Nach 18 Monaten, 65 Bewerbungen und 8 Vorstellungsgesprächen habe ich also eine neue Stelle. Jetzt traue ich mich, von meinen Erfahrungen in dieser Zeit zu berichten.
Um eines gleich mal klar zu stellen: Ja, das habe ich mir selber eingebrockt (mit einer Kündigung aus einem sicheren Job, der mir Anerkennung und gutes Gehalt bot, aus reinem GEHT NICHT MEHR). Aber ich wurde davon überrascht, wie groß die Brocken waren.
Diese Zeit hat mich in vielerlei Hinsicht verändert. Eine Folge des langen vergeblichen Bewerbens: Über die Monate sah ich meine Selbstsicht bestätigt. Ich bin tatsächlich so unfähig, wie ich das immer gesehen habe. Das war gar kein impostor syndrom, sondern schlicht Realismus.
Na gut, formulieren wir es neutraler: Ich habe ein wenig Demut gelernt.
Die Ausgangsbasis: Was alles an meinem bisherigen Berufsleben nicht mehr ging, war mir klar und benannt. Doch wie ich mir die Alternative wünschte, fand ich deutlich mühsamer heraus.
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Hoffnungsfroher Anfang und langsamer Absturz
Systematisch auf der Suche war ich ab Dezember 2013, in erster Linie über StepStone. Erst später abonnierte ich auch die Stellennewsletter von Arbeitgebern, die ich mir wünschte, und Indeed.
Anfangs suchte ich in der Jobrichtung Kommunikation, Schwerpunkte PR, Corporate Publishing, Online-Medien (Social Media gehört für mich per Definition dazu), als Arbeitsorte stellte ich München und Umgebung ein (also S-Bahn-Gebiet), zudem Berlin.
Und das ließ sich gut an: Eine Agentur für Change Management suchte jemanden, der Social Media in interne Kommunikation integriert. Ich wurde gleich zum Bewerbungsgespräch eingeladen, und auch das verlief eigentlich sehr erfreulich. “Eigentlich” deshalb, weil der konkrete Einsatz zu 90 Prozent allein beim Kunden vor Ort stattfinden sollte und weil sich bei der konkreten Branche, dem konkreten Kunden und dem konkreten Einsatzort alles in mir sperrte: Um auf diese Weise, zu diesem Thema, bei denen und dort zu arbeiten, hätte ich persönlichkeitsverändernde Medikamente gebraucht. Ich sagte noch vor der nächsten Gesprächsrunde ab.
Doch dann kam mehrere Monate lang: nichts. Ich bewarb mich im Schnitt alle zwei Wochen, ausschließlich auf Stellen, die ich wirklich haben wollte. Für alle war ich geeignet, bei allen betonte ich durch Angabe meiner Gehaltsvorstellungen, dass ich nicht so teuer war, wie mein Lebenslauf aussah. Drei dieser Ausschreibungen passten so genau auf mein Profil (Kenntnisse, Erfahrungen, Branche), dass eigentlich nur noch meine Name als Anforderung fehlte. Auf die erste bewarb ich mich tatsächlich noch mit der Haltung: “Na, dann tun wir denen halt den Gefallen einer Bewerbung.” Doch diesen drei und allen anderen Bewerbungen war gemein, dass man mich nicht mal kennenlernen wollte. Ich flog bereits durch den ersten Anblick meiner Unterlagen raus.
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Reality Check
Als auch beim dritten 150-prozentigen Job eine kurz angebundene Absage kam, war ich bestürzt: Offensichtlich verkannte ich die Situation; vielleicht war ich schlicht wirklich unbrauchbar.
Doch zum einen überlegte ich, dass das im Grunde das erste Mal in meinem Leben war, dass ich mich ganz regulär bewarb. Von allen Stellen davor hatte ich über persönliche Tipps erfahren, für alle Stellen davor war ich ein persönlicher Tipp gewesen. Ich begann, bei Bekannten herumzufragen, ließ mir Tipps geben, schrieb Headhuntereien an, die auf meine Branche spezialisiert sind.
