Archiv für Juni 2016

Journal Dienstag, 28. Juni 2016 – Draußenpizza

Mittwoch, 29. Juni 2016

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Durch angenehmste Sommermorgendüfte zu Fuß in die Arbeit. Der Tag wurde noch schön und sonnig.

Der zweite Bürotag in Folge, durch den bis zu zehn Mal die Stunde von Draußen ein Warnton schallte, den ich sehr mit dem Alarum assoziierte, wie ich es aus dem Studium von Hörspielinszenierungen von Shakespearestücken kenne. Ich nehme Gleisarbeiten an der Bahnstrecke vorm hinterm Bürogebäude an. Auf die Dauer ganz schön nervig.

Abends war ich mit Herrn Kaltmamsell zum Pizzaessen verabredet, wir probierten die Pizzeria Tarullos aus. Essen in Ordnung, vor allem aber sitzt man schön draußen, in Fußweite von uns daheim.

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Zu meiner Freude und Erleichterung lese ich erste Brexit-Analysen, die frei von Haareraufen und Häme mögliche positive Konsequenzen beschreiben:
“Brexit is great news for the rest of the EU”.

Had remain won the referendum, the EU would have become hostage to British sabotage. Future British prime ministers would veto any fundamental change involving the transfer of sovereignty, arguing, correctly, that their people had voted only for the current set-up of the EU. Britain would continue to demand ever more opt-outs and concessions – playing to the fantasy that membership is a British favour to the rest of Europe. The British press and Europhobe politicians would go on portraying the EU in the most lurid, mendacious and derisory terms, making us look terrible in the eyes of Americans and English-speaking Asians, Africans and Russians.

The problem with Britain was not that it was critical of the EU. The problem was bad faith and delusional thinking. As the referendum debate has shown, the country has not come to terms with its own global irrelevance – hence its refusal to pool sovereignty. It continues to believe that as a sovereign nation it can get everything it had as an EU member, and more. When Europe’s democrats talk about “EU reform” they mean putting arrangements in place to make Europe’s pooling of sovereignty democratic. Britons mean the rollback of that very pooling of sovereignty. For this reason, Britain’s membership would have hit a wall sooner or later.

Lasst uns die EU reformieren – ohne UK als ständigen Bremsklotz ist das wohl wahrscheinlicher als mit.

Journal Sonntag, 26. Juni 2016 – Wir kaufen eine Gärtnerei und was das mit der EU zu tun hat

Montag, 27. Juni 2016

Das wird heute länglich. Gestern fand nämlich die Generalversammlung unseres Kartoffelkombinats statt und öffnete mir die Augen für ein paar grundlegende Irrtümer meinerseits.

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Auf dieser Karte ist die Verteilung der Kartoffelkombinathaushalte über München sichtbar. Auffallend: In Gegenden wie Neuperlach und Hasenbergl sieht man keine.

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Es war eine lange und fruchtbare Generalversammlung, an deren Ende wir den Vorstand und den Aufsichtsrat beauftragten, die Verhandlungen über den Kauf der Baumschule Würstle in Oberschweinbach in ausführlich und transparent dargelegter Weise voranzutreiben: Wir kaufen eine Gärtnerei, yay!

Davor war das Genossenschaftsjahr 2015 in Lagebericht des Vorstands und Bericht des Aufsichtsrats über die Bilanz dargelegt worden, Entlastung problemlos. Doch Vorstand Daniel Überall hatte auch über die Gemeinwohl-Ökonomie gesprochen, die sich das Kartoffelkombinat 2015 zertifizieren hat lassen.

Daniel erklärte erst mal grundsätzlich, dass eine Gemeinwohl-Ökonomie sich am Wohl aller orientiert, nicht am Profit.

Und da wurde mir das Hauptmanko der EU klar: Die Orientierung am Wohl aller erscheint mir langfristig die einzig vernünftige Ökonomie – sonst haben bald die Reichen immer mehr auf Kosten der Armen, die immer weniger haben. Und irgendwann derart nicht mehr davon leben können, dass sie bei den Reichen auf der Matte stehen. Oh, Moment…

Schaun wir uns doch mal die Ziele der EU laut Verfassung an:

Grundlegendes Ziel der Union ist es künftig, den Frieden, ihre Werte und das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern.

