Journal Donnerstag/Freitag, 27./28. Juli 2017 – Schwarze Überschwemmung
Samstag, 29. Juli 2017 um 8:23Es wird wieder wärmer und trocken, doch die Isar hatte Donnerstag Hochwasser. Ich kam drauf durch einen Warn-Tweet der Münchner Polizei, der auf die Wasserwacht verwies: Warnung vor Schlauchbootfahrten, die bei Hochwasser extrem gefährlich sind.
Mittlerweile hat sich die Lage wohl beruhigt.
Mich überschwemmten ab Donnerstagabend eine so große Schwärze und Angst, dass sie sich wie ein Infekt anfühlte. In der Arbeit funktionierte ich weiter, jedoch mit innerem Wetter, als stünde mir ein qualvoller Foltertod bevor.
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Er war Redakteur in einer sehr großen Illustrierten gewesen, bevor er im Bayernressort der Regionalzeitung angestellt wurde, in der ich mal wieder während der Semesterfreien Urlaubsvertretung machte. Ein leiser Mann mit verhaltenen Bewegungen und eingezogenem Kopf, die wenigen hellen Haare standen in fedrigen Büscheln ab. Ich sah ihn nie außerhalb seines Büro-Ecks, in dem er über seinem Schreitisch kauerte wie ein verletztes Tier, der Blick über den Rand seiner Brille hatte etwas zutiefst Erschrecktes.
Als Springerin unterstützte ich ihn bei einem Sonntagsdienst. Am späten Nachmittag waren die Seiten eigentlich schon fertig, der Vorschau-Ausdruck lag auf dem gemeinsam genutzten Tisch des Ressorts. Da kam über dpa eine wichtige Meldung herein, die noch mitgenommen werden musste. Minutenlang stand er regungslos über die Ausdrucke gebeugt, flach atmend. Seine Schultern schoben sich langsam höher.
Ich stellte mich neben ihn und schlug vor: “Das Bild könnten wir auf zweispaltig verkleinern, die Passau-Geschichte hierhin schieben, dann hätten wir oben Platz. Oder wir kürzen die Überschwemmung auf 90 Zeilen und fassen die beiden Ankündigungen in einer Meldung zusammen.”
Sein gebeugter Blick ging hoch zu mir. Mit großen, müden Augen sagte er: “Wie Sie das… Einfach so… Ganz unbefangen und beherzt… Das ist so toll…” Er barmte mich, seine Verletztheit und Geschlagenheit schmerzten mich körperlich.
In letzter Zeit, 25 Jahre später, denke ich oft an ihn. Jetzt bin ich dieses gelähmte Wesen, das auf beherzten und unbefangenen Nachwuchs trifft und sich erinnert, dass sie auch mal so war.
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Freitagabend erholte ich mich ein wenig, zumindest die Unerträglichkeit verflog. Ich war mit Herrn Kaltmamsell zum Feiern seiner Ferien verabredet, wir spazierten an die Hackerbrücke ins Il Castagno. Mir wars für einen Tisch im Freien eigentlich zu frisch, doch der Kellner versicherte, der Platz sei geschützt. Es ließ sich dann tatsächlich mit Jacke gut aushalten.
Schöner nächtlicher Spaziergang nach Hause.
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Am Mittwochnachmittag hatte ich im Regen noch zwei Mauersegler vorm Bürofenster flitzen sehen. Doch Donnerstag und Freitag waren auf allen meinen Wegen in Innenstadt und Westend die Himmel zwischen den Häusern leer und still. Dann waren sie wohl zurück in den Süden geflogen, die Saison war vorbei.
Umso mehr erstaunten mich gestern Abend die unverkennbaren Pfiffe, die ich über unserer Vorspeise im Kastaniengarten hörte. Wir suchten den Himmel über den Bahngleisen ab: Tatsächlich, da war ein kleines Geschwader (Fachausdruck) Mauersegler.
