Journal Sonntag, 30. Oktober 2016 – Krabat

Montag, 31. Oktober 2016 um 8:18

Plan für Tag 2 meiner Allerheiligenferien war: Sport im Sportstudio mit Spazieren hin und zurück, Lesen, Ofengemüse.

Herrlichst ausgeschlafen. Der Weg zum Ostbahnhof war noch neblig.

Im Sportstudio kam ich gerade noch pünktlich zu einer halben Stunde Krafttraining in Kleingruppe, die ich in den vergangenen Wochen immer wieder beobachtet hatte, während ich mich daneben warmruderte. Nur dass ich gestern die einzige Teilnehmerin war. Ich lernte von der Trainerin den Umgang mit der Faszienrolle: Kam sofort auf meine Einkaufliste. Dann ließ sie mich interessante Übungen mit verschiedenen Kettle Bells machen, Liegestützen und abschließend Bankstütz. Ziel des Letzteren war “solange es geht”, doch nach anderthalb Minuten war ich immer noch nicht erschöpft und die Trainerin musste zum nächsten Termin (ich bilde mir ein, sie war beeindruckt).

Sollte mir recht sein, denn ich tobte mich anschließend bei Stepaerobic aus. Allerdings mit traurigem Ende: Auch dieser geschätzte Vorturner hört auf und gibt die Stunde ab.

Mittlerweile war der Nebel verschwunden, ich genoss einen sonnigen Rückweg über die dicht bevölkerten Isarauen (mit einem Haufen Pokémon).

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Wochenend-SZ gelesen, die beigelegten Magazine der vergangenen Woche, das Stapelchen Zeitungszeugs, dass sich angesammelt hatte.

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Im sonnenbeschienenen Wohnzimmersessel Krabat ausgelesen. Ich war sehr gespannt auf das Leseerlebnis gewesen: Als Herr Kaltmamsell das Buch kürzlich mit einer Schulklasse gelesen hatte und davon erzählte, bemerkte ich, dass ich es seit meiner Jugend nicht nochmal gelesen hatte. Denn er erwähnte als Ort Hoyerswerda, der mir heute als realer Ort ein Begriff ist – den ich aber bei meiner letzten Lektüre ganz sicher als einen erfundenen Märchenort aufgefasst hatte.

Der Roman gefiel mir wieder ausgesprochen gut, auch aus der analytischeren Erwachsenensicht. Preußler vermischt archaische Sagenelemente (Teufel, Seele verkaufen, Hexer, nur eine einzige weibliche Figur) mit historischen Legenden (Nordischer Krieg) und legt darüber eine moderne Figurenpsychologie. Ich erinnerte mich gut, wie gefesselt ich als Teenager – ich muss bei der Erstlektüre 14 gewesen sein – von der Düsternis der Geschichte war, von den Naturbeschreibungen, der Plackerei in der Mühle, von der Grausamkeit des Müllers. Und von der detailreichen Beschreibung der Mahlzeiten. Die Märchenhaftigkeit wurde in meiner Wahrnehmung unterstrichen von den vielen seltsamen, unbekannten Wörtern; einige aus der Müllerei sind mir bis heute fremd. Die reine Männerwelt hat mich damals sicher angezogen: Es geht um körperliche und geistige Kraft, um handwerkliche Fertigkeiten, Freundschaften bis über den Tod hinaus – das alles schätzte ich schon als junges Mädchen. Dagegen ist die Liebesgeschichte blass und rein funktional, Mädchen haben keine eigenen Ziele, sind halt für die Liebe und fürs Erlösen der Männer da – langweilig.

Bei der heutigen Lektüre fiel mir in der Geschichte das Gegenüberstellen von irdischer Anstrengung und dem Preis der Abkürzung durch Hokuspokus auf. Die Müllerburschen lernen ja wirklich ihr Handwerk, der Austausch eines Mühlrads wird ein ganzes Kapitel lang beschrieben. Die Metaphysik der schwarzen Kunst, die in dieser speziellen Mühle dazu kommt, dient in erster Linie dazu, Macht zu bekommen, sich über andere Menschen zu erheben.

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Fürs Abendessen hatte ich am Freitag Sommergemüse eingekauft, das ich jetzt klein schnitt und im Ofen garte. Ich hatte große Lust auf ein Glas Rotwein, und ich wusste auch welchen (jung, spanisch, rot). Doch als ich den ersten Schluck nahm, schmeckte er mir überhaupt nicht. Ich verschloss die Flasche wieder und ließ das mit dem Wein bleiben.

