Archiv für Januar 2018

Der einzige Fan des Großraumbüros

Dienstag, 9. Januar 2018

In der jüngsten FAS stand schon wieder eine Wutrede gegen Großraumbüros: “Zur Hölle mit dem Großraumbüro”. Seit inzwischen Jahrzehnten ist es dasselbe Spiel: Die Forschung lobt und preist den vielfältigen Nutzen von Großraumbüros, doch jeder und jede Betroffene findet es furchtbar.

Ich scheine der einzige Mensch auf der ganzen Welt zu sein, der Großraumbüros wirklich mag.

Das könnte an meiner Bürosozialisation liegen. Als ich kurz nach meinem 19. Geburtstag in einer Zeitungsredaktion mein Volontariat antrat, tat ich das in einem Großraumbüro. Allerdings muss man möglicherweise ohnehin präzisieren, was das bedeutet. Der FAS-Wutredner oben beschreibt eine Bürolandschaft, in der niemand einen festen Arbeitsplatz hat, in der es keine Rückzugsmöglichkeiten gibt – gerade ersteres wäre nichts für mich. Zwar neige ich überhaupt nicht dazu, mein Büro oder meinen Arbeitsplatz zu wohnzimmerisieren (Topfpflanzen, Familien- und Urlaubsfotos, Dekogegenstände, Kleidungs- und Lebensmittelvorräte, Schilder oder Karten mit lustigen Sprüchen), doch ich mag beim Arbeiten eine vertraute Umgebung, in der ich die Macken der Tastatur und den Standort des Telefons ebenso kenne wie den blinden Handgriff, mit dem ich das Rollo vors blendende Sonnenlicht ziehe.

Das Großraumbüro, in dem ich mein Arbeitsleben als Zeitungsvolontärin begann, bestand aus Inseln mit mehreren Schreibtischen, die die Ressorts bildeten, durch menschenhohe Schränke voneinander getrennt. Alle hatten dort ihren eigenen Schreibtisch. Ich genoss es bei der Arbeit in der Regionalredaktion mitzubekommen, was in der Sportredaktion nebenan passierte (ein Großteil der Anekdoten, die ich über diese Zeit erzähle, speist sich daraus), aber auch zu hören, wie es den Kolleginnen und Kollegen in meinem eigenen Ressort gerade ging, was sie am Telefon besprachen, woran sie arbeiteten. Das Eintreffen der Fotolaborantin am frühen Nachmittag hörte ich nicht, sondern roch ich: Sie wandelte immer in einer Wolke des Parfums Cool Water.

So geht es mir bis heute: In einem Gemeinschaftsbüro fühle ich mich auf dem aktuellen Stand, schnappe ständig interessante Informationsfetzen auf, auf die ich oft für meine eigenen Aufgaben zurückgreife. Doch das funktioniert nur durch meine Art der Wahrnehmung und Filterung: Ich kann halt sehr viel gleichzeitig verarbeiten (dafür wahrscheinlich nicht besonders tief oder bleibend), ohne dass ich mich davon abgelenkt fühle. Wenn ich mich im Großraumbüro konzentrieren möchte, kann ich 90 Prozent davon ausblenden; gestört fühle ich mich dann nur durch direkte Ansprache.

So ging mein Arbeitsleben auch weiter: In der ersten PR-Agentur gab es drei bis fünf Schreibtische in einem Raum, Türen standen immer offen; wer viel am Stück telefonieren musste, konnte sich in ein Einzelbüro zurückziehen. Mit der nächsten Agentur erlebte ich den Umzug von winzigen, mit zwei bis drei Schreibtischen vollgestopften Büros in den Großraum: Licht! Luft! Platz! (Wurfspiele mit dem Kollegen am anderen Ende!) Als ich dann ins Großunternehmen wechselte, bekam ich die ersten Jahre ein Einzelbüro. Das war als Privileg gemeint, doch ich fühlte mich beengt und von allem abgeschnitten: Meine Bürotür war als einzige auf dem Gang immer offen, so versuchte ich mir ein bisschen Großraum vorzugaukeln.