Sogar an meinen früheren Chef wandte ich mich. Der Gute war weiterhin zugewandt und hilfsbereit, obwohl ich ihm die Jobtüre ins Gesicht geworfen hatte. Er schilderte mir die Situation aus seiner Warte des Einstellers. Man mache halt, so erklärte er, aus den eingehenden Bewerbungen drei Stapel:
1 – Passt sehr gut zum Jobprofil.
2 – Passt sehr gut bis überhaupt zum Jobprofil – die sehen wir uns an, wenn in Stapel 1 niemand geklappt hat.
3 – Wie um Himmels Willen kommen die auf die Idee sich zu bewerben?!
Aufgrund meines Alters und meiner Überqualifikation landete ich seiner Einschätzung nach immer auf Stapel 2 – nur dass bei der Art Job, auf die ich mich bewarb, wahrscheinlich bereits eine passende Kandidatin in Stapel 1 war.
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Was nicht mehr geht
Einmal wurde ich selbst angeschrieben: von einem Headhunter, für eine Führungsposition in einem Großunternehmen, die sehr gut auf mein Profil passte. Ich ließ mich darauf ein, da ich mich nicht schon wieder anstellen wollte, es kam bis zum großen Vorstellungstermin: Ein Desaster.
Mir war anschließend bis ins Mark peinlich, dass ich nicht hatte glauben wollen, wie sehr manche Großunternehmen all die bösen Dinge sehenden Auges tun, ohne den leisesten Anspruch, damit auch auf eine gesellschaftliche Verbesserung einzuzahlen. Schaun Sie: Wäre ich in solch einem Unternehmen eine kleine Mitarbeiterin am IT-Helpdesk, könnte ich mir vielleicht noch einreden, dass das nichts mit mir zu tun hat. Das kann ich aber auf keinen Fall, wenn ich für das Unternehmen sprechen soll.
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Das bizarrste Erlebnis
Das bizarrste Erlebnis hatte ich mit einer großen, internationalen Agentur mit Hauptsitz in Paris. Sie hatte eine Stelle “Content Manager” ausgeschrieben, laut Stellenbeschreibung ging es um das Redigieren von Inhalten für und das Befüllen einer Website (dass “Content Management” heutzutage alles von Chefredaktion bis Copy/Paste heißen kann, lernte ich ebenfalls in diesen 18 Monaten). Ich wurde Anfang August 2014 zum Vorstellungsgespräch eingeladen und bekam dort einen 40-minütigen Vortrag übers Unternehmen. Dann wurde mir kurz die Stelle geschildert. Sie interessierte mich, auch wenn die Branche des betreffenden Kunden überhaupt nicht das Meine war.
Es folgte wenige Tage später ein zweites Gespräch mit zwei anderen Menschen: Jetzt wurde mir ein anderer Job in dieser Agentur angeboten. Dieser klang rundum spannend, hochtechnische Themen, interessanter Kunde aus interessanter Branche, Umstrukturierungsprojekt, Online-Kommunikation, international, Projektleitung nach wenigen Monaten. Ich war begeistert. Die Schwierigkeit lag in meiner Kündigungsfrist, ich hätte innerhalb weniger Tage einen Vertrag gebraucht, um die sechs Wochen zum nächsten Quartalsende noch zu schaffen und zum 1. Oktober zu wechseln. Die direkt Beteiligten riefen mich regelmäßig an und hielten mich auf neuestem Stand, doch das klappte dann knapp nicht.
Es meldete sich wieder ein Mensch aus dem ersten Gespräch: Eigentlich sehe man bei mir ohnehin noch viel weiter reichende Einsatzmöglichkeiten, ich solle mich am besten mal mit der Geschäftsführung unterhalten.