Diese allgemeinen Ziele werden ergänzt durch eine Reihe besonderer Ziele:

  • einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen;
  • einen Binnenmarkt mit freiem und unverfälschtem Wettbewerb;
  • die nachhaltige Entwicklung Europas auf der Grundlage eines ausgewogenen Wirtschaftswachstums und von Preisstabilität, eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt, sowie ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität;
  • die Förderung des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts;
  • die Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung und von Diskriminierungen, die Förderung von sozialer Gerechtigkeit und von sozialem Schutz, die Gleichstellung von Frauen und Männern, die Solidarität zwischen den Generationen und den Schutz der Rechte des Kindes;
  • die Förderung des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten.

Darüber hinaus wahrt die Union den Reichtum ihrer kulturellen und sprachlichen Vielfalt und sorgt für den Schutz und die Entwicklung des kulturellen Erbes Europas.

Tja: “Binnenmarkt mit freiem und unverfälschtem Wettbewerb” fördert tatsächlich per Definition die Großen und scheißt auf die kleinen Imker oder auf vom Metzger durchgeführte Hausschlachtungen.

Ich möchte also bitte gerne hiermit eine zukünftige EU, die das Gemeinwohl stärker gewichtet als den freien Wettbewerb. Dazu schlage ich vor, dass sich als Erstes die deutsche SPD das ins Wahlprogramm schreibt. (Damit würde sie sich ihre endlich guten Beziehungen zur deutschen Großindustrie zerstören? Lassen wir es doch drauf ankommen und schaun, wie schlimm das nach einem Wahlsieg wirklich ist.)

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Mein Schmerz über die Brexit-Abstimmung der UKler hat sich gelegt. Es fanden keine Jubelfeiern statt, die gesamte Nation ist geschockt (BLOODY IDIOTS!). Schon bricht wieder meine grundsätzliche Anglophilie durch und die Leute tun mir leid (nicht die verursachenden Politiker!): Die EU drängt auf Konsequenzen, sie braucht jetzt dringend formelle Klarheit.

Hier eine böse, aber präzise Analyse der Propaganda-Mechanismen oberster Brexit-Befürworter:
“There are liars and then there’s Boris Johnson and Michael Gove”.

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1988 war Spanien gerade mal zwei Jahre Mitglied der EU und ich 20-jährige Zeitungsvolontärin. Einen (scheißkalten) Frühlingsurlaub im nordkastilischen Heimatort meiner spanischen Großmutter nutzte ich dazu, meinen Jugendfreund und Landwirt Luis darüber zu interviewen, welche Auswirkungen die EU-Mitgliedschaft denn so auf ihn hat.

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(Bild unbschnitten, weil jedes Detail dieser Szene im Esszimmer meiner Großmutter Information enthält – zumindest für mich.)

Ich erfuhr viel über Kooperativen und die Auswirkungen der Landflucht, die im spanischen Bürgerkrieg eingesetzt hatte und in deren Folge es in diesem Ort nur noch zwei bewirtschaftete Höfe gab. Und was die EU betrifft: Luis erzählt mir unter anderem, dass die Bestimmungen zu Schädlingsbekämpfungsmitteln für ihn völlig irrelevant seien – seine Felder lägen in dieser kargen Gegend so weit verstreut, dass sich Schädlinge eh nie ausbreiten könnten. Benachteiligt fühlte er sich aber durch die EU-standardisierten Weizenpreise: In dieser trockenen Gegend enthalte das Korn viel weniger Feuchtigkeit, seine Felder könnten gar nicht die hohe Ausbeute eines deutschen Weizenfelds ergeben. (Es wurde eine Reportage für die Wochenendausgabe daraus.)

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Dazu dann auch dieser Artikel über die gestrigen Wahlen in Spanien – der erste, dessen Analyse ich wirklich nachvollziehen kann:
“Keine AfD weit und breit”.

Zwar führt auch Autor Jakob Strobel y Serra (Szenenapplaus für diesen wunderbar europäischen Namen) den fehlenden Nationalismus der Spanier erst mal auf die schlechten Erfahrungen mit der Franco-Diktatur zurück. Das ist die Erklärung, die ich in deutschen Medien bislang immer las – und mich fragte, warum die schlechten Erfahrungen mit nationalistischen Diktaturen in Deutschland und Russland keine ähnliche Immunität bewirkt haben. Doch Strobel y Serra führt endlich auch die Erklärung an, die mir als Erste einfällt:

Eine mindestens ebenso große Schutzwirkung hat ausgerechnet eines der bedrohlichsten, von Franco einst mit allem Furor bekämpften Phänomene der politischen Gegenwart Spaniens: die Zentrifugalkräfte des latenten Autonomismus und Separatismus vor allem in Katalonien und dem Baskenland.