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Michael Seemann hat sich Gedanken darüber gemacht, warum sich zwischen den sogenannten besorgten Bürgern und der Restgesellschaft ein Abgrund zu öffnen scheint. Wie definieren Menschen wie AfD-Anhänger und -Anhängerinnen eigentlich ihren Gegner?
“Die Globale Klasse – Eine andere Welt ist möglich. Aber als Drohung.”

Da ist zunächst die Erzählung einer Verschwörung, über alle Parteigrenzen hinweg. Es gäbe gar keine echte Demokratie mehr, sondern nur noch die Einheits-Blockpartei CDUSPDFDPGRÜNELINKE. Auch die Medien (“Lügenpresse”) steckten mit unter der Decke. Gut wird empfunden, dass die endlich Gegenwind bekämen (Trump, Le Pen, AfD, FPÖ, Brexit) und sich eine „echte Alternative“ (Alternative für Deutschland, Alt-Right-Movement) bildete.

Es ist leicht, diese Vorstellungen als Spinnerei abzutun, aber wenn man sich die drei wesentlichen Eckpfeiler der neurechten Programmatik besieht – Migration, Globalisierung und Political Correctness – dann ist nicht zu leugnen, dass es in diesen Bereichen tatsächlich einen gewissen Grundkonsens in den Medien und Parteien (die CSU mal ausgeschlossen) gibt. Ein Konsens, von dem allerdings gerne angenommen wird, dass es ein gesamtgesellschaftlicher Konsens ist. Weil es vernünftig ist. Weil es menschlich ist. Weil es das einzig richtige ist. Da müssten doch alle dafür sein. Nicht?

(…)

Es gibt heute eine globalisierte Klasse der Informationsarbeiter, der die meisten von uns angehören und die viel homogener und mächtiger ist, als sie denkt. Es sind gut gebildete, tendenziell eher junge Menschen, die sich kulturell zunehmend global orientieren, die die New York Times lesen statt die Tagesschau zu sehen, die viele ausländische Freunde und viele Freunde im Ausland haben, die viel reisen, aber nicht unbedingt, um in den Urlaub zu fahren. Es ist eine Klasse, die fast ausschließlich in Großstädten lebt, die so flüssig Englisch spricht, wie ihre Muttersprache, für die Europa kein abstraktes Etwas ist, sondern eine gelebte Realität, wenn sie zum Jobwechsel von Madrid nach Stockholm zieht. Europa und Nordamerika mögen Schwerpunkte sein , doch die Klasse ist tatsächlich global. Eine wachsende Gruppe global orientierter Menschen gibt es in jedem Land dieser Erde und sie ist gut vernetzt. Diese neue globalisierte Klasse sitzt in den Medien, in den StartUps und NGOs, in den Parteien und weil sie die Informationen kontrolliert (liberal Media, Lügenspresse), gibt sie überall kulturell und politisch den Takt vor. Das heißt nicht, dass sie politisch homogen im eigentlichen Sinne ist – zumindest empfindet sie sich nicht so – sie ist zum Beispiel in Deutschland fast im gesamten Parteienspektrum zu finden, in der CDU, SPD, LINKE, GRÜNE, FDP. Diese Klasse entspringt dem Bürgertum, aber hat sich von ihm emanzipiert.

Lösungskonsequenzen aus den zugespitzten Beobachtungen von mspro fallen mir auch nicht ein, aber ich finde sie wichtig.

die Kaltmamsell

4 Kommentare zu „Journal Sonntag, 30. Oktober 2016 – Krabat

  1. Texas-Jim meint:

    Den Krabat habe ich auch dieses Jahr mal wieder gelesen. Über die Jahre seit der Schulzeit (in der fünften oder sechsten Klasse, wenn ich mich recht erinnere) habe ich immer wieder von der düsteren Geschichte geträumt.

    Zum Bankstütz hätte ich eine Erweiterung anzubieten, die ich während des Kletterns gern nutze: Beschrieben ist sie hier:
    http://www.klettern.de/besser-klettern/besser-klettern/uebungen-fuer-die-koerperspannung-fortgeschritten.286662.5.htm#1

  2. Tanja meint:

    Es gibt seit einigen Jahren in der Nähe von Hoyerswerda die Krabat-Mühle, aufgebaut an historischem Originalschauplatz:

    http://www.krabat-muehle.de/

  3. Petra meint:

    Möglicherweise interessiert Sie ergänzend Jurij Brezan: Krabat….., noch erhältlich beispielsweise über amazon.

  4. Vinni meint:

    Ich als Ostkind kannte auch erst die Version von Jurij Brezan, die mir darum auch noch mehr am Herzen liegt. Rätselhaft mit den seinen Zeitsprüngen und düster-mystisch. Ich möchte das auch gern empfehlen. :)

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