Journal Freitag, 6. Mai 2016 – Berlin-München
Samstag, 7. Mai 2016 um 9:00Durch die Migränenachwirkungen war ich den ganzen Tag über völlig durch den Wind.
Ich kam ins Grübeln, was nun eher meine Persönlichkeit ausmacht, was man eher in Betracht ziehen würde, wollte man beurteilen, ob ich intelligent bin: Die Superwachheit während der re:publica, als ich für alle Informationen und für jeden Menschen Aufmerksamkeit hatte, Input aufsog und verarbeitete, in mein vorhandenes Wissen einwob, neues Wissen daraus formte? Oder die aktuelle Fahrigkeit, die umrisshafte Erinnerungen aus fünf Jahrzehnten überblendete und vermischte, mich einfachste Dinge vergessen ließ, die ich eben erst erfahren hatte, mich verkrampfte, weil sie mich befürchten ließ, ich könnte Dummheiten anstellen? Und selbst wenn eben beides zu meiner Persönlichkeit gehört: Wie kann ich abschätzen, mit welcher Seite in welchem Maß wann zu rechnen ist? Gar nicht zu sprechen vom beruflichen Einsatz: Wie gehe ich damit um, dass ich mich beim Übernehmen einer Aufgabe nicht darauf verlassen kann, dass mir bei der Durchführung die notwendige geistige Kraft zur Verfügung stehen wird? Wie kann ich überhaupt zuverlässig sein?
Gestern war ich mit dem Verarbeiten von Wahrnehmung überfordert. Sonnenschein, Wärme, Koffer, niemanden umrennen, Smartphone, Riemen der Tasche um meine Schulter, Mantel über Tasche, über die Sonnenallee ohne Ampel, niemanden Umrennen, komplizierter Zugang zum U-Bahnhof Rathaus Neukölln, Zeitplan bis zum Abflug – nachdem ich mit der U-Bahn losfuhr, fiel mir ein, dass ich meine Fahrkarte nicht abgestempelt hatte. Raus am Hermannplatz, niemanden umrennen, stempeln, mit der nächsten U-Bahn weiter. Ich musste mich bewusst anstrengen, die relevanten Informationen aus Wahrnehmungen zu filtern, konnte ja kaum meinen Blick fokussieren.
Ich schaffte es natürlich ohne Dummheiten nach München, dafür haben die Nervenbahnen genug Informationen gespeichert. Erst daheim hatte ich genug Appetit, um ein wenig zu essen. Koffer ausgeräumt, dann legte ich mich ins Bett. Doch auch als ich danach Herrn Kaltmamsell zum Lebensmitteleinkaufen begleitete, stolperte ich vor allem tranig herum, konnte kaum geradeaus laufen.
Auf den Abend mit Herrn Kaltmamsell hatte ich mich sehr gefreut (dass es sich um unseren 20. Hochzeitstag handelte, hätte allerdings keiner von uns beiden ohne Anruf und Gratulation von Frau Schwieger gewusst), genoss sein Chicken tikka masala und die Unterhaltung allerdings weiterhin nur durch Nebel.
Am Himmel die ersten Mauersegler des Jahres.
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Dasnuf formuliert auch meine Haltung, warum SEO in Blogs überflüssig sein sollte:
“SEO für BlogerInnen”.
Für Google zu optimieren heisst dann irgendwie für eine Maschine zu optimieren, die versucht Menschen (oder besser ihr Suchverhalten) nachzuahmen. Da kann man sich als Mensch doch gleich versuchen in die Menschen reinzudenken, oder?
Selbst die Replik der SEO-Befürworterin, “SEO lohnt sich doch”, sagt nichts anderes: Ihre Tipps sind ja Tipps für gutes Schreiben, für interessante Inhalte und leserinnenorientierte Redaktion.
die Kaltmamsell6 Kommentare zu „Journal Freitag, 6. Mai 2016 – Berlin-München“
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7. Mai 2016 um 10:35
Willkommen im Club. Es geht mir schon seit einigen Jahren so, nur heißt der Zustand hier nicht Migräne, sondern Data Overload. Nach langem altertem Zustand muss ich sehen, dass ich in eine schwarze Höhle komme. Das ist mal mehr mal weniger der Fall, ich kann das nie einschätzen. Und ich glaube, es ist der Preis, den ich für zwei Jahrzehnte überzuverlässiges Funktionieren bezahle.