Sie machen aus Spanien kein Land des Nationalismus, sondern der Regionalismen, auch wenn die Radikalsten unter Kataloniens Sezessionisten von einem „katalanischen Nationalismus“ schwadronieren. Spanien den Spaniern, Spanien zuerst: Solche Sätze fallen selten, weil sich jeder Spanier immer auch und mindestens ebenso stark als Katalane, Baske, Kastilier, Galicier, Andalusier oder Valencianer versteht. Und wie besingt man in einem derart vielstimmigen Chor das Vaterland? Am besten gar nicht, weil dabei nur Kakophonie herauskäme. Deswegen hat die spanische Nationalhymne als eine der wenigen weltweit keinen Text.

Was die Gelassenheit und Toleranz der Spanier angeht, die der Artikel zurecht lobt: Deren Kehrseite ist eine haarsträubende Passivität, die unter anderem bewirkte, dass die Franco-Diktatur erst durch den natürlichen Tod des betagten Diktators endete.
(Und dass die spanische Nationalhymne keinen offiziellen Text hat, führe ich ja eher darauf zurück, dass man sich – ¡me cago en la hostia! – auf keinen einigen kann.)

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Beim Radeln zur Generalversammlung am Leonrodplatz ordentlich nass geworden. Danach nur noch Düsternis, aber kein Regen mehr. Kalt.

Journal Samstag, 25. Juni 2016 – Schyrenbad und Sommerende

Sonntag, 26. Juni 2016

Es war ein weiterer halber Sommertag angekündigt, und so radelte ich nach dem Brotbacken (Rausholen aus dem Ofen übernahm Herr Kaltmamsell) ins Schyrenbad zum ersten Draußenschwumm des Jahres.

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Die Bahnen waren überraschend voll, es ließ sich aber arrangieren. Ich schwamm mit Kraft und Spaß, hörte nach 3.000 Metern nur aus Vernunft auf. Am schlechtesten in den Flow der beiden Sportschwimmbahnen zu integrieren sind die Schwimmerinnen und Schwimmer, die nur mal kurz ein, zwei Bahnen ziehen wollen. Wenn Sie zu denen gehören: Könnten Sie das beim nächsten Mal vielleicht außerhalb der abgetrennten Bahnen tun? Wäre sehr nett, danke.

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Ich frühstückte Laugenzopf und Tomaten, sonnte mich ein wenig. Im Schatten hörte ich dann Musik, las in Donna Tartts The Secret History – und stellte dabei fest, dass sich meine Sehkraft verändert. Auf die Nähe eines Buchs sehe ich inzwischen ohne Brille schärfer, alles weiter Entfernte mit Brille, inklusive Computerbildschirm. (In einer Blase über meinem Kopf taucht bedrohlich “GLEITSICHTBRILLE” auf.)

Als ich gegen 16 Uhr aufbrach, war der Himmel knallblau mit ein paar Cirruswolken. Doch bereits beim Heimkommen nach ein wenig Einkauf hatte er sich zu Gewitterschwärze verdunkelt.
Der Sommer endete gegen 17 Uhr mit Gewitter und Temperatursturz.

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Weil ich große Lust darauf hatte, buk ich meinen Marmorkuchen.
Zum Nachtmahl viel comfort.

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Erdbeer-Minz-Daiquiris, die aussehen wie Tomatensuppe.

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Herr Kaltmamsell servierte Shakshuka, ergänzt durch Mangold aus Ernteanteil (passte sehr gut), mit Naanbrot aus der Pfanne.

Der BR zeigte Das Spukschloss im Spessart, wir ließen uns von den Spezialeffekten, den vorgesungenen titles und der hanebüchenen Handlung beeindrucken. Gesamturteil von Herrn Kaltmamsell, der ein Faible für diese Art von Filmen und aus dieser Zeit hat: “Originell, aber misslungen. Verdient Respekt.” (Er ergänzt: “Wenn wenigstens die Lieder besser gewesen wären!”)

