Derzeit wieder großes Was-soll-bloß-aus-mir-werden. Und alles in mir mit Ausweichmanövern beschäftigt, um keine Konsequenzen ziehen zu müssen.
Die Tage werden spürbar länger; selbst beim gestrigen schlechten Wetter war es auf dem Heimweg um fünf noch nicht ganz dunkel. Derzeit ist Winter, wie er in unseren Breiten eigentlich normal ist – in den vergangenen Jahren aber nicht vorkam (was mir ja sehr recht war). Die großen Medien machen aus den Begleiterscheinungen eine solche Sensation, dass man nur mit Sarkasmus reagieren kann.
Zum Nachtmahl kochte ich einen Eintopf aus Ernteanteilteilen dieser Woche (Zwiebeln, Rote Bete, Kartoffeln, Lauch) plus Gemüsebrühe und Ingwer.
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Indische Restaurants sind für mich so britisch wie das pub quiz. Da ich mein Auslandsjahr im Studium 1991/1992 in Wales und nicht in England verbrachte, lernte ich sie zwar erst später gründlich kennen, doch dass sie Teil der britischen Kultur waren, sah ich überall.
Das scheint sich zu ändern.
“Who killed the great British curry house?”
Via @konstantinleben
Dieser sehr ausführliche Artikel (aka Longread) von Bee Wilson verdeutlicht mal wieder, wie eng gesellschaftliche Entwicklung und Kulinarik verwoben sind.
Though hardly acknowledged by restaurant critics, except for mocking asides about their red flock wallpaper, curry houses were one of the great successes of the postwar restaurant industry in Britain. In her 2005 book Curry: A Biography, the historian Lizzie Collingham argued that the Sylheti curry cooks converted “unadventurous British palates” to a new flavour spectrum. Goodbye, mince and potatoes; hello, chicken bhuna. “More than any other ethnic food,” Collingham wrote, “the British have made curry their own.”
Doch die zweite und dritte Generation ist (wie meist von den eingewanderten Eltern erträumt) gesellschaftlich aufgestiegen und hat einen Berufsweg außerhalb der Gastronomie gewählt, zudem schneiden verschärfte Einwanderungsgesetze den Zufluss neuen Personals ab.
Ever since the Conservative-Liberal Coalition assumed power in 2010, with David Cameron elected on an impossible pledge to reduce net migration into Britain to the “tens of thousands”, the Bangladeshi Caterers’ Association (BCA), of which Oli Khan is senior vice-president, has warned of a curry crisis. The BCA says that if nothing is done to support the industry, as many as a third of Britain’s curry houses – around 4,000 in total – will close over the next couple of years.
(…)
For a few decades from the 1970s to the 2000s, the curry house – like its high street companion, the pub – looked like a permanent feature of British life; maybe even an emblem of Britishness itself. Yet it is now clear that our passionate relationship with these restaurants was a product of particular circumstances. For the high street curry house to flourish in its classical form, British tastes needed to stay fixed and south Asian cooks needed to be free to work here. Neither of these conditions now holds.
Ich lernte aus dem Artikel den Begriff widower curry (eine Abkürzung der aufwändigen Rezepte für den Fall, dass die geübte Köchin nicht da ist) und dass man aus dem Namen des indischen Restaurants schließen kann, in welcher Zeit es eröffnet wurde. Außerdem wirft er die Frage auf, was eigentlich “authentische” Küche ist:
Does a cuisine belong to the people who eat it or the ones who cook it?
Die Briten interessierten sich erst Ende der 70er für die regionalen Unterschiede indischer Küche und verlangten nun, dass ihre Vorstellung davon in den indischen Restaurants umgesetzt würde – egal, welche Absichten Wirte, Köchinnen und Köche des Lokals eigentlich hatten.
Mir fällt bei curry house immer Rowan Atkison ein – dessen klassische Nummer unten ein Beleg für die Verwurzelung in der britischen Kultur ist:
(“Deceptively flat” ist schon lang Teil unseres Ehejargons.)
Interssanterweise zitiert der Artikel oben aber eine andere Nummer von Rowan Atkinson:
an old bit from the early 80s comedy sketch show Not the Nine O’Clock News, in which Rowan Atkinson plays a Tory politician speaking at his party conference: “I like curry, I do [pause]. But now that we’ve got the recipe, is there really any need for them to stay?”
Ich wünsche mir einen ähnlichen Artikel über die Rolle und Entwicklung der Dönerbuden in der deutschen Gesellschaft. Sie waren möglicherweise das erste Take-away-Essen, das sich in Deutschland wirklich durchsetzte. (In England entstand die Take-away-Kultur im frühen 19. Jahrhundert durch die Industrialisierung: Massenzuzug in die Städte, Unterkünfte ohne Küchen, die gesamte Familie schuftete in den Fabriken, Mahlzeiten mussten nach Feierabend auf dem Heimweg gekauft werden.)
Ich ahne Verbindungen zur deutschen Wiedervereinigung: Vorher waren sowohl Döner als auch das Ausgehen spät nachts mit Döner auf dem Heimweg typisch für Berlin; die Wiedervereinigung mit ihrer Reiseerleichterung nach Berlin verbreitete diese Kultur auch im Rest der westlichen Republik.
Gleichzeitig gab es in Westdeutschland türkische Schnellrestaurants (Münchner Landwehrstraße), die schnelle türkische Hausmannskost mit Hinsetzen anboten, Zielgruppe Einwanderer. Seit einigen Jahren erlebe ich in München, wie immer mehr anspruchsvolle Dönerläden mit Hinsetzen eröffnen, die neben Döner auch das eine oder andere frische Tagesgericht mit türkischen Wurzeln anbieten.
Hier sehe ich eine Parallele zum Burger: Auch der war in den 80ern eines der ersten Schnell- oder Mitnehmessen in Deutschland; seit etwa zehn Jahren nun gibt es dafür immer mehr Lokale mit Anspruch, deren Burger dezidiert nicht zum Mitnehmen gedacht sind.
Mich würde interessieren, wie es um die deutsche Dönerkultur steht (dass sie deutsch ist, ist nicht-deutschem Besuch schon lange klar – in Kairo macht demnächst ein “Best German Döner Kebap”-Laden auf): Gibt es Nachwuchs? Sind das neue Einwanderer oder zweite/dritte Generation? Soweit ich sehen kann, steckt ein ganzer Industriezweig dahinter, der Ausstattung, Brot, Dönertier liefert: Wie groß ist er und wie strukturiert? Sind die Dönerdrehmaschinen aus deutscher Fabrikation?
(Darf man als Abonnentin Artikel bei der Süddeutschen bestellen?)
Nachtrag: Auf Twitter wies mich @ellebil auf ein geschichtswissenschaftliches Werk von 2012 hin: Maren Möhring, Fremdes Essen. Die Geschichte der ausländischen Gastronomie in der Bundesrepublik Deutschland.