Archiv für Dezember 2017

Journal Montag, 4. Dezember 2017 – Darmstadt im Dunkeln

Dienstag, 5. Dezember 2017

Vielen Dank für Ihre Darmstadt-Tipps, bei einem Freizeitaufenthalt hier werde ich ihnen gerne folgen. Im Moment arbeite ich allerdings von 8 bis 19 Uhr mit sehr viel Menschenkontakt – das lässt mir leider keine Energie, durchaus verlockende Schwimmbäder oder feine Restaurants zu besuchen.

Gestern kehrte ich auf dem noch dunklen Weg zum Arbeitsort in eine Snackbar auf einen Morgenkaffee ein, die schon ab 7 Uhr geöffnet war (da ich keinerlei Frühstücksappetit habe, hatte ich mich vom Hotelfrühstück abgemeldet). Ich freute mich am Hessisch um mich herum, das sich durchaus von dem mir bislang bekannten unterschied (“Moache!”). Und der Cappuccino schmeckte mir auch.

Den Arbeitstag erhellte mir, dass ich @katjaberlin traf, die ebenfalls beruflich hier war. Und wie es aussieht, begegne ich auch am Dienstag jemandem, den ich aus meinem echten Leben, nämlich dem im Internet kenne.

Als ich das Arbeitsgebäude verließ, war es natürlich schon seit Stunden dunkel. Ich schlenderte am Weihnachtsmarkt vorbei Richtung Westen und stellte fest, dass ich wie schon auf dem Hinweg eine Route erwischt hatte, die kaum Wege für Fußgänger vorsah.

Meinen Abendessenhunger stillte ich diesmal in einem griechischen Restaurant, das zu meiner Überraschung an einem Montagabend voll besetzt war. Ich wurde sehr freundlich aufgenommen und aß anständig. Als ich den abschließenden Ouzo mit Bedauern ablehnte (kein Alkohol, wenn ich mir am nächsten Tag auf keinen Fall eine Migräne leisten kann), bekam ich statt dessen ein Tellerchen selbst gemachten Gebäcks.

Journal Sonntag, 3. Dezember 2017 – München-Darmstadt

Montag, 4. Dezember 2017

Nach dem Bloggen ging ich über den Südfriedhof an die Isar zu einer Laufrunde.

Ich sah viele Eichhörnchen. Als ich zum Pokémonfangen stehen blieb, kam eines ganz nah heran, hüpfte um meine Füße und sah mich immer wieder an – verdammt, ich hatte die Erdnüsse daheim vergessen.

Der Tag war grau und eisig, doch ich genoss das Laufen.

Nach Duschen und Essen war nur noch wenig Zeit, bis ich zum Zug nach Darmstadt musste: Dort erwarten mich drei Tage lang Berufliches

Auf der EC-Fahrt wurde ich Zeugin eines schönen Austauschs. Ein junge Frau betätigte ausdauernd einen Zauberwürfel (verdrehen, lösen, anders verdrehen, wieder lösen) eine neu hinzugekommene alte Dame sprach sie neugierig darauf an. Woraufhin ihr die Spielerin erklärte, was sie da machte, freundlich, ausführlich, geduldig auf die sehr interessierten Nachfragen eingehend. Die alte Dame war begeistert, auch wenn ich davon ausgehe, dass sie mit “Algorithmus” nichts anzufangen wusste. Sie ließ sich sogar empfehlen, welchen Zauberwürfel sie sich am besten selbst kaufen könnte.

Ich las SZ-Beilagen der vergangenen Wochen weg. Sehr angetan war ich wieder von Plan W: Richtig interessante Themen, viel Technik – nur dass halt ausschließlich Frauen vorkommen. (Und weiterhin keine Mode-, Schmuck- und Kosmetikanzeigen.)

Ab Heidelberg war alles verschneit, die 15 Minuten Rollkoffern zum Hotel waren ein einziges Geschleife.

Um die Ecke hatte ich mir bereits einen Ketten-Mexikaner ausgeschaut, dort aß ich zu Abend.

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Auch Antje Schrupp schreibt ein Blog der Ausrichtung “Everybody has a voice” und nutzt es für Meinungsessays. Aktuell:
“Ich will eigentlich nicht als Frau respektiert werden”.