Journal Freitag, 24. Juni 2016 – UK mag nicht mehr EU sein

Samstag, 25. Juni 2016

Zweiter Morgenkaffee auf dem Balkon, dort dann die Nachricht vom positiven Ausgang des Referendums in UK gelesen: Eine knappe, aber klare Mehrheit will kein Teil der EU mehr sein.

Bis nachmittags las ich Details und Kommentare, war fassungslos und niedergeschlagen. Ich identifiziere mich sehr mit der EU und mit Europa und glaube nicht, dass das hauptsächlich mit meiner eigenen Herkunft zu tun hat – als Tochter spanisch-polnischer Eltern, die in Oberbayern aufgewachsen ist, und eine nach Italien ausgewanderte, polnisch-stämmige Tante hat, bezeichne ich mich ja gerne als wandelnde EU inklusive Osterweiterung. Und ich habe in Wales studiert. Den EU-Beitritt Spaniens und Polens verfolgte ich wahrscheinlich intensiver als der Durchschnitt, kenne wahrscheinlich ein paar mehr Details dieses Prozesses. Doch vielleicht macht mich meine Herkunft in erster Linie zu einer naiveren Europäerin, die sich schwer vorstellen kann, wie sich jemand nach der Isolation nationalstaatlicher Kleinkrämerei sehnt.

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Die beste zusammenfassende Analyse, die ich gestern las, hat Laurie Penny für den New Statesman geschrieben:
“I want my country back”.

This morning, I woke up in a country I do not recognise. David Cameron’s big gamble – the future of Britain against his personal political ambitions – has backfired so badly that we’ve blasted clean out of the EU. By the time I’d put the kettle on, the stock markets were in free fall, Scotland was debating a new independence referendum, Sinn Fein was making secession noises, and the prime minister had resigned.

There’s not enough tea in the entire nation to help us Keep Calm and Carry On today.

Laurie Penny kann den Ausgang durchaus erklären, weit menschenfreundlicher als mein impulsives “Bloody idiots!”. Zum Beispiel:

There are huge areas of post-industrial decline and neglect where people are more furious than Cameron and his ilk could possibly understand, areas where any kind of antiestablishment rabble-rousing sounds like a clarion call. In depressed mountain villages and knackered seaside towns and burned-out former factory heartlands across the country, ordinary people were promised that for once, their vote would matter, that they could give the powers that be a poke in the eye. Westminster may have underestimated how very much it is hated by those to whom mainstream politics have not spoken in generations.

Nein, Panikmache ist auch jetzt nicht angebracht. Wahrscheinlich werden die viel Leid gewöhnten EU-Politikerinnen und -Beamten auch das irgendwie so hinbiegen, dass niemand es zu heftig ausbaden muss. Weil genau das ihr Job ist.

§

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Abend mit Herrn Kaltmamsell. Da das tatsächlich der dritte Sommertag in Folge war, gab es – angesichts der Tagespolitik mipfleiß – Pimm’s.

Und da gestern fußballfrei war, konnten wir endlich die Schnitzelgartensaison eröffnen (absolvieren?).

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Es mundete ganz ausgezeichnet. Im Unterhaltungsprogramm unter anderem eine Frau am Nebentisch mit höllischem Schluckauf.

Journal Mittwoch, 22. Juni 2016 – Sommeranfang

Donnerstag, 23. Juni 2016

Der erste Morgen, der nach Sommer roch.

Bei geöffneter Balkontür Krafttraining, neues Programm ausprobiert, das mir sehr gut gefiel. Das Fitnessblender-Angebot ist auf so vielen Ebenen das Richtige für mich. Zum einen natürlich, weil die Breite des Angebots von Kraft über Ausdauer bis Dehnen, und das in allen Längen und Formen, wirklich für alle meine Wünsche etwas bietet. Vor allem aber: Aus den Übungen und Anweisungen spricht nicht Wut auf den Körper und seine Grenzen, niemand wird angebrüllt oder angestachelt, sich weh zu tun, gegen sich zu arbeiten. Im Gegenteil höre ich immer wieder die Aufforderung: nur so weit wie es sich ok anfühlt, “as far as you’re comfortable”. Wir haben Freude am Bewegen, daran, was der Körper so kann, achten auf seine Signale, machen ihn stärker und belastbarer. Und nie, nie wird als Ziel eine bestimmte (ohnehin praktisch unerreichbare) Körperform vorgegeben. Ganz entzückend zum Beispiel, wie Vorturner Daniel bei einer Übung erklärt: “Helps you keep a flat stomach” – um sich gleich zu korrigieren “… generally speaking”. Genau: Gut stützende Bauchmuskeln sind definitiv ein Ziel meines Trainings (sie erinnern sich? krumme LWS mit Bandscheibenvorfall?); dass man die unter meinem natürlichen Bauchspeck nicht sieht, ist wirklich irrelevant.