Dann wechselte ich in einen Neubau der Konzernzentrale: Dort waren es meine Kolleginnen und Kollegen gewesen, die sich einige Monate zuvor von Zweierbüros auf Großraum hatten umstellen müssen, und alle hassten es. Dabei war an schalldämpfende Teppiche und Decken gedacht worden, zwischen Dreier- oder Viererinseln von Schreibtischen standen Schränke, es gab “Think Tanks” zum Telefonieren, für kleine Besprechungen oder zum konzentrierten Arbeiten. Ich fand’s super, endlich wieder immer halbwegs zu wissen, wer gerade an was arbeitete und sich wo befand – wenn ich für Kolleginnen ans Telefon ging, konnte ich immer ein bisschen helfen. Doch der Widerstand gegen die Umstellung war an diesem Standort enorm: Die Rechtsabteilung hatte allen Ernstes auf die trennenden Schränke Akten bis zur Decke gestapelt, um Einzelbüros zu simulieren.

Sinnvolles Arbeiten in diesem Großraumbüro erforderte allerdings durchaus individuelle Disziplin: Hingehen statt Rufen, Rückzug für Besprechungen oder bei lauten Tätigkeiten. Als mein damaliger Chef mich einmal zu oft quer durchs Büro zu sich rief, rief ich “Wuff!” zurück und rannte hundehechelnd zu ihm. (Hätte schief gehen können, doch er lachte sehr und ließ diese Rufe fortan bleiben.)

Bemerkenswert finde ich, dass es mir beim Wohnen genau umgekehrt geht, dort fühle ich mich durch die Anwesenheit anderer Menschen gestört: WG-Wohnen war nie etwas für mich. Schon als Schülerin freute ich mich, wenn beim Heimkommen niemand zu Hause war, in meiner Studienzeit wohnte ich allein und teilte nur während meines Auslandsjahrs in Wales in einem student house Küche und Bad, hielt mich aber meistens in meinem Zimmer auf. Und es war ein sehr großer Schritt, mit einem Partner zusammenzuziehen – mit dem einzigen Menschen, der mich beim Wohnen nicht stört.

Journal Montag, 8. Januar 2018 – Der Turmfalke

Dienstag, 9. Januar 2018

Ich weiß jetzt, wie ein fliegender Turmfalke von oben aussieht.

Ansonsten ein ruhiger Tag, grau und trocken.

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Sie denken, Venedig sei ausfotografiert, jedes Motiv nun wirklich schon von jeder aufgenommen worden? Dann schauen Sie bitte mal zu den Bildern von
Kay von Aspern – Venedig.

via @fraudiener

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Sonntagnacht also die Golden Globes im Zeichen von #metoo und der neu gegründeten Initiative „Time’s Up“. Acht Hollywood-Stars brachten als plus one Aktivistinnen mit, die sie bewundern. (Und ich bin sehr gerührt, wie glamurös sie auf dem Roten Teppich aussahen.) Sehr interessant, wie die Damen von Go Fug damit umgehen:
“The Golden Globes: Eight Activists and their Celebrity Plus-Ones”.

It’s always been our belief that one can be interested in fashion, and makeup, and all the associated elements, while also being a serious person who cares about the world and above all does not support sexual harassment, abuse, inequality, and their wretched kin. One can critique art — and fashion is art; the red carpet is a series of carefully crafted portraits with teams of artisans behind each star — without being anti-woman or anything else. So yeah, we’re going to cover the Globes today. We will attempt to do so with sensitivity, but we won’t pull our fashion punches, either. Because in the grand scheme of things, muting each other is not the point. Thanks, and we love you.

Geschichte machte dann Oprah Winfrey mit der Rede zum Cecil B. DeMille Award für ihr Lebenswerk:

https://youtu.be/fN5HV79_8B8

Journal Sonntag, 7. Januar 2018 – Tierpark unter Hochnebel

Montag, 8. Januar 2018

Ein trüber, nebliger Tag. Da ich vor dem Ausflug mit Herr Kaltmamsell zum Tierpark eine Runde Sport einlegen wollte, hatte ich mir den Wecker gestellt. Zum Sportstudio am Ostbahnhof nahm ich das Fahrrad, zum vermutlich allerletzten Mal strampelte ich mit Blick über die Dächer des östlichen Münchens auf dem Crosstrainer (danach ein Stündchen Stepaerobic), kleidete mich mit Blick auf die Stadtmitte um – Ende des Monats endet mein Vertrag, weil mein Heimatstudion der Fitnessstudiokette schließen muss.