Was die Auswirkungen auf Arbeitgeber betrifft – nun ja. Nicht umsonst gelten junge Leute, die das Problem nicht haben, vielerorts als Lösung. Deren Alertheit kompensiert auch Erfahrungsmangel (so man für eine Arbeit Erfahrungen braucht, die man nicht durch Energie fürs dreimaltun wett machen kann) und entwicklungsbedingte Ausfälle wie durchgemachte Nächte und Herzschmerzphasen.
Ich werde zunehmend unpassender für die aktuell strukturierte Erwerbsarbeit in den unteren und mittleren Etagen. (Der Silberrücken darf auch mal ausblenden und machtvoll-zerstreut die anderen machen lassen, der muss nur wachsam sein wegen der Stuhlbeinsäger.) – Die Arbeitsbienen sind am immer neu priorisieren, viele Dinge parallel tun, immer ansprechbar sein, nichts vergessen.
Da es nicht nur mir so geht, halte ich die unpassende Arbeitswelt für ein Problem.
Allgemein gesehen: Das ist der Anfang vom Alter. Es ist nicht mehr endlos von allen Ressourcen da, körperlich und auch mental. Es ist wie mit einem alten Auto. Tolles Teil, machts noch ewig, aber mit ein paar Macken, Wartungsbedürfnissen und nicht mehr in der Lage, auf der linken Spur mitzurasen.
Aber wer will das schon?
7. Mai 2016 um 17:42
Bitte nicht , Frau Kitty Koma! Nehmen Sie mir nich die Illusion, dass ich nach den Wechseljahren nicht als mein vorpubertäres, kochkonzentriertes Selbst wiederauferstehe, sondern auf Dauer wuschig bleiben soll, weil das Alter begonnen hat. Bitte nicht!
7. Mai 2016 um 18:53
Geistigen Overkill und data overload bezahlen Migräniker halt mit einer Attacke. Ich seh’s wie manisch-depressiv, die (Leistungs-)Hochphasen werden durch Tiefphasen kompensiert. Und was Sie als “leistungsfähig” empfinden, geht weit über das Normale hinaus, darauf würde ich wetten. Und das wird dann eben irgendwann kompensiert. Und ihr Arbeitgeber bezahlt Sie sicherlich nicht für ständige Hochphasen. Im Mittel macht der einen sehr sehr guten Schnitt mir ihrer Leistung.
7. Mai 2016 um 21:11
Frau Kaltmamsell, freuen Sie sich. Ich bin postmenstrual, menopausal und seit nunmehr 6 Wechseljahren habe ich zwar ein wenig Energie verloren, aber diese wunderbare Klarheit zurück, nach der ich mich so gesehnt habe, seit ich nicht mehr 13 Jahre alt war. Es ist fantastisch, diesen Hormonirrsinn los zu werden.
Menopausal women get stuff done!
7. Mai 2016 um 23:12
Ich weiß, wie sehr einen das aufregen oder verzweifeln lassen kann – mein eingeschränktes Denken bei Migräne geht auch über mehrere Tage. Aber das Leben kann einem in seinen verschiedensten Formen beim “zuverlässig sein” dazwischen kommen. Ob jetzt psychisch oder physisch oder ganz banal von außen, indem es dort Ereignisse/Notfälle gibt, die etwas Zugesagtes unmöglich (oder: unter den gegebenen Umständen nachrangig) werden lassen. Das Leben ist vielleicht eher so eine Art Improvisationstheater ;-)
8. Mai 2016 um 8:16
Vielen Dank für all Ihren Beistand. Im Idealfall helfen mir diese unberechenbaren Ausfälle, gelassener mit mir oder gar dem Leben umzugehen – es wäre Zeit.