Zudem finde ich es enorm motivierend, dass dieser Vorturner selbst immer wieder eine Übung nicht durchhält und kurze Pausen einlegt – genau wie er es uns Turnerinnen vor dem Bildschirm empfiehlt: Wenn’s nicht mehr geht, kurze Pause machen und so bald wie möglich weiter. Mit diesem “ich kann ja jederzeit Pause machen” traue ich mich viel eher, auch mal die anstrengendere Alternative einer Übung auszuprobieren. Bei “du musst unbedingt durchhalten, sonst!” wähle ich lieber die leichtere.

Auch das Geschäftskonzept von Fitnessblender ist mir sympathisch: Zwei Profis, die ihr Wissen kostenlos zur Verfügung stellen, die Übungsfilme in Garage und Wohnzimmer aufnehmen – finanziert von Spenden der Nutzer. Ich muss mich also nicht mal über Werbung ärgern. Da zahle ich doch gerne hin und wieder einen Zehner.

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Durch Lindenblütenduft und das Geschrei der Mauersegler in die Arbeit geradelt. Als es auf Feierabend zuging, bemerkte ich, dass ich fürs abendliche Sporthopsen (endlich mal wieder ein Mittwochabend, an dem ich dafür Zeit hatte) meine Trinkflasche vergessen hatte. Kurz überlegte ich, mir im Studio eine dritte zu kaufen (die zweite kam durch dieselbe Situation in meinen Besitz), dann entschied ich mich aber, lieber noch früher zu gehen und einen Umweg über daheim zu machen.

Mittlerweile war es mit der Sonne sehr warm geworden, die Stadt war mit Radlern und Radlerinnen, draußen sitzenden Menschen, einer bevölkerten Isar endlich richtig sommerlich.

§

Abends erlebt ich das Gegenteil meines Morgensports: Die geschätzte Stepaerobicstunde am Mittwochabend gab es nicht mehr, was ich allerdings erst beim Betreten des Turnsaals merkte. Dieselbe Vorturnerin gab jetzt “TBC”, was “Total Body Conditioning” heißt (schnelles Krafttrainig rundum, das auch den Puls hochbringt) und ermutigte mich zum Dableiben, auch, als ich sie darauf hinwies, dass ich morgens bereits eine ausführliche Runde Krafttraining absolviert hatte.

Es wurde die Hölle: Im sehr warmen Turnsaal ging es innerhalb weniger Minuten in die Vollen mit schnellen High Impact-Bewegungen inklusive Hanteln überm Kopf. Obwohl ich das Hüpfen bleiben ließ, protestierte mein Körper – so heiß, schlecht und schwindlig war mir zuletzt bei meinem Versuch in Bikram Yoga. Die Vorturnerin turnte alles selbst mit (statt hin und wieder auf die Teilnehmerinnen zu achten), erklärte keine Übung im Detail (welcher Muskel soll trainiert werden, was das Wichtigste ist für die korrekte Ausführung), schwang ihre Hanteln so schlampig irgendwie, dass ich den Sinn und Zweck nicht selbst erschließen konnte.

Ich machte das Ganze auf kleinster Flamme irgendwie mit, für besonders gefährliche Übungen kenne ich zum Glück inzwischen selbst Alternativen. Raus kam ich aus der Stunde elend und traurig – genau das Gegenteil von dem positiven Stimmungskick, den ich nach einer guten Sportrunde kenne. Der Mittwochabend ist also als Sportgelegenheit leider gestorben.

Zu Hause hatte ich nicht mal Appetit, vom sonst so gierig und in großen Mengen genossenen Salat aus Ernteanteil mochte ich nur ein paar Gabeln (aber Erdbeeren und Schokonüsse gingen).