Zu Hause frühstückte ich Granatapfel, Banane, Backpflaumen und Joghurt, dann machte ich mich Herrn Kaltmamsell zur U-Bahn auf – die wir kurzfristig doch nicht nehmen konnten, weil sie wegen eines Notarzteinsatzes nicht fuhr. Zum Glück gab es auch einen Bus zum Tierpark, der uns und eine von Haltestelle zu Haltestelle größere Anzahl an Kinderwagen nach Hellabrunn brachte.

Die lärmenden Flamingos gleich hinterm Eingang waren genau der Farbklecks, den das Wetter brauchte.

Wir guckten Haie, besuchten die Elefanten im renovierten Elefantenhaus, sahen einen sibirischen Tiger spazieren und hörten ihn brüllen, der Vielfraß guckte kurz zu uns herüber, die Lemuren waren niedlich, die Orang Utans spielten mit Holzwolle, die Pinguine schwammen uns etwas vor, der junge Eisbär schwamm Spielzeug hinterher. Am meisten beeindruckte mich aber der Besuch in der Fledermausgrotte: Nachdem wir vergangenes Jahr Fledermäuse vor der Wohnung hatten und ihnen im Urlaub begegnet waren, wollten wir sie im Zoo von Nahem erleben – und das kann man dort. Die
südamerikanischen Brillenblattnasen sind deutlich größer als die Münchner Exemplare, und sie fliegen frei um die Besucher herum. Wir nahmen die Mützen ab und hielten uns still, so waren wir bald spürbar und hörbar umflattert.

Zum Abschluss Einkehr auf eine Portion Tierparkpommes.

Gemütlicher Ausklang der Weihnachtsferien (zumindest für mich, Herr Kaltmamsell musste noch Unterricht vorbereiten), ich briet zum Nachtmahl einen Bauerngockel ganz klassisch mit Paprika im Ofen.

Journal Samstag, 6. Januar 2018 – Dreikönig in Familie

Sonntag, 7. Januar 2018

Mein Bruder hatte zu Dreikönig unsere Eltern, seine Frau Schwieger sowie Herrn Kaltmamsell und mich zu Fondueessen eingeladen, also packten wir vormittags Zitronencreme (hier das Rezept, das nächste Mal dekoriere ich ein schöneres Foto hin) und Mousse au chocolat ein und nahmen einen Zug nach Ingolstadt.

Im Bruderhaus gab es Aperitiv, Fleisch- und Gemüsefondue mit Fett und Brühe und damit viele Stunden gutes Essen und lustige Unterhaltung.

Dazwischen klingelten die örtlichen Sternsinger und ich war übers dörfliche Idyll begeistert. Doch sie sangen nicht, sondern sagten nur ihren Vorstellungsspruch auf – Sternsprecher.

Journal Freitag, 5. Januar 2017 – Verfrühte Winterlinge

Samstag, 6. Januar 2018

Noch ein Ferientag.
Lang geschlafen – die drei Stunden zwischen fünf bis acht waren nach einer sehr unruhigen Nacht endlich wirklich erholsam.

Angekündigt war ein weiterer Regentag gewesen, doch die Sonne schien bei milder Luft. Ich spazierte zu einem Isarlauf an die Wittelsbacherbrücke. Nach dem Flug beim Schwimmen am Vortag hatte ich gestern leider Bleibeine und schnaufte schwer. Doch ich bekam Sonnenlicht und sah am Hinterbrühler See Jungschwänen bei Flugübungen zu, immer wieder fasziniert von den sehr lauten Geräuschen, die ihre Flügel dabei machen. Der Wasserstand der Isar lag nach den Regenfällen sehr hoch, braune Fluten brachen sich schäumend an Treibholz.

Erste Winterlinge am Westermühlbach – das ist jetzt aber wirklich zu früh.

