Journal Donnerstag, 22. März 2018 – Wir Google-Veteranen

Freitag, 23. März 2018 um 7:05

Nachdenken über Google-Fertigkeiten. Beruflich betreibe ich sehr viel betreutes Googlen: Menschen wenden sich mit Fragen an mich, deren Antwort ich zu 95 Prozent beim ersten Googlen als erstes Ergebnis angezeigt bekomme. Manchmal ergänzen sie ihre Frage durch den Hinweis, im Web hätten sie nichts dazu gefunden. Das und Erzählungen von Eltern über Web-Recherchen ihrer Kinder führen mich zu den Verdacht, dass Googlen keineswegs die Basisfertigkeit ist, sondern die hohe Kunst. Dass Weltwissen und Hintergrundkenntnisse zum Suchthema sehr helfen, auch bei der Einordnung der Suchergebnisse, war mir durchaus klar. Doch anscheinend muss man Menschen bereits Google als Suchwerkzeug beibringen (manche gehen zum Beispiel erst auf eine Website, auf der sie die gesuchten Inhalte vermuten, und beginnen dort ihre Suche).

Möglicherweise unterschätze ich die Folgen des Umstands, dass wir echten digital natives, die wir das Web seit Erfindung des Browsers nutzen, eine nicht mehr aufzuholende Erfahrung mit der Nutzung seiner Dienste haben (Suche, Bewertung, Lokalisierung, Visualisierung). Wer sich noch an den Suchmaschinen-Geheimtipp All the web erinnert und wie sensationell der uns vor der Jahrtausendwende bereits erschien, wer dann völlig von den Socken war über die Mächtigkeit dieser weißen Seite, auf der nichts als ein Eingabefenster und der Firmenname “Google” in bunten Buchstaben zu sehen war – der und die haben halt mehr Werkzeuge an der Hand als nachwachsende Web-Nutzer, die sich ausschließlich auf YouTube und instagram bewegen. Oder sich mit einem Seufzer vor zwei Jahren dann doch mal selbst an dieses Internet gesetzt haben, weil das ja wohl nicht mehr weggeht.

Nach Feierabend nahm ich eine S-Bahn zum Marienplatz, um nach einem Geburtstagsgeschenk zu sehen (von der Sorte, die man wirklich in Person und live besorgen muss). Weil ich in der Nähe war, ging ich mal wieder in die Lebensmittelabteilung von Manufactum: Ich erinnerte mich an eine hervorragende französischen Schokolade mit 100 Prozent Kakao, die ich gerne mal wieder essen wollte.

Sie schmeckte mir immer noch, allerdings musste ich mich dafür an zwei Dinge erinnern:
Nur kleine Stückchen (ich mag Schokolade sonst am liebsten mit vollen Backen, doch diese Schokolade wird erst mal immer mehr im Mund), und auf keinen Fall Süße erwarten.

Das war natürlich nicht das Einzige, was ich bei Manufactum besorgte: Ich entdeckte die sensationellen Dörrpflaumen d’Agen, die ich vor vielen Jahren als Mitbringsel kennengelernt hatte und eine Zeit lang beim Hersteller bestellen konnte – bis der nicht mehr ins Ausland lieferte. Den Weg ins Einkaufskörbchen fanden zudem bretonische Krokantpralinen (ganz ok) und 55-prozentige Milchschokolade von Bonnat (interessant).

Zum Nachtmahl gab’s Asia-Pflücksalate aus Ernteanteil. Außerdem brachte ich durch Quengeln nach etwas Warmem (Heimweg durch dichten Schneefall) Herrn Kaltmamsell dazu, ein Schüsselchen Dhaal zu kochen.

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Zeit-Autor Philipp Maußhardt fällt aus allen Wolken, als sein Kneipenkumpel Bernhard den wichtigsten deutschen Forschungspreis erhält – er hatte keine Ahnung gehabt, was der beruflich macht, halt irgendwas mit Mathematik und Informatik. Jetzt interviewt er ihn professionell.
“Und? Was machst du so?”