In einer Welt, so wie ich sie mir vorstelle, ist es Frauen komplett egal, ob irgend ein x-beliebiger Mann sie respektiert oder nicht. Weil das Nicht-Respektieren von Frauen für die betreffenden Männer nämlich solche gesellschaftlichen Konsequenzen hat, sodass sie ohnehin nicht übergriffig oder gewalttätig oder diskriminierend sind. Auch diejenigen, die nicht zufällig einen netten frauenfreundlichen feministischen Vater hatten.

In einer Welt, so wie ich sie mir vorstelle, ist es Frauen auch komplett egal, ob ein x-beliebiger Mann ihre Arbeit gut oder schlecht findet, außer es handelt sich dabei um ihr großes professionelles Vorbild in Bezug auf das Sandburgenbauen oder was auch immer sie gerade machen. An dessen Urteil ist ihnen dann natürlich schon gelegen.

Journal Samstag, 2. Dezember 2017 – Bunter, ruhiger Samstag

Sonntag, 3. Dezember 2017

Dass ich die wundervollen Weine vom Freitagabend mit Migräne zahlen würde, hatte ich einkalkuliert: Sie waren es wert, und ich musste ja nicht zur Arbeit. Also nahm ich bei der nächtlichen Attacke mein Triptan, das kürzte das Leiden ab.

Nach Ausschlafen ausführlich gebloggt, festgestellt, dass die Migränenachwirkungen mir jede Sportlust genommen hatten (ich hatte mich auf Schwimmen gefreut). Sportpläne gestrichen, mich statt dessen in postmigränale gefühlsduselige Blödigkeit fallen lassen und ungeduscht gegammelt. Unter anderem guckte ich die aktuelle Folge der Graham Norton Show und stellte fest, dass nicht nur Elton John, sondern auch Robbie William richtig, richtig lustig sind, letzterer mit ordentlich Souf London-Akzent.

https://youtu.be/4_430wAV82Q

Irgendwann dann doch geduscht. Herr Kaltmamsell, der trotz Arbeitsstapeln die Wochenendeinkäufe übernommen hatte, servierte zum Frühstück Süßkartoffelwaffeln zu Eggs florentine.

Ich ging raus zu einer kleinen Einkaufsrunde in doch recht unangenehmer Kälte, verbrachte den Nachmittag mit Zeitunglesen und Teetrinken, verpackte endlich die Stollen für die italienische Verwandtschaft in drei versendbare Päckchen.

Auch für das Nachtmahl hatte Herr Kaltmamsell sich in die Küche gestellt: Er probierte Callos a la madrileña, das Kuttelgericht, das ihm in Madrid so gut geschmeckt hatte wie mir schon mein Leben lang.

Die Callos schmeckten sehr gut (Chorizo, Morcilla und Tocino gibt es im Spaniezeugsladen am Ostbahnhof gleich im kochfertigen Dreierpack), waren nur zu dünnflüssig. Das mag daran gelegen haben, dass Herr Kaltmamsell zwar mühelos den notwendigen Kalbsfuß aufgetrieben hatte, aber nicht das Pfund Ochsenmaul (also reinenn Glibber), der zusätzlich angedickt hätte.

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Wer als behinderter Mensch in Deutschland auf Assistenz angewiesen ist, kommt finanziell zu nichts – das ist gesetzlich so vorgesehen und meiner Überzeugung nach ein absolutes Unding. Raoul Krauthausen, behindert und beruflich sehr erfolgreich, rechnet für Zeit online vor:
“‘Ich steuere auf jeden Fall auf Altersarmut zu'”.

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Über ihren Twitter-Account hatte Mary Beard am Freitag angekündigt, dass in der Wochenendbeilage des Guardian ein Gespräch zwischen ihr und Hillary Clinton veröffentlicht würde – eine Traumkombi! In der Vergangenheit war Konstantin von London Leben mein freundlicher Ansprechpartner für Zeitungswünsche gewesen (der Auslands-Guardian hat keine Beilagen), doch der ist ja nach Deutschland gezogen. Ich winselte ein wenig in meine Twitter-Timeline – und prompt erbot sich @MlleReadOn, mir die Beilage zu besorgen und zu schicken. Ich freue mich sehr.

