Journal Dienstag, 11. August 2015 – Sind denn nicht alle im Urlaub?
Mittwoch, 12. August 2015 um 7:19Nach unruhiger Nacht (der Neumond wahrscheinlich) (SPASS!) zum Langhanteltraining geradelt, geschwitzt wie ein munteres Brünnlein. Auf dem Weg dorthin und danach in die Arbeit überraschte mich der sehr starke Berufsverkehr: Sind denn nicht alle im Urlaub? Wer sind denn das für Menschen, die die Kreuzungen verstopfen? Auch das Sportstudio war überraschend bevölkert, doch das führte ich darauf zurück, dass nur die frühen Morgenstunden Sport bei angenehmen Temperaturen ermöglichen.
In der Arbeit war ich auf einen Kaffee mit einem Blogleser und Kollegen verabredet: Eine sehr schöne Begegnung, und über meinen Arbeitgeber habe ich auch gleich noch etwas gelernt.
Ein weiterer Hochsommertag, doch die Hitze war mit gut 30 Grad nicht allzu schlimm.
Daheim empfing mich Herr Kaltmamsell mit einem weiteren köstlichen Abendessen: Er hatte aus Ernteanteil-Kartoffeln Kopitka gemacht, die ich mit Butter und Käse aß.
Abschluss des Abends über Radler im nächstgelegenen Biergarten mit einem Freund, den ich dann doch immer nur einmal im Jahr treffe und einfach nicht kapiere, warum das nicht öfter klappt (wir wohnen 300 Meter Luftlinie voneinander entfernt).
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Ich schreibe nichts über mein Grauen angesichts hasserfüllter und vorurteilsbeladener Ablehnung von Flüchtlingen nach Deutschland, weil ich ohnehin zu den Bekehrten sprechen würde. Außerdem bin ich in einem Maß fassungslos, dass ich keine rechten Worte finde.
Wen die furchtbaren Erlebnisse der zeitgenössischen Flüchtlinge nicht anrühren, der sollte es vielleicht mal mit den Details aus deutscher Vergangenheit versuchen.
“Eine wahre Geschichte von Krieg, Flucht, dem Leben danach und was das mit dem Heute zu tun hat”.
Ersetze Kälte und Schnee durch Wüste und Boote übers Mittelmeer.
Wie kann man annehmen, dass diese Menschen das aus Abenteuerlust auf sich nehmen oder um die Europäer abzuzocken?
Wir stecken durch diese unfreiwillige Migration am Anfang einer massiven gesellschaftlichen Veränderung, die Frage des Ob hat sich längst erledigt, es geht nur noch ums Wie. Es liegt an uns, ob die Zukunft unserer (zu diesem “wir” lesen Sie bitte hier bei Novemberregen weiter) Gesellschaft die Neuankömmlinge umarmt und einschließt, oder ob sie einen großen Graben aufmacht.
10 Kommentare zu „Journal Dienstag, 11. August 2015 – Sind denn nicht alle im Urlaub?“
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12. August 2015 um 8:38
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Gerne gelesen
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12. August 2015 um 9:33
Vielen Dank für den link zu Fr. charmingquark. Solche Texte braucht die Welt und eine möglichst große Verbreitung.
Ca. 13 Mio. Flüchtlinge hat Deutschland nach dem 2. Weltkrieg “integriert” und wir, ihre Nachfahren, sind der Ansicht bei mehreren Hunderttausend “das Boot ist voll?” Das kann doch nicht wahr sein, oder?
12. August 2015 um 10:09
Alltagsrassismus ist leider immer noch sehr verbreitet und meist bei Menschen vorhanden, die noch nie oder nur sehr wenig mit Ausländern zu tun hatten. So zumindest meine bisherigen Erfahrungen. Ich bin auch bei Gesprächen mit Nachbarn immer sehr schockiert, welche Vorurteile dort herrschen – “Ich will keine ausländische Familie als Nachbarn, die haben immer so viele und vor allem so laute Kinder.” Da fuq?
Ja, es ist schon schrecklich wenn man sich im Sommer in den Park legt, die Augen zumacht und es einem ein bißchen wie im Urlaub vorkommt, wenn spanische, französische und arabische Sprachfetzen zu einem herüberwehen.
12. August 2015 um 10:16
Rezeptanregung (Kopitka) ist notiert – merci!
Und ich frage mich , wann endlich erkannt wird, dass es sich bei dem Menschenstrom über das Mittelmeer längst nicht nur um eine reine Flüchtlingsbewegung handelt, sondern dass man von Völkerwanderungen reden muß. Und dementsprechend müßten die Regierungen handeln/ reagieren. Und hätten sehr gute Gelegenheit dabei als EU aufzutreten.
12. August 2015 um 11:12
Danke! Einfach nur danke für doch passende Worte zu einem Thema, das mich ähnlich fassungs- und sprachlos macht wie Sie. Und danke schön auch für den Link zu Charmingquark!
Herzliche Grüße,
Nicole
12. August 2015 um 14:21
Komplettes Fehlen von Empathie: Erst vor zwei Wochen lästerte jemand, mit dem ich sehr verwandt bin, über einen Arzt und seinen Hinweis vor Kameras, es sei nicht menschenwürdig, Flüchtlinge dauerhaft in Zehn-Bett-Zimmern unterzubringen. Pah, sagte sie, mein Vater habe seine ersten Jahre als Gastarbeiter in Deutschland AUCH in Zehn-Bett-Zimmern verbracht.
