Journal Mittwoch, 5. Juli 2017 – Der mühsame Weg zur Schwimmrunde
Donnerstag, 6. Juli 2017 um 6:59“Und das hört alles einfach nie auf, oder?” frage ich Herrn Kaltmamsell, nachdem ich mindestens drei Mal in meinen Morgenkaffee geseufzt habe.
“Nein”, schüttelt er den Kopf, ehrlich, wo er sich sonst durchaus zur liebevollen Lüge erbarmt.
Zum Glück habe ich ihn hoffentlich genau so lange an meiner Seite.
§
Ich hatte mir Schwimmen nach frühem Feierabend vorgenommen und radelte mit sonnengemilchtem Rücken und Schwimmzeug im Rucksack in die Arbeit. Sonst hätte ich unter der Woche keine Gelegenheit zu sportlichen Bewegung gefunden. Es wurde über den Arbeitstag sehr heiß und meine Lust auf Schwimmen im Schyrenbad schwand: Hitze auf dem Weg ins Schwimmbad, die erwartbaren Menschenmengen, volle Schwimmbahnen, sehr wahrscheinlich würde ich gereizt sein und mich ärgern. Doch gleichzeitig konnte ich mir zu gut meine miese Laune vorstellen, wenn ich nicht Schwimmen gehen würde. Und wusste halt auch, wie gut mir eine Runde Bewegung tun würde, bei diesen Temperaturen ist Schwimmen in kühlem Wasser für meinen Kreislauf praktisch die einzige Möglichkeit.
Als ich mich vom Beckenrand zur ersten Bahn abstieß (warum springe ich eigentlich nicht mehr wie früher vom Startblock ins Wasser? auch nicht im Olympiapad?), wies ich mich selbst darauf hin: Siehste, soweit hast du es schon mal geschafft; jetzt wirst du auch die Schwimmrunde schaffen und kannst dich freuen, dass du deinen eigenen Ansprüchen gerecht geworden bist. (Natürlich nicht im Wortlaut, aber im Sinn.)
Ja, das Radeln zum Schwimmbad war in Hitze und Radlermassen anstrengend gewesen (Elternteil mit drei kleinen Kindern um sich, dazu eines im Anhänger, alle auf Radeln im Großstadtverkehr – bewundernswert oder verantwortungslos?), ja, das Freibad war ziemlich voll, ja, die Schwimmbahnen waren mit je sieben Menschen gut besetzt – aber ich hatte es geschafft. Da dazu kleine Menschen kamen, die die Bahnen an allen Stellen kreuzten und die Bahnenketten als zusätzlichen Beckenrand nutzten, war entspanntes Schwimmen unmöglich; das kriege ich halt beim nächsten schlechten Wetter. Zudem machte sich der eingeklemmte Nackennerv (der mir beim Langhanteltraining bereits die Überzüge vermiest hatte) mit Schmerzen in Schulter und Nacken bemerkbar.
Innenduschen und Umkleidekabinen waren ähnlich überfüllt, ich zog mich halt schnell zwischen den Spinden an und cremte mich erst daheim. Dort wartete schon Herr Kaltmamsell nach einem anstrengenden Arbeitstag, zusammen gingen wir in den Schnitzelgarten zum Abendbrot.
Vor dem Schlafen im Bett Thomas Pynchons The crying of lot 49 ausgelesen, bis zur letzten Seite befremdet.
§
David Sedaris (von dem ich tatsächlich noch nichts gelesen habe – welches seiner Bücher eignet sich wohl am besten für den Einstieg?) erzählt ruhig von seiner Mutter und ihrem Abstieg in den Alkoholismus:
“Why aren’t you laughing?”
“Do you think it was my fault that she drank?” my father asked not long ago. It’s the assumption of an amateur, someone who stops after his second vodka tonic, and quits taking his pain medication before the prescription runs out. It’s almost laughable, this insistence on a reason. I think my mother was lonely without her children—her fan club. But I think she drank because she was an alcoholic.
12 Kommentare zu „Journal Mittwoch, 5. Juli 2017 – Der mühsame Weg zur Schwimmrunde“
Sie möchten gerne einen Kommentar hinterlassen, scheuen aber die Mühe einer Formulierung? Dann nutzen Sie doch den KOMMENTAROMAT! Ein Klick auf einen der Buttons unten trägt automatisch die gewählte Reaktion in das Kommentarfeld ein, Sternchen darüber und darunter kennzeichnen den Text als KOMMENTAROMAT-generiert. Sie müssen nur noch die Pflichtfelder "Name" und "E-Mail" ausfüllen und den Kommentar abschicken.
6. Juli 2017 um 7:40
Ich fürchte, zum ersten Absatz kann ich nichts beitragen, außer dass ich mir “zur liebevollen Lüge erbarmen” in mein Vokabelheft schreiben werde.
