfinge.

Mittlerweile sah ich ein, dass ich von dieser Agentur nie wieder etwas hören würde – und dass ich in einem Unternehmen, das bereits vor Einstellung so mit Menschen umgeht, sehr wahrscheinlich nicht arbeiten mochte.

Zu meiner großen Überraschung meldete sich einige Monate später noch mal der Herr aus dem ersten Gespräch, völlig unbefangen, ob wir uns nochmal treffen könnten, er hätte da was für mich. Ah. Nee.

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Methode Schrotgewehr

Nun war das aber das Licht am Horizont des Jahres 2014 gewesen, ich musste wieder von Vorne anfangen. Nach dem Scheitern von gezielten Bewerbungen auf Stellen, die ich wirklich wollte und zu denen ich wirklich passte, änderte ich meine Taktik: Ich bewarb mich auf alles in den Bereichen Assistenz, Sekretariat und Kommunikation, was mich betreffen könnte. Ziel: Mindestens zwei Bewerbungen pro Woche. Ich ließ meine Abos auf Jobportalen weiterlaufen, stellte aber auch mein Profil bei Jobportalen Münchner Großunternehmen und bei Personaldienstleistern ein. Ob ich den Job wirklich wollte, konnte ich mir immer noch überlegen, wenn ich zum Gespräch eingeladen würde.

Da ich mir auf keinen Fall mangelnden Einsatz nachsagen lassen wollte, hängte ich mich in alle Bewerbungen richtig rein: Recherche über die Firma, Abgleich meiner Eigenpräsentation im Anschreiben und im Lebenslauf mit den Anforderungen aus der Stellenanzeige, hie und da, wenn es passte, kleine Kreativitäten (zum Beispiel zusätzliches Foto in dem Look, in dem sich Mitarbeiterinnen auf der Firmenwebsite präsentierten). Ein paar Monate lang war ich also an sportfreien Morgen und am Wochenende gut beschäftigt. Am schnellsten gingen noch Bewerbungen an Zeitarbeitsfirmen, weil die ja den konkreten Einsatzarbeitgeber nicht nennen und ich nicht allzu konkret werden konnte.

Das Ergebnis waren fünf weitere Vorstellungsgespräche in sechs Monaten.

Allerdings wurde mir durch die intensive Beschäftigung mit einer Vielzahl von Unternehmen und Stellen tatsächlich immer klarer, was ich mir eigentlich wünschte: Einen Posten, in dem ich wirklich hilfreich sein kann, aber in unterstützender Funktion, ohne zentrale Verantwortung, in einem anständigen Unternehmen. Vor allem aber in einer thematisch wirklich spannenden Umgebung. Dazu ein Gehalt, das mir wieder ein wenig Zurücklegen erlaubte.
Das Feuer, das mich so lange und bis vor wenigen Jahren ständig auf immer neue große Projekte anspringen ließ und das eher im Nebeneffekt zu einer Karriere geführt hatte, ist einfach weg. Inzwischen glaube ich nicht, dass es zurück kommt. Ich bin immer noch im Prozess zu verarbeiten, dass das ok sein kann.

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Das Sonderthema Jobportale

Eine der Expertisen, die ich mir in diesen 18 Monaten erworben habe: Umgang mit Jobportalen von Unternehmen und Arbeitsvermittlern. Mittlerweile weiß ich, dass nicht ein einziges davon die Bewerberin im Blick hat, sondern alle ihre eigenen Personal- und Bewerbungsprozesse sowie ihre eigene Unternehmensstruktur.
Ich habe also eine ganze Liste von Passwörtern für Jobportale und kenne verschiedenste automatisierte Bewerbungsprozesse. Manche davon sind derart komplex, dass deren Überwindung offensichtlich bereits die erste Qualifikation darstellt.

Dabei erlebte ich unter anderem:

  • Seite gar nicht erreichbar
  • Unsichtbare Pflichtfelder
  • Anleitungen, die ich vorher brav durchlas (ja, ich bin das), die aber nicht dem tatsächlichen Prozess entsprachen. Zum Beispiel Anleitungen, die mich hießen, alle meine Unterlagen zu einem PDF mit höchstens so vielen MB zusammenzufassen. Gefolgt von einem tatsächlichen Prozess, bei dem ich jede einzelne Unterlage Schritt für Schritt hochladen musste.
  • Pflichteingabe des Lebenslaufs, dabei jede einzelne Station mit eigenen Fenstern für:
    • Zeitraum
    • Arbeitgeber
    • Stelle
    • Tätigkeit

    Wenn man mehr als 20 Jahre emsige Berufstätigkeit auf dem Buckel hat, oft mehrere Jobs gleichzeitig, sitzt man daran bei 12 Stationen schon ein gutes Stündchen.

