Journal Montag, 14. November 2016 – Heimlicher Riesenmond
Dienstag, 15. November 2016 um 6:24Deutlich vor dem Weckerklingeln weckten mich Unruhe und Angst.
Nu, hatte ich noch reichlich Zeit, die Stollen zu puderzuckern und in Alufolie zu wickeln.
Ein knackig kalter Tag mit gemischtem Himmel. Für eine Besichtigung des lange angekündigten besonders großen Vollmonds war es dann leider nachts zu bedeckt.
Auf dem Heimweg Einkäufe in der Lebensmittelabteilung des Karstadts am Hauptbahnhof (beim Hertie halt), unter anderem eine reife Ananas, die es mit Schlagsahne zum Nachtisch gab.
§
Er lässt mich nicht los, dieser aggressive Groll in der Wählerschaft, der unter anderem durch die Wahl eines Donald Trump zum US-Präsidenten wirklich gefährlich geworden ist.
Zum einen die Beobachtung von Sven Scholz, dass den Trump-Wählerinnen und -Wählern Gleichberechtigung und konstruktive Diskussionen einfach unwichtig sind, so dass sie Trumps Sexismus, Rassismus und Hass schlicht nicht störten.
“Perspektiven”.
Klar gab es überzeugte Rassisten, die Hitler tatsächlich wegen seines Rassismus wählten. Aber den meisten Leuten war dieser Punkt eher einfach egal. Nicht weil sie ihn toll fanden, sondern weil es eine ganz „normale“, allgemein verbreitete Geisteshaltung war, über die man überhaupt nicht groß nachdachte.
Die wählten Hitler nicht wegen seines Antisemitismus und seines Rassismus. Diese Programmpunkte waren für einen Großteil seiner Wählerschaft völlig irrelevant. So wie Trumps Rassismus und Frauenfeindlichkeit offenbar für viele Latinos und vor allem für viele Frauen offenbar uninteressanter waren als alle – auch ich – dachten. Die Leute haben damals nicht „gegen die Juden“ gewählt. Sondern „für sich“. Und sie haben auch heute nicht „den Rassisten“ gewählt. Sondern „für sich und ihre Interessen“. Die Frage nach Rasse und Frauenrechten war da eher weniger dabei, im Positiven wie im Negativen. Wenn Rassismus „normal“ ist, dann wählt man ihn nicht. Aber dann stört er einen halt auch nicht.
Zum anderen in der Harvard Business Review:
“What So Many People Don’t Get About the U.S. Working Class”.
via @ankegroener
Beobachtung: Gebildete können in viel stärkerem Maß den Hass der kleinen Leute auf sich ziehen als Superreiche – weil sie im Alltag erlebbar sind.
Michèle Lamont, in The Dignity of Working Men, (…) found resentment of professionals — but not of the rich. “[I] can’t knock anyone for succeeding,” a laborer told her. “There’s a lot of people out there who are wealthy and I’m sure they worked darned hard for every cent they have,” chimed in a receiving clerk. Why the difference? For one thing, most blue-collar workers have little direct contact with the rich outside of Lifestyles of the Rich and Famous. But professionals order them around every day. The dream is not to become upper-middle-class, with its different food, family, and friendship patterns; the dream is to live in your own class milieu, where you feel comfortable — just with more money. “The main thing is to be independent and give your own orders and not have to take them from anybody else,” a machine operator told Lamont.
Folgerung des Artikels: Wirtschaftspolitik ist der Schlüssel.
Back when blue-collar voters used to be solidly Democratic (1930–1970), good jobs were at the core of the progressive agenda. A modern industrial policy would follow Germany’s path. (Want really good scissors? Buy German.) Massive funding is needed for community college programs linked with local businesses to train workers for well-paying new economy jobs.
(Deutschland als Vorbild zu nehmen, ist angesichts des Erfolgs der AfD seltsam. Doch die wird ja statistisch eher vom etablierten Bürgertum gewählt. Andere Kausalzusammenhänge als Trump-Wahl?)
die Kaltmamsell7 Kommentare zu „Journal Montag, 14. November 2016 – Heimlicher Riesenmond“
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15. November 2016 um 10:13
Das mit dem Hass auf Gebildete habe ich bislang noch nie verstanden – in Kambodscha wurden unter den Roten Khmer ja auch als Erstes die “Intellektuellen” (wofür es anscheinend reichte, Brillenträger zu sein) ermordet. Plötzlich erscheint das gar nicht mehr soo fremd. Was nicht bedeuten soll, dass ich in naher Zukunft mit der systematischen Ermordung Intellektueller rechne – aber mir ist der Hintergrund nun klarer.
15. November 2016 um 10:23
Sehr interessanter Hinweis, U., erinnerte mich an die grausame und verheerende Kulturrevolution in China. Das “People are sick of experts” des ehemaligen britischen Bildungsministers Michael Gove scheint eine bedenkenswerte Konstante zu sein.
