Journal Sonntag, 1. November 2015 – Allerheiligenleuchten
Montag, 2. November 2015 um 7:08Erst als ich durch die strahlende Sonne zum Olympiabad radelte, fiel mir ein, was fehlte: Dieses Jahr hatte ich an die Augsburger Seelenbrezen zu Allerheiligen nicht mal gedacht (große Brezen aus süßem Hefeteig, gibt es nur zu Allerheiligen). Halloween hatte ich lediglich über Meldungen anderer auf Twitter mitbekommen, mein Eck der Stadt ist davon völlig unbehelligt.
Die Wanderung vom Vortag machte sich in Ansätzen von Muskelkater bemerkbar. Ich schwankte, ob jetzt Lage Ruhe oder Bewegung besser war, doch meine Lust aufs Schwimmen siegte unabhängig davon – zumal ich wusste, dass ich kommende Woche kaum Gelegenheit zu Sport finden würde. Nach nebligen Morgenstunden war der Himmel wolkenlos, ich genoss sowohl das Radeln zum und vom Olympiabad als auch die gut 3.000 Meter darin (verzählte mich mehrmals, rundete immer ab). Mit der neuen Schwimmbrille bin ich noch nicht zufrieden: Damit sie dicht saß, musste ich ihren Sitz mehrfach korrigieren und sie schmerzhaft fest ziehen.
Nachmittag im lichtdurchfluteten Wohnzimmer: Internetlesen, Zeitunglesen, Wanderstiefel eingewintert, Bügeln mit Andrea Dieners Erzählung von ihrer Transsib-Reise im Ohr, Telefonat mit Mutter.
Zum Abendessen kochte ich Kartoffelsuppe mit Steinpilzen (meine Mutter hatte erzählt, dass meine polnische Oma eine solche gelegentlich machte, um das Aroma der kostbaren getrockneten Steinpilze möglichst ergiebig zu nutzen – kann es sein, dass Trüffel die Steinpilze des großen Mannes sind?), Herr Kaltmamsell briet Roschtbief, dazu Endivienreste aus Ernteanteil. Im Fernsehen ließen wir Unheimliche Begegnung der dritten Art laufen: Zu meiner großen Überraschung hatte der Science-Fiction-Buff an meiner Seite den Film nie gesehen.
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Sigrid Löffler hat die Laudatio auf Daniela Strigl zur Verleihung des Berliner Preises für Literaturkritik gehalten:
“Die Rettung der Kritik”.
Daniela Strigl ist möglicherweise die klügste Literaturkritikerin, die mir je begegnet ist, und ich habe sie samt ihrem Humor ohne jede Albernheit in Klagenfurt sehr vermisst. Sigrid Löffler zitiert sie zum Beispiel mit folgendem Klugen:
“Der Journalismus ist inzwischen so vordringlich mit dem eigenen Überleben beschäftigt, dass er Probleme der Sprache als Luxusprobleme begreift. Gegenüber Fragen des Stils, aber auch banalen Grammatik- und Rechtschreibfehlern herrscht eine lähmende Gleichgültigkeit. Nichts ist wirklich peinlich. Der schreibenden Zunft ist die Zunftehre abhanden gekommen. Sichtbar wird dies in einer kollektiven Kapitulation vor der Phrase, dem Modewort, dem Jargon. Denn die sprachliche Uniformierung ist ein Symptom für den Verzicht auf eigene Denkarbeit. Dort, wo man sich selber nichts denkt, übernimmt man das Vorgedachte, das heißt: das von der Macht einem Zugedachte. In diesem Sinne ist Sprachkritik demokratische Geistesschärfung.”
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Sowas mag ich einfach:
“Auto Mechanics Recreate Renaissance Paintings in this Charming Photo Series”.
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Sowas mag ich auch sehr: Stevan Paul berichtet vom Food Photo Festival 2015, und es waren die Bilder von Marie Cecile Thijs, die mich umhauten. (Auch ihre anderen Sujets gefallen mir sehr gut.)
die Kaltmamsell6 Kommentare zu „Journal Sonntag, 1. November 2015 – Allerheiligenleuchten“
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2. November 2015 um 7:56
Die Renaissance Remakes sind gelungen. Die Idee selber mittelmäßig originell, aber trägt. Nur habe ich bei sowas oft den Eindruck, die “Models” werden vorgeführt. Blue-Collar Workers zum Amusement der Internet-intelligenzia. Dazu passt die Beschreibung der Location als “irgendwas Midwest-Provinz”.
2. November 2015 um 8:55
Ob das nicht wiederum von einer Fehleinschätzung der Mechaniker zeugt, Tim? Auf mich wirken sie keineswegs vorgeführt, und auch wenn ich Handwerker im Mittleren Westen nicht kenne, kenne ich die Scherzkultur einiger hiesiger Fabrikarbeiter: Die fänden das lustig.
2. November 2015 um 9:51
Danke fuer den Hinweis auf diese kluge Literaturkritikerin, selten so wahre Worte gelesen!
2. November 2015 um 13:04
Oh, vielen Dank für den Hinweis auf Frau Thijs, das sind ja tolle Arbeiten. Sie wirkt wie ein geheimes Kind, das Willem Kalf mit René Magritte gezeugt hat. Sehr clever.
2. November 2015 um 14:49
Ihr Kommentar macht mich lächeln: Sie kennen also *die Scherzkultur einiger hiesiger Fabrikarbeiter*… (nicht diskreditierend gemeint)
2. November 2015 um 22:29
Danke, das ist eine Entdeckung. Die Bilder von Frau Thijs gefallen mir ausnehmend gut.