Dieses Gespräch mit der Geschäftsführung Ende September (es war dann doch ich, die dem Termin hinterherjagen musste) verlief angenehm und konstruktiv, mir wurde eine konkrete Stelle angeboten, wir waren uns einig. Man bedauerte lediglich, dass ich erst zum 1. Januar würde antreten können, eigentlich würde ich früher gebraucht. Die Personalabteilung schickte mir einen Personalbogen, ich schickte ihn ausgefüllt und mit weiteren erbetenen Unterlagen zurück und wartete auf den Arbeitsvertrag. Und wartete. Und wartete. Als sich der Termin näherte, zu dem ich für einen Wechsel zum 1. Januar kündigen musste (Mitte November), rief ich mich per E-Mail an die Personalabteilung in Erinnerung. Diese beschied mir, das sei alles kompliziert, man verhandle zu meiner Stelle noch mit der Zentrale. Wenige Tage vor meiner Kündigungsfrist hakte ich nochmal nach: Ich bat um Auskunft zum Stand der Dinge, auch dann, wenn inzwischen eine Entscheidung gegen meine Einstellung gefallen sei. Es folgte: mehrtägiges Schweigen. Ich schluckte Stolz und Trotz hinunter und versuchte den Kontakt hartnäckig telefonisch: Vergeblich, laut Telefonzentrale war die Personalabteilung durchgehend in Besprechungen. Endlich bekam ich Antwort per E-Mail: Das sei weiterhin alles sehr kompliziert, und es mache ja auch nichts, wenn ich erst zum 1. April anfinge.
Mittlerweile sah ich ein, dass ich von dieser Agentur nie wieder etwas hören würde – und dass ich in einem Unternehmen, das bereits vor Einstellung so mit Menschen umgeht, sehr wahrscheinlich nicht arbeiten mochte.
Zu meiner großen Überraschung meldete sich einige Monate später noch mal der Herr aus dem ersten Gespräch, völlig unbefangen, ob wir uns nochmal treffen könnten, er hätte da was für mich. Ah. Nee.
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Methode Schrotgewehr
Nun war das aber das Licht am Horizont des Jahres 2014 gewesen, ich musste wieder von Vorne anfangen. Nach dem Scheitern von gezielten Bewerbungen auf Stellen, die ich wirklich wollte und zu denen ich wirklich passte, änderte ich meine Taktik: Ich bewarb mich auf alles in den Bereichen Assistenz, Sekretariat und Kommunikation, was mich betreffen könnte. Ziel: Mindestens zwei Bewerbungen pro Woche. Ich ließ meine Abos auf Jobportalen weiterlaufen, stellte aber auch mein Profil bei Jobportalen Münchner Großunternehmen und bei Personaldienstleistern ein. Ob ich den Job wirklich wollte, konnte ich mir immer noch überlegen, wenn ich zum Gespräch eingeladen würde.
Da ich mir auf keinen Fall mangelnden Einsatz nachsagen lassen wollte, hängte ich mich in alle Bewerbungen richtig rein: Recherche über die Firma, Abgleich meiner Eigenpräsentation im Anschreiben und im Lebenslauf mit den Anforderungen aus der Stellenanzeige, hie und da, wenn es passte, kleine Kreativitäten (zum Beispiel zusätzliches Foto in dem Look, in dem sich Mitarbeiterinnen auf der Firmenwebsite präsentierten). Ein paar Monate lang war ich also an sportfreien Morgen und am Wochenende gut beschäftigt. Am schnellsten gingen noch Bewerbungen an Zeitarbeitsfirmen, weil die ja den konkreten Einsatzarbeitgeber nicht nennen und ich nicht allzu konkret werden konnte.
Das Ergebnis waren fünf weitere Vorstellungsgespräche in sechs Monaten.
Allerdings wurde mir durch die intensive Beschäftigung mit einer Vielzahl von Unternehmen und Stellen tatsächlich immer klarer, was ich mir eigentlich wünschte: Einen Posten, in dem ich wirklich hilfreich sein kann, aber in unterstützender Funktion, ohne zentrale Verantwortung, in einem anständigen Unternehmen. Vor allem aber in einer thematisch wirklich spannenden Umgebung. Dazu ein Gehalt, das mir wieder ein wenig Zurücklegen erlaubte.
Das Feuer, das mich so lange und bis vor wenigen Jahren ständig auf immer neue große Projekte anspringen ließ und das eher im Nebeneffekt zu einer Karriere geführt hatte, ist einfach weg. Inzwischen glaube ich nicht, dass es zurück kommt. Ich bin immer noch im Prozess zu verarbeiten, dass das ok sein kann.