Das Gespräch selbst, stellte sich gestern heraus, hat der Guardian allerdings auch online bereit gestellt:
“Hillary Clinton meets Mary Beard: ‘I would love to have told Trump: “Back off, you creep”’”1

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Eine der vielen Funktionen von “Everybody has a voice”-Blogs: Ventil für Arbeitsärger. Die Notaufnahmeschwester lässt Frust ab über eine Erscheinung, die in den vergangenen Wochen Thema auch in Zeitungen war: Menschen, die Notaufnahmen mit Beschwerden blockieren, die in Notaufnahmen eigentlich nichts zu suchen haben. Bei ihr wird’s ganz konkret:
“Ihr Lappen!”

  1. Gibt es schon einen Fachausdruck für die verschachtelte Anhäufung von Anführungszeichen? []

Journal Freitag, 1. Dezember 2017 – Ganz fein essen

Samstag, 2. Dezember 2017

Morgens verbloggte ich mich, bis es dann so spät war, dass ich für Schnelligkeit das Fahrrad in die Arbeit nahm. Aber das vorsichtig, es war eisglatt mit ein wenig Schnee.

Nach Feierabend daheim umgezogen und neu geschminkt für feines Ausgehen.
Es ist ja nicht so, dass ich gar kein Geld mit dem Bloggen machen würde: Seit ein paar Jahren ist mein Blog bei der VG Wort gemeldet, und da kommt einmal im Jahr ein durchaus ordentlicher Betrag auf mein Konto (Dank auf ewig an Melody für den Tipp). Weil Herr Kaltmamsell im Maschinenraum dafür verantwortlich ist, dass dieses Blog überhaupt technisch läuft und er mir jeden Schabernack reinbastelt, der mir einfällt, lud ich ihn von der diesjährigen VG-Wort-Ausschüttung zum Essen ein, und zwar ganz fein. Er durfte sich das Lokal aussuchen, und da er sich an den Bericht eines Freundes erinnerte, fiel seine Wahl auf den Dallmayr.

Ich hatte vor ein paar Wochen reserviert (dafür ein Online-Formular ausgefüllt, die Bestätigung kam am nächsten Tag per E-Mail als Brief-PDF im Anhang), am Tag vor unserem Termin bekam ich einen Anruf vom Dallmayr und wurde gefragt, ob auf irgendwelche Allergien o.Ä. zu achten sei (zum Glück können wir beide komplett ohne Einschränkung essen und trinken).

Gestern fuhr uns die U-Bahn eine Station direkt vors Haus; der Weg zum Restaurant im Obergeschoß führt durch das “Bar&Grill” im Erdgeschoß.

Wir aßen köstlich und wurde von Sommelier Julien Morlat mit sehr schönen Weinen (und detaillierten Erklärungen zum pairing) begleitet. Der Service war aufmerksam und warmherzig, ich freute mich über den Anblick auch einiger sehr junger Menschen (sollte eine Neuverfilmung von Valentins “Firmling” geplant sein – ich hätte da einen Casting-Tipp).

Als Aperitif ließ ich mir einen Rosé-Champagner der Hausmarke einschenken, der mir mit Duftigkeit und Frucht ausgezeichnet gefiel.

Der erste Gruß aus der Küche war Blumenkohl mit Preiselbeere.

Der nächste Gruß bestand aus Sellerie, Buttermilch und Kokosnuss – eine großartige Kombination.

Nochmal was ganz Anderes war das dritte Magentratzerl: Schweinebauch in Savarinmantel – der Gegensatz herzhaft und süßer Hefeteig passte wunderbar. Dazu bekamen wir als ersten Wein den einzigen alten Bekannten des Abends: Vom Knoll einen Grünen Veltliner Federspiel 2014.

Zum ersten Gang unseres Menüs schenkte Julien Morlat statt Wein Sake ein. Der ergänzte den fast zu harmonischen Teller Hamachi, Gurke, Ginger Beer so gut, dass ich ihn mir als Teil des Gerichts gewünscht hätte.

