Journal Dienstag, 5. September 2017 – Spanien 16, Madrid mit Vergangenheit und Einkäufen

Mittwoch, 6. September 2017 um 9:38

Ein bisschen mehr wollte ich gestern dann doch in Madrid machen, deshalb stand ich schon um neun auf (ich fange an, mich auf den spanischen Rhythmus einzuschwingen).

Nach Bloggen und Kaffee spazierte ich mit Herrn Kaltmamsell nach Lavapiés: Ich wollte die Tabacalera sehen, die ehemalige Tabakfabrik. Wie ich am Samstag auf der Führung erfahren hatte, hatten die Arbeiterinnen von dort nicht nur 1936-1939 die Südfront des belagerten Madrid verteidigt, sondern waren davor schon diejenigen gewesen, die das Frauenwahlrecht in der Zweiten Republik durchgesetzt hatten. Seit zehn Jahren wird der Bau als “centro social autogestionado liberador de cultura” genutzt, nachdem er die vorherigen zehn Jahre verfiel (hier ein bisschen Geschichte).

Schon auf dem Weg durch Lavapiés zur Tabacalera fiel mir auf, wie menschenbunt und ungeschleckt hier alles war: Obwohl das Viertel ganz zentral liegt (15 Fußminuten von der Plaza Mayor), scheint es ein Arbeiterviertel geblieben zu sein, heute mit vielen Einwanderern.

Fördergelder scheint das Kulturzentrum nicht zu bekommen, das Gebäude ist in ausgesprochen schlechtem Zustand – ich nehme an, dass seine Rolle für spanischen Geschichte umstritten ist. Dadurch wurde mir wieder bewusst, wie klar die Linien in der deutschen Vergangenheitsbewältigung sind; in Spanien sind die dos Españas des Bürgerkriegs bis heute lebendig (in meiner spanischen Familie verläuft die Front mitten durch). Eben darum bezweifle ich die Erklärung, die deutsche Medien immer wieder für das Fehlen einer nationalistischen Partei in Spanien anführen: Das Land habe halt schlechte Erfahrungen mit Nationalismus gemacht. Es herrscht keineswegs Konsens in der spanischen Gesellschaft, dass die Franco-Ära etwas Schlechtes war, selbst der Bezeichnung “Diktatur” für die Epoche ist umstritten.

Nächster Programmpunkt: Einkaufen fürs Abendessen, wir planten Pisto. Im Mercado von Lavapiés (sehr viel Leerstand, eine Fläche wurde für die Erklärung der Geschichte der Madrider Mercados genutzt; jetzt weiß ich, dass es diese für mich so typischen Markthallen in Madrid erst seit der Nachkriegszeit gibt) besorgten wir das Gemüse, in einer kleinen Bäckerei Brot. Wir mäanderten durch die Straßen, grobe Richtung Plaza Mayor. Mit Gebäck aus der Mallorquina (die schon auf Bürgerkriegsfotos zu sehen war) gingen wir in unsere Unterkunft.

Eine weitere Einkaufsrunde führte uns in den Corte Inglés: Wir sahen uns in der Haushaltswarenabteilung um (acht verschiedene Jamón-Halter! weiterhin Glasteller im Angebot, allerdings viel elegantere als meine), am ausführlichsten aber bei den Lebensmitteln im Untergeschoß. Worauf bereits Speisekarten und Spezialgeschäfte gedeutet hatten, bestätigte sich im Angebot: Vor zehn Jahren hatten noch Diabetikerprodukte die Sonderecken dominiert, jetzt wurde auch Spanien von Gluten und Laktose erwischt. Wir besorgten Olivenöl und Eier fürs Abendbrot. Aber die Spitzenentdeckung war dieses Produkt:

2 Liter Meerwasser für gut 3 Euro. Gebrauchsanleitung: Zum Hummerkochen unverdünnt aus dem Tetrapak verwenden, für Reis und Nudeln mit Süßwasser auffüllen. Fett Respekt für das Marketingteam, das diese Idee durchbrachte.

Der anschließende Spaziergang führte durch die Fußgängerzone in Chamberí zu einem Kaffeeladen der madrider Rösterei Pozo: Deren Website ist schon vor einigen Jahren verschwunden, sie gehört jetzt einer Unternehmensgruppe an. Ich besorgte einen Vorrat an café torrefacto.

Abends kochten wir also Pisto in unserer Ferienwohnungsküche (Herr Kaltmamsell schnippelte, ich rührte). Und bereiteten das Abenteuer für Mittwoch vor. Entweder ich habe morgen etwas Schönes zu erzählen oder ich bin ein Nervenwrack. Stay tuned.

die Kaltmamsell

7 Kommentare zu „Journal Dienstag, 5. September 2017 – Spanien 16, Madrid mit Vergangenheit und Einkäufen“

  1. Thea meint:

    Ich freue mich schon auf die morgige Lektüre.
    Aber vielen Dank für alles Bisherige.

  2. Croco meint:

    Menschenbunt und ungeschleckt, wie schön:).

  3. Joël meint:

    Meerwasser im Tetrapack für den Küchengebrauch! Ha!
    Das würde sich hier auch verkaufen.

  4. Christine meint:

    Vielen Dank für Ihre interessanten Beschreibungen. Ich bin schon gespannt auf morgen.

  5. Sigourney meint:

    Mit Cliffhanger! Ich bin gespannt.

  6. marie.sophie meint:

    Das Meersalzwasser ist ja grandios. Ich ärgere mich unendlich, nicht auf die Idee gekommen zu sein, dabei könnte ich doch direkt aus dem Atlantik schöpfen. Im Corte Inglés hat mich sehr das extra entrindete in Dreiecke vorgeschnittene Weißbrot beeindruckt.

  7. Hauptschulblues meint:

    Ich danke heute schon für die ausführliche und interessante Spanienberichterstattung. Selbst war ich nie dort und werde auch nicht hinkommen, dem Land und seinen Leuten war ich gedanklich immer sehr verbunden.
    Stierkämpfe – gehören verboten.
    Katalanisches Unabhängigkeitsreferendum – gruselig.

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