Ich habe hoffentlich ziemlich ruhig darauf hingewiesen, dass mein Vater auch kein traumatisierter Flüchtling ohne Arbeit war. Aber am liebsten hätte ich den Raum verlassen.
12. August 2015 um 18:01
Es ist auch nicht jeder, der momentan in Deutschland in einer Erstannahmestelle auftaucht, ein traumatisierter Flüchtling…
Übrigens hat keine/r der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, mit denen ich in den letzten paar Jahren deutsch gelernt habe, in einem 10-Bett-Zimmer gelebt. Sie haben alle in betreuten WGs gewohnt und jede/r hatte ein eigenes Zimmer…
12. August 2015 um 22:46
Ich habe das Glück, in meinem persönlichen Umfeld zwar auch mal auf gewisse Bedenken (die dann aber sachlich erörtert werden können), jedoch überwiegend auf Verständnis und Hilfsbereitschaft gegenüber den Flüchtlingen zu stoßen.
Unser Stadtteil bekommt in Kürze ein Containerdorf, errichtet auf einem bisherigen, zentral zum Einkaufscenter gelegenen Park- and Ride Platz. Eine groß angelegte, überfüllte Info – Veranstaltung hierzu machte deutlich, dass der Großteil der Anwesenden in der Lage war, die Dringlichkeit der Hilfe nicht nur zu akzeptieren, sondern sogar unterstützen möchte.
Einige Gegner dieser Maßnahme disqualifizierten sich allein schon durch ihren dümmlichen, unwissenden und von Vorurteilen geprägten Auftritt.
Eine sehr beliebte Variante der Ablehnung bei scheinbar sachlich Argumentierenden war übrigens der sinkende Wert ihrer Immobilien. Die guten, in Frieden verbrachten Jahre in diesem Zuhause haben wohl keinen eigenen Wert, oder?
Ich musste mein Temperament zügeln, als hinter mir in der Reihe sitzende sogenannte ” Damen” keine anderen Sorgen hatten, als den um “ihren” Parkplatz. Wenn schon Flüchtlinge nicht zu vermeiden seien, solle man sie doch weit entfernt auf irgendwelchen Feldern und Wiesen unterbringen. Wie und ob die Flüchtlinge und ihre Kinder öffentliche Einrichtungen, Schulen und Kindergärten, Ärzte erreichen können, ist diesen Egoisten kein Gedanke wert.
Glücklich machte mich die Nachricht meiner Schwiegertochter aus der bayrischen Provinz. In direkter Nachbarschaft werden Flüchtlinge untergebracht und sie freue sich, auch für ihre Kinder, über diese Bereicherung.
13. August 2015 um 18:26
Liebe Susann,
da ich berufsbedingt viel mit Flüchtlingen zu tun habe, ein paar Gedanken zu Ihrem Beitrag:
Tatsächlich sind die meisten Flüchtlinge in irgendeiner Form traumatisiert. Das hat mir ein Flüchtlingsarzt in einer Erstaufnahmeeinrichtung bestätigt. Niemand verlässt sein Heimatland freiwillig aus Jux und Tollerei, und die Flucht ist oft genug dramatisch.
Die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge können Sie nicht mit den erwachsenen Flüchtlingen gleichsetzen. Zum Glück gibt es (in Bayern, mit anderen Bundesländern kenne ich mich nicht so gut aus) seit 2014 eigene sogenannte Clearingstellen für Minderjährige, weil ihnen die Unterbringung mit den Erwachsenen nicht zuzumuten ist (ob es den Erwachsenen unter den jetzigen Bedingungen zuzumuten ist, ist eine andere Frage). Dort gibt es kleinere Zimmer (Ein-Bett-Zimmer aber zumindest in meiner Stadt nicht) und eine gute Betreuung. Es gibt aber mittlerweile hier bei uns auch zusätzliche Matratzenlager, weil die Clearingstellen nicht ausreichen
Nachdem Gesundheitszustand, Biografie und Fluchtgründe geklärt sind, werden die Minderjährigen in WGs oder Pflegefamilien weitergeleitet. So etwas gibt es aber für Erwachsene nicht. Ich kenne junge Erwachsene, die seit fünf Jahren im Asylbewerberheim auf eine Entscheidung warten, zur völligen Untätigkeit verdammt, weil niemand einem Flüchtling mit Duldung (die oft nur für drei Monate gilt) einen Job gibt. Als Ergebnis leiden viele unter Depressionen und Schlafstörungen und sind auf Tabletten angewiesen. Die Menschen kommen gesund und tatkräftig hier in Deutschland an und werden krank, weil sie nichts tun dürfen und in ständiger Unsicherheit und Angst leben. Das ist nicht nur menschlich, sondern auch wirtschaftlich völlig hanebüchen.
13. August 2015 um 22:23
“massive gesellschaftliche Veränderung” – genau. Und ich frage mich, ob irgendjemand irgendwann damit anfängt, was dafür zu tun, damit das klappt. Also klar, es gibt jede Menge Freiwillige, die sich kümmern, Kleiderausgaben organisieren, erste Deutschkurse und so. Aber das ist doch kein Ersatz für eine staatlich organisierte Eingliederung. Die einzigen, bei denen das halbwegs zu klappen scheint, sind die Kinder, die werden von Anfang an in die Schule geschickt. Die Erwachsenen können sehen, wo sie bleiben und ob es bei ihnen vor Ort genug Freiwillige mit den richtigen Ressourcen gibt.