Den Nachmittag verbrachte ich mit der Zubereitung von Nachtisch fürs Dreikönigsessen bei Familie: Zitronencreme nach Delia Smith (Rezept folgt) und Mousse au chocolat. Bei ersterem (hatte ich vor Jahren ein paar Mal gemacht) haderte ich wieder mit unbrauchbaren Mengenangaben: “Juice of 4 lemons” kann alles zwischen 80 und 200 ml sein. Bei mir waren’s 200 und ich bin schon gespannt, ob die Gelatine damit fertig wurde. Letztere gelang mir endlich mal wieder perfekt, nachdem die letzten Versuche leicht grieslich geworden waren – schmeckt trotzdem, hat aber nicht den erwünschten Schmelz.

Zum Nachtmahl war ich mit Herrn Kaltmamsell beim Georgier in Neuhausen verabredet. Nachdem dort bei all meinen Besuchen Tische frei gewesen waren, hatte ich nicht reserviert und lediglich auf der Website sichergestellt, dass offen war. Nicht auf der Wesbite stand allerdings, dass das Lokal gestern für eine geschlossene Veranstaltung gebucht war, das entnahmen wir erst handgeschriebenen Zetteln an der Restauranttür. Zum Glück ist Neuhausen reich an Gastronomie, wir gingen zwei Häusl weiter in ein geschäftiges griechisches Lokal.

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Im New Yorker stellt sich Ginny Hogan eine Arbeitswelt vor, in der feministische Forderungen umgesetzt wurden, und stellt fest: Weltuntergang.
“Examples of Toxic Femininity in the Workplace”.

Bei der Gelegenheit ließ ich mich aufs Schnäppchen-Angebot eines Online-Abos des New Yorker (6 Dollar für 12 Wochen, jederzeit kündbar) ein. War nach wenigen Clicks abgeschlossen, und jetzt freue ich mich über die einfache Unterstützung eines Mediums, das ich nicht missen möchte. Täte ich gerne auch für SZ, New Statesman, FAZ, Zeit, Tagesspiegel, aber halt nicht zu deren Konditionen und Preisen.

Journal Donnerstag, 4. Januar 2018 – Torpedo im Olympiabad

Freitag, 5. Januar 2018

Das Torpedo, das gestern gleich nach Öffnung im Trainingsbecken des Olympiabads gesichtet wurde, das war ich. Hui, war ich in Form! Gleich noch ein paar Zusatzbahnen eingelegt, lahme Enten in vier Zügen überholt, nur einmal fürchterlich verschluckt – ein hustend strampelndes Torpedo ist aber sicher auch niedlich.

Bis dahin: Gut und ausgeschlafen. Pläne für dieses weiteren Ferientag waren: Schwimmen, Frühstücken im Café Puck, Einkäufe.

Das Radeln zum Olympiabad ließ ich angesichts des dunkelgrauen Himmels bleiben, die Zeit für Heldentum kommt sicher wieder. Ich wurde damit belohnt, dass es ab Mittag bis in die Nacht herzhaft bis gussartig regnete, radelnd wäre ich klatschnass geworden.

Trambahn zum Café Puck, das schon wieder so voll war wie vor dem Umbau – die Wiedereröffnung scheint sich schnell herumgesprochen zu haben. Die entzückende und wunderschöne Bedienung (eine Mischung aus Angie Harmon und Zadie Smith) servierte diesmal ein Spezialfrühstück.

Vor allem der Pancake war sensationell und schluckte angemessen viel Ahornsirup. Ich fühlte mich wohl und las gemütlich Zeitung.

Nachdem ich mein Sportzeug heimgebracht hatte, verließ ich das Haus nochmal raus ins Sauwetter für Einkäufe. Zum einen wollte ich meinen zerfallenden Walkjanker nach neun Jahren ersetzen: Der Nachbarschaftsladen bekommt die neue Lieferung aber erst noch. Zum anderen wollte ich eine Nachfolge für meine verlorene Laufmütze: Den angestrebten Beanie hatte das Sportgeschäft aber nur in Kunstfaser und hässlich und er hätte 29,99 Euro gekostet (¿tiene música?). Bestellte ich also doch online. Aber beim Body Shop gab’s günstige Sondergrößen (Duschgel Olive im Halbliterspender, Körperbutter Olive in Doppeltopf), und ich besorgte Zutaten für Nachtische am Dreikönigsessen der Familie. Auf den Wegen bog ich sogar in zwei Schuhgeschäfte ab, auf dass mich ein Ersatz für meine braunen Schnürstiefel anspringen möge, die sich nach gerade mal 20 Jahren Tragen mit zweimal neuen Sohlen einfach auflösen. Erfolglos. Am liebsten hätte ich natürlich genau dieselben (aus dem Bally-Resteverkauf in einem Pop-up-Laden in Augsburg, als die noch nicht so hießen) nochmal. Daheim schaute ich auch bei Bally online, doch blöderweise machen die jedes Jahr neue Modelle.