Ich weiß nicht, wann es angefangen hat, dass man sich unter der Berufsbezeichnung seines Gegenübers nichts Richtiges mehr vorstellen konnte. Es muss in jener Zeit gewesen sein, als aus Hausmeistern Facility-Manager wurden. Wie soll ein Fachinformatiker für Systemintegration auf die Frage antworten, was er arbeitet? Programmierer sind Menschen, die vor einem Computer sitzen und Zahlencodes eingeben. Das muss genügen.

§

Longread auf Englisch und Deutsch:

“Hoffnung um jeden Preis
Privatkliniken in Deutschland verkaufen Krebspatienten Hoffnung zu Höchstpreisen — mit durchwachsenem Erfolg”.

Ich kenne selbst einen Fall – aber mir war nicht klar, dass dahinter ein riesiges System steckt.

Deutschlands Neigung zu unkonventionellen Behandlungsmethoden hat in letzter Zeit Unternehmen, die experimentelle Medikamente an Patienten verkaufen, zum Deckmantel alternativer Behandlungsmethoden wie der Homöopathie verholfen. Einige, darunter auch die Hallwang Klinik, sind vor allem für Ausländer gedacht, die in wachsender Zahl nach Deutschland reisen um sich medizinisch behandeln zu lassen. Private Kliniken sind in Deutschland, wo die Gesundheitsversorgung weitgehend dezentralisiert ist, nicht der staatlichen Dokumentationspflicht unterworfen. Nach Angaben der Deutschen Zentrale für Tourismus übernachteten allein 2016 rund 259.000 Gäste aus Europa aus gesundheitlichen Gründen in Deutschland, verglichen mit 157.000 im Jahr 2009.

(…)

Nach deutschem Recht müssen Betriebe wie die Hallwang Klinik nicht über das Krankenversicherungssystem abrechnen, zudem können sie zugelassene Ärzte beschäftigen und von Patienten verlangen, dass sie Verzichtsklauseln unterschreiben. Sie erhalten so ein breites Mandat Privatkliniken so zu führen, wie sie es für richtig halten. Diese Anordnung – eine Anomalie in der westlichen Gesundheitsversorgung – hat Deutschland zu einem fruchtbaren Boden für unabhängige Unternehmen gemacht, die unerprobte Krebsmedikamente schwerkranken Patienten, von denen viele aus Übersee stammen, zur Verfügung stellen.

(…)

Als ich vor kurzem auf GoFundMe suchte, fand ich ungefähr 100 aktive Spendenaktionen für Patienten, viele von ihnen Briten, die eine Krebsbehandlung in der Hallwang Klinik anstreben, einigen mit Spendenzielen die 400.000 Euro überstiegen.

(…)

Laut Brysch [Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz] zögern einige deutsche Politiker, Wähler zu entfremden, die von alternativen Behandlungsmethoden angetan sind, ganz zu schweigen von der einflussreichen Homöopathie Lobby, die sowohl Heilpraktiker als auch Naturstoffanbieter umfasst. Heilpraktiker haben in Deutschland an Bedeutung gewonnen und eine beachtliche politische Macht aufgebaut. Im Jahr 2011, dem letzten Jahr, für das Daten zur Verfügung stehen, waren es rund 35.000 — gegenüber 14.000 im Jahr 1998.

§

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https://youtu.be/0_L4NBQnKoM

(Dieses Lied spielte während meines jüngsten Berlinbesuchs morgens durchgehend in meinem Kopf. Zwar habe ich daheim einen Linie 1 Soundtrack – aber basiert auf der Gripstheater-Inszenierung, nicht auf der Filmmusik – und klingt damit völlig falsch.)

die Kaltmamsell

10 Kommentare zu „Journal Donnerstag, 22. März 2018 – Wir Google-Veteranen“

  1. Christine meint:

    Auch ich habe die Erfahrung gemacht, dass man als digital native die Ergebnisse besser interpretieren kann. Auch Befehlsketten mit + und ” erleichtern mir das Finden.

  2. Hauptschulblues meint:

    Hauptschulblues hat in seinem Informatikunterricht versucht, den Jugendlichen Such- und Bewertungsstrategien beizubringen. Das war schwieriger als Programmieren.