Confierter Lachs mit knuspriger Hanfsaat und besonders feiner Buttermilchsoße folgte (auf einem Teller, dessen Rand tiefer lag als die Servierfläche – ungeschickt), sehr schön kräftig begleitet von einem Silvaner Fass 500 des Weinguts Stahl.

Im Glas wurde es dann rot: Ein nordspanischer (galicischer) Mencía der Bodega Valdesil (am ausführlichsten auf instagram präsent, interessant). Das passte thematisch zum Oktopus auf dem Teller, unter dem Lammbauch lag, begleitet von Tandoori-Creme und Salzzitrone (darüber lag Palmenherz).

Die Ente war mein Liebling des Abends: Zwei Wochen in geklärter Butter gereift, wie wir informiert wurden, wurde sie als Brust und Keule serviert, mit Topinambur und Granatapfel. Auch der Wein war mein Favorit des Abends: ein Côtes du Rhône Syrah Domain Clape – der hätte mich nochmal nach ein, zwei Stunden interessiert.

Winterliche rote Bete, Gänseleber und Kletze wurden begleitet von einem sehr ungewöhnlichen Champagner, einem tiefroten Jacquesson 2004 – der interessanteste Wein des Abends.

Es wurde süß auf dem Teller: Feige, Parmesan und Pekanuss (das Grüne war Thymian – Hammer!). Dazu schenkte uns Julien Morlat einen trockenen Oloroso von Fernando de Castilla ein, der fabelhaft passte.

Statt Pre-Dessert gab es zu dem Nachtisch des Menüs ein Post-Dessert: Ananas und Vanille. Herr Kaltmamsell schwächelte schon eine Weile und brauchte alle Kraft zum Offenhalten der Augen: Harte Arbeitswoche, späte Uhrzeit, Alkohol sind keine ideale Grundlage für Partystimmung.

Zum Kaffee gab es weitere Leckereien, alle sagenhaft (das Grüne war Kalamansi – wieder eine Zitrusfrucht kennengelernt; die Füllung der Macarons war Passionsfrucht). Abschließend ließen wir uns noch einen Armagnac (Herr Kaltmamsell) und einen sensationellen Calvados (ich) einschenken.

Sehr interessant fand ich das Lokal und die Gäste. Ich kenne außer besagtem Freund von Herrn Kaltmamsell keine persönlichen Erzählungen eines Besuchs im Restaurant Dallmayr – meine auch noch so weit gefasste Peer Group kommt nicht hierher. Aber wer dann? Das Lokal gibt es laut Sternefressern seit 2006 als Gourmetlokal, 2007 wurde ihm der erste Stern verliehen, der zweite folgte 2009. Gestern Abend waren alle Tische besetzt und zwar sehr gemischt – vom biederen älteren Paar mit Pelleketsche (also Leuten wie wir) über Silberrücken mit etwas überforderter junger Begleitung und über fröhliche Freundinnenrunde bis zum Strähnchen- und Glitzer-Herrn in Weihnachtspullover war alles dabei.

Das passte im Grunde perfekt zur ähnlich uneinheitlichen Einrichtung: Sicher alles vom Feinsten, unter anderem mit Nymphenburger Porzellan, doch eine stilistische oder ästhetische Line erkannte ich nicht. Auch die Teller, auf denen serviert wurde, kamen jeweils aus völlig verschiedenen Welten und hatten keinen Bezug zu Besteck oder Gläsern. Das machte die Atmosphäre durchaus gemütlich, denn wir saßen wie bei einer wohlhabenden Dame im Esszimmer, die über die Jahre verschiedenste schöne Dinge um sich geschart hat.

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Blogs der Sorte “Everybody has a voice”: Eine Vignette aus Manhattan aus dem Blog fortlaufend.

Journal Mittwoch/Donnerstag, 29./30. November 2017 – Zehn Jahre auf Twitter

Freitag, 1. Dezember 2017

Donnerstag Panikarbeit, dennoch das Pensum für zwei weggeschafft. Der Anlass ist einer mit vielen Unwägbarkeiten, deshalb Erleichterung erst in einer Woche.