Zum Nachtmahl baute Herr Kaltmamsell eine höchst luxuriöse Udon-Suppe (unter der Entenbrust verbergern sich Sprossen, Pak Choi und Zuckerschoten).

Journal Mittwoch, 3. Januar 2018 – Sturm, E-Mobilität, die bessere Kindheit

Donnerstag, 4. Januar 2018

Für gestern war heftiger Sturm angesagt, umso verwunderter saß ich bis in den Vormittag bei mildestem Windlein im Büro, schaltete mal das Licht an, dann wieder aus, ließ die Rollos mal runter, um auf dem Bildschirm überhaupt etwas lesen zu können, zog sie wieder hoch. Aber er kam schon noch der Sturm, brachte waagrechten heftigen Regen mit und ließ das Bürogebäude ächzen.

Bis Feierabend hatte sich das Wetter zum Glück beruhigt, ich kam trocken nach Hause. Unterwegs kaufte ich noch Obst ein; unter anderem hielt ich der Obsttandlerin eine seltsame Frucht hin: “Was ist das?” Es war eine Mangostin, von der ich zwei zum Probieren mitnahm, trotz der Warnung: “Schmeckt gut, ist aber teuer!”

Nach dem köstlichen Nachtmahl, das Herr Kaltmamsell servierte, kosteten wir.

Sie schmeckte mir ausgesprochen gut (die zweite Frucht war leider zur Hälfte faulig).

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Gehört, als ich hinter einem jungen Mann und einer jungen Frau herging:
“Deine Mutter hat ja gesagt, dass ich ganz schön dominant bin.”
(Jetzt raten Sie mal, ob das von der Frau oder dem Mann kam.)

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Mein pet peeve Automobilindustrie und das komplett verzerrte Thema Elektromobilität (hat eigentlich schon mal eine Journalistin durchgerechnet, wie viel öffentliche Fördergelder diese Branche zu Forschung und Entwicklung Elektromobilität in den vergangenen Jahrzehnten bekommen hat?): brandeins hat mit dem Soziologieprofessor und Verkehrsforscher Andreas Knie gesprochen.
“‘Die wollen keinen Neustart'”.

Knie thematisiert endliche einen Punkt, der meiner Überzeugung zu wenig bedacht wird: Die Stellung des Privat-Pkw als Konsumgut statt Investitionsgut.

Wie könnte man Ihrer Einschätzung nach einen sinnvollen Neustart gestalten?

Indem man zuerst noch einmal in die Vergangenheit schaut und sich fragt, wie wir eigentlich in die heutige Situation gekommen sind. Und da ist festzustellen, dass wir seit Ende der Zwanzigerjahre in Deutschland – also seit mehr als 90 Jahren – alles dafür getan haben, dass die Menschen ihr privates Auto bekommen. Angefangen bei der Stadt- und Infrastrukturplanung über das Verkehrsrecht bis hin zur Bauplanung. Das Auto war und ist der ganz elementare Teil vom privaten Glück. Das fing mit der gelockerten, gegliederten Stadt an, in der die Distanzen nur mit einem Automobil überbrückt werden konnten. Autobahnen wurden gebaut, ohne dass die Bevölkerung anfangs Autos hatte. Die konnte sich kaum jemand leisten. Damit sich das ändert, hat man eine Steuergesetzgebung eingeführt, bei der die Rückerstattung höher war als die tatsächlichen Kosten für ein Auto. Die Reichsgaragen-Ordnung wurde zu großen Teilen bis heute weitergeführt, sodass überall Stellplätze für Autos gebaut werden mussten. Diese gesamte Mechanik, die dem Volk das Auto als privates Glück verkauft, existiert bis heute ungebrochen weiter. In den vergangenen Jahren ist die Fahrzeugflotte immer weiter gewachsen, wir lagen immer zwischen 0,8 und 2,5 Prozent jährlichem Plus, selbst in der Wirtschaftskrise 2009. Heute haben wir etwas mehr als 45 Millionen Pkw im Land. Und davon müssen wir unbedingt runter.