Journal Dienstag, 21. Juni 2016 – Erstes Draußen-Abendessen

Mittwoch, 22. Juni 2016

Der Vollmond tat seine Wirkung (oder vielleicht auch die Ohropax, mit denen ich meine Umgebung ausschaltete, nachdem mich Autogeräusche aus dem Hinterhof aus dem Einschlafen gerissen hatten – Wachspropfen sind allerdings nicht entfernt so romantisch wie Vollmond): Nach Langem mal wieder tief geschlafen, so tief, dass ich nach Gewecktwerden lange benommen war.
Das Halbjahrhundertereignis Sonnwend inklusive Vollmond hätte ich in der Nacht zuvor schon auch gerne gesehen, doch ich war so müüüüüüde.

Ein grauer, aber milder Tag, zu Fuß ins Büro, dort gemächliches Arbeiten. Auf dem Heimweg meine Wanderjacke von der Schneiderin abgeholt: Der Reißverschluss einer Tasche war gleich beim ersten Tagen kaputt gegangen, sie hatte einen neuen eingenäht.

Mit Herrn Kaltmamsell hatte ich verabredet, dass wir wegen bisherigen Ausfalls des Sommers und der Unsicherheit, ob wir überhaupt einen bekommen werden, gleich die allererste Gelegenheit ergreifen würden, im Schnitzelgarten zu Abend zu essen. Gestern war es endlich warm genug dafür. Doch als wir ums Eck zu den Kastanien bogen, scholl uns bereits der Ton der Großleinwand entgegen: Fußballübertragung. Wir gingen also weiter ins Hey Luigi, das sich als Oktoberfest- und Fußball-freie Oase im Glockenbachviertel einen Namen gemacht hat. Zumindest ein erstes Mal draußen zu Abend gegessen.

Ich hielt mich weiter von Alkohol fern. Dass mir das am Montagabend ausgesprochen schwer gefallen war, halte ich für ein Symptom, wie nötig das mal ist. Nicht dass ich mich regelmäßig betränke, das eigentlich sogar nie. Auch ist die Tagesmenge meines Konsums nicht gestiegen (was ein Suchtkriterium wäre). Doch davor waren fast vier Wochen vergangen, in denen ich täglich Alkohol getrunken hatte, von einem Pint als Mindestmenge bis einem harten Cocktail plus halbe Flasche Wein (das ist meine Obergrenze, mehr vertrage ich nicht, will heißen, dann mag ich keinen Schluck mehr). Eine Woche ohne müsste doch wirklich gehen.

Da deutlich hörbar weitere Fußballspiele folgten und anschließende Hup-Corsos zu befürchten waren (München hat einen Einwandereranteil von fast 30 Prozent – irgendwer freut sich IMMER), schlief ich wieder mit verstöpselten Ohren ein.

Journal Montag, 20. Juni 2016 – “Geistig verwirrt”

Dienstag, 21. Juni 2016

Wo beginnt “geistig verwirrt”?

In der Wochenend-SZ stand ein ausgezeichneter Artikel des UK-Korrespondenten Christian Zaschke über die Stimmung in Großbritannien vor dem Brexit-Referendum:
“Gift und Galle”.
(Bei Blendle für 79 Cent nachzulesen.)
Schon im Vorspann heißt es darin: “Der Mann, der die Labour-Abgeordnete Jo Cox umgebracht hat, war vermutlich psychisch krank.”
Und im zweiten Absatz: “… nachdem am Donnerstag ein offenbar geistig verwirrter Mann die Abgeordnete Jo Cox umgebracht hat”. Später ist ein weiteres Mal von “offenbar psychisch gestört oder immerhin labil” die Rede. Abgesehen davon, dass dieses Epiteton schon kurz nach der Tat fast komisch exakt die Hautfarbe des Herrn mitteilte (wäre sie anders als weiß gewesen, hätte das Epiteton automatisch “Terrorist” gelautet): Wo beginnt und wo endet “geistig verwirrt”?

Als der 52-jährige Thomas M. nach seinem Namen gefragt wurde, antworte er mit den Worten: “Tod den Verrätern, Freiheit für Großbritannien”.
Die Richterin deutete darauf an, dass es sich um einen geistig Verwirrten handeln könnte.

Quelle

Am Freitag davor hatte ich über den Prozess gegen den Mann gelesen, der Henriette Reker fast umgebracht hätte (bei Blendle für 79 Cent).

