Journal Sonntag, 10. Juli 2016 – Hochsommer ausgeschöpft
Montag, 11. Juli 2016 um 10:12Die Wettervorhersage hatte den einzigen Hochsommertag auf längere Sicht angekündigt, ich holte möglichst viel raus.
Morgenkaffee auf dem Balkon:
Radeln zum Ostbahnhof für eine Turnstunde, beim Umziehen genoss ich das gleißende Licht über Münchens Dächerlandschaft.
Daheim Frühstück mit Bagel, Curryresten, Obstjoghurt. Dabei bekam ich die Nachricht einer Freundin, ob wir uns abends im Biergarten treffen wollten. Zu Biergarten hatte ich gerade Herrn Kaltmamsell überredet, der wegen Korrekturlast nur zögerlich eingewilligt hatte. Ich gab ihm also frei und verabredete mich statt dessen mit der Freundin.
Vorher schob ich noch Freibad ein – auch wenn mir bewusst war, dass ich halb München dort treffen würde. Ich radelte hinaus nach Thalkirchen ins Naturbad Maria Einsiedel. Wie gewohnt schlenderte ich an den Kassenschlangen vorbei zum Eingang für Bäderkartenbesitzerinnen – um dort festzustellen, dass ich kein Guthaben mehr auf meiner Karte habe (ich sehe auf der kleinteiligen Anzeige beim Reingehen nie, wie hoch mein Guthaben noch ist). Also stellte ich mich an.
Das Bad war tatsächlich sensationell voll, doch ich kam zu meinem Schwumm einmal den eisigen Kanal runter.
Zurück daheim duschte ich und packte die Badetasche aus, dann radelte ich weiter zum Aumeister – recht weit weg für mich, aber für die Freundin mit zwei Kindern am besten zu erreichen. Außerdem lockte mich die Fahrt einmal längs durch den Englischen Garten, zumeist entlang der Isar.
Es war ein wunderbarer Biergartenabend. Zuvor war ich erst einmal im Aumeister gewesen, und das bei Kälte, gestern saßen wir gemütlich im Schatten der Bäume, völlig unbeengt. Ich ließ mir sagen, dass dieser Biergarten eigentlich nie ganz voll sei. Zwei Radlermaßn, eine Schweinshaxn mit Krautsalat – es ging mir rundum gut.
Highlight des Hochsommertags aber war die Heimfahrt. Ich radelte nach neun quer durch den Englischen Garten zurück, orientierte mich nur ungefähr an der Richtung. Im goldenen Abendlicht fuhr ich zwischen Blumenwiesen und Baumsilhouetten, vorbei an glucksenden Bächlein, begegnete der Schafherde, die gerade im Englischen Garten grast (ich roch sie, bevor ich sie sah), sah die Lichter eines weiteren Biergartens zwischen den Bäumen, hörte einen Entenstreit – bevor ich an den Chinesischen Turm gelangte und wieder genauer wusste, wo ich war.
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Bitter, aber nötig:
“I racist”.
What follows is the text of a “sermon” that I gave as a “congregational reflection” to an all White audience at the Bethel Congregational United Church of Christ on Sunday, June 28th.
Black people think in terms of we because we live in a society where the social and political structures interact with us as Black people.
Mein Rassismus, wenn ich ehrlich bin: Wenn ich hier jemandem mit dunkler Hautfarbe oder sonstigen nicht-mehrheitlichen Herkunftsmerkmalen begegne, ist mir das sofort bewusst – so sehr, dass ich bei Grillhähnchen-gebräunten Menschen auf einer kleinen Ebene überlege, ob sie vielleicht doch so geboren wurden. Vor allem aber: Wenn ich einer Weißen begegne, ist mir das nicht bewusst – sie hat gar kein Merkmal, sie ist einfach da, norm-al. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich das instinktive Registrieren der Abweichung auf mein Verhalten auswirkt, ist groß. Und das ist halt bereits Rassismus. Im besten Fall reflektiere ich es (und bin auch noch stolz darauf), aber es ist da.
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Dazu passt hervorragend dieses ausführliche Interview mit der immer wieder bestürzend klaren Denkerin Carolin Ehmke. Es dreht sich um Intimität und Politik:
„’Einfach nur privatistisch Intimitäten ausplaudern, kann nicht zielführend sein.’“
Zum Artikel über Rasssismus oben passt:
Ich wehre mich gegen die machtvolle Konstruktion von Kollektiven, von Zuschreibungen kollektiver Identität, gegen die Negation von Individualität, weil ich darin den Ursprung von Ausgrenzung oder Gewalt antizipiere. Mit dem Unsichtbarmachen von Individualität und Vielfalt, mit der Repression von Differenzen, mit dem Erfinden von Normen und Codes, die manche ein- und andere ausschließen, beginnen jene Mechanismen von Exklusion, die aus manchen Menschen weniger wertvolle, weniger schutzwürdige Menschen machen.
