Journal Freitag, 23. Dezember 2016 – Ein bisschen Weihnachtsgefühle

Samstag, 24. Dezember 2016 um 8:57

Ich hatte für den ersten Weihnachtsferientag einige Pläne, die mich mit dem Fahrrad quer durch München schicken würden. Dazu passte überhaupt nicht, dass es morgens heftig regnete.

Doch gerade als ich den Tag auf MVV-Tageskarte und umständliche Tramfahrerei umgeplant hatte, wurde es hell und trocken. Ich konnte also doch das Rad zum Schwimmen im Dantebad nehmen.

Dass hinter der Sprudelschnecke ein 50-Meter-Schwimmbecken liegt, müssen Sie mir einfach glauben. Zumindest können Sie sich anhand dieses Fotos vorstellen, dass die Sicht unter Wasser deutlich besser war als darüber.

Die Schwimmrunde war nicht recht entspannt, weil ich mit vielen Spielzeug- und Gesundheitsrückenschwimmenden die Bahn teilte. Doch in Dusche und Sammelumkleide wurde ich daran erinnert, dass die Nutzerinnen des Dantebads eine eigene, ganz bezaubernde Gemeinschaft sind; man bezog mich ins kumpelige Plaudern ein.

Um meinen Hunger zu stillen, radelte ich zu Marietta.

Hier war bereits Weihnachtslangsamkeit eingekehrt, ich konnte ausgiebig mit den dort arbeitenden Menschen ratschen und Weihnachtspläne austauschen. Außerdem perfektes Küchenenglisch mithören, eventuelle Lücken mit Italienisch und Deutsch gefüllt (man muss im englischen Redefluss “Kabeljau” ja nur überzeugt genug einbauen, dann denkt das Gegenüber, das Unverständnis läge an ihm). So überheblich ich mich über schlechtes Englisch im professionellen Rahmen aufregen kann, so rührend finde ich jeden Kommunikationsversuch zwischen Menschen in fremden Sprachen: Wie sie doppelt so laut sprechen, fuchteln, die Augen aufreißen, wie sie sich freuen, wenn der Verständnisfunke springt – herrlich.

Ich ließ mich mehrfach in den Arm nehmen und mit Grüßen an Daheim versorgen – der weitere Tag verlief superverflauscht. In der Maxvorstadt holte ich noch schnell Zadie Smiths Swing Time als Urlaubslektüre. Während um mich herum die freien Parkplätze immer mehr wurden, summte ich beim Radlen “It feels like Christmas”.

Daheim versorgte ich Wäsche und setzte Vorteige fürs samstägliche Brotbacken an, dann ging ich nochmal raus: Zum einen machte ich endgültig mit der Stadtsparkasse Schluss und löste mein Konto dort auf. Zum anderen holte ich mein neues Brillengestell ab – das gleiche wie das alte. Während die alten Gläser umgefasst wurden, probierte ich Sonnebrillen durch.

Was meinen Sie: Sollte das meine werden?

Eigentlich wollte ich noch einen Badeanzug kaufen: Den Zweitanzug habe ich wegen kompletter Ausgeleiertheit vor ein paar Wochen weggeworfen, jetzt fürchte ich, dass mein einziger mir vom Leib fallen könnte. Doch auf dem Weg zum Kaufhaus wurde mir kalt, außerdem bekam ich schon wieder Hunger.

Also lieber Tee und Stollen daheim.

Über “Driving home for Christmas” nachgedacht. Auch wenn ich an Heilig Abend zu meinen Eltern fahren werde: Da ist nicht Zuhause. Das mag zum einen daran liegen, dass ich in diesem konkreten Haus nur zwei Jahre gewohnt habe, bevor ich mit gerade 19 Jahren meiner eigenen, erwachsenen Wege ging. Sehr auch liegt es an meinem heftigen und völlig unbegründeten Groll gegen meine Geburtsstadt. Aber wahrscheinlich vor allem an meiner Wurzellosigkeit (Wurzelfeindlichkeit?). Vielleicht hätte ich gründlicher und weiter weggehen sollen, um herauszufinden, wo mein Daheim ist.

die Kaltmamsell

5 Kommentare zu „Journal Freitag, 23. Dezember 2016 – Ein bisschen Weihnachtsgefühle“

  1. Eva meint:

    Ja! Ganz große Kaufempfehlung! Die Sonnenbrille steht Ihnen ausgezeichnet!

  2. Buchfink meint:

    Da ist sicher was dran.
    Mich verschlug es nach spießiger Jugend in einer württembergischen Kleinstadt nach Berlin, wo mir erst mal die Augen aufgingen. Danach folgten Stationen in Hamburg und München, bis ich jetzt im Pfaffenwinkel (wieder sehr spießig) gelandet bin. Ich weiß inzwischen, dass die “Heimat” nur in mir drin ist, alles andere ist Bühnenbild.

  3. Feathers McGraw meint:

    Sonnenbrille: toll.

    Ich bin ja nur sehr Außenstehender, aber sie sind schon in München zuhause. Ich bin schon ein wenig in der Welt herumgekommen, und auch noch auf der Wurzelortsuche aber: Wurzeln sind Zeit- und Beziehungsinvestitionen. Und allein in diesem Eintrag zeigt sich wie viele Wurzeln sie schon in München geschlafen haben, da bin ich noch nicht mal in der Nähe in meiner Stadt. Sie haben “ja” zu München gesagt – das mag nicht so aussehen wie man sich Wurzeln traditionell vorstellt, aber spezielle Pflanzen schlagen auch spezielle Wurzeln.

    Frohes Fest!

  4. Andrea meint:

    Klingt blöd, ist aber so: Das stärkste Gefühl, nach Hause zu kommen, hatte ich, als ich von meinem damals ganz neuen Freund nach einer kurzen Abwesenheit seinerseits in den Arm genommen wurde. Genau dort, an einem wirklich nicht schönen Ort, fühlte ich mich zu Hause und angekommen. Dieser Freund ist auch nach 18 Jahren noch der Meine und dieses Jahr haben wir geheiratet. Ich hoffe (und denke), dass es Ihnen mit dem Allerliebsten ähnlich geht. Was Sie von Ihrer Beziehung durchblicken lassen, klingt jedenfalls sehr nach einem tollen Zuhause. Der Ort ist dabei nicht erheblich. Frohe Weihnachten ohne düstere Wolken wünsche ich.

  5. die Kaltmamsell meint:

    Sie haben recht, Feathers McGraw, in München bin ich schon sehr daheim. Darauf weisen allein schon meine Schmerzen bei Veränderungen hin: Als ich letzthin durch einen Artikel in der SZ an das Verschwinden der Konditorei Rottenhöfer erinnert wurde, tat mir physisch das Herz weh.

    Und auch Sie haben recht, Andrea: Mein Partner ist so sehr Daheim, dass ich z.B. problemlos eine Woche allein in Urlaub fahren kann – weil ich ja ein Zuhause habe, zu dem ich zurückkomme.

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