Ein weiterer warmer Tag. Ich war mit dem Fahrrad unterwegs, um nach der Arbeit mein malades Smartphone nochmal zum Schrauber zu bringen. Dieser fand tatsächlich einen Fehler außer dem Akku (Ladesensor), das Ersatzteil bekommt er aber erst Donnerstag. Ich werde also am Freitag nochmal zu ihm müssen.
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Der Freitag schreibt über die Folgen für die Gesellschaft, wenn der Glauben vorherrscht, dass man mit Leistung zum Erfolg kommt:
“So ein Dusel”.
via @bebal
Er dreht sich genau um die Frage, an der ich seit Jahrzehnten knabbere: Welcher Erfolg ist mein eigener Verdienst? Was basiert auf Angeborenem? Was auf Zufall? (Dass Erfolg selbst schon Definitionssache ist, lassen wir mal beiseite.) Ich bin mit Hirn, Interesse und Energie auf die Welt gekommen, wurde von klein auf gefördert und angetrieben, hatte nie den Eindruck, große Hindernisse überwinden zu müssen. Viel weist darauf hin, dass ich bei allem, was äußerlich nach Erfolg aussieht, einfach Glück hatte.
Was ist eigentlich Leistung? Eine Leistung, auf die man stolz sein kann?
Ich tendiere dazu, nur als meine eigene Leistung zu empfinden, wenn es Mühe ohne Spaß gekostet hat. Aber weil ich dann im Nachhinein vor allem Leid damit assoziiere, freue ich mich über das Ergebnis nicht – und bin nicht stolz darauf.
Beispiele:
Mein Einser-Magister? Hat Spaß gemacht, war also keine Leistung. Klar gab es Phasen, die mich sehr viel Mühe und Anstrengung kosteten, doch sie erfüllten mich nicht mit Wut und Zorn.
Hirn und Energie wurden mir angeboren, auch der Spaß, etwas damit zu machen. Dazu hatte ich Eltern, für die Bildung einen hohen Stellenwert hatte. Fühlt sich nicht wie Leistung an.
Berufliche Leistungen? Da gibt es einiges, was objektiv als Erfolg gezählt wird, aber nur durch so viel Selbstüberwindung möglich war, von glühendem Hass begleitet, dass ich mich nur sehr ungern daran erinnere. Will ich nicht als Leistung zählen, war eine sehr verdrehte Art von Pflichterfüllung.
Komischerweise empfinde ich das Gefühl von Stolz am ehesten auf Freundinnen, Freunde, Angehörige, die großartig sind und Großartiges tun und erreichen. Wofür ich nun wirklich am allerwenigsten kann. Ich empfinde Stolz darauf, dass ein so wundervoller Mensch sich mir freundschaftlich zuwendet.
Aber zurück zum oben verlinkten Artikel:
Ein genauer Blick auf die Utopie einer reinen Leistungsgesellschaft lohnt, weil diese Argumentation unsere Gesellschaft prägt: Nicht die Einkommensunterschiede an sich seien das Problem, heißt es gern. Entscheidend sei allein, dass jeder eine faire Gelegenheit bekomme, sich eine privilegierte Position zu erarbeiten. Aber dieser Gegensatz führt in die Irre, weil Chancen und Ergebnisse nicht so einfach zu entfädeln sind: Wann ist Reichtum verdient, wann unfairer Wettbewerbsvorteil? Wo fängt Leistung an, wo hören Chancen auf? Und welche Zufälligkeiten müssen beseitigt sein, damit man wirklich überall von gerechten Startbedingungen sprechen kann? Der Beruf der Eltern ist vielleicht ein Zufall, der auf die Laufbahn eines Kindes keinen Einfluss haben sollte. Aber was ist mit angeborener Begabung, einer robusten Persönlichkeit, einem Geburtsdatum im Januar? Zufällig ist es genau so.
Vor der Meritokratie, schreibt Young, stellte man sich die sozialen Klassen heterogen vor. Es war selbstverständlich, dass es Kluge und Tüchtige in den unteren Schichten gab, genauso wie Dumme und Faule in den oberen. In gewisser Weise wirkte das wie ein Kitt: Niemand konnte mit Inbrunst behaupten, er habe sich seinen Posten als großer Boss verdient – weil man es schlicht nicht mit Sicherheit wissen konnte. Die Gesellschaft wirkte zwar unfair, willkürlich und ineffizient, aber solange es kein klares Selektionskriterium gab, konnte man sich immerhin der Illusion hingeben, im Grunde seien die Menschen doch alle gleich.
Funktioniert die Bestenauswahl erst einmal, braucht sich die Elite dagegen nicht mehr mit Selbstzweifeln zu plagen. In der Meritokratie muss sich niemand rechtfertigen für seinen Reichtum. Aber die untere Schicht verliert ihre Selbstachtung. Im meritokratischen Denken sei sie nun nicht mehr aus Zufall oder Diskriminierung benachteiligt, heißt es bei Young, sondern weil sie nachweislich minderwertig sei. Wo der Erfolg allein auf Leistung beruhen soll, ist jeder Misserfolg ein persönliches Versagen. Die Meritokratie ist erbarmungslos.
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Eine praktische Anleitung:
“Was ich in 10 Jahren Diskussion mit Impfgegner_innen über postfaktische Kommunikation gelernt habe”.
Hier meine Zusammenfassung; sollte durch die Verkürzung etwas in Schieflage geraten sein, liegt die Schuld bei mir und nicht bei der Autorin.
Für das Zurückholen dieser Menschen in ein rationaleres Jetzt dürfte für viele AfD-Wähler_innen das gelten, was auch für Impfverweigerer gilt: Es ist aufwendig und lang.
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Man muss die Risiken eines bestimmten Verhaltens möglichst plastisch erfahrbar oder kommunizierbar machen.
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Auch von wissenschaftlicher Seite wird postuliert, dass bei festgefügten Verschwörungstheorien das Ersetzen einer Verschwörungstheorie durch eine andere sinnvoller ist als der Versuch, faktenbasiert vom Gegenteil zu überzeugen.
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Ich habe nur dann eine Chance durchzudringen, wenn ich es schaffe, dass das Gegenüber in mir selbst keinen Wutausbruch auslösen kann.
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Es ist wichtig, das Verfestigen von irrationalen Gedankengebäuden zu verhindern, bevor sie zu festgefügt sind um noch zur einzelnen Person vorzudringen.
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In emotional aufgeladenen Situationen müssen wir Menschen besonders gut vor dem Zugriff kontrafaktischer Argumente schützen.
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Das reine Widerlegen von Un-Fakten hilft überhaupt nicht.
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Wir müssen Suchmaschinen wie google stärker in die Pflicht nehmen, wir müssen aber auch rationale Informationen besser und verständlicher und breiter verfügbar machen.
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Diskutiere nicht mit Opas (und Omas).
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Kompromisslos unbestechlich, rigoros Skandale in unseren Reihen aufklären, sehr hohe Transparenz gewährleisten.
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Wir müssen denen, die mit dem Kontrafaktischen ihr Geld verdienen, diesen Geldhahn so gut wie möglich zudrehen.
via @wortschnittchen