  3. Joe meint:

    Privatkliniklen laufen gut. In meiner Berufspraxis der heftigste Fall. Ein US Arzt, der von der FDA wegen seiner Behandlungsmethode seine Zulassung verloren hatte, hat an einem der Millionärsseen südlich von München eine Privatklinik eröffnet und bietet seine von der FDA verbotene, nie in Studien erprobte und auch von ihm nur lückenhaft dokumentierte Krebstherapie nun hier den internationalen Privatpatienten an.

  4. Regina meint:

    Ich kann diese Erfahrungen mit google bestätigen : Meine Suchen in deutscher Sprache sind (meist) erfolgreich, auf Französisch fällt es mir schwerer, die richtigen Suchworte und somit schnell vernünftige Ergebnisse zu finden.
    Eine Sprache zu beherrschen oder “nur” einigermassen gut sprechen können ist dann eben doch ein Unterschied. (Gerne schaue ich in wikipedia, dort kann man nach Auffinden des Gesuchten die Sprache wechseln ;) Funktioniert aber nicht immer, weil in der anderen Sprache nicht vorhanden oder ohne links (meist im FR, dort ist wikipedia etwas “dünner”.)

    Wie heisst denn der Hersteller der Pruneaux d’Agen ? Einfach nur die Pflaumen oder veredelt ? Möglicherweise könnte ich da was finden, es ist nicht weit von hier :)

  5. Norman meint:

    Plädierten Sie nicht einst für die Bezeichnung „Digital Pioneers“?

  6. die Kaltmamsell meint:

    Tatsächlich mag ich mich inzwischen lieber als native bezeichnen, Norman (dass Sie sich daran noch erinnern!). Pioniere kommen in ein schon vorhandenes Gebiet und machen es urbar; wir aber waren von Anfang an Teil des Gebiets – internet is people – und haben uns mitentwickelt. (Digitales Naturvolk?)

  7. Margrit meint:

    Ihr Begriff des Betreuten Googlens hat mich schon öfters erfreut und mir klargemacht, dass ich das auch häufig betreibe.
    Ich erinnere mich gut an einen meiner ersten Besuche auf so einer “weißen Seite”. Ich gab testeshalber “Krebs” ein (heute passe ich wirklich gut zu Ihrem Blogbeitrag) und bekam unter anderem ein “Weingut Krebs an der Mosel”. Woraus ich messerscharf schloss, dass so was wohl nie funktionieren könne :)

  8. Herr Kaltmamsell meint:

    @Regina: Die Pflaumen kommen von hier http://fermeroques.com/ – weil mein Vater da mal war, ich habe nicht viel Vergleich, aber die waren köstlich. Inzwischen kann man beim Versand “Allemande” angeben, aber die Seite ist weiter nur auf Französisch, und die haben sich damals sehr angestellt, als sie etwas nach Deutschland schicken sollten. Ist aber auch schon fast zehn Jahre her.

  9. Petra S. meint:

    Linie 1- diese Variante klingt auch für mich falsch, da das Grips Theater auch meinen Soundtrack bestimmt. Bei meinem letzten Berlin Besuch vor 2 Jahren war ich im Grips Theater, in dem das Stück immer noch läuft. Es war toll! Und letztes Jahr gab es an den hiesigen Puppenspieltagen eine Inszenierung. Eigentlich wollte ich nur meine Skepsis bestätigt haben, aber wie so oft – das Puppenspiel hat funktioniert. Die Musik kam vom Band und die 3 !!! Puppenspieler (2 Frauen 1 Mann) haben live gesungen. Unglaublich. Da kiekste, wa?

  10. Julia meint:

    Als ich 2001 (!) mein Volontariat begann, wurde ich in einen “Google-Kurs” gesteckt, um zu lernen, wie man denn diese Suchmaschine bediene, von der jetzt alle redeten. Fand ich damals ätzend, heute belustigend – aber vor allem immer noch hilfreich. Ich fürchte, nachfolgende Generationen kennen nur noch “Alexa, was ist…” Aber das ist dann wieder ein anderes Thema. (Haben Sie das mit dem gruseligen spontanen Gelächter von Alexa gelesen? Wie aus einem Horrorfilm!)

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