Denn, und das sagt Knie nicht: Es ist aus verschiedenen Gründen unmöglich und unsinnig, die bestehende Flotte an privaten Verbrennungsmotor-Pkw durch Elektroautos zu ersetzen. Unmöglich unter anderem: E-Autos werden sehr wahrscheinlich nicht so billig sein können wie die heutigen, weil die Rohstoffe für die Batterien deutlich knapper und teurer sind. Unsinnig unter anderem: Schon jetzt ist seit Jahren der Verkehrskollaps der Städte deutlich, mit Abstand in erster Linie verursacht durch Privat-Pkw.

Ausgespart wird in Knies Vorschlägen auch die Versorgungssituation in Nicht-Städten: Home Office statt Pendeln schön und gut – aber dann braucht es in den Wohndörfern (statt zwischen ihnen und nur mit dem Auto erreichbar) endlich auch wieder Lebensmittelgeschäfte, Apotheken, Buchläden, Arztpraxen.

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Gestern gingen die Ergebnisse einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen durch die Medien, nach denen junge Flüchtlinge vor allem aus Nordafrika deutlich mehr Gewalttaten begehen als schon lange einheimische. Die gute Nachricht ging dabei leider unter.

Kinder wachsen heute reichlich anders auf als wir um die 50 seinerzeit aufgewachsen sind. Auch wenn ich den Impuls habe, Abweichungen von der einen oder anderen Härte der eigenen Kindheit als Verweichlichung zu sehen und mich mit Vergnügen über die Auswüchse überidentifizierter Eltern lustig mache (“Wir haben’s jetzt ja doch aufs Gymnasium geschafft.” “Unsere Lehrerin hat über die Ferien eine Recherche aufgegeben, aber meine Tochter soll sich auch mal ausruhen, deshalb rufe ich bei Ihnen an: Haben Sie Informationen zu XY?”): Im Durchschnitt läuft heute einiges erheblich besser als seinerzeit.

  • Laut einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen ist die Jugendkriminalität in Deutschland von 2007 bis 2015 um die Hälfte zurückgegangen.
  • Auch die Brutalität bei Straftaten nimmt laut einer Studie aus Bayern ab.
  • Als Ursache für den Trend sehen die Forscher den Rückgang der Gewalt in Familien und geringere Arbeitslosigkeit.

Ganzer Artikel aus der Süddeutschen:
“‘Mehr Liebe, weniger Hiebe'”.
via @spreeblick

Durchaus mit einem Caveat:

Wenn es um gesellschaftliche Entwicklungen wie die Jugendkriminalität geht, lassen sich Kausalitäten nie im strikten Sinne belegen. Dazu müssten Forscher Versuchsanordnungen aufbauen. Sie müssten experimentieren, Kontrollgruppen bilden, manche Probanden etwa bewusst elterlichen Misshandlungen aussetzen, andere nicht. Weil das nicht geht, können die Kriminologen nur interessante Korrelationen herausarbeiten, mehr nicht. Und man kann gegen ihre 68er-These auch einwenden: Für die Generation des Kriminologen Christian Pfeiffer, Jahrgang 1944 und SPD-Mitglied seit 1969, liegt es nahe, jenen Wandel, den sie selbst einst mit erkämpft haben, heute zum Dreh- und Angelpunkt einer Gesellschaftsbetrachtung zu machen.

Trotzdem spricht viel für ihre These. Forscher auch anderer Couleur und in anderen Ländern beobachten diesen Zusammenhang seit Jahren: Der größte gemeinsame Nenner unter Gewalttätern ist, statistisch gesehen, dass sie in ihrer Kindheit geschlagen wurden. Hunderte Studien weisen darauf hin. Dieses biografische Merkmal korreliert am stärksten mit gewalttätigem Verhalten; stärker als Religion, Herkunft, Wohlstand oder Bildung.

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Sensationelle Bilder:
“If Birds Left Tracks in the Sky, They’d Look Like This”.

via @maxplanckpress

In Wirklichkeit wurden dadurch endlich die geheimen Chemtrails der Vögel sichtbar gemacht. Be afraid, be very afraid.