Dafür zum zweiten, dem Radeln im Großstadtverkehr: Wir wohnen vom Schwierigkeitsgrad her zwar ein paar Stufen unter München, aber natürlich muss auch der Nachwuchs lernen, sich verkehrsgerecht zu bewegen (und zu hören). Ebenso wie die Verkehrsteilnehmer außenrum. Wenn Familien die Wege meiden, da zu gefährlich, dann sind sie doch auch nicht mehr sichtbar für die anderen; und auch nicht mehr im Bewusstsein, wenn es darum geht, die Städte fahradfreundlicher zu machen. Deswegen stimme ich für (Fahrrad-)Flagge zeigen und bewundernswert!
Vor allem früher, als ich in der Jugend noch Leichtathletik betrieb, motivierte ich mich manches Mal zum Training mit “Du weißt doch, wie gut du dich hinterher fühlen wirst.” Das funktioniert heute immer noch, auch wenn ich derzeit weit weg bin von der einstigen Fitness. Dafür betreibe ich Krafttraining mit Kindern .
6. Juli 2017 um 8:47
Ich stimme Elfe zu: für Sichtbarkeit von Familien im Straßenverkehr! Ich bin in einer autofreien Familie in München aufgewachsen, jeder Weg wurde, wenn nicht mit MVV, dann mit dem Radl gemacht. Und obwohl das Verkehrsaufkommen in den Achtziger Jahren nicht mit dem heutigen zu vergleichen ist, würde ich doch sagen, dass ich heute so gut und sicher radfahre, weil ich es sehr früh gelernt und geübt habe. Dazu gehört auch, mit brenzligen Situationen umgehen und umsichtig fahren zu können. Das gelingt nur durch Übung.
6. Juli 2017 um 10:10
Nein, das hört alles einfach nie auf.
An manchen Tagen ist es aushaltbarer.
An manchen Tagen leider weniger.
6. Juli 2017 um 10:30
ich habe am liebsten “Me Talk Pretty One Day” gelesen.
6. Juli 2017 um 13:18
Von Sedaris mag ich alles, aber seine Hörbücher besonders, da kann man auf Youtube gut reinhören. Mein Einstieg war Dress Your Family in Corduroy and Denim, aber eigentlich ist das alles gleichförmig genug dass man überall einsteigen kann.
6. Juli 2017 um 13:57
******************KOMMENTAROMAT**********************
Gerne gelesen
*******************************************************
6. Juli 2017 um 14:51
Liebe Kaltmamsell,
es dauert mich sehr, Sie virtuell so seufzen zu hören und ich wünsche Ihnen von Herzen bald wieder heiterere Tage.
Beide Empfehlungen zu David Sedaris kann ich auch unterstützen und rate unbedingt zur Lektüre im Original.
6. Juli 2017 um 17:43
Liebe Kaltmamsell,
gegen Depression kann man was tun. Vielleicht tun Sie ja schon was? Holen sich professionelle Hilfe? Da gibt’s in München viel, wurde mir von einer Betroffenen gesagt. (Der Gedanke “bringt ja nix” ist eines der Symptome, das wissen Sie sicher.)
6. Juli 2017 um 18:43
.. ich habe heute DLF gehört und musste an Sie denken :http://www.deutschlandfunk.de/pendeln-mal-anders-ein-muenchner-schwimmt-zur-arbeit.1769.de.html?dram:article_id=390401
…. einen schönen Abend!
6. Juli 2017 um 22:42
Ich hab ja nun eine Depressions-Episode auf dem Buckel, aber es scheint mir doch normal, dass ein Mensch nach zig Jahren Erwachsenenleben, mit Anstrengung, Arbeit, Stress und Ärger eine gewisse Gleichförmigkeit beklagt, gepaart mit Überdruss, aus Langeweile gespeist. Bei mir dämmert auch die Erkenntnis, dass ein Wechsel, egal welcher Art, keine auch nur mittelfristige Veränderung bringen wird, einfach, weil ich meine eigene Persönlichkeit immer mit mir rumschleppe. Und ich werde mich langsam weiter entwickeln, aber nicht mehr ändern.
7. Juli 2017 um 9:50
Liebe Kaltmamsell,
ich hätte von David Sedaris – leider nur auf deutsch, aber von Harry Rowohlt bestens übersetzt – noch die beiden Bücher “Nackt” und “Ich ein Tag sprechen hübsch” hier rumstehen und würde sie liebend gerne in gute Hände weiterschenken.
7. Juli 2017 um 12:45
Von David Sedaris mochte ich Memento Mori sehr gerne, die Geschichte wird sich trotz des Titels nicht auf Ihre Stimmung schlagen, sondern ist sehr skurril und lustig.