Auf dem Heimweg lange nachgedacht, was ich denn zu Abend essen will – Herr Kaltmamsell war aushäusig, ich musste mir also selbst etwas überlegen (“Versorgungsehe” bedeutet eigentlich etwas anderes, oder?). Zum Glück fiel mir ein, dass ich ungeheuer gerne Rahmspinat hätte. Den kaufte ich gefroren, verlängerte ihn daheim mit Gemüsebrühe zur Suppe und ließ zwei Eier darin stocken – wunderbar.

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Am Freitag war mein Weg in die Arbeit zehn Minuten von Schneeflocken umwirbelt, über den Tag schneite es immer wieder. Ich arbeitete ruhiger. Dreimal erreichten mich auf meinem Smartphone Anrufe – auf so viel komme ich sonst nicht mal im halben Jahr. Zwei davon waren beruflich wegen des Anlasses oben: Da ich kein Arbeitshandy habe (und sehr froh bin, dass ich mich in eine Position gearbeitet habe, in der ich keines brauche), hatte ich für dringendste Notfälle – z.B. Spedition mit Messematerial verirrt sich auf dem Weg zum Anlass – meine private Telefonnummern angegeben; sie scheint sich zu verbreiten. So war das sicher nicht gedacht, ich werde nach dem Anlass oben ein paar Anrufernummer sperren müssen.

Noch nebensächlicher: Mein Hirn nudelt inzwischen alle Musikstücke des Langhanteltrainings (immer ein Quartal lang dieselben) als Ohrwürmer durch, zum Glück immer eins nach dem anderem für ein paar Stunden. Ich baue darauf, dass die jeweiligen Muskeln dabei nachlegen. (Gestern Vormittag war’s allerdings die Musik des Warm-ups.)

Hinter dem gestrigen Tag lauert der für mich gefährlichste Monat: Dezember. Schon in den letzte Novembertagen blitzten die Erinnerungen, die mich jeden Dezember wieder überfallen und wehrlos hinunterziehen – auch weiterhin nichts wirklich Schlimmes, bei mir war doch nie etwas wirklich Schlimmes, und doch fluten sie mich mit Gefühlen bis fast zur Bewusstlosigkeit.

Weil Herr Kaltmamsell gestern verhindert war, holte den Ernteanteil vom Verteilerpunkt ich ab – und machte dafür früh Feierabend (im Grunde lediglich pünktlich – ich glaube, da reißt gerade was ein). Es schneite immer dichter, der Grünkohl im Ernteanteil wurde angemessen winterlich.

Einen Teil Zuckerhut (gegenüber Grünkohl in der Kiste) schnippelte ich mir zu einem Salat fürs Abendbrot. Als Dressing: Frisch gepresster Saft einer rosa Grapefruit, ein Schuss Himbeersirup, grober und Dijon-Senf, Olivenöl (Salz, Pfeffer), dazu wunderbare israelische Menjou-Datteln, fein gehackt. Eine sehr köstliche Kombination, merken.

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Twitter benachrichtigte mich zu meinem Anmeldejubiläum; das hatte ich bei anderen mitbekommen und selbst bereits nachgerechnet. In der Nacht auf Donnerstag stimmte dann auch das Datum: Ich twittere seit zehn Jahren.

Durchaus ein denkwürdiges Jubiläum, zehn Jahre Web-Geschichte. Ich hörte zum ersten Mal von Twitter auf der Jurysitzung BoBs der Deutschen Welle; meiner Erinnerung nach war es das Jurymitglied für China, der dieses neue Ding erwähnte. Ich verstand es nicht sofort, und wie alle neuen Internetmoden ignorierte ich Twitter erst mal. Viel mehr beeindruckte mich das Handy eines anderen Jurymitglieds, das ein Navigationssystem hatte, mit dem er sich bei diesem seinem ersten Berlinbesuch orientierte.

Erst als Twitter immer noch und immer häufiger in Blogs erwähnt wurde (das war damals mein Hauptaufenthaltsort im Web), sah ich es mir mal an.

Mein erster Tweet war dann:

Dieses Spitzenniveau versuchte ich über die Jahre konsequent zu halten, auch wenn das mal Anstrengung kostete.