15. November 2016 um 11:33
Trump wurde auch eher von den Etablierten gewaehlt, weniger von den wirklich finanziell schwachen. Das mit der White Working Class stimmt auch, aber es ist eher der White Mittelstand der ihm zu seinem Erfolg geholfen hat. Deswegen ja auch meine Theorie es hat was mit einer Art Elitenwechsel zu tun, welcher hier die Probleme ausloest. Trump ist sehr old-school was seine Herkunft angeht – reicher Vater, reiche Familie, traditionelle Geldanlagen (Immobilien etc) – da ist nichts neues in seinem Portfolio. Mit Trump wurde also quasi die traditionellstmoegliche Elite gewaehlt – der Geldadel. Da konnte Clinton mit Ihrem “Zuhoeren” gar nicht Punkten. Die Frage ist also praktisch: von wem moechten sie regiert werden, von einem Peer (Clinton, mehr oder weniger: Sie musste sich alles selbst erarbeiten, Kompromisse eingehen und sich damit kompromittieren, weil ihr als Frau das alles eben nicht in die Wiege gelegt wurde) oder jemandem der schon mit dem goldenen Loeffel im Mund aufgewachsen ist (und der damit vorgeblich mit niemandem falsche Kompomisse eingehen muss und musste). Dass dieser Vergleich hinkt bedeutet ja nicht dass es nicht trotzdem eine Denkart ist die so vorkommt.
15. November 2016 um 15:52
Eigentlich ist es ganz einfach:
Ein “Gebildeter” wird vermutlich die Unzulänglichkeiten eines nicht so Gebildeten bzw. eines Systems etc. relativ schnell erkennen und diese publik machen und somit lästig werden. Also muss er weg bzw. mundtot gemacht werden.
Das ist u.a. der Grund dafür, das ein “Überqualifizierter” ggf. gar keine Anstellung mehr bekommt. Soll ja nicht schlauer als der Chef sein.
Der Superreiche stört da weniger, wie Trump und beispielsweise die Geissens beweisen.
Außerdem ist die Erlangung von Reichtum bzw. eines angemessenen Lebensstils ganz allgemein scheinbar (?) auf vielfältigeren Wegen möglich, als die Zugehörigkeit zu einer Elite über Bildung, die auch ein hohes Maß an Reduktion auf nur einen bestimmten Sektor menschlicher Fähigkeiten beinhaltet.
“Wissen ist Macht” erscheint bedrohlicher als “Geld ist Macht”, zumal Bildung derzeit als Allheilmittel gegen sämtliche gesellschaftlichen Unzulänglichkeiten propagiert wird, wobei jedoch allein zertifizierter Wissenserwerb nicht weiterbringen dürfte.
Kleine Frage am Rande:
Was stützt die Annahme, dass “kleine Leute” per se ungebildet sind?
Uuiui
15. November 2016 um 18:43
Hm, Petra, das sind vermutlich Definitionsprobleme. Das Musikerehepaar, das die fünfköpfige Familie mit Instrumentalunterricht am Existenzminimum über Wasser hält, scheine ich nicht dazu zu zählen.
15. November 2016 um 20:20
Danke für das Zitat von Scholz. Er fasst zusammen, was ich fühle, aber nicht in Worte kleiden konnte. Ich sagte zwar, das hatten wir schon einmal, als sie Hitler wählten, aber warum so was passieren kann, das konnte ich mir nicht erklären.
16. November 2016 um 13:48
Hallo Petra,
darf ich deinen Satz etwas korrigieren: “Ein “Gebildeter” wird vermutlich die vermeintlichen Unzulänglichkeiten … relativ schnell erkennen und diese publik machen …”
Und daraus resultiert dann eine Kaskade von guten Ratschlägen, die als Entmündigung erfahren werden. (“But professionals order them around every day.”). Immerhin kann man die Dummen nicht mehr so ohne weiteres sterilisieren (eine gut progressive, skandinavische Lösung…).
Wobei es in diesem Fall ja nicht einmal um eine Art Lumpenproletariat geht, sondern um Facharbeiter: Menschen, die durchaus ihre Kompetenzen haben, denen aber ständig reingequatscht wird. Das sind Leute, die deshalb Trump wählen, weil sie schlicht erhoffen, durch ganz normale Arbeit ihr Geld verdienen zu können. Darum kann man auch nicht sagen, dass da Schafe ihre Schlächter wählen. Sie wollen den Sozialstaat nicht in Anspruch nehmen, der ihnen da weggekürzt wird. Die Entscheidung für Trump ist rational.
Bildung übersetzt sich nicht in ein politisch bewussteres Verhalten. Und angesichts der Komplexität der Verhältnisse sind auch die Topoi aus dem Gemeinschaftskundeunterricht nicht weniger weit ab vom Schuss als irgendwelche Stammtischreaktionen.