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Das Sonderthema Jobportale
Eine der Expertisen, die ich mir in diesen 18 Monaten erworben habe: Umgang mit Jobportalen von Unternehmen und Arbeitsvermittlern. Mittlerweile weiß ich, dass nicht ein einziges davon die Bewerberin im Blick hat, sondern alle ihre eigenen Personal- und Bewerbungsprozesse sowie ihre eigene Unternehmensstruktur.
Ich habe also eine ganze Liste von Passwörtern für Jobportale und kenne verschiedenste automatisierte Bewerbungsprozesse. Manche davon sind derart komplex, dass deren Überwindung offensichtlich bereits die erste Qualifikation darstellt.
Dabei erlebte ich unter anderem:
Es war offensichtlich: An meiner Stelle des Arbeitslebens gehört man nicht mehr zur Zielgruppe solcher Portale. Bei Leuten wie mir wird davon ausgegangen, dass sie bleiern auf ihren Arbeitsstellen sitzen oder höchstens noch über Headhunter wechseln.
Das merkte ich allein schon an den drop-down Auswahlangeboten dieser Portale: Mein Studienabschluss Magister war dort meist gar nicht mehr verzeichnet.
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Demut und Dankbarkeit
Weitere Folge: Über die Monate vergeblichen Bewerbens wurde ich dankbar für meinen Job. Dass ich überhaupt einen hatte. Da mag die “Beruf und Karriere”-Seite der Süddeutschen sich noch so sehr darauf konzentrieren, wie sehr sich Unternehmen heute anstrengen müssen, gute Leute zu bekommen: Mittlerweile hege ich den begründeten Verdacht, dass diese unternehmensseitigen Anstrengungen notwendig sind, weil alle dieselben 0,5 % haben wollen, die nicht nur in puncto Fertigkeiten und Branchenhintergrund zu 99,5 % aufs Profil passen, sondern auch jung genug sind, nicht fortpflanzungsgefährdet, im richtigen Gewichtsbereich, 100 % körpertüchtig.
Dass die deutsche Wirtschaft ein Diversity-Problem hat, liest man nicht erst seit gestern. Wie sehr dazu auch fehlende Diversity in der Altersstruktur gehört, wurde mir erst jetzt bewusst. Inklusive der damit einher gehenden Sterotypen: In einem der Vorstellungsgespräche ließ ich meine Internetbewohnerschaft fallen und sah an den entgeisterten Mienen der Gesprächspartnerinnen, dass sie in Verbindung mit meinem grauen Haarschopf bereits von mittelgutem Umgang mit der Serienbrieffunktion von Word beeindruckt gewesen wären.
Da behaupten die Unternehmen nach Diversity zu streben und merken nicht, dass sie mit Anforderungen wie “Muss aber in unsere Unternehmenskultur passen”, “Muss sich ins Team einfügen” doch immer nur mehr vom selben in die Firma holen.
Ja, die Arbeitswelt hat sich ganz schön verändert in den vergangenen 30 Jahren. Das schließe ich vor allem aus den Bewerbungsgeschichten von sauber qualifizierten Hochschulabgängerinnen. Ausprobieren, ein Einlassen auf Persönlichkeiten, denen man das Jobspezifische dann schon noch beibringt – das scheint so gut wie verschwunden zu sein. Möglicherweise ist die Vielfalt in Unternehmen dadurch in den vergangenen Jahrzehnten in vieler Hinsicht sogar geringer geworden.
Dass jemand in meinem Alter Sehnsucht nach Neuem hat, auf einer neuen Stelle noch ganz viel lernen möchte, ist trotz allem Gekrähe über “Lebenslanges Lernen” eher nicht vorgesehen.
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Ende gut
Doch nun weist sehr viel darauf hin, dass meine Wünsche zu großen Stücken erfüllt werden. Der Job und der Arbeitgeber passen wie eigens für meine Suche erfunden. Zudem freut es mich, dass ich wider einige Unkenrufe durch eine reguläre Bewerbung auf eine reguläre Stellenanzeige rangekommen bin.
Selbstverständlich behalte ich weiterhin einen Schluck Zweckpessimismus – aber warum sollte es denn bitte NICHT gut gehen?