Journal Mittwoch, 9. Mai 2018 – Das mit den Persönlichkeitstests und Telefonbad in der Osteria italiana

Donnerstag, 10. Mai 2018 um 7:44

Mir geht schon auch die Frage nach, die Frau Klugscheisser in den Kommentaren stellte: Worin besteht die Faszination mit diesen Persönlichkeitstest? Ich denke, dass kein Unterschied zwischen der Anziehungskraft eines Myers-Briggs-Fragebogens beim Teambuilding-Workshop und den Ankreuzelseiten der Brigitte “Finde heraus, was dich glücklich macht!” besteht. Dass hier sogar dieselben Mechanismen greifen wie bei der Faszination mit Astrologie und Tarotkarten. Basis ist der Wunsch, mehr über sich selbst herauszufinden, sich zu erkennen und zu verstehen. Denn wir Menschen sind komplex, inkonsistent und widersprüchlich, damit kann man schon mal hadern.

Umso nachvollziehbarer ist die Sehnsucht, sich in ein System zu bringen, das konsistent und vorhersehbar ist. Dazu können alle Muster dienen, zu denen man sich in Bezug setzen kann, mit denen man sich abgleichen kann – vermutlich selbst Figuren in Rollenspielen (gleicht mir der rechtschaffen gute Paladin, den ich verkörpere, oder ist er mein Gegenstück?).

Ist das nicht schlicht Selbstreflexion? Und die ist meiner Überzeugung nach in jedem Fall begrüßenswert. Ich kenne einige kluge und bodenständige Menschen, die sich intensiv mit Astrologie beschäftigt haben. Nie hatte ich den Eindruck, dass sie das mit religiöser Hingabe taten; sie nahmen dieses in sich schlüssige System als einen von vielen möglichen Pfaden zur Reflexion.

Einen negativen Einfluss befürchte ich erst, wenn Auswertungsergebnisse als abschließendes Urteil und Wahrheit angesehen werden, im blödesten Fall sogar als präskriptiver Maßstab für Entscheidungen: Ich bin doch Typ INFP/Sternzeichen Jungfrau/habe die Karte Narr gezogen, also sollte ich dieses und jenes tun.

Tatsächlich ist mir noch nie passiert, dass ein Testergebnis derart daneben lag wie das jüngste. Und selbst die Erkenntnis, dass ich so ganz bestimmt nicht bin, war eine Erkenntnis.

§

Der erhoffte Regen blieb auch gestern aus. Zwar zog der Himmel am Nachmittag zu, aus einer dunklen Gewitterwolke regnete es – aber nur etwa zehn Minuten, das reichte gerade mal, dass der Hof des Bürogebäudes ganz nass wurde.

In der Arbeit traf ich gestern eine erleichternde Entscheidung; der Abgrund, den die Erleichterung tief war, bewies mir, dass es für mich einfach kein Zurück in frühere Tätigkeiten gibt. Die in der Personalentwicklung vielgesuchten “Potenziale” wurden bereits von anderen Arbeitgebern restlos ausgeschöpft, Pech gehabt.

Nach der Arbeit Spaziergang zur Fußpflege, dann nach Hause, um Herrn Kaltmamsell zu unserer Abendverabredung abzuholen: Nachtmahl in der legendären Osteria italiana in der Schellingstraße, laut eigenen Angaben das erste italienische Lokal in Deutschland.

Wir aßen sehr gute italienische Hausmannskost (zu sehr gehobenen Preisen).

Nudeln mit Artischocken und Minze für mich, gebackene Jakobsmuscheln für den Begleiter.

Als Hauptgang Ossobucco für den Herrn, Stubenküken mit Knoblauch und Rosmarin für mich – beides hervorragend.

Zum Nachtisch hatten wir die Zabaione für zwei erbeten – die zu unserer Überraschung am Tisch zubereitet wurde. Dafür musste einer der Kellner viele Minuten lang neben uns mit einem Kupfertopf über offener Flamme und mit dem Schneebesen schuften. Das nächste Mal vielleicht doch einfach ein Eiserl als Dessert. Geschmeckt hat sie aber schon, die Zabaione.

Als Wein hatte ich uns aus der umfangreichen Karte einen Vermentino di Sardegna Villa Solais ausgesucht (leicht rauchige Note, besonders gut zu meinem Hähnchen). Beim ersten Fotografierversuch entglitt mir mein Telefon und plumpste ins Eiswasser des Kühlkübels. Ich holte es in Sekundenschnelle heraus, fürchte aber doch Eindringen von Wasser. Nun: Sollte es tatsächlich Schaden genommen haben, ist ein Weinkübel immer noch die elegantere Geschichte als der angebliche Ertrinkensort Nr. 1 für Telefone – die Kloschüssel (weil aus der hinteren Hosentasche gefallen).

U-Bahnfahrt nach Hause (die gewohnte Tram 27 fährt derzeit nicht bis zum Sendlinger Tor).

die Kaltmamsell

7 Kommentare zu „Journal Mittwoch, 9. Mai 2018 – Das mit den Persönlichkeitstests und Telefonbad in der Osteria italiana“

  1. Joël meint:

    Dass die Zabaione am Tisch zubereitet wird, ist selten aber nicht ungewöhnlich. Ich kenne zumindest zwei Restaurants hier, die das auch so handhaben. Man kann die Creme bis ins Unendliche variieren. Meine Lieblingsvariation ist Zabaione mit Spumante in einer großen Schale oder hohen Gefäß in der unten dann ein Kugel Vanilleeis liegt. Man fährt dann mit einem langen Löffel durch die heiße leicht säuerliche Creme in das kalte süße Eis und… *sabber*
    Was hatte man euch denn noch da draufgestreut?

  2. die Kaltmamsell meint:

    Das scheint dann wohl die Nachfolge der Crêpes Suzette-Show zu sein, Joël . Wir wurden gefragt, ob wir “Brösel” drüber wollten – waren Keksbrösel mit Nussgehalt.

  3. Christine meint:

    Das höchste der Gefühle, das ich bei der Zubereitung am Tisch bislang beim Italiener erlebt habe, war das Mischen der Nudeln in einem Parmesanlaib am Tisch.
    Aber eigentlich wollte ich noch auf einen weiteren Typentest hinweisen, das Enneagram (https://de.wikipedia.org/wiki/Enneagramm) . Zum Teil esoterisch verbrämt. Aber mich hat der Test schon so manches mal zum strukturierten Nachdenken über mich selbst angeregt. Da brauchte ich die Entschlüsselung hinterher gar nicht zu lesen, sondern die Erkenntnis kam bei der Lösung.
    Natürlich sind diese Frau-im-Spiegel-Tests mit fünf Fragen und je drei Alternativen kompletter Humbug. Aber bei komplexeren Tests denke ich, dass der Mensch nach Mustern sucht: Wenn ich keine Melonen mag und alle anderen Menschen, die keine Melonen mögen, mögen auch keine Gurken, dann ist es wahrscheinlich, dass ich auch keine Gurken mag.

    Ich hoffe, dass das Smartphone trocken gelegt werden konnte – so schrecklich lange haben Sie es ja noch nicht, oder?

  4. Micha meint:

    Das letzte Foto – sehr schön!

  5. Sabine meint:

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    Gerne gelesen

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  6. allegra meint:

    So ein unfreiwilliges Bad im Restaurant ist natürlich schon feudal. Ich habe mal eines, weniger feudal ins Handwaschbecken geplumstes wieder trocken gekriegt in einem Plastikbeutel mit ungekochtem Reis.

  7. Norman meint:

    Ah, Sie haben das Gleis 9¾ gefunden.

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