Journal Sonntag, 24. April 2016 – Schnee und Abschied vom Habicht
Montag, 25. April 2016Es war so angekündigt, und allso geschah es: Auf meinem Fußweg zum Bahnhof schneite es. Ich setzte mich in einen Zug nach Ingolstadt, um meinen eben aus der Reha gekommenen Vater zu begrüßen.
(Da ich die Spiegelung des Zugfensters nicht wegkriege, erkläre ich sie zur künstlerischen Absicht.) Lassen Sie sich von der Sonne nicht täuschen: Es war saukalt. Aus dem Rest der Republik trafen bei instagram Bilder ein, die noch Schlimmeres zeigten.
Unterm Arm, abwechselnd auf der Schulter hatte ich die Rolle Vorhangstoff, aus der meine Mutter Vorhänge schneidern wird.
Meinem Vater geht es gut, er braucht keine Schmerztabletten mehr (zumindest nicht mehr für die Ursache der OP; den anderen orthopädischen Schaden will er erst nächsten Winter angehen).
Zur Feier des Tages hatte meine Mutter zarzuela de pescado gekocht, serviert in irdener Schüssel (mein Vater zeigt auf die chipirones, die sich ganz unten in der Schüssel verbergen).
Auf der Heimfahrt sah ich blühenden Raps. Doch es war weiterhin saukalt, soll es laut Wettervorhersage auch noch ein paar Tage bleiben.
Zu Haus bügelte ich, die nächsten Tage sind mit Reisevorbereitungen durchgetaktet. Zum Bügeln hörte ich WRINT-Podcast:
“Frau Diener verreist schon wieder nach Japan.”
Beim Aufräumen der Wäsche vom Wäscheständer und aus dem Trockner entspann sich eine Grundlagendiskussion um Sockenlagerung mit Herrn Kaltmamsell. Der Herr versuchte unsere unterschiedlichen Auffassungen kurz in Verbindung zu bringen mit der Mär von unterschiedlichen Sauberkeitsstandards bei Männern und Frauen, hielt diese Argumentationslinie aber nicht durch.
“Ich bin ein Freigeist!” “Nein, bist du nicht.”
Diskussion ums Aufbewahren von Socken. (Paarweise oder nicht.) (Nicht.)— Thomas Rau (@Herr_Rau) April 24, 2016
Als ich beim Bügeln dann ein Geschirrtuch vermisste, das ich morgens mitgewaschen hatte, fand es sich in der von Herrn Kaltmamsell ausgeräumten Waschmaschine. Sein letztes argumentatives Aufbäumen: “Männer haben halt eine andere Auffassung von leer als Frauen.”
Zum Nachtmahl wurde mir eine Sellerielasagne aus dem Ernteanteilsellerie serviert.
Vor dem Schlafen las ich H is for Hawk aus. Ein wirklich besonderes Buch: Helen Macdonald schreibt ihre persönliche Geschichte mit der Falknerei auf. Anlass ist der Tod ihres Vaters, doch in sehr persönlicher, gleichzeitig nüchterner Weise erzählt sie ihre lebenslange Verbindung mit dieser alten Kunst. Es taucht das kleine Mädchen auf, das sich in Bücher über Falknerei vergräbt, die Jugendliche, die unter professioneller Aufsicht die ersten Falken trainiert, der Kauf und das Zähmen eines Habichts nach dem Tod des Vaters. Doch der röteste Faden ist das Buch The Goshawk von T.H. White: Helen hat es als Achtjährige entdeckt und war beim ersten Lesen empört – T.H. White macht alles falsch im Umgang mit seinem Habicht. Jetzt, als Erwachsene, vollzieht sie die Handlung des Buches vor dem Hintergrund von Whites Biografie nach, sieht sie in mancher Hinsicht als Parallele zu ihrem eigenen Umgang mit ihrem Habicht Mabel.
Ich habe eine Menge über die Falknerei gelernt, ohne dass im Buch jemals doziert würde. Ich habe eine sperrige Persönlichkeit kennengelernt und mich an den ungewöhnlichen Anblick eines Habichts in ihrer Wohnzimmerecke gewöhnt, an den noch ungewöhnlicheren Anblick der jungen Frau, die in Cambrige mit ihrem Habicht auf dem Falknerhandschuh spazieren geht. Auch das Buch ist sperrig: Die Sprache dient sich nicht an, der Verlauf der Erzählung entzieht sich jeder Gefälligkeit – ist aber gleichzeitig dicht gewoben und struktuiert. Große Empfehlung.