Woran ich dabei allerdings herumkaue: Denken in Mustern, Stereotypen, Gruppen ist grundmenschlich, so funktioniert das menschliche Lernen. Ist die Technik der Deduktion nicht im Grunde Stereotypisierung? Kommt die Wahrnehmungsforschung nicht immer wieder auf die Gestalttheorie zurück? Aber was bedeutet das für unser Zusammenleben in einer Gesellschaft?
Je älter ich werde, je mehr ich lerne, nachdenke, umso weniger komme ich zu Ergebnissen. Soll ich es mir einfach gemütlich in der Aporia einrichten?
Sehr gefreut habe ich mich über Ehmkes Vergleich von Religiosität mit Liebe: Damit erkläre ich mir das nämlich auch. So wenig, wie man jemanden über Argumente dazu bringen kann, einen Menschen zu lieben (oder zu begehren, würde Ehmke ergänzen), kann kam jemandem religiösen Glauben ein- oder ausreden; er ist da oder eben nicht.
die Kaltmamsell3 Kommentare zu „Journal Sonntag, 10. Juli 2016 – Hochsommer ausgeschöpft“
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11. Juli 2016 um 13:24
Alles gerne gelesen!
Ich greife mir die letzten beiden Punkte raus:
*Aporia* – genau! Im Raum, im 3-Dimensionalen kann man stets die Perspektive wechseln und so ALLES verargumentieren. Aber: Was ist das Wesentliche (einer Situation, einer Geschichte, eines Ablaufs, einer Beziehung…)? Oder wie sagt mein Liebling Oscar Wilde: *Nun, der Weg der Paradoxe ist der Weg der Wahrheit. Um die Wirklichkeit zu prüfen, müssen wir sie auf dem Seil tanzen sehen. Erst wenn die Wahrheiten zu Akrobaten werden, können wir sie beurteilen.*
Und ein absolutes JA zu *Mein Begehren ist so privat und intim, wie für viele religiöse Menschen der Glaube* – beides ist meine Privatangelegenheit!
11. Juli 2016 um 13:53
Bei der Beschreibung “ihres” Rassismus musste ich innerlich mehrmals nicken. Genauso geht es mir auch. Man WILL bzg Hautfarbe und Herkunft eigentlich gar nicht in Schubladen denken, tut es aber unterbewusst dennoch.
Ich habe das bisher immer darauf geschoben, dass es in meiner Heimatstadt so gut wie keine Ausländer gibt, aber wenn selbst Ihnen das so geht…
13. Juli 2016 um 7:44
Ich habe über “mein Rassismus” nachgedacht und möchte dem gern folgendes hinzufügen: in meinem Verständnis geht es heute noch viel mehr als vor 5, 10 oder 20 Jahren um Vielfalt in der Gesellschaft. Diese Vielfalt umfaßt (auch im Sinne von Gender Diversity) wesentlich mehr als nicht-mehrheitliche Herkunftsmerkmale. Da geht es auch um Lebensalter, um Lebens- und Erwerbsmodelle, um körperliche Beeinträchtigungen, um Mann / Frau / beides / keins von beiden, nicht-mehrheitliche Religion oder Kultur usw.
Diese Vielfalt wahrzunehmen, sowohl im Straßenbild als auch als gesellschaftlichen Fakt, und Chancengleichheit für alle mitzudenken – als Einzelperson und als Gesellschaft – mir scheint das erstrebenswert und auch ein Ansatz für den Wandel, den wir gerade erleben.
Für mich beginnt “mein Rassismus”, wenn aus der Wahrnehmung von nicht-mehrheitlichem Handlungen folgen wie: neben wen setze ich mich (nicht) in öffentlichen Verkehrsmitteln, wen lade ich (nicht) zu einem Bewerbungsgespräch oder einer Wohnungsbesichtigung ein etc.
Blinde als blind, Alte als alt wahrzunehmen, dazu dunkle Haut, Kopftuch, Schläfenlocken und was es sonst noch geben mag – für mich ist das in Ordnung, so lange man Blinde nicht zwingend anfaßt und über die nächste Straße zerrt, Alte nicht generell anbrüllt, weil sie sicher schwerhörig sind usw.
Ich verstehe, daß nicht-mehrheitlich aussehende Menschen nicht dauernd nach ihrer Herkunft, Menschen im Rollstuhl nach der Ursache gefragt werden möchten. Und doch sind hinter diesen äußeren Merkmalen oft Lebensgeschichten oder auch spezifische Bedarfe verborgen, die gesellschaftliche Vielfalt ausmachen, die Rücksichtnahme, Empathie, vielleicht sogar Handeln erfordern und Erkenntnis, Lernen, Verstehen ermöglichen – und auch das betrachte ich, wenn es gut gemacht ist, als Indiz einer funktionierenden, solidarischen, vielfältigen Gesellschaft.
So betrachtet glaube ich, wir müssen an dem “gut gemacht” arbeiten und viel mehr darüber sprechen, probieren, fragen “was brauchst du” und daraus lernen.