Leid tut ihm das nicht, in seiner kleinkindlichen Wahrnehmung gibt es nur ein Opfer: ihn selbst.

Er äußert sich ziemlich ähnlich wie Thomas M., doch er gilt als zurechnungsfähig. Ebenso wie der Massenmörder Anders Breivik, dem es sogar besonders wichtig war, im Prozess bloß nicht als geistig verwirrt eingestuft zu werden.

Was allen drei gemeinsam ist: Sie sehen ihre Handlungen als Reaktion, sich selbst als die eigentlich angegriffenen, die sich verteidigen.

Genau das war die (damals für mich überraschende) Diagnose Sascha Lobos in seinem re:publica-Vortrag vor fünf Jahren: “Jüngste Erkenntnisse der Trollforschung”.

Aktivieren Sie JavaScript um das Video zu sehen.
https://youtu.be/sXSrpGr0wDU

Trolle sehen sich nicht als Agressoren, sondern als Opfer. So wie der Reker-Attentäter sich von Wahlplakaten der Grünen derart angegangen fühlte, dass er nur noch nachts das Haus verließ, fühlen sich Trolle von Meinungen angegriffen, die ihren widersprechen. Ihre resultierenden Aktionen sehen sie als reine Gegenwehr und (“sonst ist er ein ganz ruhiger und unauffälliger Mensch”) alternativlos. Und so schreiben dann zum Beispiel Menschen bösartigste Mails am End’ auch noch von ihrem Arbeits-Account aus – weil sie sich absolut im Recht fühlen. Mittlerweile muss man froh sein, wenn sie es bei schriftlichen Angriffen bewenden lassen und kein Messer in die Hand nehmen.

Dieser Mechanismus verbindet sie übrigens mit den großen Bösen der neueren Geschichte: Auch ein Adolf Hitler, ein Stalin, ein Mao und ein Saddam Hussein sahen sich als Verteidiger, nicht als Angreifer.
(Was, aber das nur nebenbei, James-Bond-Bösewichte für mich immer so blutleer und wenig glaubhaft machte: Die streben immer nur irgendwie nach Weltherrschaft/-zerstörung, ganz souverän, ungehetzt und überlegen.)

An Henriette Rekers Attentäter ist eine bestimmte Art Wahrnehmungsfilter zu beobachten, aller Wahrscheinlichkeit nach auch an Thomas M., den wir Internet-People an Verschwörungstheoretikern und Trollen kennen. So bezeichnete er die drei Menschen, darunter eine 77-jährige Frau, die Reker zu Hilfe eilten und die er schwer verletzte, als Mob, der über ihn hergefallen sei und den er habe abwehren müssen. Oder er bestand darauf, dass er keinen der drei mit seinem Messer verletzt habe, obwohl Laboranalysen ganz klar dieses Messer als die verletztende Waffe identifizierten.1 Alle Gutachten und Analysen, die seiner Schilderung des Tathergangs widersprachen, bezeichnete er als manipuliert.
Ich assoziiere sofort den bekanntesten Geisterfahrer-Witz: “Einer? Alle!”

Wenn das aber anscheinend kein Symptom für geistige Verwirrung ist – wo beginnt sie? Ich kann mir durchaus vorstellen, dass die Grenze schwer zu ziehen ist, schließlich ist alle menschliche Wahrnehmung nachweislich darauf ausgelegt, Belege für bereits getroffene Annahmen stärker zu gewichten als Belege des Gegenteils (siehe confirmation bias).

Und so fühle ich mich völlig hilflos: Wie soll man an solche Menschen rankommen? An Trolle, Verschwörungstheoretiker, Fanatiker?

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Zwei erhellende Beiträge zur Brexit-Diskussion:

Der Londoner mit deutschem Migrationshintergrund Konstantin schreibt:
“I Want My Country Back”.

Un der in den USA lebende Brite John Oliver nimmt die Argumente der Austrittsbefürworter auseinander (um gleichzeitig die EU aufs Übelste zu beschimpfen):

Aktivieren Sie JavaScript um das Video zu sehen.
https://youtu.be/iAgKHSNqxa8

  1. Aus dem Gedächtnis zitiert: Die Papier-SZ vom Freitag habe ich nach dem Lesen weggeworfen, und ich bin zu geizig, nochmal 79 Cent fürs Nachschlagen zu zahlen. []