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In den vergangenen Wochen hatte ich den Eindruck, dass meine Bauchmuskeln beim Krafttraining zu kurz kommen. Da mich die Angst am Freitagmorgen ohnehin um fünf aus dem Bett gescheucht hatte, legte ich mich nach Langem mal wieder zu einem Fitnessblender-Video vor den Fernseher im Wohnzimmer. Und tatsächlich: Die Übungsfolge, die ich sonst immer mühelos absolviert hatte, kostete mich diesmal große Anstrengung. Ich werde mal besser eine wöchentliche Extrarunde Bauch einplanen.
die Kaltmamsell10 Kommentare zu „Journal Donnerstag/Freitag, 27./28. Juli 2017 – Schwarze Überschwemmung“
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29. Juli 2017 um 19:56
Es tut mir leid, dass die Schwärze Sie ergriffen hat. Möge das bald vorübergehen und das Licht wieder zu Ihnen durchdringen. Nicht aufgeben! #depressionlies #notjustsad
29. Juli 2017 um 23:36
Und können Sie sich erklären, warum Sie sich derzeit als dieses gelähmte Wesen empfinden? Wie es dazu gekommen ist?
30. Juli 2017 um 0:23
Ich bin nicht sicher, ob ich was verpasst habe, ich frage mich, warum Sie keine therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen. Eine Verhaltenstherapie, die Ihnen zu mehr Leichtigkeit verhilft, tut nicht mal weh, tiefenpsychologische Therapie ist sehr häufig nicht nötig, um einfach ein leichteres Leben zu gewinnen. Haben Sie sich schon einmal beraten lassen? ich hänge mich mal aus dem Fenster und empfehle sie Ihnen. Es ist auch nicht so, dass Sie jahrelang damit beschäftigt sind. Bei mir ist es einfach ein Lernprozess, der es mir ermöglicht, rechtzeitig aus Gedankenstrudeln auszusteigen, bevor ich mich elend/überlastet/frustirert/traurig/ängstlich fühle. Klappt nciht immer, grundsätzlich ist aber eine große Verbesserung eingetreten.
30. Juli 2017 um 7:23
Ich kann Ihren Gedankengang verstehen, MissJanet. Aber Menschen sind verschieden: Ich habe einige Runden Therapie und Medikamente hinter mir und glaube für meinen Fall nicht mehr an “It gets better”.
30. Juli 2017 um 8:15
Gibt es eigentlich von Ihrer Seite eine Wunschvorstellung wie Ihre Umwelt mit Ihrer Depression umgehen sollte? Also sowohl engeres Umfeld wie weiteres?
30. Juli 2017 um 8:40
Mein “Erschieß mich” nimmt ja doch keiner ernst, Micha.
(Scherz.)
(Fast.)
Ich bin schon froh, wenn meine Umwelt sie mir nicht vorwirft.
30. Juli 2017 um 15:04
SZ vom Wochenende – Wissen-.
30. Juli 2017 um 15:27
Danke für ihre Antwort, Frau Kaltmamsell. Ich fand und finde Medikamente auch sehr schwierig, praktisch unzumutbar, sowohl in der Wirkungsweise, als auch von den Nebenwirkungen her. Und dann immer wieder die mich überfallende Frage: “Wenn das Zeug hilft, warum müssen dann so viele Menschen so unglaublich viel über so lange Zeit davon nehmen?”, was ja deutlichst darauf hinweist, dass vor allem die Pharmaindustrie davon profitiert. Meine Gesprächstherapie hat mir sehr geholfen, nun habe ich aber auch durch Glück und Zufall einen sehr guten Therapeuten gefunden und bin vom Typ her sehr leicht beeinflussbar, ich wage die Vermutung, dass Sie und ich da sehr verschieden sind.
30. Juli 2017 um 16:38
Laut dem ausführlichen Artikel der Wochenend-SZ über die derzeitigen Behandlungsmöglichkeiten von Depressionen, auf den Ulla hinweist, sind Therapien in 65% der Fälle erfolgreich, MissJanet – das entspricht der Erfolgsquote von Medikamenten. Dem Bericht zufolge wird heute meist eine Mischung von beidem angewendet.
30. Juli 2017 um 17:13
So wirds gemacht, Medikamente, bis the Verhaltenstherapie erste Früchte trägt. Es wurde jetzt auch festgestellt, dass bei vergleichenden Studien bei leichten bis mittelschweren Depressionen SSRI nur die gleiche Wirksamkeit haben wie Placebos.
Aber – jede Depression ist anders!