Es war offensichtlich: An meiner Stelle des Arbeitslebens gehört man nicht mehr zur Zielgruppe solcher Portale. Bei Leuten wie mir wird davon ausgegangen, dass sie bleiern auf ihren Arbeitsstellen sitzen oder höchstens noch über Headhunter wechseln.

Das merkte ich allein schon an den drop-down Auswahlangeboten dieser Portale: Mein Studienabschluss Magister war dort meist gar nicht mehr verzeichnet.

§

Demut und Dankbarkeit

Weitere Folge: Über die Monate vergeblichen Bewerbens wurde ich dankbar für meinen Job. Dass ich überhaupt einen hatte. Da mag die “Beruf und Karriere”-Seite der Süddeutschen sich noch so sehr darauf konzentrieren, wie sehr sich Unternehmen heute anstrengen müssen, gute Leute zu bekommen: Mittlerweile hege ich den begründeten Verdacht, dass diese unternehmensseitigen Anstrengungen notwendig sind, weil alle dieselben 0,5 % haben wollen, die nicht nur in puncto Fertigkeiten und Branchenhintergrund zu 99,5 % aufs Profil passen, sondern auch jung genug sind, nicht fortpflanzungsgefährdet, im richtigen Gewichtsbereich, 100 % körpertüchtig.

Dass die deutsche Wirtschaft ein Diversity-Problem hat, liest man nicht erst seit gestern. Wie sehr dazu auch fehlende Diversity in der Altersstruktur gehört, wurde mir erst jetzt bewusst. Inklusive der damit einher gehenden Sterotypen: In einem der Vorstellungsgespräche ließ ich meine Internetbewohnerschaft fallen und sah an den entgeisterten Mienen der Gesprächspartnerinnen, dass sie in Verbindung mit meinem grauen Haarschopf bereits von mittelgutem Umgang mit der Serienbrieffunktion von Word beeindruckt gewesen wären.

Da behaupten die Unternehmen nach Diversity zu streben und merken nicht, dass sie mit Anforderungen wie “Muss aber in unsere Unternehmenskultur passen”, “Muss sich ins Team einfügen” doch immer nur mehr vom selben in die Firma holen.

Ja, die Arbeitswelt hat sich ganz schön verändert in den vergangenen 30 Jahren. Das schließe ich vor allem aus den Bewerbungsgeschichten von sauber qualifizierten Hochschulabgängerinnen. Ausprobieren, ein Einlassen auf Persönlichkeiten, denen man das Jobspezifische dann schon noch beibringt – das scheint so gut wie verschwunden zu sein. Möglicherweise ist die Vielfalt in Unternehmen dadurch in den vergangenen Jahrzehnten in vieler Hinsicht sogar geringer geworden.

Dass jemand in meinem Alter Sehnsucht nach Neuem hat, auf einer neuen Stelle noch ganz viel lernen möchte, ist trotz allem Gekrähe über “Lebenslanges Lernen” eher nicht vorgesehen.

§

Ende gut

Doch nun weist sehr viel darauf hin, dass meine Wünsche zu großen Stücken erfüllt werden. Der Job und der Arbeitgeber passen wie eigens für meine Suche erfunden. Zudem freut es mich, dass ich wider einige Unkenrufe durch eine reguläre Bewerbung auf eine reguläre Stellenanzeige rangekommen bin.

Selbstverständlich behalte ich weiterhin einen Schluck Zweckpessimismus – aber warum sollte es denn bitte NICHT gut gehen?

Journal Montag, 8. Juni 2015 – Gewitter

Dienstag, 9. Juni 2015

Kurz vor fünf wurde ich geweckt von einem SEHR LAUTEN Gewitter direkt überm Haus. Ich versuchte weiterzuschlafen und auch den Krach des Sturzregens zu ignorieren. Ging nicht. Als ich auf Twitter darüber maulte, entschädigte mich ein Link von @Typ.o für alles:
Lightning Maps – Echtzeit Blitze. SO! COOL!

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Es wurde nicht hell, für mein Stündchen auf dem Crosstrainer musste ich das Licht anschalten.

Sonstiger Tag ereignisarm und düster, abends regnete es wieder.

Aber endlich hatte auch ich etwas vom G7-Gipfel: Meine Twittertimeline alberte um ein Foto herum, hier mein Favorit.