Schon bald war Twitter meine wichtigste Nachrichtenquelle. Und mein Ventil für alle möglichen Impulse, deshalb auch die meiste Zeit auf privat gestellt. Aber auch diese Plattform hatte wie alle interaktiven Teile des Webs als wichtigste Auswirkung: Menschen (zu einem davon fahre ich in einer Woche auf eine Geburtstagsfeier). Ich fand Freundinnen und Freunde, schloss mich Netz-Feministinnen an, Twitter wurde zum losen Verbindungsband vieler bereits über Blogs geschlossener Freundschaften.

In den ersten Monaten wechselte ich noch lustig die Favicons (es gab dafür immer neue Tools), sah oft den Failwhale, weil Twitter mal wieder überlastet war, gestaltete mit den anderen Nutzern nützliche Funktionen wie @-Replies und über RT Retweets. Über offene Schnittstellen gab es ständig neue Gimmicks wie das Einbinden von Fotos, und um mobil zu twittern, musste man eine SMS an eine bestimmte Telefonnummer schicken – zunächst gab es nur eine in USA, dann auch in Deutschland.

Ich war Teil der möglicherweise ersten Twitter-Lesung, auf der ich praktisch lernen durfte, wie man auf der Bühne so richtig abkackt, aber dann wusste ich das auch.

Auch weiterhin folge ich am liebsten Leuten, die sich besonders gut und prägnant ausdrücken können. Allerdings nehme ich an, dass diese Qualität noch rarer wird, da kürzlich die Beschränkung auf 140 Zeichen aufgehoben wurde. Heute braucht man Twitter zwar endlich nicht mehr ständig zu erklären, doch ist es meinem Gefühl nach schon lange eine Sache für alte Leute, etabliert, uncool und vergangen wie die ursprünglichen Blogs.

Was zum Glück geblieben ist: Die Verbindung zu den Menschen dort.

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Kathrin Passig schreibt im Merkur ausführlich über:
“Fünfzig Jahre Black Box”.

Sie denkt darin unter anderem gründlich über die Sorge nach, heutzutage verstehe ja kein Mensch mehr die Programme in den alles beherrschenden Computern, das sei gefährlich:

Dass ein Sachverhalt schon länger besteht, ohne dass bisher die Welt untergegangen ist, muss nicht heißen, dass er harmlos ist. Vielleicht geht die Welt ein bisschen später trotzdem unter, oder vielleicht sind wir bereits die gründlich indoktrinierten Produkte dieser Fehlentwicklung, unfähig, das Problem überhaupt noch zu erkennen. Aber jedenfalls greift es zu kurz, die Machine-Learning-Verfahren der letzten Jahre zu beschuldigen und eine Rückkehr zu der einfach und vollständig durchschaubaren Software zu fordern, wie wir sie noch vor fünf Jahren, na gut: vor zehn … oder wenigstens zwanzig … aber doch ganz sicher vor fünfzig Jahren hatten.

Denn, wenig überraschend: Schon damals wurde beklagt, keiner verstehe den Code mehr.

Die meisten dieser Phänomene sind nicht auf Software beschränkt, man kann sie auch an Gebäuden oder technischen Einrichtungen beobachten, die im Lauf der Jahrzehnte umgebaut und an neue Erfordernisse angepasst worden sind. Die Dokumentation ist selten auf demselben Stand oder auch nur am selben Ort wie ihr Gegenstand. Das James Gregory Telescope in St Andrews ist das größte Teleskop Schottlands, ich schreibe Teile dieses Beitrags in seiner Nähe. Die Betriebsfähigkeit des über fünfzig Jahre alten Geräts hängt im Wesentlichen von einem einzigen pensionierten Physiker ab, der sich in seiner Freizeit in die verschiedenen historischen Schichten der Teleskoptechnik eingearbeitet hat. Eine Dokumentation der verschiedenen Umbauten existiert – außer im Kopf von Roger Stapleton – nur fragmentarisch und an verstreuten Orten. Das ist keine Ausnahme, sondern der Normalzustand; vom unvollendeten Berliner Flughafen hört man, dass er diesen Zustand der Undokumentiertheit bereits vor seiner Eröffnung erreicht hat.