Journal Samstag/Sonntag, 6./7. Juni 2015 – Sommerlicher Reality Check

Montag, 8. Juni 2015

Am Samstag mit Ohrwurm aufgewacht: Beethoven 7. Sinfonie, 2. Satz, der in meinem Kopf spielte, seit ihn Klassikradio am Sonntag davor in Schwiegervaters Auto sendete. Zur Bekämpfung ein paar Mal angehört (zu nett, wie erst die Triolen, dann Achtel, dann Viertel dem Motiv entgegen gesetzt sind). Der Rest der Sinfonie klingt ja eher wie ein mittelguter Soundtrack für Touristikwerbung.

Morgenkaffee auf dem Balkon.

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Wieder zum Schwimmen ins Schyrenbad gefahren, diesmal nicht so gedankenverloren Bahnen gezogen wie am Fronleichnamsdonnerstag, unter anderem weil die Hälfte der Mitschwimmer und Mitschwimmerinnen mit Hilfsmitteln unterwegs waren.

Trocknen und Musikhören in der Sonne. Amüsement über eine Gruppe junger Männer hinter mir, die Bier tranken, lachten, rauchten, fröhlich und völlig unironisch Stadlandfluss spielten, mit Papier und Kuli.

Wieder festgestellt, welch hervorragender Reality Check für Körper ein Freibadbesuch ist; Werberinnen, Marketingmenschen, Frauengazettenredakteure und
-redakteurinnen sollten regelmäßig zu einem Besuch gezwungen werden. Der Stand dieses Jahr: Es gibt immer noch Körper ohne sichtbare Tätowierungen, ich bilde mir ein, dass die Vielfalt der angeborenen Hautfarben etwas größer wird.

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Abends mit Herrn Kaltmamsell zur Feier eines 50. Geburtstags ins Fürstenfeldbrucker Hinterland, per S-Bahn und wundervoller Fahrradfahrt über grüne Felder. Das Augustiner vom Fass schmeckte dann fast ein bisschen zu gut.

Das angekündigte Gewitter verschob sich zum Glück so weit in die Nacht, dass wir erst zurück in München für die letzten Meter von S-Bahnhof nach Hause den Regenschutz brauchten.

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Am wieder sonnigen Sonntagmorgen mit Kopfweh aufgewacht, das gefährlich nah an Migräne war. Das konnte ich gar nicht brauchen, denn ich wollte zur Generalversammlung des Kartoffelkombinats nach Schönbrunn. Ich versuchte also die Anzeichen zu ignorieren, erst der besorgte Blick von Herrn Kaltmamsell auf mich, als ich nach einem Aspirin sehr jämmerlich über meinem Morgenkaffe saß, schickte mich zurück ins Bett – und dass der Herr unsere Anreise nach Schönbrunn genau berechnet hatte, die mir die Möglichkeit dazu versprach.
Siehe da: 45 Minuten zusätzlicher Schlaf vertrieben tatsächlich Kopfschmerzen und leichte Übelkeit, ich stand mit einer Munterkeit auf, die man nur Putz- bezeichnen kann.

Apropos Tourismus: In der S-Bahn nach Röhrmoos erheiterte mich ein Werbeplakat.

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Meine Fantasie spielte mir ausführliche Szenen zwischen Kunden und Agentur zu, die zu diesem Ergebnis geführt haben mögen. Hebe mir das als Beleg auf, wie Kommunikation komplett den Anschluss zur Zielgruppe verlieren kann.

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Radeln in schönster Sonne vom S-Bahnhof Röhrmoos nach Schönbrunn. Ich war zum ersten Mal in der Gärtnerei, die seit Anfang des Jahres Stammhaus unseres Kartoffelkombinats ist und freute mich über die Führung.

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Überraschung: Eine Mitgenossenschaftlerin sprach mich an und stellte sich als Leserin meines Blogs heraus – eine sehr schöne Begegnung.
Die Generalversammlung verlief spannend und harmonisch (Bild vom Vorstandstisch aus). Und da mag ich schon einige Hauptversammlungen gesehen und mitorganisiert haben: Ein stellvertretender Aufsichtsratvorsitzender mit winzigem Baby auf dem Arm war für mich ein erstes Mal.

Erfreuliche Neuigkeit aus der Generalversammlung: Wir werden Äpfel haben! Auf dem letzten Bild oben sieht man, dass dieser alte Gemüsehof noch mit Obstbäumen zwischen dem Beeten bestückt ist. Das sind Apfelbäume, die umständehalber seit vielen Jahren nicht geerntet wurden: Das können die Beschäftigten der Einrichtung nicht. Aber wir Genossenschaftlerinnen können! Ich freue mich schon sehr auf den Ernteeinsatz im Herbst.

Diskutiert wurde unter anderem der Wunsch nach mehr Mitbestimmung bei der Auswahl der angebauten Gemüse. Ich gestehe, dass mein Bild von solch einer Genossenschaft ursprünglich genau so etwas enthalten hatte: Wie wir gemeinschaftlich bestimmen, was in welchen Mengen angebaut wird. Doch ich bekam schon bald mit, dass dieser Aspekt, wie so vieles, ausgesprochen komplex ist. Einen tieferen Einblick erhielt ich vor einem halben Jahr, als die Gärtnerei Schönbrunn vorgestellt wurde und Vorstand Simon das Excel-Sheet mit der Anbauplanung per Beamer vorzeigte. Selbst in dieser nach eigenen Aussagen vereinfachten Form gehörten zu den Faktoren:
– Bodenbeschaffenheit in der eigenen Gärtnerei und den vier Partnerbetrieben
– Anbauhistorie der Böden. Gestern erfuhr ich zum Beispiel, dass in Schönbrunn für uns heuer eine Fläche bewirtschaftet wird, die viele Jahre lang brach lag: Der Boden ist dadurch schwer und lehmig, er kann erst mal nur mit “Pionierpflanzen” wie Kürbis bebaut werden.
– Zusammensetzung des Maschinenparks
– Mikroklima
– Wie man die Beschäftigten in Schönbrunn einsetzen kann: Die Gärtnerei ist ja ursprünglich und immer noch in erster Linie Arbeitsplatz für geistig Behinderte, die hier zum Teil schon viele Jahr arbeiten – und deren Arbeitskraft sich halt nicht an Hochleistung und Effizienz ausgerichtet planen lässt.
– Jahrezeit
– Welche Samen in welcher Qualität wann zur Verfügung stehen
– Sonstige Pläne der Partnerbetriebe, mit denen auf Augenhöhe kooperiert wird.
Und das verbunden mit dem ehrgeizigen Ziel des Vorstands, so viel Vielfalt wie möglich zu bieten.
Bei dem allen ist zwar Raum für Experimente, doch unterm Strich muss vor allem die Versorgung der mittlerweile 700 Haushalte des Kartoffelkombinats gesichert sein. Ich sehe ein, dass Mitspracheforderungen von Genossenschaftlerinnen diese ohnehin unglaublich komplexe Planung sprengen.

Es macht mir enorm Spaß, immer mehr Hintergründe des nachhaltigen regionalen Gemüseanbaus zu erfahren, der solchen Anforderungen gerecht werden muss – und sich in fast keiner Weise vergleichen lässt mit spielerischem Ausprobieren auf ein paar Quadratmetern Gemüsegarten hinterm Haus.

Auch dies also ein Reality Check.

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Auf dem Heinweg warteten wir am S-Bahnhof Röhrmoos in sengender Hitze eine gute halbe Stunde auf den Rücktransport. Daheim Freude über die kühle Wohnung. Ich bügelte mal wieder auf, hörte dabei Holgis WRINT, in dem Andrea Diener von ihrer Marokkoreise erzählte.

Abends spontan Spargel, den die Nachbarin Herrn Kaltmamsell fürs Blumengießen geschenkt hatte, danach Erdbeeren mit Sahne, dazu Wiener Tatort.

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Von wegen Hintergründe von Bio-Anbau. Haben Sie sich schon mal gewundert, warum es so wenige Erdbeerfelder zum Selberpflücken in Bio gibt? Das Hofgut Letten erklärt:
“Was ist beim Anbau von Bio-Erdbeeren anders?”

via Kartoffeldruck des @kartoffelkombi

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Am Samstag ist Pierre Brice gestorben, meine Twitter-Timeline war voller Winnetou-Erinnerungen.

Selbst sah ich die Winnetoufilme als Kind nicht im Fernsehen: Sie wurden nach der Tagesschau gesendet, da lag ich schon im Bett. Und Sendungen nach der Tagesschau durfte ich bis ins Teenageralter eh nicht sehen. So bekam ich sie aus zweiter Hand mit: Die Nachbarskinder mit weniger restriktiven Eltern waren schwer beeindruckt von den Filmen und wollten Szenen daraus nachspielen. Das bedeutet allerdings keine schlüssige Nacherzählung, sondern immer die Information, die man fürs Nachspielen der vorgeschlagenen Szene brauchte. Das war aufregend und großartig, ich konnte die Faszination sehr gut nachvollziehen.
Als ich dann viel später die Winnetoufilme sah, war ich tatsächlich eher enttäuscht und erst durch Bully Herbigs Schuh des Manitu mit dem Stoff versöhnt.

Noch viel später hatte ich eine wunderbare Arbeitskollegin, die sich aus vertrauter Runde gerne mal mit dem Winnetou-Apachen-Gruß verabschiedete (zwei Finger würdevoll von der Schulter nach vorne). In meinem Kopf setzte immer augenblicklich die Filmmeldodie ein.